Interessante Poker Geschichten und Strategien Teil I – immer sauber bleiben

Erst als ich meinen Namen hörte, mich um-drehte und einen uniformierten Muskelberg von prähistorischen Proportionen samt Handschellen am Gürtel und Pistole an der Hüfte entdeckte, wusste ich, dass ich mich endlich entspannen konnte. Ich kämpfte mich durch die Menge bis in seine schützende Nähe vor, brachte mit letzter Kraft ein heiseres Ich bin Holden heraus und überließ mich dann dankbar seiner Obhut. Mit einem strahlenden Lächeln, das seine bedrohliche Erscheinung Lügen strafte, griff der Riese nach meinem Gepäck und meinte: Willkommen in Las Vegas, Mr. Holden. Sie sehen müde aus.

Hank, wie ich auf einem Schildchen an seinem Revers las, gehörte zum Sicherheitsteam von Binion’s Horseshoe Casino. In seinem vorschriftsmäßigen khakifarbenen Safarianzug mit goldenem Hufeisen-Logo auf Brust und Oberarmen, der kaum genug Platz bot für seine gewaltigen Muskelpakete, wirkte er wie ein Jäger im Großstadtdschungel, der seine Beute schon im Visier hatte. Wenn sie nicht gerade die eine Million Dollar in bar bewachen, die in einem riesigen Plexiglas-Hufeisen in der Lobby des Horseshoe ausgestellt ist, oder ein wachsames Auge auf die vielen weiteren Millionen haben, die jeden Tag in den Sälen des Casinos umgesetzt werden, betätigen Binion’s Spielcasino- Schwergewichte sich im Zweitberuf als Limousinenchauffeure und erfüllen die wenigen mobilen Wünsche der meist sehr standorttreuen High Roller, der Edelzocker.

Und tatsächlich: Dort drüben, hinter den silbrigen Palmwedeln und Neon-Reklameflächen, die den McCarran Airport von allen anderen Flughäfen der Welt unterscheiden, auf der anderen Seite der gewaltigen Glaswände, die uns die 40 °C Außentemperatur vom Leibe hielten, stand mein bevorzugtes Transportmittel – eine glänzende, schwarze Limousine, gut einen Häuserblock lang. Nachdem er meine bleischweren Koffer vom Gepäckband gepflückt hatte, als wären sie Papiertüten, bat Hank mich mit einer Geste in Richtung Wagen. Das war der Augenblick, auf den ich mich seit fünfzehn langen, trostlosen Stunden gefreut hatte – und wenn ich es genauer bedachte, seit zwölf langen, trostlosen Monaten.

Man merkt sofort, dass man in Las Vegas ist, selbst wenn sich die eigenen Eingeweide gefühlsmäßig immer noch in der Luft befinden. Sobald man über die Gangway aus dem Flugzeug stolpert, noch ganz benommen von der dröhnenden, staatenlosen Monotonie eines Langstreckenflugs um die halbe Welt, gellen einem die spitzen elektronischen Schreie der Spielautomaten in den Ohren. Das schrille Klingeln und Klackern der ersten Hauptgewinne lässt keinen Zweifel daran, dass man sein Traumland erreicht hat. Der Weg zum Gepäckband führte früher durch ein Labyrinth Einarmiger Banditen, die inzwischen durch hoch entwickelte Video-Spielautomaten ausgetauscht worden sind, und ist nach wie vor gesäumt von Bars, Cocktailkellnerinnen und all den anderen verlockenden Bestandteilen eines Großstadt-Spielcasinos. Wer als Besucher das erste Mal hierher kommt, der könnte durchaus annehmen, dass er bereits mitten in Vegas ist, mitten in den zweiten Flitterwochen mit seiner Glücksfee.

Wohin das Auge blickt, sieht man passend grellbunte Geschäfte, in denen alles zu haben ist, was das Herz begehrt, von Spielkarten und Pokerchips bis hin zu Feuerzeugen und Nummernschildern; und alles mit dem eigenen Namen – sofern man Randy oder Tex, Cindy oder Donna heißt. Anschließend wird man von Frank Sinatras oder Wayne Newtons geisterhafter Stimme den Rollsteg entlangbegleitet, zu einer Wallfahrt ins Bally’s oder Caesars Palace gedrängt und daran erinnert, dass in Las Vegas viele Halbgötter auf Anbetung warten.

