Lotto und Glücksspiele – eine Steuer der exzellenten Gattung

Goldene Ringe, silberne Becher und Schalen im Wert von 106 rheinischen Gulden waren beim Münchner Schützenfest von 1467 zu gewinnen. Nicht für die Schützen freilich, sondern für diejenigen, die sich ein Los kauften. Es soll dies die älteste Lotterie Deutschlands gewesen sein. Andere folgten – sie hießen Glückshäfen. In München, hat der Mitarbeiter der Staatlichen Lotterieverwaltung Bayerns, Milli Weindl, festgehalten, schrieben sechs Schreiber die Lose, der Augustin Eurl bündelte die Zettel, zwei Unparteiische aus dem Volke, der Fischer Arnold von Bemried und der Metzger Stopper von Erding, hoben die Zettel aus dem Glückshafen. Bei jedem Gewinn musste die Stadtkapelle blasen. Der Stadt brachte das Spektakel ebenfalls einen schönen Gewinn.

1612 veranstaltete die Hamburger Bürgerschaft die erste Geldlotterie, eine Klassenlotterie, bei der über einen bestimmten Zeitraum mehrere Gewinnklassen ausgelost, also in den Ziehungen Preise verschiedener Art ausgespielt wurden. Die Ratsherren hatten beschlossen, ein Asyl für Obdachlose bauen zu lassen – andere Quellen sprechen von einem Werk- und Zuchthaus. Wie heute oft auch fehlte es am nötigen Kleingeld. Die Hamburger überlegten und kamen auf die Idee, eine Lotterey nach holländischem Muster auszurufen. Der erste Gewinnplan wies 20 727 Gewinne auf: Bargeld, Leib- und Erbrenten sowie Wertgegenstände. Die beiden Höchstgewinne betrugen 1000 €. Dem Rat der Stadt standen schließlich 70 000 € zur Verfügung.

Bald bekamen die Klassenlotterien auch in deutschen Landen eine Schwester: das Lotto. Es war 1519 in Genua entstanden, nach dessen Stadtverfassung im 16. und 17 Jahrhundert zur Ergänzung des Großen Rates der Stadt (der Signoria) aus einer neunzigköpfigen Bürgerliste fünf Personen in den Senatorenstand (governatori) gelost wurden. Bald wollte das Volk sogar die Bestimmung der Kardinäle dem Zufall überlassen. Die Kirchenoberen reagierten auf solche Vorschläge wütend. War das Vertrauen auf einen weisen Ratschluß des Herrn nicht stark genug? Oder wussten die Herren um ihre bescheidenen Fähigkeiten, die da oben zweifellos erkannt wurden und zu einem ungünstigen Los führen mussten? Die Kardinäle wurden jedenfalls weiter auf traditionelle Weise bestimmt.

Bald schrieben clevere Geschäftemacher statt der Namen 90 Zahlen auf ihre Lose. Ein Ratsherr namens Benedetto Gentile und ein Mathematiker, von dem nur der Nachname Tonti bekannt ist, gelten als Lottoerfinder. Fünf Richtige waren zu tippen, das war der Anfang des Lotto di Genova. Es wurde zur Mutter des Zahlenlottos. Die Regierenden betrachteten dieses Spiel mit zwiespältigen Gefühlen, die Päpste belegten die Lotterie sogar mit dem Bann. Die Spiellust bremste das kirchliche Verdikt allerdings nicht. Nach und nach verurteilten aber auch die deutschen Fürsten das Glücksspiel meist als gotteslästerlich und verboten es. Doch diese Auffassung änderte sich rasch, freut sich heute die Rheinland-Pfälzische Lotteriegesellschaft auf ihrer Internet-Seite: Die Staatsmächte entdeckten das Glücksspiel als Einnahmequelle für nützliche, öffentliche Zwecke. Und zur Sanierung der durch Kriege und verschwenderische Hofhaltung maroden Staatsfinanzen.

