Texas Holdem Poker Wetten, Spielsucht und die Symptome – hilfreiche Information

Mann, die Anonymen Spieler brauchen wohl dringend Nachwuchs. Ich habe gerade die zwanzig Fragen zur Spielsucht beantwortet. Die machen es dir echt zu leicht, den Test zu bestehen.
CHRIS,
Pokerspieler

Um den Frühlingsanfang 1999 sollte Sal the Bookie, liebevoll Sally Books genannt, aus dem Gefängnis Rikers Island entlassen werden, wo er achtzehn Monate wegen Förderung des Glücksspiels eingesessen hatte. Es wurden zeitgleich zwei Willkommenspartys geplant. Die erste sollte bei ihm zu Flause auf der Upper East Side von Manhattan stattfinden. Sals Frau, mit der er seit zehn Jahren verheiratet war, hatte die ganze Woche lang geackert, um alles für den großen Tag vorzubereiten. Sie hatte das Haus blitzblank geputzt, sein Lieblingsessen gekocht und den engsten Familienkreis zu einem kleinen Abendessen eingeladen. Ihre drei Kinder, die Sal während der anderthalbjährigen Haftzeit kein einziges Mal gesehen hatte, wurden in die Badewanne gesteckt, gestriegelt und herausgeputzt und erhielten die strenge Vorschrift, sich von ihrer besten Seite zu zeigen.

Vier Meilen weiter südlich, im Winchester Poker Club in der Cortlandt Street, war alles für die zweite Party vorbereitet. Die Clubbesitzer – alte Freunde und Geschäftspartner Sals – hatten zur Feier des Tages ein beeindruckendes Festessen aufgefahren. Es gab Pizza, Meterbrot mit importiertem italienischen Aufschnitt, eine reichhaltige Getränkeauswahl und ein üppiges Nachspeisenbüffet. Es herrschte eine festliche Stimmung im Club. Die meisten Partygäste waren Sal noch nie begegnet oder wussten nicht einmal, wer er war. Sie freuten sich vor allem über die kostenlosen Speisen und Getränke. Spieler finden alles toll, was gratis ist. Das ist auf der ganzen Welt so. Es spielt keine Rolle, was sie geschenkt kriegen und aus welchem Grund. Ein Spieler mag 300 Dollar beim Blackjack verlieren und wird trotzdem wahnsinnig glücklich sein, wenn ihm beim Gehen ein Angestellter einen Flut schenkt, auf dem der Name eben jenes Casinos eingestickt ist, das ihm gerade sein Geld abgeknöpft hat. Diese Verhaltensauffälligkeit bildet den Kern jeder Spielerpsyche.

Ich erinnere mich noch, dass ich am Abend von Sals Party einen Mann beobachtete, der beim Stud 4000 Dollar verspielt hatte. Als wäre Weihnachten, stellte er sich mit großen Kinderaugen am Büffet an und war völlig aus dem Häuschen, weil es kostenlos Pizza gab. Es schien ihn überhaupt nicht zu interessieren, dass er im Grunde für jede Peperoni 500 Dollar hinblätterte. Die meisten Gespräche am Pokertisch drehten sich um Sal. Es wurden Mutmaßungen angestellt, wie er wohl seinen ersten Abend in Freiheit verbringen würde. Obwohl es zwei Partys gab, wusste niemand, wo er zuerst hinfahren würde. Für seine besten Freunde stand fest, dass er zuerst in das Bordell in Uptown fahren würde, in dem sein Bruder Teilhaber war. Als Beweis wurde vorgebracht, dass Sal seine Frau ausdrücklich gebeten hatte, ihn nicht aus dem Gefängnis abzuholen.

