Pokerface bedeutet cool und ruhig bleiben Teil II – neue Pokerstrategien lernen
Obwohl jeder einzelne Fall von Ärger seine eigene Rechtfertigung anzubieten scheint, so haben die Situationen, in denen uns diese Emotion des Ärgers überkommt, doch alle etwas gemeinsam: Wir sind mit einer Situation konfrontiert, die wir nicht verstehen, beziehungsweise mit einem Ablauf von Ereignissen, die wir ganz und gar nicht beeinflussen können!
Wir verstehen nicht, wie ein Autofahrer so unvorsichtig sein kann, die Fahrspur zu wechseln, ohne auf den Verkehr zu achten, dabei sich selbst und andere gefährdend!
Wir verstehen nicht, warum unser Vorgesetzter einfach nicht einsehen will, dass wir in dieser Situation die richtige Entscheidung getroffen haben.
Wir verstehen nicht, dass es nun zum fünften Mal hintereinander passiert ist, dass unser Gegner, der eigentlich schon lange hätte passen müssen, genau die richtige Karte am River kauft!
Wie konnte dieser Ignorant mit diesen Karten mitgehen?
Wieso passen die Spieler immer und immer wieder, wenn wir ein Spitzenblatt haben?
Wie ist das möglich? Das ist unverständlich! Das ist zum Verrücktwerden!
Um auf den Dalai Lama zurückzukommen: Er erklärt, dass es zwar gelegentlich Situationen geben möge, in denen ein gewisser Ärger berechtigt sein könnte (etwa, wenn wir wirklich im Recht sind und uns durchzusetzen haben), doch Ärger wird immer dann absolut und völlig sinnlos, wenn er nichts bewirkt – außer unsere eigene Verwirrung!
Und so wie wir uns im täglichen Leben oft eingestehen müssen, unter Ärger das Falsche getan zu haben, so können wir uns am Pokertisch dessen mehr als sicher sein! Ärger am Pokertisch wird nicht nur durch unverständliches Verhalten der Mitspieler hervorgerufen, sondern auch durch den Fall der Karten gegen jede Wahrscheinlichkeit. Spiel um Spiel niedrige Anfangskarten zugeteilt zu bekommen, mehrmals hintereinander das zweitbeste Blatt in Händen zu halten, selbst scheinbar niemals am River zu kaufen und von anderen, denen diese letzte Karte immer mehr zu helfen scheint als uns selbst, mehrmals geschlagen zu werden. Und wenn all das geballt in einer einzigen Sitzung passiert, dann wird es wirklich schwer zu verstehen, wie so etwas passieren kann. Nun, es kann – und es passiert!
Verluste, die an solchen Tagen erlitten werden, sind unangenehm. Doch um vieles unangenehmer werden sie, wenn wir uns von Emotionen, anstatt Erfahrung und Berechnung, leiten lassen. Und je tiefer wir in die Zone des Ärgers gleiten, desto schlimmer wird es!
Kein Spieler kann jemals davon überzeugt sein, davor sicher zu sein, sich vom Ärger – auch wenn er ihn nach außen hin gut zu verbergen versteht – befallen zu lassen. Routinierten Spielern ist es eine wahre Freude, Anzeichen des Ärgers in anderen zu erkennen, zu provozieren – und beinhart auszunützen. (Und endlich doch ein Punkt im guten Pokerspiel, der den Lehren des Buddhismus widerspricht!)
Wenn wir es übrigens darauf anlegen, den Ärger anderer auszunutzen, dann lernen wir dies am besten, wenn wir unsere eigenen Emotionen beobachten und analysieren. Wenn wir uns dessen bewusst sind, was uns selbst gelegentlich aus der Fassung bringt, welche Art von Verhalten des Gegners dieses Problem noch verstärkt, dann können wir genau dies anderen Spielern gegenüber einzusetzen versuchen.
Natürlich meine ich hier keineswegs, persönlich oder beleidigend zu werden. Ich spreche von Spielstrategie, wie etwa einer Erhöhung zu einem Zeitpunkt, wenn wir merken, dass der ohnehin bereits nervöse Gegner nur zögernd mitgegangen ist.
Ich saß einmal an einem Tisch und hatte mich über einen längeren Zeitraum hinweg, natürlich auf Grund schlechter Karten, extrem passiv verhalten. Endlich, am Dealerbutton, halte ich K♠ – J♠ in der Hand und bringe vor dem Flop eine Erhöhung. Drei Spieler gehen mit, und es folgt:
7♥ – 2♣ – 4♦
Check – check – Einsatz! Nachdem ein derartiger Flop kaum jemandem helfen kann, erhöhe ich wieder, in der Hoffnung, meine Gegner von einem entsprechend hohen Taschenpaar zu überzeugen. Die ersten beiden passen, der nächste geht mit.
10♠
Mein Gegner checkt. Checke auch ich, verrate ich meine Karten! Vermutlich hat er einen Straßeneingang oder vielleicht auch nur ein schlichtes Ass. Die 10 erscheint hier nicht unbedingt als hilfreiche Karte. Jedenfalls bringe ich den Einsatz und erwarte, dass er nun, beim höheren Einsatz, endlich passen wird.