1731 hob Papst Clemens XII. das zeitweilige Verbot des Glücksspiels auf. Ausgerechnet das katholische Bayern war es, das in deutschen Landen zuerst ein Zahlenlotto ein-führte. Der aus Italien kommende gebürtige Engländer Georg Suttöun hatte dem Kurfürsten Karl Albrecht eine Spielidee unterbreitet und Geld für die leeren Staatskassen versprochen. Er erhielt 1735 als Oberdirektor des Lottoamtes die Zusage für eine Provision von zehn Prozent der Einnahmen. Neun Ausspielungen waren jährlich geplant. Auf jeder der 90 Kugeln war außer einer Zahl auch der Name eines armen Mädchens vermerkt. Bei der Auslosung bekamen die fünf gezogenen Mädchen je 20 Gulden. Es war möglich, auf eine Zahl zu setzen, auf zwei oder drei Zahlen sowie auf bestimmte Kombinationen. Offenbar waren Suttöuns Kenntnisse der Mathematik und der Statistik nicht ausreichend für solch ein Unternehmen. Denn schon in der fünften Ausspielung gewann der Augsburger Kaufmann Franz Karl Bernhardt auf einen Dreyer 21000 Gulden, das Unternehmen war pleite, und die kurfürstliche Kasse, aus der ein Teil des Gewinns bezahlt werden musste, hatte ein gewaltiges Loch.

Nachdem intensiv über Absicherungsmaßnahmen nachgedacht worden war, verpachtete 1751 in Österreich Kaiserin Maria Theresia dem Conte Ottavio di Cataldi das Lottoprivileg. Frankreich folgte. 1761 versuchte es auch Bayern aufs neue, vergab das Privileg an zwei Italiener und begnügte sich zunächst mit einem jährlichen Pachtzins von 24 000 Gulden. Alle Regenten führten die Lotterie auch ein, weil sie verhindern wollten, dass Geld ins Ausland abfloß.

1763 versprach der Italiener Giovanni Antonio Calzabigi, der bereits in Paris zusammen mit dem Librettisten Christoph Willibald Glucks und Giacomo Casanova eine erste Lotterie betrieb, dem Preußenkönig Friedrich dem Großen die Sanierung seiner Staatsfinanzen durch das Lotto. Mit dem Patent vom 1. Februar 1763 wurden sämtliche Lotterien des Landes einem staatlichen Monopol unterworfen. Jede private Lotterie musste unterbleiben. Das Lotterieverbot stand unter der Überschrift Eingriffe und Beeinträchtigungen des Besteuerungsrechtes.

Dass handfeste fiskalische Interessen das Lotterieverbot begründeten, verdeutlicht auch das eingangs zitierte Gespräch Friedrichs des Großen mit Casanova. Lotto sei eine Steuer der exzellenten Gattung, hatte Casanova gesagt. Für ihn aber hatte dieses Spiel offenbar auch noch einen an-deren, einen besonderen Kitzel. Casanova soll sogar um Herzen gespielt haben.

Der Marquise von O. schrieb er:
Ich will Sie bitten, mir ein Vergnügen zu machen. Hier sind zwei Zechinen, setzen Sie dieselben in das Lotto und geben Sie mir das Los, wenn Sie mich besuchen, oder schicken Sie es mir. Aber sorgen Sie dafür, dass niemand etwas davon erfährt.

Sie werden es morgen bestimmt erhalten, antwortete die Marquise. Doch weshalb sagen Sie mir, dass ich es schicken soll?
Die 3 und die 40 hatte die Marquise gesetzt, Casanova gewann damit 500 Zechinen, so wird berichtet, und eine Liebesnacht.

