Einführung in Las Vegas Poker – hilfreiche Information
Eines Samstagabends Mitte der Neunziger, ein paar Jahre nach der Erstveröffentlichung dieses Buches, kam in der Bar des Londoner Victoria Casino ein freundlicher junger Amerikaner auf mich zu und fragte mich, ob ich der Mann sei, der Poker. Mein Jahr als Zocker geschrieben habe. Ich bejahte mit bescheidenem Lächeln und schaute kurz zu meiner Frau hinüber (die gelegentlich als Puppe in diesem Buch auftaucht), in Erwartung jenes leicht spöttischen Blicks, mit dem sie im Allgemeinen diese kleinen Schübe für mein Ego kommentiert.
Ein tolles Buch, meinte der Amerikaner. Hat mein Leben verändert. Komplimente wie dieses hatte ich zwar schon öfter bekommen, vor allem in Casinos kurz vor Beginn eines Pokerturniers, aber ich hörte sie immer wieder gern. Also luden wir unseren neuen Bekannten ein, sich auf einen Drink zu uns zu setzen, und ich fragte ihn, was er beruflich mache. Ich arbeite für IBM in Mississippi, lautete die Antwort. Zumindest habe ich das getan, bis ich Ihr Buch in die Finger bekam. Danach habe ich meinen Job an den Nagel gehängt und bin Profispieler geworden. Genau wie Sie.
Er schien nicht zu merken, dass ich ihn sprachlos anstarrte, und führ fort: Sehen Sie meinen Kumpel da drüben am Würfeltisch? Er ist Anwalt. Arbeitet für das Büro des Gouverneurs von Mississippi. Zumindest hat er dort gearbeitet, bis ich ihm Ihr Buch lieh. Danach hat auch er gekündigt, und jetzt reisen wir zusammen als Pokerspieler um die Welt. Wir wollen am Montag nach Österreich weiter. Haben Sie vielleicht ein paar Tipps über die Hold’em-Szene in Wien …?
Ich hatte keine Ahnung von der Wiener Pokerszene. Aber viel wichtiger war, dass ich seine Sätze davor noch nicht verdaut hatte. Nie zuvor – trotz der vielen freundlichen Bemerkungen über die eigene Arbeit, an die man sich als Autor in gewissem Maße gewöhnt – war ich jemandem begegnet, der tatsächlich meinetwegen seinen Job (und dazu auch noch einen ziemlich guten) an den Nagel gehängt hatte.
In den Jahren nach der Veröffentlichung von Poker bin ich mir immer schmerzhafter der Tatsache bewusst geworden, dass ich unabsichtlich das Leben einiger Menschen verändert habe. Es gab mehrere Stammgäste hier im Vic und auch in anderen Casinos, die mir erzählt hatten, dass sie nach dem Lesen meines Buchs mit dem Pokern begonnen hätten. Aber soweit ich wusste, hatte niemand von ihnen seinen Job aufgegeben, Frau und Kinder verlassen oder war im Knast gelandet. Oder Schlimmeres.
Wow, brachte ich schließlich hervor. Und wie läuft’s bei Ihnen?
Also, Mister Holden… – Bitte, nennen Sie mich Tony… – Also, Tony, ich will ja nicht unhöflich sein … denn wie gesagt, es ist ein tolles Buch, wunderbar geschrieben, sehr witzig und zeigt genau, wie’s auf den Turnieren so zugeht… Ich hielt den Atem an. Aber die Wahrheit ist: Bei uns läuft’s viel besser als damals bei Ihnen. Wir sind jetzt im zweiten Jahr Profis und machen eine Menge mehr Kohle, als wir in Mississippi je reingeholt hätten.
Im Verlauf des Samstagabends spielten sich die beiden Amerikaner bis an den Finaltisch des Turniers vor. Am nächsten Tag flogen sie, wie angekündigt, nach Wien. Sechs Monate später, bei der World Series of Poker im Binion’s Horseshoe Casino in Las Vegas, sah ich sie wieder: Beide galten als aussichtsreiche Anwärter auf den Weltmeistertitel.
