Der aktiv-lockere Tisch richtig verstehen Teil II – neue Pokerstrategien lernen
Eine wertlose Karte!
Eine wunderbare Karte!
Sie ist nämlich nicht nur für uns wertlos, sondern auch für alle Kaufspekulanten! Natürlich gäbe es noch 9 Treff im Paket und dazu noch dreimal die 3 und dreimal die 4 und viermal das A. Doch zusammen sind das nur 19 von verbleibenden 47 Karten. Die Chance auf eine wertlose Karte ist immer größer als auf eine passende!
Nachdem sich an unserer angenommenen Dominanz dadurch nichts verändert hat, spielen wir weiter aggressiv und setzen bzw. erhöhen. Natürlich kann es sein, dass der aggressive Gegner wiederum erhöht. In diesem Fall wird es gefährlich! Hier müssten wir uns in aller Deutlichkeit die Frage stellen, ob er nicht doch über eine der wenigen Kombinationen verfügt, mit der er uns überlegen wäre. Sollte dies der Fall sein, so wäre es vermutlich am besten zu passen! In den meisten Fällen werden wir jedoch sehen, dass er entweder passt oder bestenfalls, den hohen Pot betrachtend und auf sein Glück weiter vertrauend, den Einsatz bringt.
In den selteneren Fällen wird der Turn eine Karte bringen, die gefährlich scheint. Passiert es, dann checken wir natürlich! Bringt der aggressive Spieler einen Einsatz, dann würde das zwar noch lange nicht heißen, dass er auch wirklich die passende Karte gekauft hat, doch hier wird nun das Verhalten anderer, die noch im Pot sind, umso bedeuten-der. Diejenigen, die nämlich bei Ihrer und bei seiner Erhöhung mitgegangen sind, hoffen ebenfalls auf einen guten Kauf. Geht einer oder mehrere nun mit oder es erfolgt sogar eine Erhöhung, dann wird unser Hochpaar schwach; dann sollten wir den Pot schleunigst verlassen!
Lassen Sie mich an dieser Stelle auf eine Gefahr verweisen, die sehr oft übersehen wird: Sie haben einen sehr lockeren und aggressiven Gegner vor sich, der setzt und erhöht. Sie sind sich völlig sicher, dass er nicht über das höchste Paar verfügt, Sie sind sich sicher, dass er überhaupt nichts in der Hand hält. Sie gehen bei jedem seiner Einsätze mit, in absoluter Gewissheit, dass Sie ihn schlagen werden. Nachdem Sie der Dominanz dieses aggressiven Verhaltens all Ihr Augenmerk schenken, ignorieren Sie dabei völlig einen anderen Spieler, der ebenfalls mitgeht. Nachdem dieser nicht erhöht, sich keineswegs bemüht. Sie und den Bluffer zu verdrängen, schenken Sie ihm eher weniger Beachtung und stellen am Ende voller Erstaunen fest, dass dieser Spieler von Anfang an ein kaum zu schlagendes Blatt in der Hand hatte. Sowohl das lockere Verhalten des Gambiers als auch Ihre Überzeugung, dass er blufft oder zumindest spekuliert, hat der andere Gegner nun erfolgreich dazu ausgenützt, heimlich, still und leise den Pot wachsen zu lassen, um letztendlich ordentlich abzukassieren!
Nachdem dies auch sehr oft funktioniert, verhalten Sie sich selbst in ähnlichen Situationen genauso. Halten Sie das wirklich starke Blatt in der Hand, und zwei Kampfhähne hacken mit Erhöhungen aufeinander ein, dann hinken Sie unbemerkt mit – ohne die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken! Mit den beiden Anfangskarten in der Hand wissen wir relativ wenig – mit dem Flop am Tisch jedoch sehr viel. Während Sie mit zwei Karten in der Hand noch darauf hoffen können, dass der Flop die unmöglichsten Überraschungen hervorbringen möge – immerhin sind es erwähnte 19.600 verschiedene Kombinationen -, so gibt es für den Turn nur ganze 47 verschiedene Möglichkeiten! Und, wenn immer das Verhältnis dieser limitierten, leicht berechenbaren Möglichkeiten nicht wirklich günstig zum Verhältnis Ihres Einsatzes zum Pot steht, dann interessiert Sie dieses Spiel auch nicht mehr!