Die Buchmacher und Kredithaie, die an jenem Abend im Winchester waren, behaupteten standhaft, Sally würde vom Bordell aus direkt in den Club fahren. Viele Gäste des Winchester standen bei Sally in der Kreide, und er wollte bestimmt einen Teil der Schulden eintreiben, damit er vor seiner Familie nicht mit den mickerigen 45 Dollar Busfahrgeld dastand, die jeder Haftentlassene von der Stadt bekam. Diejenigen Gäste, die alle selbst schon im Gefängnis gesessen hatten, waren Sal deutlich wohlwollender gesonnen. Amir, ein dreiundfünfzigjähriger Videothekenbesitzer, der seinen Lebenslauf mit zwei Aufenthalten im Rikers schmücken konnte, hatte ganz eigene Ansichten, was die Gestaltung von Sals Abend anging. Sally war gerade achtzehn Monate mit Jungs zusammen, die nichts Besseres zu tun haben, als Karten spielen. Glaubt ihr etwa, er hat Lust, sich gleich wieder an den Pokertisch zu setzen?

Geh mir einer los. Eine Nutte, zwei Cannoli und ein paar Tätscheleinheiten für seine Kinder. Damit hat sich der Lack. Ich wette drei gegen eins, dass er um zehn mit seiner Frau in den Federn liegt. Die Wette nehme ich an, sagte ein Pokerspieler, der Amir gegenübersaß. Und dann geschah es. Jemand zeichnete eine Tabelle auf eine große Tafel.

In der Nähe des Speisesaals gab es eine ganze Wand mit Münztelefonen, von denen aus die Häftlinge zu festgelegten Zeiten ihren Anwalt oder Familienangehörige anrufen konnten, sofern ihnen dieses Privileg nicht entzogen worden war. Darüber hing ein riesiges, zirka drei mal einen halben Meter großes Schild, auf dem in fetten schwarzen Lettern stand:

ALLE EINGEHENDEN UND ABGEHENDEN TELEFONGESPRÄCHE WERDEN AUFGEZEICHNET
Als ich das Schild zum ersten Mal sah, sagte ich zu einem der Schließer, dass das Gefängnis wahrscheinlich mehr von seinen Lauschaktionen profitieren würde, wenn das Schild entfernt werde. Er war ganz meiner Meinung, betonte aber, dass das Gefängnis zu dieser Warnung gesetzlich verpflichtet sei. Es verstößt gegen das Gesetz, Ihre Gespräche heimlich aufzuzeichnen. Das Schild hängt über jedem öffentlichen Fernsprecher in Amerika. Als ich hörte, dass man Sal dabei erwischt hatte, wie er telefonisch Wetten abschloss, dachte ich über die Worte des Schließers nach. Ein Mann, der fast anderthalb Jahre gesessen hat, ist vor Freude, endlich aus dem Knast zu kommen und in sein normales Leben zurückzukehren, so aus dem Häuschen, dass er am Tag seiner Entlassung zum Telefon geht und eine Footballwette abgibt, obwohl über ihm ein Warnschild hängt, dass das Gespräch aufgezeichnet wird. Dieser Mann hatte ganz offensichtlich ein Problem.

Er hatte sich nicht mehr im Griff. In meinen Augen war es höhere Gewalt, was mit Sally Books geschah, und deshalb wollte ich den Gewinn für meine 20:1-Wette kassieren. Die meisten Menschen haben irgendeine fatale Schwäche: Weingummi, ausgefallene Kaffeesorten, Alkohol, Drogen, schlechte Filme, Kokosnüsse, Jungs, Mädchen und vielerlei mehr. Manche dieser Obsessionen sind abstoßender und wirken zerstörerischer als andere. Das Spielen ist eine heikle Sucht, denn sie ist besonders heimtückisch. Die meisten Langzeitalkoholiker oder -heroinabhängigen treiben so lange Raubbau mit ihrem Körper, bis er dauerhaft geschädigt ist. Ihnen platzen Äderchen, der Bauch quillt auf, sie bekommen Gelbsucht, und die meisten Menschen erkennen sofort, in welch schrecklicher Lage sie sich befinden. Obwohl die Spielsucht den Körper nicht so stark in Mitleidenschaft zieht, ist sie vielleicht noch fataler, denn sie lässt sich leichter verbergen. Sie bringt keine für alle Welt sichtbaren Zeichen hervor.

