Nachvollziehbar denken sollen – Grundprinzipien im Poker lernen
Prinzip Nr. 6: Sie sollten „nachvollziehbar denken“. Machen Sie Ihre Denkprozesse für sich selbst nachvollziehbar, indem Sie die hinter Ihren Entscheidungen stehende Intention genau beschreiben.
Ein ausgezeichneter Bridgespieler hat mir einmal erzählt:
„Solange Du mir erklären kannst, warum Du ein Gebot gemacht oder eine Karte gespielt hast, werde ich niemals sauer auf Dich sein, weil ich dann Dein Spielverhalten korrigieren kann. Wenn Du mir zum Beispiel sagst, dass Du die Kreuz-Dame im Glauben gespielt hast, der König säße zu Deiner Linken, kann ich mit Dir das Gebot überdenken und zeigen, warum Du davon hättest ausgehen sollen, dass er zu Deiner Rechten sitzt. Wenn Du die Dame aber einfach aus Jux und Dollerei ausspielst, werde ich wahnsinnig.“
Dies war einer der besten Ratschläge, die ich jemals über Kartenspiele oder etwas anderes erhalten habe. Indem ich meine Denkprozesse nachvollziehbar mache, kann ich sie verbessern. Wenn ich dagegen gedankenlos spiele, begehe ich denselben Fehler immer wieder. Dieser Prozess ist das genaue Gegenteil von Intuition. Mein Wörterbuch definiert „Intuition“ als „einen Prozess, ohne logisches oder rationales Denken zu unmittelbarer Erkenntnis zu gelangen“. Legt man diese Definition zugrunde, kann einem niemand Intuition beibringen. Entweder hat man sie oder nicht. In der Tat ist für Intuition, Gefühl, oder wie man es auch immer bezeichnen will, nicht einmal die gleiche Gehirnhälfte wie für das logische Denken zuständig.
Die linke Hälfte Ihres Gehirns (oft auch als „linkes Gehirn“ bezeichnet) regelt das logische Denken, während die rechte Hälfte die Intuition und verwandte Komplexe wie musische oder künstlerische Fähigkeiten steuert. Der Versuch, Ihre rechte Hirnhälfte auf logisches Denken zu trainieren, würde im Wesentlichen auf das Gleiche hinauslaufen, als wenn man Ihre künstlerischen Fähigkeiten verbessern wollte, indem man Ihnen die geometrischen Grundzüge der Malerei beibringt. Es funktioniert einfach nicht.
Da ich keine Intuition besitze, habe ich die Art und Weise, wie ich zu guten und schlechten Entscheidungen komme, studiert und kann Ihnen dabei hilfreich zur Seite stehen. Wenn Sie erkennen, wie Sie zu einer Entscheidung gelangt sind, können Sie aus Ihren Fehlern lernen. Nachvollziehbares Denken liegt nicht in unserer Natur, aber es ist – und ich werde mich da noch oft wiederholen – natürlich zu verlieren. Jeder Tennisprofi ist mit Anhängern konfrontiert, die dessen Ratschläge zu befolgen versuchen, aber darüber klagen, dass es sich nicht natürlich anfühlt. Er antwortet dann oft: „Natürlich, das stimmt! Du bist gewohnt, das Falsche zu machen.“
Um dauerhaft Erfolg zu haben, müssen Sie Ihre natürlichen Instinkte durch eine nachvollziehbare Denkweise ersetzen. Jeder erfolgreiche Spieler, mit Ausnahme des intuitiven Genies, geht diesen Weg. Lassen Sie uns einen Profi beim „Selbstgespräch“ belauschen. Die erste Entscheidung ist leicht nachvollziehbar. Die zweite ist weitaus komplizierter.
1. (Mit einer Drawing Hand und noch einer ausstehenden Karte.) „Die Wahrscheinlichkeit, dass ich meine Hand nicht vervollständige, beträgt 4 zu 1. Ich habe Pot Odds von 3 zu 1 und weil der Bettor All-In gegangen ist, wird es keine weiteren Bets geben. Deshalb sollte ich folden.“
2. (Beim Hold’em auf dem Flop.) „Joe ist ein ziemlich tighter Spieler, der eine starke Hand niemals slow spielen würde. Vor dem Flop ist er in Early Position gelimpt. Ich und ein weiterer Spieler nach mir haben ebenfalls gecallt.“ Auf dem Board liegen
Der Big Blind checkte und Joe hat gebettet.