All die Chips, die Sie deswegen verlieren, weil Turn oder River gegen die kalkulierte Wahrscheinlichkeit ausgefallen ist, alle verlorenen Pots gegen Spieler mit unwahrscheinlichen Monsterkarten, all diese Einsätze werden zu einem späteren Zeitpunkt wieder zu Ihnen zurückkehren. Kein Spieler wird bei der Kartenverteilung bevorzugt! Keine Karte fällt öfter am Turn und River als irgendeine andere! Doch jedes einzelne Stück, das Sie verlieren, weil Sie schlecht gerechnet haben, weil der Homo Ludens in Ihnen erwacht ist, weil Sie plötzlich von einer so genannten Intuition überwältigt waren, ist restlos und unwiederbringlich abzuschreiben!
Der Vorgang der Berechnungen vom Turn zum River ist der gleiche wie der vom Flop zum Turn. In beiden Fällen ist es eine Karte, die folgt. Der Unterschied ist der, das sich der Einsatz nun verdoppelt – und dass mit hoher Wahrscheinlichkeit einige Spieler den Pot verlassen werden. Es ist ein Fehler, am Flop davon auszugehen, dass es letztendlich noch zwei Karten sind, die folgen werden! Nicht nur, dass die zweite Karte, der River, einen weiteren Einsatz kostet, es ist nun ein großer, also doppelter!
Lassen wir uns nun am Flop fälschlicherweise zu ungerechtfertigten Spekulationen motivieren, so haben wir entweder einen Einsatz verschenkt oder laufen diesem Einsatz sogar für noch teureres Geld nach! In beiden Fällen verhalten wir uns der Strategie des gewinnorientierten Spieler entgegengesetzt!
Am Turn bringen wir den Einsatz entweder dann, wenn wir bereits über ein starkes Blatt verfügen oder die Chance auf einen Kauf in günstiger Relation zum Einsatz steht! Haben wir das gute Blatt, dann werden wir hier erhöhen, um dem Gegner die Kaufmöglichkeit so teuer wie möglich zu machen. Eine große Ausnahme ist der seltene Fall, dass unser Blatt so gut ist, Narrenstraße, Narrenflush, Full House, dass wir wollen, dass sich der Gegner totkauft.
Totkaufen bedeutet, dass die erwünschte Karte zwar auf den Tisch fällt, damit jedoch das zweitbeste Blatt formt und somit, entgegen aller Erwartung, nicht den Pot einbringt, sondern teure weitere Einsätze kostet. Wieder ist es hier auf vielen aktiv/lockeren Tischen unglaublich, auf welch bescheidene Chancen Einsätze erbracht werden. Warten Sie auf ein Flush, dann sind das immerhin neun Outs. Ein beidseitig offener Straßeneingang ergibt acht Outs. Eine Bauchschussstraße, ebenso wie ein Full House, wenn Sie zwei Paare haben, ergeben aber nur vier. Vier Outs am River entsprechen einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 10,5, also weniger als 10%.
Natürlich müssen Sie bedenken, wenn mehrere Spieler auf verschiedene Unwahrscheinlichkeiten hoffen, dann addieren sich die Prozentsätze. Dreimal 10% sind bereits 30%, und somit passiert es uns auch häufig, dass wir einen Pot an jemanden verlieren, der nach allen Grundsätzen des Hold’em Poker schon lange hätte passen müssen. Oft beklagen sich Spieler über die Glückskarte am River. Werfen dem Gewinner vor, dass er von Poker keine Ahnung habe. Verhalten sich, als sei Glück am Kartentisch eine Schande. Natürlich ist es schmerzhaft, sollten Sie noch dazu in einer Verlustphase sein, wenn Ihr scheinbar unschlagbares Blatt durch eine Riverkarte, die gegen jede Wahrscheinlichkeit fällt, letztendlich doch noch verliert.