Ein Spieler kann am Rande des Zusammenbruchs stehen und sich trotzdem bis zur allerletzten Sekunde den Anstrich der Normalität geben. Für den Spielsüchtigen hat Geld eine andere Bedeutung als für den Rest der Menschheit. Die meisten Menschen brauchen Geld, um Waren zu kaufen. Zweihundert Dollar entsprechen einem Restaurantbesuch mit der Familie oder zwei Paar Schuhen. Viertausend sind ein Auto. Sogar für Junkies hat Geld einen realen Wert. Zehn Dollar sind ein Schuss. Für einen Spieler bedeutet Geld dagegen ausschließlich, mehr spielen zu können und sich weiter seiner Sucht hinzugeben. Darum ist Geld für den Spieler wertlos und zugleich das wertvollste Gut, das es gibt. Denken Sie an die Szene in Milos Formans Einer flog über das Kuckucksnest. Jack Nicholson spielt mit einigen anderen Patienten Poker. Anstatt mit Chips pokern sie mit Zigaretten.

Jeder Glimmstängel ist zehn Cent wert. Martini, der von Danny DeVito gespielt wird, bricht seine Zigaretten dauernd in der Mitte durch und sagt: Ich setze fünf Cent. Wie ein Spielsüchtiger begreift er nicht, dass der Gegenstand, der ihm als Einsatz dient, nicht nur einen Spielwert sondern zugleich einen realen Wert hat. Indem er die Zigarette zerbricht, zerstört er eine Ware, die einem ganz bestimmten Zweck dient und deshalb einen gesellschaftlichen Wert besitzt. Eine Zigarette, die man nicht mehr rauchen kann, ist wertlos. Martini sieht das nicht ein. Er versteht nicht, dass die Zigarette ihren Wert durch ihren Konsumcharakter und nicht durch ihre Verwendung als Wetteinsatz erhält. In seinen Augen behält sie ihren Geldwert, solange man sie setzen kann. Jack Nicholsons Standardantwort darauf lautet: Das sind keine fünf Cent, Martini, das ist Scheiße.

Viele Abhängige stellen ihre Sucht als Mittel dar, den Alltagsdruck zu lindern und ihre Probleme besser bewältigen zu können. An diesem Punkt verschwimmt die Grenze zwischen Abhängigkeit und Nichtabhängigkeit. Gibt es überhaupt eine sichere Methode, ein Suchtmittel zur Ablenkung oder als Entspannungshilfe einzusetzen? Oder ist jeder, der sich abends einen Drink genehmigt, ein Alkoholiker? Früher spielte ich Poker, weil es mir sehr schwer fiel, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Ich wollte tagsüber etwas zu tun haben und vielleicht ein bisschen Geld dabei verdienen. Dann stellte ich fest, dass ich Gefallen an dem Spiel fand. Ich mochte die Menschen und ich mochte den Trubel. Als ich schließlich einen Job fand, der mit meiner mangelnden Einsatzbereitschaft zu vereinbaren war, spielte ich aus Spaß weiter. Ich stellte fest, dass ich mich nach einer Pokerrunde von allen Sorgen befreit fühlte, egal ob ich gewonnen oder verloren hatte.

Selbst als ich nach dem Krebstod meiner Mutter in tiefe Depressionen verfiel, die Uni schmiss und vierzig Stunden in der Woche pokerte, empfand ich die Zeit am Spieltisch als Therapie. Dort war ich immer ruhig, aufmerksam und vor allem gesprächig. Ich war von meinen Problemen abgelenkt. Damals verbrachte ich meine glücklichsten Stunden am Pokertisch. Eine der wichtigsten Entscheidungen in der Geschichte wurde nach stundenlangem Abwägen bei einer Partie Pot-Limit-Poker gefällt. Präsident Harry S. Truman, der erst wenige Monate im Amt war, sah sich mit der schweren Bürde konfrontiert, eine humane Lösung zur Beendigung des Zweiten Weltkriegs zu finden. Der Sieg über Japan war so gut wie sicher, aber der Stolz und die Hartnäckigkeit der verbliebenen japanischen Streitkräfte stellten eine unhaltbare Situation für den pazifischen Raum dar. Truman wollte den Krieg mit möglichst wenig Opfern auf amerikanischer Seite beenden und gleichzeitig die Kote Armee aus dem Pazifik fern halten.