„Hielte Joe AA, KK oder AK, hätte er vor dem Flop geraist. Demzufolge hat er weder drei Asse oder Könige noch Two Pair mit Assen und Königen.“
„Mit 22 oder A2 (auch gleichfarbig) hätte er in Early Position nicht gecallt. Also hat er auch keine drei Zweien oder Two Pair mit Assen und Zweien.“
„Angesichts zweier nachfolgender Caller und einem Ass auf dem Board würde er mit einem Paar Könige nicht betten. Demzufolge hält er ein Ass und ohne mindestens AJo oder A5s zu haben, hätte er in dieser Position vor dem Flop nicht gecallt.“
„Da ich AJ halte, ist AQ die einzige Hand, mit der er mich schlägt, und ich kann die meisten seiner möglichen Blätter schlagen. (Beachten
Sie: Da mir zwei Asse bekannt sind, gibt es für AQ – gleich- oder ungleichfarbig – acht Möglichkeiten. Auch für ATs bis A5s gibt es jeweils zwei Möglichkeiten, also insgesamt zwölf.) Außerdem hätte er mit AQ vermutlich anfangs geraist.“
„Wenn ich raise, vertreibe ich wahrscheinlich die nachfolgenden Spieler und bekomme zusätzliches Geld in den Pot. Vielleicht foldet er dann sogar.“
„Ich sollte raisen.“
Zu keiner der beiden Entscheidungen kann man ohne Vorwissen gelangen. Sie können zum Beispiel nicht die Pot Odds berechnen, wenn Sie nicht den Pot aufgrund der getätigten Bets zusammenzählen – was jeder gute Spieler automatisch macht. Sie können unmöglich Joes Hand innerhalb von ein paar Sekunden einschätzen – es sei denn. Sie haben sich gemerkt, dass er ein tighter Spieler und in Early Position gelimpt ist, und sofort Rückschlüsse auf seine mögliche Hand gezogen. Diese Gedankengänge sind weder leicht noch selbstverständlich, aber sie werden sich gewaltig bezahlt machen.
Nachvollziehbar zu denken kann Ihnen bei jedem Aspekt des Spiels nutzen, besonders bei der Frage, wann und wo Sie spielen sollten. Wenn Sie Ihre Partien sorgfältig auswählen, werden Sie weitaus besser abschneiden als erfahrenere Spieler, die nicht so selektiv vorgehen. Spielen Sie einigermaßen gut, kann Ihnen die Fähigkeit der richtigen Partieauswahl unter dem Strich mehr einbringen als jede andere Überlegung. Sie können die richtigen Partien nicht auswählen, ohne Ihren eigenen Spielstil zu kennen und zu wissen, wie er andere Spieler beeinflusst, und welches Niveau das für Sie angemessene ist. Die meisten Leute machen sich darüber nicht ausreichend Gedanken; sie setzen sich einfach auf einen freien Platz und stehen wieder auf, sobald schlechte Karten kommen oder sie sich unwohl fühlen.
Selbst wenn sie sich eine bestimmte Partie bewusst aussuchen, begehen sie oft einen schwerwiegenden Fehler. Viele Spieler mögen beispielsweise Partien mit aggressiven Gegnern, können diese aber nicht schlagen. Sie jammern die ganze Zeit herum, lernen aber nichts daraus. Sie setzen sich erneut an einen solchen Tisch, verlieren ihre Bankroll, jammern herum, kaufen sich neu ein und verlieren wieder alles. Nachvollziehbares Denken lässt sich auch auf die sogenannten Bankrollmanagement-Entscheidungen anwenden. Die meisten dieser Regeln beruhen auf einem dümmlichen Aberglauben wie „Hör auf, solange Du vorn liegst, wenn Du Deinen Stack verdoppelt hast oder wenn Du drei Buy-Ins verloren hast“.
Stattdessen sollten diese Entscheidungen auf einer wohldurchdachten Analyse der jeweiligen Situation und auf Fragen wie den folgenden beruhen: „Sind die anderen besser als ich? Ist der in dieser Partie vorherrschende Stil für mich vorteilhaft oder unvorteilhaft? Wie gut spiele ich? Macht es mir Spaß, mit diesen Leuten zu spielen? Werde ich eher gewinnen oder verlieren?“ Sind die Antworten darauf positiv, sollten Sie weiterspielen, egal ob Sie vorn oder hinten liegen. Sind die Antworten ungünstig, hören Sie auf, auch wenn das bedeutet, dass Sie mit einem herben Verlust abschließen. Es tut weh, in einem solchen Moment aufzustehen, aber es ist um einiges besser, als seine gesamte Bankroll zu verlieren.
Einige Passagen in diesem Poker-Portal werden Sie vielleicht beunruhigen oder frustrieren, weil Sie es nicht gewohnt sind, nachvollziehbar zu denken. Möglicherweise agieren Sie lieber intuitiv und impulsiv, anstatt nachvollziehbar zu handeln und die Verantwortung für Ihre Entscheidungen zu übernehmen. Es ist viel leichter, über sein Pech zu jammern oder in Klischees zu denken, aber Sie sollten sich für den steinigen Weg entscheiden, wenn Sie erfolgreich Poker spielen wollen.