Die Geschichte über Benny Binion und die World Series of Poker
Henny Binion war eines jener zarten Kinder, die oft von ihren Mitschülern verprügelt werden. Er konnte nichts dafür; er hatte eine schwache Lunge, die sich ständig mit Flüssigkeit füllte, weshalb er regelmäßig an Lungenentzündung erkrankte. Wären seine Ärzte Buchmacher gewesen, hätten sie seine Lebenserwartung auf zehn Jahre testgesetzt. Seine Chancen, das Teenageralter zu erreichen, hatten wahrscheinlich bei 1:4 gestanden. Die texanischen Schulen um 1910 waren kein sehr freundlicher Ort für ein so schwächliches Kind. Vielleicht ging Benny deshalb keinen einzigen Tag zur Schule. Die Schule ist nur eine Art zu lernen, und ich glaube, der Unterricht, den ich bekam, ist mir lieber, sagte Benny einmal in einem Interview. Wenn ich noch mal von vorn anfangen müsste, würde ich mit ziemlicher Sicherheit wieder Spieler werden, denn das ist der einzige Beruf, den ein ungebildeter Mensch ergreifen kann.
Seine Mitmenschen nahmen Benny Binion auf sehr unterschiedliche Weise wahr: Er war Vater, Menschenfreund, Pferdehändler, Alkoholschmuggler, Betreiber illegaler Lotteriespiele, Casinobesitzer, Steuerbetrüger, Kartenspieler und ein verurteilter Mörder. Aber in erster Linie war er ein Spieler. 1946, es war sein erstes Jahr in Las Vegas, verlor Benny rund 400 000 Dollar beim Poker. Das war alles andere als ein viel versprechender Anfang für den Mann, der später maßgeblich dafür sorgte, dass sich das Pokern zu dem Milliardengeschäft entwickelte, das es heute ist. Als Benny Binion 1904 in Grayson County, Texas, geboren wurde, sah seine Zukunft alles andere als rosig aus. Da es damals keine Medikamente gab, die sein Lungenleiden hätten heilen können, wandten seine Eltern die Brachialmethode an, die in Texas zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts gang und gäbe war: Sie setzten ihn auf ein Pferd und schickten ihn jeden Tag bei sengender Hitze mit seinem Vater zur Arbeit. Offenbar waren sie zu dem Schluss gelangt, ihr Sohn sollte selbst frühzeitig herausfinden, ob er überlebensfähig wäre. Das Experiment nahm einen glücklichen Ausgang, und als Benny dreizehn war, hatten die frische Luft und das Cowboyleben einen gesunden, robusten Pferdehändler aus ihm gemacht.
Das Leben, das Benny führte, ließ ihn nicht nur zu einem kräftigen jungen Mann heranwachsen, sondern es gab ihm auch die wunderbare Möglichkeit, viel zu lernen, das weit über den Umgang mit Maultieren und Planwagen hinaus ging. Die meisten Händler schlugen an denselben Wasserstellen ihr Lager auf, sodass dort oft zehn bis fünfzehn Männer aufeinander trafen. Eine Horde Männer, die außer Whisky trinken und rauchen kaum etwas zu tun hatten, verlangte geradezu nach einem Kartenspiel, und so saßen die Händler nachts am Lagerfeuer und spielten Poker. Und sie spielten ernsthaft: Manche verwetteten sogar ihre Pferde, wenn ihnen das Feld ausging. Benny sah ihnen zu und lernte ebenso viel über die inneren Zwänge der Menschen wie über ihre Freizeitansprüche und das Spiel selbst.
Außerdem wurde Benny unmittelbar Zeuge, wie sich Menschen verändern, wenn sie verlieren. Sein Vater war kein sehr guter Kartenspieler, was dazu führte, dass er ständig in Geldnöten steckte. Als Benny vierzehn war, bekam er die schwere Bürde auferlegt, quasi allein für den Familienunterhalt sorgen zu müssen. Er nahm diese Verpflichtung sehr ernst. 1922 ging Binion nach El Paso, wo er zunächst als Mraßenarbeiter Parkplätze schotterte. In El Paso kam er zum ersten Mal mit dem Gesetz in Konflikt, ein Konflikt, der bis zu seinem Tod anhalten sollte. Schon nach kurzer Zeit kam er dahinter, dass in einer der Parkplatzbuden illegal Alkohol verkauft wurde. Nachdem er eine Weile beobachtet hatte, wie die Geschäfte abgewickelt wurden, fuhr er über die Grenze nach Oklahoma, besorgte sich ein paar Flaschen Whisky und machte es wie die anderen auch. Diese gingen einfach davon aus, dass er mit den SchmuggIern zusammenarbeitete, die den Platz kontrollierten.