Amerikas Trumpfkarte war die Erfindung des streng geheimen Manhattan-Projekts: die Atombombe. Die Auswirkungen der Bombe – die astronomisch hohe Zahl ziviler Opfer sowie die ungewissen Folgen der radioaktiven Strahlung für die gesamte Erde – quälten den amerikanischen Präsidenten so sehr, dass er nicht entscheiden konnte, ob man eine derart zerstörerische Waffe im Namen des Friedens einsetzen dürfe. Er wusste, dass seine Entscheidung, egal wie sie ausfiel, den Lauf der Geschichte verändern und zum Zeichen seiner Präsidentschaft werden würde. Nachdem er sich auf der Potsdamer Konferenz mit Churchill und Stalin beraten hatte, fuhr Truman für einige Tage zur Erholung ans Meer. Dort wollte er seine Entscheidung fällen. Sowie der Präsident das Schiff betreten hatte, setzte er sich mit Mitgliedern des Pressecorps an den Kartentisch und spielte fast rund um die Uhr Pot-Limit-Poker.

Das Spiel bot ihm eine ausgezeichnete Fluchtmöglichkeit. Trumans Situation dürfte uns allen nicht unbekannt sein. Jeder von uns war schon einmal an einem Punkt, wo er die ganze Last der Welt auf seinen Schultern spürte. In Trumans Fall war diese Last jedoch allzu real. Natürlich war das Pokern in den Tagen, bevor die Atombombe Hiroshima dem Erdboden gleichmachte, eine willkommene Ablenkung. Das heißt jedoch keineswegs, dass er seine Entscheidung verantwortungslos oder leichtfertig traf. Truman suchte lediglich nach einem Weg, sich für eine Weile seine Berater vom Leib zu halten, damit er sich in aller Ruhe die komplexen Folgen seiner ausstehenden Entscheidung vor Augen führen konnte. Harry Truman wörtlich spielsüchtig. Aber wie definiert man Spielsucht überhaupt? Es gibt eine Organisation, die es sich zur Aufgabe macht, diese Frage zu beantworten.

Sie heißt Die Anonymen Spieler (GA) und ist ein Ableger der Anonymen Alkoholiker mit ihrem berühmten Zwölf- Schritte-Programm. Es gibt weltweit zirka 2000 GA-Gruppen, die fast 35 000 Sorgen geplagten Spielern verschiedene Formen der Dienstleistung und Hilfe anbieten. Bei den Anonymen Spielern gibt es Die zwanzig Fragen. Das ist ein Fragebogen, der Spielern eine Antwort darauf geben soll, ob sie suchtgefährdet sind. Dieser Fragebogen sieht so aus:

1. Hast du jemals deine Arbeit versäumt, um spielen zu können?
2. Hat dir das Spielen schon häusliche Missstimmungen gebracht?
3. Hat dein guter Ruf durch das Spielen gelitten?
4. Hast du schon einmal Gewissensbisse nach dem Spielen verspürt?
5. Hast du schon einmal in der Erwartung gespielt, mit dem Spielgewinn Schulden zu bezahlen oder andere finanzielle Probleme zu lösen?
6. Haben dein Ehrgeiz und deine Leistungsfähigkeit durch das Spielen gelitten?
7. Willst du einen Spielverlust so schnell wie möglich zurückgewinnen?
8. Hast du nach einem Spielgewinn den starken Drang weiterzuspielen, um noch mehr zu gewinnen?
9. Hast du oft deinen letzten Pfennig verspielt?
10. Hast du dir schon einmal Geld geliehen, um spielen zu können?
11. Hast du schon einmal etwas verkauft, um spielen zu können?
12. Hast du nur widerstrebend Spielgeld für alltägliche Ausgaben verwendet?
13. Hast du dein eigenes Wohlergehen und das deiner Familie durch das Spielen vernachlässigt?
14. Hast du schon mal länger gespielt, als du eigentlich wolltest?
15. Hast du im Spiel schon einmal Sorgen und Ärger vergessen wollen?
16. Hast du schon einmal auf ungesetzliche Weise dein Spiel finanziert oder schon an eine solche Möglichkeit gedacht?
17. Hat das Spielen bei dir Schlafstörungen verursacht?
18. Entsteht nach Auseinandersetzungen, Streit, Enttäuschungen oder Frustration bei dir der starke Wunsch, spielen zu gehen?
19. Hast du schon einmal das Verlangen gehabt, anlässlich glücklicher Ereignisse in deinem Leben zur Feier des Tages ein paar Stunden spielen zu gehen?
20. Ist dir schon einmal bewusst geworden, dass du dich mit dem Spielen selbst zerstörst?