1769 ließ der Große Kurfürst Clemens Wenzelslaus im Koblenzer Stadtteil Ehrenbreitstein verkünden, dass mehrere Kaufleute die Konzession erhalten hätten, eine Zahlenlotterie im Kurstaat Trier zu betreiben. Auch die hessischen Landesherren griffen begierig das neue Spiel auf, Lottogesellschaften schossen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Wiesbaden, Kassel, Darmstadt und Marburg aus dem Boden. Am 16. Dezember 1769 besiegelte Fürst Carl zu Hessen-Nassau die erste Zahlenlotterie auf hessischem Boden. Die Bayern – nachdem das Spiel sich als sichere Einnahmequelle erwiesen hatte – nahmen es wie-der in Staatsregie und trachteten danach, die Einnahmen möglichst aus den Nachbarstaaten abzuziehen. Tatsächlich stammte ein großer Teil der Einnahmen aus der Schweiz, aus Straßburg und vor allem aus den freien Reichsstädten Frankens und Schwabens, die zum Teil eigene Lotterien betrieben. 1771 spielte unter Herzog Carl Eugen auch Württemberg Lotto.

Jedoch, die Moral! Nicht nur die Kirche empörte sich über das Glücksspiel. Auch unter den Bürgern entbrannte ein heftiger Meinungsstreit. Schon 1766 legte die Akademie der Wissenschaften ein Gutachten vor, wonach alle bloße Glücksspiele dem gemeinen Wesen schädlich seien, weil sie träge, liederliche, und betrügerische Leute machen. Sie rissen den activesten Circulationssaft aus dem Eingeweide des gewerblichen Volkes, sie reizten zur Begierde der Menschen nach Reichtum ohne Mühe und Arbeit. Lottospieler seien unnütze Glieder der Republik, das Spiel verleite dazu, immer wieder nachzusetzen bis zum Verlust des Vermögens. Ein Gutachten aus dem Jahre 1803 kommt zum Schluß, dass das Lotto di Genova unter allen Hazardspielen das unverhältnismäßigste ist.

Zunächst hatte diese Einschätzung keinen Erfolg. Die Menschen frönten ihrem neuen Hobby. Selbst der Geheime Rat Johann Wölfgang von Goethe konnte nicht widerstehen und beteiligte sich 1797 an der 117. Hamburger Staatslotterie. Seine Nummer 7666 gewann nicht. Im Faust aber schrieb er: Wie glücklich würde sich der Affe schätzen könnt’ er nur auch ins Lotto setzen!

Die Praxis aber schien der Akademie recht zu geben. 1801 berichtete der Generalkommissär von Franken, von Thürheim: Der vierte Teil des Städtchens Roth a. S. war in kurzer Zeit zugrunde gerichtet worden und hatte Betten und Mobilien versetzt. In dem kleinen Fürth wurden in
4 Jahren 51500 fl. verspielt. Weitere Spuren der Verwüstungen durch das Lotto wiesen die gerichtlichen Akten der Schuldklagen, Konkurse, Ehescheidungen, usw. auf.

Schon 1780 mussten in Frankfurt alle Lottokontore ihre Pforten wieder schließen, in Wiesbaden 1790. Preußenkönig Friedrich Wilhelm II. musste nach nur fünf Jahren in der Markgrafschaft Ansbach-Bayreuth das preußische Lotto aufheben, weil es zwar hohe Gewinne einbrachte, fränkische Lottobeamte aber durch Veruntreuungen und Betrügereien auf gef allen waren. Dabei waren die Erträge aus dem Lotto höher als die gesamten Steuereinnahmen. Preußen selbst gab das Lotto 1810 nach 275 Ziehungen wieder auf. Die Klassenlotterien und die Spielbanken blieben allerdings erhalten.

1849 sah die Nationalversammlung die Abschaffung aller Lotterien in deutschen Staaten vor, sie wurde dann aber aufgelöst. 1861 verbot auch Bayern das Lotto, obwohl Finanzminister Seinsheim es überhaupt nicht fassen konnte, dass man eine Steuer, die jedermann mit Vergnügen bezahlt, zu der niemand gezwungen wird, mit einem Betrage von mehr als 2 Millionen fl . jährlich gleichsam wie einen nichtsnutzigen Fetzen Papier zum Fenster hinauswerfe.