Er geht mit!
Q♥
Wieder checkt er!
Meine Überlegung: Ein riskanter Spieler, der hoffte, am River zu kaufen, was aber nicht der Fall war. Vielleicht hat er ein A und spekulierte mit einer Paarung. Hätte er die Q, hätte er wohl einen Einsatz erbracht. Also, vermutlich sind seine Karten um nichts besser als meine. Ebenfalls zu checken scheint wegen der Gefahr eines Asses in seiner Hand nicht ratsam. Ich muss ihn zum Passen zwingen! Ich bringe einen Einsatz!
Er erhöht!
Was nun? Aus Neugier mitgehen, nur um zu sehen, womit er mich schlägt? Nein! Unser Gewinn ist die Summe einzelner Einsätze, und alle wissen wir, dass wir solche nicht verschwenden. Was immer er in der Hand hält, ein kleines Paar oder doch nur das Ass, sein Blatt ist besser als meines. Ich passe!
Nun legt er, freiwillig, seine Karten auf den Tisch:
9♥ – 3♣!!!
Mein Verhalten, sein Instinkt, was auch immer, hat ihn davon überzeugt, dass ich von Haus aus geblufft habe. Er bluffte zurück! Und um mich dann auch noch zu ärgern, zeigte er es mir in aller Deutlichkeit!
Habe ich zuvor auch geschrieben, dass das Aufzeigen eines Bluffs, beim Einkassieren der Chips, in erster Linie nicht der Verhöhnung des Gegners dient, sondern als Anreiz zum Mitgehen in späteren Begegnungen, so kann es – in bestimmten Situation wie in der genannten – natürlich durchaus absichtlich Ärger provozieren.
Mir ist diese Konfrontation lange nicht aus dem Sinn gegangen, und oft musste ich mich selbst streng zur Disziplin rufen, wenn ich die Tendenz verspürte, ungerechtfertigt mitzugehen, auf dass mir solch eine Schande nicht noch einmal passieren würde!
Neben Ärger gibt es natürlich noch einige andere negative Eigenschaften, die am Pokertisch strikt zu vermeiden sind. Wunschdenken, der Glaube an Intuition (etwa, dass aus den wertlosen 2♥ – 3♥ ein Straight Flush werden könnte), das Verlangen nach Bewunderung seitens der Gegner, Habgier in dem Sinne, dass wir den Pot ohne jegliche vernünftige Rechtfertigung anheizen, die Furcht, trotz Spitzenkarten verlieren zu können. Hier passt gewiss hinzu, an die Notwendigkeit der freien Verfügbarkeit des Spielkapitals zu erinnern! Auch den weitbesten Pokerspielern passiert es oft genug, dass sie einzelne Sitzungen mit schmerzhaften Verlusten beenden.
Manchen Spielern fehlt es grundsätzlich an Geschick – und dementsprechend falsch verhalten sie sich, wenn immer sie am Pokertisch sitzen.
Guten Spielern passiert es aber, trotz allerbester Fähigkeiten und ausreichender Erfahrung, auch gelegentlich, dass sie – unter dem Einfluss destruktiver Emotionen – ihr Spiel vorübergehend verändern und die gleichen Fehler begehen wie andere, die es nie besser gelernt haben.
Verliert ein ansonsten guter Pokerspieler jegliche Kontrolle, begeht einen sinnlosen Fehler nach dem anderen, dann verwenden wir dafür einen ganz speziellen Begriff: Er schaltet auf tilt!(to go on Tilt!) Auf Deutsch bedeutet es „umkippen“ Wenn die alten Flipper-Automaten zu sehr geschüttelt worden sind, dann haben sie plötzlich und ohne Vorwarnung jegliche Aktivität eingestellt. Tilt!
Jeder gute Pokerspieler wartet auf derartige Anzeichen seitens seiner Gegner. Meist gehen lange Verlustphasen voraus, einige Bad Beats, vielleicht auch noch ein unverschämter, aber erfolgreicher Bluff! Plötzlich steht jede Logik auf dem Kopf. „Wenn ich weder mit A – A noch mit K – K noch mit A – K einen Pot gewinnen kann, dann vielleicht doch mit 7-3? Was, wenn der Flop 4-5-6 sein sein sollte? Seit vierzig Spielen habe ich kein einziges Mal gewonnen! Der nächste Gewinn ist überfällig! Er steht mir zu!“ Solche und ähnliche Gedanken mögen dem Spieler durch den Kopf gehen.
Und ich wiederhole es: Jedem Spieler, auch dem besten, kann es passieren! Hüten Sie sich davor! Glauben Sie bitte nicht, dass Sie sich, wenn Sie in solch eine Phase einmal abgeglitten sind, spontan zur Disziplin rufen können. Jeder erfahrene Spieler weiß davon ein Lied zu singen! Der einzige Weg, sich von dieser Befangenheit zu lösen, ist der, zumindest vorübergehende, Abbruch des Spiels!