Die Statuten von GA sehen vor, dass jeder, der mehr als sieben Fragen mit Ja beantwortet, ein Suchtproblem hat. Truman hätte wahrscheinlich zwei Fragen (14 und 15) mit Ja beantwortet. Sally Books dagegen voraussichtlich alle zwanzig. Bei mir waren es fünf, als ich den Test zum ersten Mal machte. Welche fünf möchte ich lieber für mich behalten. Es gehört zu den großen Widersprüchen beim Pokern, dass die meisten Spieler nicht wahr haben wollen, dass sie spielen. Als Begründung führen sie an, dass es beim Pokern im Unterschied zu allen übrigen Casinospielen keinen impliziten Nachteil für den Spieler gebe. Deshalb ist Poker vielleicht das heimtückischste aller Glücksspiele. Nur ein Idiot glaubt, dass er mit Blackjack oder Würfeln seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Man muss schon ein Dummkopf vor dem Herrn sein, wenn man sich einbildet, man könnte den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit trotzen und auf lange Sicht gegen das Haus gewinnen.

Poker hingegen wirkt auf Spielsüchtige deshalb so verlockend, weil sie glauben, ihr Können würde nicht bloß Chancengleichheit herstellen, sondern ihnen einen Vorteil verschaffen. In manchen Fällen stimmt das sogar, doch wer erstklassig pokern und gewinnen will, muss Geduld, Geschicklichkeit und die nötige Gefühlskalte mitbringen. Genau diese Eigenschaften fehlen dem Spielsüchtigen. Als Poker sich Mitte des 19. Jahrhunderts im ganzen Fand ausbreitete, stieß das Spiel auf überwältigenden Widerstand. Prediger beriefen Versammlungen in den Rathäusern ein und wetterten in Sonntagspredigten gegen das Laster Poker. Die Spielkarten nannte man die Bildergalerie des Teufels, und wer häufig spielte, galt als Ketzer.

In The Complete Poker Player von 1855, einem der ersten Pokerbücher, formulierte der Autor John Blackbridge Anstandsregeln für den ehrenhaften Spieler. Er legte eine Summe von dreitausend Dollar fest, die ein Spieler im Jahr verlieren durfte, ohne an Ansehen einzubüßen. Diesen Betrag nannte er Vergnügungsetat. Wer seinen Etat überschritt, lief laut Blackbridge Gefahr, in die Fänge der Sucht zu geraten. Sehr viele Pokerspieler überschreiten ihren Vergnügungsetat. Ein junger Mann, den ich Chris nennen möchte, begann Ende 1998 in New Yorker Kartenclubs zu spielen. Chris war ein intelligenter Angestellter, der an einer Еliteuniversität studiert hatte. Ein alter Freund vom College, den er seit dem Abschluss nicht mehr gesehen hatte, führte ihn in die Spielclubs ein.