Inzwischen bringen mich derartige Begegnungen nicht mehr ganz so aus der Fassung. Bei meinen regelmäßigen Ausflügen nach Las Vegas werde ich, mehr noch als in England, immer wieder von Menschen angesprochen, die mir erzählen, sie seien nur meinetwegen hier. Sie hätten das Buch gelesen und mit dem Pokern begonnen. Sie hätten mit dem Pokern begonnen und angefangen zu gewinnen. Sie hätten so viel gewonnen, dass sie jetzt, einfach so, hier in Vegas seien. Wenn sie gewusst hätten, dass sie mich hier treffen würden, hätten sie ihr Exemplar meines Buchs mitgebracht und mich um ein Autogramm gebeten. Und vielleicht hätte ich ja Lust, mit ihnen eine Partie zu spielen? Es wäre ihnen eine Ehre …
Selbst meine Eitelkeit kennt Grenzen. Ich bin mir vollkommen der Tatsache bewusst, dass das von mir beschriebene Poker alles andere als Weltklasse ist. Ganz egal, ob diese Leute einen Blick in mein Buch geworfen haben oder nicht – und wenn nicht, haben sie wirklich eine erstklassige Masche drauf-, ich weiß genau, dass sie viel bessere Spieler sind als ich.
Aber was zum Teufel macht das schon? Poker ist mir unter den rund zwanzig Büchern, die ich geschrieben habe, mein liebstes – und mit Sicherheit das einzige Buch, bei dem das Schreiben genauso viel Spaß gemacht hat wie die Recherche. Wie könnte ich mich also darüber aufregen, von Leuten übers Ohr gehauen zu werden, denen mein Buch gefallen hat? Im Rahmen meiner extrem schwankenden finanziellen Mittel habe ich gegen die Besten von ihnen gespielt und gewonnen oder verloren – und mich dabei großartig amüsiert.
In den zwölf Jahren seit dem ersten Erscheinen von Poker haben mich die unterschiedlichsten Leute angesprochen, in Bars und Restaurants, in Zügen und Flugzeugen oder einfach auf der Straße, und mir gesagt: Ja, das war genau das, was ich schon immer machen wollte – meinen Job aufgeben und professionell Poker spielen. Ein paar von ihnen waren prominent, die meisten nicht. Ich könnte die Namen einiger Stars von beiden Seiten des Atlantiks nennen, die mir gegenüber meine eigenen Worte zitierten, ohne zu wissen, wer ich war. Doch die wahre Befriedigung ziehe ich aus der Begegnung mit Menschen, die diesen Schritt tatsächlich gewagt und das erreicht haben, was ich so erfolglos zu tun versuchte – und danach schriftlich dokumentiert habe, um (seien wir ehrlich) meine Verluste wettzumachen. Die Leser dieses Buchs sind mein wahrer Gewinn.
Unzählige Male habe ich stundenlang an einem Pokertisch gesessen und mit völlig Fremden gespielt, in London oder Las Vegas, als irgendetwas Verrücktes passierte und der Stetson auf Platz Vier plötzlich knurrte: Schreib das in dein nächstes Buch. Natürlich hatte der Stetson dann meist gerade eben mit einem guten Blatt verloren, und das womöglich auch noch gegen mich. Aber was ich an solchen Situationen ganz besonders liebe, ist die Tatsache, dass er die ganze Zeit am Tisch saß, genau wusste, wer ich war, aber keinen Ton sagte, während ich meine angebliche Anonymität genoss. Eiskalt seinen Vorteil erkannt und ihn dann im Moment der größten Spannung gegen mich ausgespielt – wie es sich für einen Pokerspieler gehört.