Hier eine Situation, die mir kürzlich passiert ist:
Mit folgenden Anfangskarten ging ich bei einer Erhöhung mit: K♣ – Q♠.
Dann kam der Flop: 7♥ – K♠ – Q♣
Ein Traumflop! Ich saß am Small Blind und brachte einen Einsatz. Der Spieler nach mir erhöhte! Alle passten bis zum Dealerbutton. Noch eine Erhöhung! Nachdem beide lockere Spieler waren, machte ich mir grundsätzlich keine Sorgen um ein Bunkerpaar. Vielleicht gab es A – K, K – 7, Q – 7, doch fühlte ich mich mit meinen beiden Top-Paaren völlig sicher und nahm eine dritte Erhöhung vor. Beide blieben im Pot, und es folgte der Turn: 3♥
Mir weiteren aggressiven Verhaltens zumindest eines der beiden sicher, checkte ich. Das tat auch der Spieler nach mir. Der Mann am Dealerbutton setzte, und ich erhöhte! „Der nächste wird wohl passen!“, dachte ich. Nein! Er hinkte in den Pot, der mittlerweile schon zu attraktiver Höhe angewachsen war. Natürlich folgte auch der Button meiner Er-höhung. Der River: 8♥
Plötzlich lag da eine Flushgefahr! Wieder checkte ich, der nächste brachte einen Einsatz, der andere passte. Gewiss hätte ich jeden Grund gehabt zu erhöhen. Gefährlich waren zwei Herz oder ein Taschenpaar in der Hand meines Gegners. Mit dem Taschenpaar hätte er aber auch am Turn erhöht. Konnte er von Anfang an mit einer einzigen, hoffnungslosen Herz im Flop, bei mehrfachen Erhöhungen, im Pot geblieben sein? Ein guter Spieler nicht – der aber schon! Also, sicherheitshalber ging ich bloß mit. Und was hatte er in der Hand? A♥ – 2♥!
So etwas passiert einfach, und es passiert sehr oft, wenn man aktiv/ lockere Spieler gegen sich hat! Doch ändert dies etwas an unserer Berechnung der Wahrscheinlichkeit? Gewiss nicht!
Auch gibt es keinen Anlass zum Ärger, wenn wir – wie im beschriebenen Fall – gegen jede Erwartung an solch ein Glückskind Chips abgeben. Nach dem Flop, mit nur einem Herz, war die Chance auf ein Flush nur rund 4%. Das heißt, in 96% aller Fälle wird das Flush nicht kommen. Die Chance, dass zwei A folgen, oder ein A, mit einem zweiten Paar, nicht aber in K oder Q, denn dies würde mir im zitierten Fall ein Full House geformt haben, erhöht die Gewinnwahrscheinlichkeit nur unwesentlich. Also, was Glückskinder uns mit einem Pot wegnehmen, geben sie uns in vielen anderen Pots mehrfach wieder zurück.
Liegen nun endlich alle fünf Gemeinschaftskarten auf dem Tisch, dann wird es auch auf aktiv/lockeren Tischen bedeutungsvoll, die Spielweise der Gegner zu kennen. Viele Einsätze verschwenden wir, wenn wir hier mitgehen, obwohl unser Blatt nur geringe Chancen hat. Wir werden uns später noch mit den Fehlern im Pokerspiel näher auseinander setzen; doch hier ist es nicht nur wichtig, ob ein Einsatz erbracht wird oder eine Erhöhung vorgenommen wird, sondern auch von wem‘. Natürlich sollten wir auch das Verhalten jedes einzelnen Spielers, während der verschiedenen Wettrunden, im Gedächtnis behalten.
Wie ich anfangs schon erklärt habe, so sind wir selten in der glücklichen Situation, über ein unschlagbares, oder zumindest annähernd unschlagbares, Blatt zu verfügen. Die Überzeugung, dass unser eigenes Blatt überdurchschnittlich ist, kann noch lange nicht Grund genug sein, einen Einsatz daraufzu platzieren! Wichtig ist die Antwort auf die Frage: Was könnten die Gegner in der Hand halten?