Am Anfang war das Spiel nur ein Zeitvertreib, ein willkommener Anlass, von zu Hause rauszukommen und nach einem langen Tag in der Firma, in der er seit seinem Abschluss 1995 arbeitete, ein bisschen Dampf abzulassen. Der adrette junge Mann mit dem geregelten Job war von Anfang an ein Fremdkörper im Club. Die anderen Spieler reagierten fasziniert auf ihn und löcherten ihn mit Fragen wie: Was, du gehst jeden Tag zur Arbeit? Ich meine, wirklich jeden Tag? Als er bejahte, lachten sie nervös, als hätten sie es mit einem Schwerverbrecher zu tun, der eine lebenslängliche Haftstrafe verbüßte. Es war die reine Freude, mit Chris zu spielen, vor allem, weil er ein entschiedener Befürworter des Duschens war, eine Einstellung, die unter Spielern nicht immer weit verbreitet ist. Die Eigenart des Spiels steht in krassem Widerspruch zur Körperhygiene.

Ein Spieler, der sechs Stunden am Spieltisch sitzt, raucht, Kaffee trinkt und jedes Mal kalte Schweißausbrüche hat, wenn er gute Karten kriegt .oder eine Niederlage kassiert, riecht meistens nicht besonders gut. Aber eigentlich spielten die Leute so gern mit Chris, weil er fette Beute war. Chris war ein wandelnder Widerspruch: Er spielte grauenhaft schlecht, obwohl er wahrscheinlich der Intelligenteste im Club war. Er konnte seine Gewinnchancen und Gewinnkarten schneller berechnen als jeder andere. Er verfügte sogar über ein beachtliches Kartengefühl. Nur in der Kategorie Selbstbeherrschung wies er eindeutig Schwächen auf, denn davon hatte er nicht einen Funken. Chris war der geborene Spielsüchtige. Durch irgendeine Laune der Natur war diese genetische Anlage an ihrer Ausbildung gehindert worden, und so brauchte Chris gut dreißig Jahre, bis er dahinter kam, dass er an einem heimtückischen Suchtproblem litt.

Als er zum ersten Mal die Karten in die Hand nahm, war es, als hätte er endlich gefunden, was ihm sein Leben lang gefehlt hatte. Von dem Spieler Big Julie stammt der Ausspruch: Der Mensch, der das Glücksspiel erfand, war ein kluger Kopf, aber derjenige, der die Chips erfand, war ein Genie. Wenn ein Spieler, der eintausend Dollar verliert, jedes Mal zehn 100-Dollar-Scheine abzählen müsste, würden die Einsätze weitaus geringer ausfallen. Aber Chips besitzen keinen Eigenwert. Sie ähneln eher Legosteinen als Geld. Wenn Sie einen Pot mit zweihundert Dollar verlieren, sind das nur zwanzig Chips. Sie merken kaum, dass Ihr Stapel geschrumpft ist. Wenn das Spiel zu Ende ist und Sie alles Geld verloren haben, müssen Sie nichts bezahlen. Das haben Sie schon vorher getan. Sie brauchen nur aufzustehen und wegzugehen. Genauso erging es Chris häufig.

Er passte nie, es sei denn, er hatte absolut keine Gewinnchancen – und selbst dann konnte es passieren, dass er ein Gebot mitging, nur um zu sehen, was der andere für Karten hatte. Der große Unterschied zwischen ernsthaftem Poker und den Kinderspielen, mit denen wir aufgewachsen sind, liegt in der Anzahl der Spiele, die ein Spieler mitmacht. Unter Studenten oder Arbeitskollegen ist es Sitte, dass jeder Spieler die Eröffnungswette mit- geht. Das gilt fast als Akt der Höflichkeit. Wenn dagegen im Casino zehn Spieler Hold’em oder Seven Stud spielen, gelten vier Bieter schon als großer Pot. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Statistisch gesehen sind die meisten Blätter unspielbar.