Benny betrachtete den Alkoholschmuggel nie als Straftat. Es kümmerte ihn nicht, dass er damit gegen das Gesetz verstieß; er gab den Leuten nur, was sie haben wollten. Verflucht, was ist schlecht daran, andere Menschen glücklich zu machen?, pflegte er zu sagen. Wenn er damit auch noch reich wurde, umso besser. Das Leben eines Alkoholschmugglers war damals allerdings alles andere als einfach. Drohende Gefängnisstrafen und ein erbarmungsloser Konkurrenzkampf gehörten zur Tagesordnung. Benny passte sich den Gegebenheiten schnell an und wurde mit jedem Problem, das sich ihm in den Weg stellte, spielend fertig. Er lernte, zu verteidigen, was ihm gehörte (es kursiert die Geschichte, dass er nach einem Verkehrsunfall zehn Männer eigenhändig mit der verbogenen Stoßstange seines Wagens erdrosselte), und ließ sich nicht aus der Bahn werfen, indem er aus jeder Situation das Beste machte.
(Als er im Gefängnis saß, verkaufte er mehreren Richtern der Stadt konfiszierten Alkohol.) Erst als er sich den Ruf eines stadtbekannten Schmugglers erworben hatte, dachte er genauer über seine Berufswahl nach. Nachdem man ihn zum zweiten Mal wegen illegalen Alkoholhandels verurteilt hatte, schwor Benny dem Richter, das Schmuggeln für immer aufzugeben, wenn man ihm seine Haftstrafe erlasse. Das Gericht erklärte sich einverstanden, und Benny kehrte nach Dallas zurück. Er hielt sein Versprechen und verkaufte nie wieder geschmuggelten Whisky. Stattdessen stieg er ins illegale Lotteriegeschäft ein und fing an zu spielen. Die Oberschicht von Dallas gehörte zu den wenigen Teilen der amerikanischen Gesellschaft, die von der Weltwirtschaftskrise unbeschadet blieben. Die Ölquellen sprudelten munter weiter, das Öl wurde gekauft, und so bestand kein Interesse an Roosevelts New Deal. Den Bürgern von Dallas stand der Sinn nach Unterhaltung, und sie waren bereit, fast jeden Preis dafür zu zahlen.
Diese Erkenntnis war in gewisser Weise der Beginn von Benny Binions Lebenswerk. Ähnlich wie bei Roger Clemens, der bei seinem ersten Baseballwurf dachte: Das hat Spaß gemacht, und ich war ziemlich gut. Vielleicht werfe ich gleich noch mal, nahm Binions Schicksal in dem Moment seinen I auf, als er von einem Hotelzimmer aus mobile Würfelspiele organisierte. Alles, was er bisher gelernt hatte, hatte ihn auf diesen Moment vorbereitet. Zwar gab es überall in der Stadt Würfelspiele und Spielhallen, aber Benny gelang es rasend schnell, zum beliebtesten Veranstalter aufzusteigen. Er war ein fantastischer Glücksspielbetreiber, und zwar aus ganz einfachen Gründen. Erstens stand er in dem Ruf, ein Krimineller mit Ehrenkodex zu sein.
Diesen Ruf übertrug er auf das Spiel, indem er gewährleistete, dass alles so fair wie möglich vonstatten ging. Zweitens lagen bei ihm die Wettlimits höher als bei allen Konkurrenten in der näheren Umgebung. Mehr war nicht nötig. Das Rezept für Benny Binions lebenslangen Erfolg war ein offenes Geheimnis: Lass die Leute so viel spielen, wie sie Lust haben, und sorge dafür, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Einige Jahre später machte ihn diese Formel zum Multimillionär und zur Vegas-Legende. Mit dem Erfolg kam das große Geld, und mit dem großen Geld legte Benny sich ein weiteres Markenzeichen zu .Da er sehr viel Zeit mit Spielern verbrachte und so Einblick in die tiefsten Abgründe der menschlichen Natur erhielt, entwickelte er diverse Schutzmechanismen. Er demonstrierte seine ungeheure Macht, indem er eine bewaffnete Schutztruppe engagierte, die über alle seine Spiele wachte.