Wenn wir uns später mit dem Spiel auf passiv/verhaltenen Tischen auseinander setzen werden, so wird diese Frage nicht nur von noch größerer Bedeutung sein, sondern auch leichter zu beantworten. Kein guter Spieler wird mit 2 – 2 im Bunker am Flop mitgehen, wenn dieser aus A – K – 10 besteht. (Plant er, strategisch zu bluffen, dann funktioniert dies nur mit einer Erhöhung!) Am lockeren Tisch ist dies aber durchaus möglich. Ebenso wie beim zuvor angeführten Beispiel, in dem ein Spieler mit wertlosen A♥ – 2♥ im Pot geblieben ist.
Also, genießen wir einerseits den Vorteil unvernünftiger Gegner, so müssen wir, andererseits, auch den Nachteil unliebsamer Überraschungen in Kauf nehmen!
Wir bedenken also die verschiedenen Kombinationen, die uns schlagen könnten! Wir bedenken das Verhalten der einzelnen Spieler in den verschiedenen Einsatzrunden! Und hier tendieren wir – ich erinnere an das antizyklische Verhalten – zu Passivität bzw. zu verhaltenem Agieren! Insbesondere, wenn Flops aus vier Karten einer Farbe bestehen, dann können Sie bei vier, fünf Gegnern mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass zumindest einer die passende Karte hat. Und zwar auch in entsprechender Flöhe. Liegen 5-6-7-9-Aam Tisch, dann müssen Sie mit einer existierenden 8 rechnen. Haben Sie K – K, und es liegt nur ein einziges A am Tisch, dann wird wahrscheinlich einer der Spieler ein dazu passendes A in der Tasche haben. Immer wieder aus dem Grunde, weil die Zahl der Opponenten entsprechend hoch ist!
Natürlich soll es nicht heißen, dass Sie mit starken, aber schlagbaren Karten immer passen, sobald ein Einsatz folgt. Vermutlich sollten Sie es tun, wenn der Einsatz von einem grundsätzlich sehr passiven Spieler stammt! Vielleicht sollten Sie es tun, wenn mehrere andere im Pot bleiben; und mit Sicherheit, wenn mehrere einer Erhöhung folgen. Doch dann gibt es wieder die Situation, die ich schon zuvor beschrieben habe. Nämlich, dass der erste Einsatz von einem Spieler stammt, der gerne und oft blufft. Ein anderer Spieler, noch vor Ihnen, erhöht! Sie haben sich selbst die ganze Zeit über passiv verhalten, sind heimlich in den Pot gehinkt. Hier kann es durchaus sein, dass der zweite, der erhöhende Spieler dem ersten sein vorgegeben gutes Blatt nicht glaubt, selbst aber über keine guten Karten verfügt und somit den Showdown vermeiden möchte. An Sie hat er dabei gar nicht wirklich gedacht, denn Sie waren schließlich passiv.
Die Einsatzrunde nach dem River ist wohl die schwerste. Hier zählen Erfahrung, Beobachtungsgabe, die Fähigkeit des Analysierens der Denkvorgänge der Mitspieler. Sind Sie mit Ihren Einsätzen hier zu großzügig, wird Ihr Gewinn dahinschmelzen. Sind Sie aber zu vorsichtig, dann werden Sie zu oft mit einem Top-Paar oder zwei Paaren passen, die Gefahr von Straße oder Flush überbewertend, und mit großer Verwunderung sind Sie letztendlich mit der schmerzhaften Tatsache konfrontiert, dass zwei Bluffer gegenseitig aufeinander eingehackt haben und der Sieger über nichts anderes verfügt ab ein unverbessertes Taschenpaar.
Bis zum River können wir unser Augenmerk vorwiegend dem Kalkulieren der Wahrscheinlichkeit schenken. Für die letzte Einsatzrunde, hingegen müssen wir mit den Feinheiten des Spiels wesentlich besser vertraut sein! Kriterien, die wir im Zusammenhang mit verhaltenem Spiel analysieren werden, kommen bereits hier zum Tragen.