Nehmen wir als Beispiel Texas Hold’em. Wenn Sie alle möglichen Startblätter absteigend nach ihrer Wertigkeit und Ertragskraft ordnen, also von A♠ A♥ bis zu 2♦ 7♣ (die Kombination 2-7 verschiedene Farbe ist schlechter als etwa 2-3, weil sie keine Aussicht auf einen Straight bietet), werden Sie feststellen, dass es nur sehr wenige Blätter gibt, mit denen es sich lohnt, ins Spiel einzusteigen. Im Folgenden sehen Sie eine Tabelle mit den vielversprechendsten Startblättern im Hold’em.
 

Rang nach Bezeichnung Chance, das Wahrschein­
Rang nach Blatt oder ein lichkeit, das
  rentableres zu Blatt oder ein
  erhalten in % rentableres
X     zu erhalten  
1 AA 0,45 1:220  
2 KK 0,9 1:110  
3 DD 1,36 1: 73  
4  BB 1,81 1: 54  
5 AK, selbe Farbe 2,11 1: 46  
6 ZZ 2,56 1: 38  
7 AK 3,02 1: 32  
8 AD, selbe Farbe 3,77 1: 26  
9 KD, selbe Farbe 4,07 1: 24  
10 AB, selbe Farbe 4,37 1: 22  
11 AZ, selbe Farbe 4,68 1: 20  
12 AD 5,58 1: 17  
13

14

99

KB Selbe Farbe

6,03

6,33

1: 16

1.15

 
15 KD 7,24 1 13  
16 KZ, selbe Farbe 7,54 1 12  
17 A9, selbe Farbe 7,84 1 11  
18 AB 8,75 1 10  
19 88 9,2 1 9,9  
20 DB, selbe Farbe 9,5 1 9,5  
21 KB 10,41 1 8,6  
22 A8, selbe Farbe 10,71 1 8,3  
23 AZ 11,61 1 7,6  
24 DZ, selbe Farbe 11,92 1 7,4  
25 K9, selbe Farbe 12,22 1 7,2  
26 BZ, selbe Farbe 12,52 1 6,9  
27 A5, selbe Farbe 12,82 1 6,8  
28 A4, selbe Farbe 13,12 1 6,6  
29 DB 14,03 1 6,1  
30 A7, selbe Farbe 14,33 1 5,9  

 
Anmerkung: Wahrscheinlichkeit, das Blatt oder ein rentableres zu erhalten bedeutet im Fall von AA, dass es kein rentableres Blatt gibt. Der Wert repräsentiert somit einfach die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Asse gegeben werden. Bei KK repräsentiert der Wert dagegen die Wahrscheinlichkeit, dass entweder zwei Asse oder zwei Könige gegeben werden (zwei Asse gelten als rentabler als zwei Könige). Bei KZ (Rang 32) stellt der Wert die Wahrscheinlichkeit dar, dass entweder diese Kombination oder eine der vorangegangen gegeben wird.

Die Tabelle zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, ein Spitzenblatt zu erhalten, bei ungefähr 1: 20 liegt, und die Wahrscheinlichkeit, ein spielbares Blatt zu bekommen, sogar bei 1:4 (wobei B-9, selbe Farbe in den meisten Situationen kein besonders spielbares Blatt ist). Das Schlimme war, dass Chris all das genau wusste und trotzdem immer mitspielte. Ob er nun B-9, selbe Farbe oder Schrott wie 9-3, verschiedene Farben bekam, er war immer dabei. Beim Texas Hold’em können zwei beliebige Karten gewinnen, und Chris nahm sich vor, es zu beweisen. Es kratzte ihn nicht, ob ein-, zwei- oder sogar dreimal erhöht wurde, er ging immer mit. Der Gedanke, ein Spiel auszulassen, war ihm unerträglich. Es kommt nicht selten vor, dass ein derart zwanghafter Spieler mächtig auf die Pauke haut und aus der absurden Kombination 9-3 einen Straight oder zwei Paare macht. Für kurze Zeit werden die Pokergötter lächelnd dabei zusehen, während er ein Spitzenblatt nach dem anderen vernichtet. Aber das Gesetz der Serie holt diese Spieler irgendwann ein. Dazu ist es da. Und wenn die Chips da-hinschwinden, wird der innere Zwang zu spielen umso stärker.