Um sich selbst vor seinen Rausschmeißern zu schützen, trug Benny stets drei Waffen bei sich, zwei Automatikpistolen Kaliber 45 und in der Jackentasche eine Smith & Wesson Kaliber 38. Meistens hatte er noch ein abgesägtes Gewehr in seinem Wagen versteckt. Binion bewies bei mehreren Gelegenheiten, dass an dem Sprichwort Es ist besser, eine Waffe zu haben und sie nicht zu brauchen, als eine Waffe zu brauchen, aber keine zu haben etwas dran war. 1931 schoss er einem anderen Alkoholschmuggler mit der Smith & Wesson ins Genick. Die beiden saßen auf einem Baumstamm und unterhielten sich über die Geschäfte, als der andere sich plötzlich in die Jackentasche griff. Er zog weder eine Waffe noch bedrohte er Benny. Aber Benny wusste vom Hörensagen, dass der Mann als brutaler Messerstecher galt und deutete die ruckartige Bewegung als Vorbote für eine Bluttat. Er ließ sich blitzschnell rückwärts vom Baumstamm rollen, zog die Smith & Wesson und schoss den Mann ohne zu zögern nieder.
Für alle, die weder die Beteiligten noch die genauen Umstände kannten, rückte der faktische Tathergang Binion in ein sehr ungünstiges Licht: Zwei Männer treffen sich zu einer Geschäftsbesprechung im Wald. Als der eine in seine Tasche greift, wird er von dem anderen erschossen. In der Jacke des Opfers wurde zwar ein großes Messer gefunden, aber Binion hatte ihm keine Zeit gelassen, es auch nur anzurühren. So lauteten die Fakten, die der Staatsanwalt den Geschworenen präsentierte. Viele seiner Konkurrenten forderten daraufhin eine Verurteilung wegen kaltblütigen Mordes. Texas war, vor allem zur Zeit seiner Hundertjahrfeier, berüchtigt für seine Hinrichtungen. Binion hatte Glück und geriet an einen verständnisvollen Richter, der über die Vergangenheit des Opfers bestens Bescheid wusste. Binion wurde nur zu einer Haftstrafe von zwei Jahren verurteilt. Der Richter setzte die Strafe zur Bewährung aus, und Benny verließ das Gericht als freier Mann.
Nur fünf Jahre später feuerte Benny die Smith & Wesson erneut ab. Diesmal landete die Kugel im Torso Ben Friedens, seines Zeichens Gangster und Konkurrent Binions. Frieden starb an den Folgen der Verletzung. Bennys Sohn und Protege Ted beschrieb den Vorfall folgendermaßen: Soweit mir berichtet wurde, ging Dad auf dem Bürgersteig, als Ben ihn zu seinem Auto herüberrief. Er lächelte. Als Dad auf ihn zutrat, hob Ben die Waffe, die er hinter der Wagentür verborgen hatte. Dad riss, wohl aus einem Instinkt heraus, den Arm hoch, als ob er die Kugel hätte aufhalten können, und Ben Frieden traf ihn in die Achselhöhle. Dad packte die Waffe und blockierte die Trommel, damit Ben Frieden nicht erneut m hießen konnte. Kurz darauf war Ben Frieden tot.
(Ted starb später selbst unter ausgesprochen mysteriösen Umständen. 1998 wurde er mit einer Arzneimittelüberdosis tot aufgefunden. Man ging bereits von Selbstmord aus, als die zuständigen Behörden entdeckten, dass du- fünf Millionen Dollar in Silber verschwunden waren, die Ted auf seiner Ranch vergraben hatte. Teds Freundin Sandy Murphy und ein Komplize wurden im Frühjahr 2000 wegen Mordes verurteilt.) Benny Binion hatte zum zweiten Mal einen Gangster umgebracht, aber da das Opfer diesmal tatsächlich eine Waffe in der Hand gehalten hatte, befand die Staatsanwaltschaft auf Notwehr und brachte den fäll nicht vor das Geschworenengericht.