Unter den vielen Briefen, die ich von den Lesern dieses Buchs erhielt (ihre Zahl übertrifft sogar die der Beschwerdebriefe, die ich im Augenblick von Anhängern des englischen Königshauses bekomme), befindet sich auch einer, der aus dem C-Flügel eines amerikanischen Staatsgefängnisses stammt. Joe Ingargiola (alias Joe Thomas) hatte in den Bücherregalen des Bayside State Prison in Leesburg, New Jersey, ein Exemplar von Poker entdeckt. Joe, der mich als Schlaumeier-wird-Berufsspieler ausgemacht zu haben glaubte, outete sich als Seelenverwandter: Als jemand, der wie ich die Odyssee aus der Welt der Wissenschaft in die Welt des schönen Scheins durchlebt und durchlitten hat, möchte ich Ihnen attestieren, dass Sie die Essenz und den Geist dieser Reise mit makelloser Akkuratesse und großem sprachlichen Schwung eingefangen haben … Ihre literarische Belesenheit Oxford’scher Prägung verleiht einer häufig als fragwürdig angesehenen Profession neue Legitimität.
Dann folgten weitere Komplimente dieser Art, viele großartige Pokerstorys und sogar Auszüge aus seiner Doktorarbeit über Kierkegaard, bevor Joe zum eigentlichen Anlass seines Briefes kam: Er saß gerade achtzehn Monate ab für seinen Versuch, Donald Trump durch einen Casino-Schwindel in Atlantic City um 250 000 Dollar zu erleichtern. Zu dem Zeitpunkt, als sein Brief mich erreichte, würde er jedoch seine Schuld gegenüber der Gesellschaft abgetragen haben und nach Las Vegas zurückgekehrt sein, wo er hoffte, mich an einem Seven-Card-Stud-Tisch persönlich kennen zu lernen. Im Mai des darauf folgenden Jahres, zur Zeit der Baseball- Weltmeisterschaft 1 994, begegnete ich tatsächlich dem frisch in die Freiheit entlassenen Joe, der es kaum erwarten konnte, ein Spielchen mit mir zu wagen. Es war ein ergreifender Moment für uns beide – nicht zuletzt deshalb, weil Joe Stud Poker deutlich mehr lag als mir. Zu diesem Zeitpunkt steckte ich jedoch unglücklicherweise in einer risikoreichen Pot-Limit-Partie fest (siehe Glossar), in der ich meinen Platz verlieren würde, wenn ich nicht bald an den Tisch zurückkehrte. Joe, ganz der Gentleman, verstand natürlich sofort. Wenn ein Mann in einer Pokerpartie feststeckt, dann muss er sofort alles dafür tun, sich wieder zu befreien. Bis mir diese unerwartete Großtat schließlich gelungen war, hatte Joe sich leider schon wieder in die nie endende Nacht von Vegas aufgemacht. Wer weiß, vielleicht sieht man sich ja im nächsten Jahr.
Ähnliches Wunschdenken herrscht bei mir auch in puncto Weltmeisterschaft. Leser, die frühere Ausgaben dieses Buchs kennen, dürften nicht überrascht sein zu erfahren, dass es mir trotz meiner jährlichen Versuche im Binion’s bis heute nicht gelungen ist, das begehrte Armband zu gewinnen (wenn ich Poker- Weltmeister geworden wäre, hätten Sie es längst erfahren) oder aufgrund meiner Verdienste um diesen Sport von Ihrer Majestät ausgezeichnet zu werden. Andererseits habe ich daheim in London einige schöne Erfolge erzielt, bei den offiziellen Turnieren im Vic und in anderen Clubs der Stadt, deren Namen (und Pokerräume) regelmäßig wechseln. Außerdem stehen aufgrund der längst überfälligen Reform der Glücksspiel-Gesetzgebung (über die ich mich auf den Seiten 128 ff. beklage) weitere radikale Veränderungen kurz bevor.