Chris’ wöchentliche Pokerrunden kosteten ihn mit der Zeit ein Vermögen. Er verlor locker fünfhundert Dollar an einem Abend. Sicher, er verdiente über hundertdreißig tausend Dollar im Jahr, und so lag sein Vergnügungsetat anfangs bei knapp dreißigtausend Dollar. Das riss ein tiefes Loch in seine Finanzen, aber er konnte es verschmerzen. Die Situation wurde untragbar, als Chris’ Leben fast nur noch aus 24-Stunden-Tagen bestand. Seine Sitzungen im Club wurden länger und länger. Er spielte von sechs Uhr abends bis fünf Uhr morgens, ging nach Hause, duschte und fuhr ins Büro. Nachdem er den Tag irgendwie rumgebracht hatte, ging er wieder in den Club und brach mitten in einer Partie zusammen. Anschließend begann die ganze elende Prozedur wieder von vorne. Sein 1 eben ähnelte einem Laurel-und-Hardy-Film. Ich hatte alles verloren … deshalb musste ich pokern, um es zurückzugewinnen … aber dann verlor ich noch mehr und musste weiter spielen.

Schließlich sah Chris ein, dass er so nicht weitermachen konnte, zumal er nahezu pleite war, und er betrachtete seine Erkenntnis als willkommene Gelegenheit, seine Schulden zu begleichen und anschließend auszusteigen. Sobald ein Spielsüchtiger in der Klemme sitzt, will er nur noch seine Bilanz ausgleichen. Sobald er das geschafft hat, sitzt er noch tiefer in der Klemme, denn wo zum Teufel soll nun der Anreiz herkommen, aufzuhören? Also lieh Chris sich so viel Geld, wie er auftreiben konnte, verkaufte einige Aktien und stieg in den Bus nach Atlantic City. Er spielte mit ein paar Profis 50-100 Hold’em und ließ es ganz nach Chris-Manier mächtig krachen. Es lief so gut, dass er zum 200-400-Dollar-Tisch wechselte. Am Abend des ersten Tages lag er mit vielleicht zwanzig Riesen im Plus. Er hatte seine Schulden wettgemacht. Er hätte zu diesem Zeitpunkt in sein normales Leben zurückkehren können, aber er entschied sich weiterzuspielen, um allen zu demonstrieren, dass der Stress sich gelohnt hatte.

Als Chris sich am nächsten Tag an den großen Tisch im Taj Mahal setzte, wurde er schon erwartet. Man hatte alle Profis im Umkreis von einhundert Meilen verständigt. Manche Spielerteams waren die ganze Nacht durchgefahren, um ihm sein Geld abzuknöpfen. Und genau das taten sie. Als Chris nachts nach Hause fuhr, war er bankrott. Zwei Wochen nach seiner Rückkehr nach New York kündigte er seinen Job, seine Frau reichte die Scheidung ein. Ganze Scharen von Fachleuten vertreten die Theorie, Spielsüchtige würden ihr Geld in dem wahnhaften Glauben verlieren, das Gesetz der Serie gelte für alle, nur nicht für sie. Sie bildeten sich ein, die Realität irgendwie transformieren zu können.

Nach meiner Erfahrung – und das gilt besonders für Chris – leiden die meisten Spielsüchtigen nicht unter wahnhaftem Selbstbetrug. Ich vermute eher, sie zerstören sich absichtlich selbst. Sie suchen sich ein Spiel, bei dem sie erwiesenermaßen keinen Erfolg haben werden, um sich zu bestrafen, weil sie glauben, sie hätten all das Gute, das sie sich im Leben aufgebaut haben, nicht verdient. Dafür kann es Millionen von Gründen geben. Klischees gibt es reichlich: Missbrauch in der Familie, Pubertätsakne und noch vieles mehr. Ich kenne Chris nicht gut genug, um den Ursprung seiner fatalen Schwäche zu benennen, aber eins weiß ich sicher: Es lag bestimmt in seiner Absicht, so und nicht anders zu enden.

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