Dallas war damals eine Stadt mit einet vom Laster dominierten, korrupten Wirtschaft, die mit Öldollars finanziert und mit Gewalt regiert wurde. Ein Ende dieser Zustände war nicht in Sicht. In der ganzen Stadt lieferten sich die Banden Revierkämpfe, die viele von Binions Freunden und Feinden das Leben kosteten. Immer, wenn wieder irgendwo eine Leiche gefunden wurde, machten sich Polizei und Gangster auf die Suche nach dem üblichen Verdächtigen, und der hieß, dank seines Rufs als Mörder, jedes Mal Benny Binion. Als Mildred Noble, die Ehefrau des Spielers Herbert Noble, durch eine Auto-bombe starb, die eigentlich für ihren Mann bestimmt war, ging man selbstverständlich davon aus, Benny würde hinter dem Mordanschlag stecken.
Nach einem brutalen Verbrechen leisteten die Gangster beider Seiten für gewöhnlich Racheschwüre und stellten sich gegenseitig Ultimaten. Meistens blieb es aber Fei den Drohgebärden und harschen Worten. Der Tod Mildred Nobles jedoch war etwas anderes. Herbert Noble war ein brutaler Bursche mit berüchtigtem Temperament. Binion wusste, dass er in ernsthaften Schwierigkeiten steckte. Er dachte nicht nur an sein eigenes Wohlergehen, sondern sorgte sich auch um die Sicherheit seiner Familie. So entschloss er sich kurz nach dem Vorfall* gemeinsam mit der Familie zu einem langen Urlaub nach Las Vegas aufzubrechen.
Herbert Noble wurde seinem Ruf gerecht. Ein Polizeibeamter, der Noble zu Hause aufsuchte, um ihn wegen einer Angelegenheit zu verhören, die nichts mit der Binion-Sache zu tun hatte, überraschte ihn bei der Vorbereitung eines sehr sonderbaren Plans. In seinem Bericht schrieb der Polizist, dass er Noble, der einen Pilotenschein besaß, dabei ertappt habe, wie er mehrere Bomben an ein Flugzeug montierte, das er zuvor gekauft hatte. Der Beamte beschlagnahmte außerdem einen handschriftlich verfassten Flugplan, der zu Binions Ranch führte. Als Benny Binion davon erfuhr, beschloss er, Fas Vegas zu seinem ständigen Wohnsitz zu machen. Ms Binion nach Vegas kam, war die Stadt ein Gangster- paradies. Mafiosi und Gangsterbosse wie Benjamin Bugsy Siegel und Moe Dalitz betrieben damals noch ihre Spelunken. Die Stadt galt als freies Terrain. Es gab mindestens vierundzwanzig Gangsterfamilien, die kleinen‘ Beteiligungen an Unternehmen in Vegas hielten. Jede I Familie durfte ihren Teil von den Profiten abschöpfen, solange sie nicht zu raffgierig wurde oder sich erwischen ließ.
Damals ging es noch nicht so brutal zu wie in der nächsten Gangstergeneration (die in dem Film Casino porträtiert wird), und es lag noch ein Hauch von unschuldiger Naivität in der Wüstenluft. Die tiefe Verstrickung der Mafia in die Geschäfte der Stadt verstärkte sogar das Sicherheitsgefühl der Bürger, weil sie wie eine zweite Polizei agierte. Und so hieß es in jener aufregen den Anfangszeit von Fas Vegas, dass niemand umgelegt werde, der es nicht verdient habe. Binions erstes großes Projekt in Nevada war der Las Vegas Club, ein Casino, das er zusammen mit seinem Partner J. Keil Houssells Sr. eröffnete. Die beiden ergänzten einander vortrefflich. Houssell war damals in Vegas bereits einer der Großen im Immobilienhandel und in der Glücksspiel- und Unterhaltungsindustrie. Benny brachte mit, was noch fehlte: Die absolute Fachkenntnis in allen Glücksspielen. Als Erstes setzten sie die Wettlimits so hoch wie kaum ein anderes Casino in der Stadt. Damit beschnitten sie ihren Hausvorteil und machten das Casino spielerfreundlicher. Diese Strategie widersprach quasi allen Regeln des Casinobetriebs und des Profitdenkens.