Und das bringt mich auch zum einzigen Artikel meines Poker-Portals, das ich inzwischen bedauere. Zwar ist nur sehr wenig da-rüber an die Öffentlichkeit gedrungen – selbst über die Tatsache, dass ich die Besitzer als analfixierte Geldgeier bezeichnet habe -, aber das Personal der englischen Casinos dürfte allen Grund haben, über die rohe, pauschale Abrechnung mit der Londoner Clubszene in meinem Buch verärgert zu sein. Daher freue ich mich, mitteilen zu können, dass sich die Verhältnisse seitdem bemerkenswert deutlich verbessert haben – nicht zuletzt dank der Einführung lebhaft frequentierter Turniere, die im Allgemeinen von guten, gelegentlich von herausragenden Pokerpartien begleitet werden. Auch ich besuche diese Clubs inzwischen regelmäßig, hauptsächlich jedoch, um mich von den Anstrengungen des Tuesday Night Game zu erholen, unserer dienstäglichen Pokerrunde, in der es nach wie vor so besessen und gnadenlos zugeht wie eh und je. Einige wenige Unglückliche sind inzwischen auf der Strecke geblieben; ein paar neue Gesichter sind aufgetaucht und wieder verschwunden; einige, darunter auch David Spanier, sind leider von uns gegangen; doch der harte Kern von uns, der sich seit einem Vierteljahrhundert zum Pokern trifft, scheint noch lange weitermachen zu wollen – bis hinein ins Altersheim für abgebrannte Kartenhaie, wo die lautstarken Auseinandersetzungen über die Frage, wer ein Pfund hinten liegt (immer der Geber), auf ewig die wesentlich gesitteteren Unstimmigkeiten über deutlich größere Summen übertönen werden. Heutzutage hat mein Konto zwar mit meiner neuen und Besorgnis erregenden Begeisterung für so genanntes Spread Betting, also Trendwetten auf Sportveranstaltungen, zu kämpfen (einer längst überfälligen Innovation in England), aber zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Vorworts ist alles noch in bester Ordnung.
Viele Menschen haben mir erzählt, mein Buch hätte Pokern in England fast schon gesellschaftsfähig gemacht – und das in einem Land, in dem dieses Spiel zuvor nur als anrüchiger Zeit-vertreib für die Halbwelt des Londoner East End galt. Zudem brachte mir dieses Buch die weltweit erste regelmäßige Pokerkolumne in einem Hochglanzmagazin ein, dem Esquire, und gab den Anlass für die erste Fernsehdokumentation über das Pokern überhaupt (und das ausgerechnet bei der BBC). Es wurde sogar in Hollywood herumgereicht – bis jetzt leider noch ohne Ergebnis -, als potenzieller Filmstoff für einige der etwas kantigeren Stars. Im Jahr 2 000 hatte ich außerdem das Glück, in einer Prominenten-Ausgabe der Channel-4-Kultserie Late Night Poker 7 000 Pfund zu gewinnen, wobei ich zunächst mit allen Wassern gewaschene Konkurrenten wie Martin Amis, Stephen Fry und Patrick Marber ausschaltete und mich dann in einem spannenden Duell gegen die Person durchsetzte, der dieses Buch gewidmet ist.
Doch nichts davon hat mich mit so viel Stolz (und Sorge) erfüllt wie die Reaktionen meiner Söhne. Poker ist das einzige meiner Bücher, das sie alle gelesen haben, und mit Sicherheit das einzige Buch, mit dem sie vor ihren Freunden angeben. Alle drei sind nach ihrer Lehrzeit bei Clubturnieren in (meistens) gewinnbringende private Pokerrunden gewechselt – die übrigens auch von den Sprösslingen anderer Dienstagabend-Stammgäste besucht werden. Es sieht also so aus, als ob das Tuesday Night Game auch dann noch fortbestehen wird, wenn seine Gründer längst am großen grünen Spieltisch über den Wolken hocken. Bei Pokerrunden im Familienkreis hat jedenfalls einer von ihnen immer gerade dann einen Flush oder Full House, wenn es mir endlich gelungen ist, eine Straße auf die Hand zu bekommen. Mögen die Pokergötter mit ihnen sein – und natürlich mit Ihnen allen.
Wir sehen uns am Finaltisch.