Lotto war in Deutschland damit gestorben. Die Klassen-lotterien aber wurden fortgesetzt. 1938 etablierten die Nationalsozialisten die Klassenlotterie als Reichslotterie für ganz Deutschland. Es muss angenommen werden, dass aus den Erträgen auch militärische Ausgaben finanziert wurden, mehr noch, dass die Klassenlotterie möglicherweise zu diesem Zweck als Reichslotterie eingeführt wurde.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es auch rasch wieder Lotterien. Am 25. Oktober 1945 veranstaltete Berlin die erste Stadtlotterie. 352 946,80 Reichsmark brachte sie in die öffentlichen Kassen, 150 000 Reichsmark dem Finanzamt, den Rest dem Magistrat. Solche Lotterien zum Wie deraufbau veranstalteten zahlreiche Städte. Die Länder gründeten das Fußballtoto neu, und auch die Klassenlotterien kehrten in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen schon im September 1947 als Süddeutsche Klassenlotterie zurück.

Lotto gab es erst am 11. Januar 1953 wieder. Berlin spielte damals ein 5 aus 90 und wollte das Spiel auf die ganze westdeutsche Republik ausdehnen. Insbesondere die Totogesellschaften, die eine neue Konkurrenz fürchteten, sprachen sich gegen das Lotto aus. Noch 1955 wollten die Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz beim Bundesgerichtshof klären lassen, ob das Zahlenlotto verboten werden kann. Vergebens! Auch diese beiden Länder traten schließlich dem Deutschen Lottoblock bei, letztes westdeutsches Mitglied wurde am 4. Oktober 1959 Westberlin.

Am 9. Oktober 1955 veranstalteten Bayern, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein die erste Ziehung des neuen Zahlenlottos. Im ehemaligen Hotel Mau am Hamburger Holsterwall griff das Waisenkind Elvira Hahn in eine Trommel aus Plexiglas. Als der Notar die erste Plastikkugel öffnete und das Papierröllchen entfaltete, ging ein Raunen durch den Raum. Elvira hatte die 13 gezogen. Die weiteren Glückszahlen der ersten Ziehung: 41, 3, 23, 12, 16. Der erste Sechser brachte dem Gewinner 59 492 €.

Am 4. September 1965 kam es zur ersten Fernsehziehung von 6 aus 49 live aus dem Studio des Hessischen Rundfunks. Lottofee war damals noch Karin Dinslage. Am 10. August 1967 trat die damals sechsundzwanzigjährige Fremdsprachensekretärin und Fernsehansagerin des Hessischen Rundfunks, Karin Tietze-Ludwig, ihr Amt an, das sie zum letzten Mal am 17. Januar 1997 um 19.52 Uhr ausübte.

Lotto wurde zum Renner, auch wegen der hohen Gewinne. Bis 1974 war die Gewinnsumme auf eine halbe Million begrenzt, wurde dann jedoch auf 1,5 Millionen erhöht. Die Umsätze stiegen rasant an. 1981 verdoppelte der Lottoblock Einsätze und Gewinne, 1985 führte er den Jackpot ein. Das Jackpot-Fieber hatte seinen bisherigen Höhepunkt am 10. September 1994: 42 Millionen lagen im Jackpot. Im August 1998 sammelten sich immerhin 35 Millionen € an, und die im selben Monat erstmals ausgestrahlte Lotto- Show mit Ulla Kock am Brink dürfte noch mehr Menschen reizen, Lottoscheine auszufüllen.

Mehr als zwei Drittel aller Spieleinsätze im Deutschen Lotto- und Totoblock fallen heute auf Lotto am Samstag und dessen Zwilling am Mittwoch. Der Marktführer weist damit eine beispiellose Erfolgsgeschichte vor. Doch wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten.

vorherige Dreister Zugriff im Lotto – Millionen für die Politik
nächste Lotto Fallbeispiel 2 in Rheinland-Pfalz – hol dir die Millionen Teil 1