Bei aller Romantik und allem Glanz gründet sich der schöne Schein von Las Vegas auf pure Mathematik. Jedes Unternehmen, ob nun das milliardenteure Bellagio oder Howard Johnsons Casinohotel, operiert nach ein und demselben Prinzip: der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Jeder Spieler wird in jeder Stunde, die er spielt und mit jedem Dollar, den er setzt, erwartungsgemäß Geld verlieren. Das heißt nicht, dass jeder verliert. In diesem Fall wäre Vegas nicht die Attraktion, die es ist. Aber rein rechnerisch gesehen muss jeder Spieler verlieren. Dem Casino ist es egal, ob ein Einzelner gewinnt oder verliert. Was zählt, ist die große Masse. Langfristig gesehen wird das Casino umso mehr verdienen, je mehr Menschen spielen und je mehr Geld gesetzt wird. Jedes Casino weiß das; es ist ein Gesetz. Daher liegt der Ehrgeiz eines Casinos nicht darin, den Spielern das Geld aus der Tasche zu ziehen – das besorgt schon der Hausvorteil, der eine feste Konstante in jedem Spiel ist ,sondern möglichst viele Menschen dazu zu bringen, möglichst oft und über einen möglichst langen Zeitraum zu spielen. In den Hotels ist jedes noch so kleine bauliche Detail auf dieses eine Ziel ausgerichtet.
Der Architekt entwirft die Lobby so, damit der Gast für alles, was er tun möchte, durchs Casino gehen muss. Will der Gast zum Pool, muss er an den Spieltischen vorbei. Will er etwas essen, eine Zeitung kaufen oder auch bloß einchecken, muss er wieder durchs Casino. Deshalb ist in Vegas der Zimmerservice so grauenhaft. Die Hotelleitung möchte, dass der Gast unterwegs ist. Wer in der Badewanne sitzt, verspielt G in Geld. Jeder Quadratmeter eines Casinos, den ein Gast durchqueren muss, verspricht mehr Profit. Je größer das Casino, desto mehr Spieltische muss der Gast passieren, und desto wahrscheinlicher ist es, dass er Platz nimmt und spielt. Das liegt in der Natur des Menschen. Wenn es dem Casino gelungen ist, die Menschen an die Spieltische zu locken, ist erst die halbe Schlacht geschlagen. Sobald sie Platz genommen haben, muss das Haus sich etwas einfallen lassen, um sie so lange wie möglich bei der Stange zu halten. Es gibt Gratisgetränke, damit niemand aufstehen und zur Bar gehen muss (außerdem spielen die Leute noch viel schlechter, wenn sie betrunken sind).
Es wird Sauerstoff in die Säle gepumpt, damit die Gäste länger wach bleiben. Es gibt weder Fenster noch Uhren, die anzeigen, dass die Erde sich weiterdreht, und die Innenbeleuchtung ist so perfekt ausgerichtet, dass jeder, der in den Spiegel guckt, möglichst irisch und gesund aussieht. Jedes Hotelcasino hat seine eigenen Strategien, um die Spieler zu ködern. Bugsy Siegel war der Meinung, man müsse die Menschen mit Luxusangeboten ins Casino locken – das beste Essen, die besten Shows und obwohl er dafür mit dem Leben bezahlte, hatte er Recht. Vor dem Mirage Hotel steht ein Feuer speiender Vulkan, der alle Stunde ausbricht. Entlang des Vegas Strip finden sich Kopien der venezianischen Kanäle, des Eiffelturms, des Empire State Building und der Riviera von Monte Carlo. Die ganze verschwenderische Pracht dient allein dem Zweck, die Leute in die Casinos zu locken. Sind sie erst einmal drin, erledigen die menschliche Natur und das Gesetz der Serie das Übrige.
Benny Binion hatte ganz eigene Vorstellungen vom Glücksspiel. Sein Casino hatte ursprünglich nur wenige, recht einfach ausgestattete Gästezimmer. Die Decken im Spielsaal waren sehr niedrig, das Licht war gedämpft, und die einzige Show bot höchstens der ein oder andere Falschspieler, der vom Sicherheitspersonal verprügelt und nach draußen bugsiert wurde. Benny dachte sehr einfach. Billiges, gutes Essen, billiger, guter Whisky und gute Spiele. Mehr braucht man nicht. Während die anderen Spielhallen Shows mit weißen Tigern zeigten und umwerfend attraktive Kellnerinnen in kurzen Röckchen beschäftigten, bot Binion, wie er es nannte, das beste Spiel in der Stadt. Er wollte, dass die Menschen viele Spiele für ihr Geld bekamen. Die Spieler, die bei der Eröffnung von Binions zweitem Casino, dem Horseshoe, dabei waren, mussten feststellen, dass die Dinge dort ein bisschen anders liefen. Die meisten Casinos setzten damals das Limit für den höchsten Wetteinsatz sehr niedrig an, sagen wir 50 Dollar beim Würfeln und 150 Dollar beim Blackjack.
So verweilten die Gäste länger an den Tischen, und das Risiko des Casinos blieb möglichst gering. Je öfter Sie spielen, desto häufiger kommt der Hausvorteil zum Zug, und damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Sie verlieren. Das ist der einzige Grund, weshalb es Einsatzlimits gibt.
Niedrige Einsatzlimits widersprachen allem, was Binion während seiner Zeit als Glücksspielbetreiber Dallas gelernt hatte. Er wusste, dass Menschen, die spielen wollen, auch um möglichst viel Geld spielen wollen. Er hob als Erstes die Limits auf 500 Dollar beim Würfeln und 200 Dollar beim Keno an, entschied dann aber, dass das nicht ausreichte. Als Davie Berman, einer von Bugsy Siegels Partnern im Flamingo Hotel, Wind davon bekam, dass Binion das Keno-Limit auf 500 erhöhen wollte, drohte er, ihn umzubringen. Einige Monate später setzte Binion die Limits trotzdem hoch.
Binions spielerfreundliche Veränderungen zwangen die anderen Casinobesitzer, sich selbst auf das Glücksspiel einzulassen. Durch die höheren Limits lag das Risiko nun auf beiden Seiten. Binions großzügige Regeln, die für zufriedene Gäste sorgen sollten, störten Houssels und führten zum Bruch ihrer Partnerschaft. 1951 eröffnete Binion im Alleingang in der Freemont Street im Zentrum von Las Vegas das heute legendäre Binion’s Casino. In den 1960ern führte er die Maximumwette ein: Der erste Einsatz, den ein Spieler tätigte, wurde sein Limit. Jeder durfte nun so viel setzen, wie er wollte, sofern er genügend Geld dabei hatte. 1980 fragte ein gewisser William Lee Bergstrom Ina den Binions an, ob er in ihrem Casino eine Million Dollar auf einmal setzen dürfe. Benny erklärte sich ohne zu zögern einverstanden, vorausgesetzt, Bergstrom sei in der Lage, den Betrag aufzutreiben. Einige Monate später betrat Bergstrom das Casino mit zwei riesigen Koffern.
Ein Koffer war leer, der andere enthielt 777 000 Dollar. Bennys Sohn Ted war an jenem Tag der diensthabende Casinoleiter. Er genehmigte die Wette und sah zu, wie Bergstrom zu einem der Würfeltische ging und die gesamte Summe auf den Wurf einer Spielerin setzte. Er setzte auf die Don’t-Pass-Linie und nahm den Binions mit drei Würfen 777 000 Dollar ab. Er legte das Geld in den leeren Koffer und ließ sich in Begleitung von Ted zu seinem Wagen bringen.vAber Bergstrom hatte noch nicht genug. In den folgenden Jahren setzte er im Horseshoe mehrfach hohe Beträge zwischen 90 000 und 590 000 Dollar und gewann jedes Mal. Ein paar Jahre später verlor er im Binion’s mit einem Wurf 1000 000 Dollar. Drei Monate später wurde er tot in einem Hotel auf dem Vegas Strip aufgefunden. Er hatte sich das Leben genommen.
Binion war auch der erste Casinobetreiber, der auf die werbewirksame Idee kam, Pokerspiele anzubieten. Das war damals ein wahrhaft revolutionäres Vorhaben, denn ein Casino macht beim Poker kaum Profit. Es gibt keinen eingebauten Hausvorteil, und zwar deshalb, weil das Haus nicht am Spiel beteiligt ist. Beim Poker spielen die Spieler gegen einander und nicht gegen das Haus. Der einzige Verdienst des Casinos ist die nach Spielzeit bemessene Taxe. Die meisten Casinobetreiber halten Pokertische für pure Platzverschwendung, aber Binion sah das anders. Für ihn war Poker eine weitere Möglichkeit, die Wünsche der Spieler zu befriedigen. 1949 trat ein Spieler namens Nicholas Dandolos (alias Nick der Grieche) mit einer ungewöhnlichen Bitte an Benny Binion heran. Er wollte um so höhe Einsätze pokern wie noch keiner vor ihm. Der Grieche war gerade von der Ostküste gekommen und hatte in New York angeblich jeden Spieler bis aufs letzte Hemd ausgezogen. Es kursierte das Gerücht, er habe zehn Millionen Dollar im Gepäck. Binion nahm seine Bitte sehr ernst.
In den Hinterzimmern von Vegas wurde bereits um hohe Einsätze gepokert. Bugsy Siegel (angeblich eines der Opfer des Griechen) veranstaltete in einem Zimmer des Flamingo ein Spiel mit einem Buy-in von 500000 Dollar. Aber dem Griechen stand der Sinn nach etwas ganz anderem. Er wollte völlig ohne Wettlimit Heads-up gegen einen einzelnen Gegner pokern. Deshalb wandte er sich an Binion. Benny versprach, alles zu arrangieren, sofern der Grieche sich bereit erkläre, vor Publikum zu spielen. Binion hielt das für eine grandiose Gelegenheit, kostenlos Werbung für seinen Club zu machen.
Als Gegner des Griechen wählte Binion den legendären Johnny Moss, der damals zweiundvierzig Jahre alt war. Moss, mit dem Binion seit seiner Zeit in Dallas befreundet war, hatte sich genau wie er durch kleine Betrügereien und andere Straftaten aus der Armut hochgearbeitet. Moss machte nie ein Geheimnis daraus, dass er schon wusste, wie man beim Kartenspiel betrügt, bevor er die Regeln verstand. Binion ließ Moss aus Dallas einfliegen, und noch am selben Abend begann das Spiel. Es sollte insgesamt fünf Monate dauern. Die beiden Gegner machten nur Pause, um zu schlafen (obwohl der Grieche meistens noch bei den Würfeln Halt machte, wenn er den Tisch verließ).
Die Partie war ein spannendes Hin und Her. In den ersten beiden Wochen verlor Moss fast eine Million Dollar an den Griechen (davon allein 250 000 in einem Spiel Five Card Stud). Er erholte sich wieder und ruinierte den Griechen schließlich, indem er ihm zwei Millionen Dollar abnahm. Anschließend ging er ins Bett. Benny behielt Recht, was die Werbewirksamkeit des Spiels betraf. Tag für Tag standen die Menschen vor dem Casino Schlange, um einen Blick auf die Spieler zu erhaschen. Viele Jahre später, 1970, beschloss Binion, das aufregende Ereignis zu wiederholen. Er veranstaltete eine Pokermeisterschaft, die er die World Series of Poker nannte. Im ersten Jahr wurden die Teilnehmer durch Einladung bestimmt, und der Sieger wurde ganz demokratisch von den Spielern gewählt. Nach einer Woche wurde Johnny Moss zum Weltmeister gekürt.
Im folgenden Jahr änderte Binion das Reglement. Er erfand einen Austragungsmodus, der heute als Turnierspiel bekannt ist. Als Erstes verkürzte er den Zeitrahmen, denn die Marathonspiele, die bis zu fünf Monate dauerten, waren viel zu anstrengend. Benny erfand ein System, bei dem sich die Antes und die Blindeinsätze in bestimmten vorgegebenen Intervallen erhöhten. Zurückhaltende Spieler, die den rechten Augenblick abwarteten und häufig passten, sollten so ausgeblutet werden. Wer nicht aggressiv spielte, hatte einen winzigen Stapel kleiner Chips vor sich liegen, während die anderen längst zu Anfangseinsätzen von tausend Dollar übergegangen waren. Die zweite Änderung, die Binion einführte, war das so genannte Freeze out. Das bedeutete, dass ein Spieler den Tisch erst verlassen durfte, wenn er entweder alles verloren oder aber jeden Chip auf dem Tisch gewonnen hatte. Dieses spannende neue Spielformat war ein gigantischer Medienhit. 1977 wurde das Turnier erstmals im Fernsehen übertragen.
Als letzte Änderung öffnete Binion das Turnier für das breite Publikum – und das wirkte wie ein Wunder. Wer bereit war, zehntausend Dollar Spielkapital einzubringen, durfte sich mit an den Spieltisch setzen. Pokerspieler im ganzen Land waren begeistert von der Idee, gegen die Besten der Welt anzutreten. Stellen Sie sich vor, Sie könnten sich eine Spielerlaubnis für die Super Bowl kaufen. Auf diese Weise erhielt die World Series den Spitznamen Friedhof der Kleinstadthelden.
Im ersten Jahr gab es sieben Teilnehmer. Im nächsten waren es dreizehn. Im dritten waren es schon zwanzig. 1981 bildete das Turnier erstmals Ableger. Es gab kleinere Turniere mit 200 Dollar Buy-in, und der Gewinner qualifizierte sich für das große Endspiel. 1982 nahmen 52 Spieler an dem Ereignis teil; 1999 waren es 3556. Das Gesamtpreisgeld belief sich auf atemberaubende 11 280 000 Dollar. Heute werden weltweit zigtausend Pokerturniere mit einer geschätzten Teilnehmerzahl von 75 Millionen Spielern ausgetragen. Jedes hat einige Aspekte von Binions Turnier übernommen.
Ich habe Benny Binion nur ein einziges Mal gesehen. Das war im Winter meines ersten Collegejahrs. Eines Freitagnachmittags wollten mein guter Freund Justin und ich von Vassar nach Atlantic City fahren. Irgendwie kamen wir vom Weg ab und saßen plötzlich im Flugzeug, das gegen Mitternacht in Las Vegas landete (vielleicht ist das einer der Gründe, weshalb ich ein bisschen länger als die regulären vier Jahre für meinen Collegeabschluss benötigte). Wir hatten jeder zweihundert Dollar Spielkapital dabei. Dass wir fast doppelt so viel für die Flugtickets ausgegeben hatten, störte uns nicht weiter. Wir nahmen uns vor, mit unserem Notgroschen so lange wie möglich auszukommen, und so beschlossen wir, bis zum Rückflug Sonntag früh mit sehr niedrigen Einsätzen zu pokern.
Wer was auf sich hält, geht ins Binion’s, klärte Justin mich auf.
Was ist das Binion’s?, fragte ich.
Justin lachte. Mann, bist du jetzt ein Pokerspieler oder bist du keiner?
Eine dreiviertel Stunde später standen Justin und ich im Cafe von Binion’s Casino, als ein sehr alter Mann mit einem riesigen weißen Cowboyhut an uns vorbeischlenderte. Justin sprach ihn an. Sind Sie Benny Binion?, erkundigte er sich.
Das will ich meinen, antwortete Binion. Wo wollt ihr Jungs heute übernachten?
Das haben wir uns noch gar nicht überlegt, sagte Justin.
Na, dann geht mal zu Gus an die Rezeption. Ich sag ihm, er soll euch beiden ein Zimmer geben. Dann ging er weiter.
Justin und ich stürzten davon, noch ganz benommen von unserer Begegnung mit dem König von Vegas. Wir ließen jeden Penny, den wir hatten, am Pokertisch. Wir machten uns keine großen Gedanken deswegen; wir würden einfach den Rest des Wochenendes in unserem kostenlosen Hotelzimmer verbringen und uns mit Gratisschnaps besaufen. Also gingen wir zu Gus und sagten unser Sprüchlein auf.
Benny hat mir schon gesagt, dass ihr kommt, sagte Gus. Justin und ich tauschten zuversichtliche, weltmännische Blicke. Wie möchtet ihr das Zimmer zahlen?, fragte Gus.
Zahlen?, rief ich aufgebracht. Ich dachte, wir kriegen es umsonst.
Davon hat er mir nichts gesagt.
Total abgebrannt, verbrachten wir den Großteil der nächsten sechsunddreißig Stunden auf dem Flughafen von Vegas und spielten mit einem Ball Fangen, den wir uns aus Gummibändern gebastelt hatten.
Tja, die Geschichte ist immer noch ziemlich gut – obwohl ich zugeben muss, dass ich, wenn ich sie am Kartentisch erzähle, meistens an der Stelle abbreche, an der wir unser ganzes Geld verspielen.
Benny Binion starb am ersten Weihnachtstag 1989.