Schon der erste Blick aus der Luft auf diese Stadt hat etwas Unglaubliches – ganz egal, ob man von Los Angeles und dem Westen über das Death Valley einfliegt oder von London, New York und dem Osten über den Grand Canyon, den Hoover- Staudamm und Lake Mead. In jedem Fall genießt man gut eine Flugstunde lang von seinem bequemen Sitzplatz aus den Blick auf eine schier unendliche Wüste – im sicheren Wissen, dass jeder zum Tode verurteilt ist, der gerade jetzt dort unten herumläuft. Verschwommene Bilder von alten Pioniertrecks geistern einem im Kopf herum, bis sich der erste atemberaubende Blick auf diese Ansammlung fantastischer Türme und Glaspaläste bietet, die wie zufällig in diese Mondlandschaft hineingeworfen wurden, mitten in dieses riesige und völlige Nichts. In der Nacht wirkt Las Vegas aus der Luft wie ein Treffen von Ozeanriesen auf einem dunklen, endlosen Meer.

Die Landung und das Auschecken sind die letzten, kurzen Kontakte mit der Realität, bevor man eine Welt betritt, wie es sie auf diesem Planeten kein zweites Mal gibt. In kürzester Zeit verflüchtigen sich alle herkömmlichen Werte, ein Leben lang gehegte Träume und Wünsche verblassen, und jedes Interesse an der Außenwelt wird geistesabwesend vergessen – überwältigt vom Sirenengesang des Lebens auf der Überholspur, von Limousinen, goldenen Wasserhähnen und herzförmigen Betten, von Würfeltischen, Rouletterädern und Bakkarat-Banken, von der allgegenwärtigen Chance, den Rest seiner Tage als Millionär zu verbringen. Viele gehen daran zugrunde, verführt von der Aussicht darauf, diesen Ort nie mehr verlassen, sich nie mehr der grausamen Realität des Lebens stellen zu müssen.

Vegas verliert keine Zeit. Der Ort entfaltet sofort seinen Zauber, bereits halb in der Limousine, als Hank mir die Tür aufhält und mich in einen hochflorigen, klimatisierten Kokon mit Cocktailbar, Eismaschine, Stereosound und fernbedientem Fernseher bittet, der genug Platz bietet für ein Footballteam und ganz allein für mein persönliches Wohlbefinden gedacht ist. Selbst ein Zweimeterzehn-Riese könnte hier bequem die Beine ausstrecken. Nachdem Hank auf den Fahrersitz geklettert ist, der sich gut eine Meile vor mir befindet, fährt er schweigend die elektrische Glasscheibe hoch, die meine Welt von seiner trennt. Er wird nicht sprechen, außer wenn er angesprochen wird. Der Mann, dessen bloßer Anblick mich normalerweise dazu bringen würde, höfliche Nichtigkeiten zu plappern – als ob man sich Zeit erkauft, indem man einen mürrischen Hai mit Fischen füttert -, steht nun ganz zu meiner Verfügung und hat die Pflicht, jeden meiner Wünsche zu erfüllen. Heutzutage sind wir alle High Roller.

Das Problem daran ist nur die damit einhergehende Verpflichtung, sich auch wie ein solcher Edelzocker zu benehmen. Für Gefälligkeiten dieser Art wird, natürlich, kein Geld verlangt – eine Limo ist das Mindeste, was Binion’s guten Gästen wie mir zur Verfügung stellt. Doch nachdem Hank den Wagen schweigend und sanft am Tropicana vorbeigesteuert hat und mich über den Freeway, parallel zum Strip mit seinen geschmacklosen Touristenattraktionen, nach Downtown Las Vegas ins Glitter Gulch gebracht hat, wo sich die wahren Spieler treffen, scheint mir ein 50-Dollar-Trinkgeld das Mindeste zu sein, das er für seine Mühe verdient hat – also das Doppelte dessen, was die Anmietung einer Limousine gekostet hätte, von einem Taxi ganz zu schweigen. Und wenn er mich wieder zum Flughafen zurückbringen wird, in einer Woche, sofern ich Glück habe, werden mir 100 Dollar unverschämt wenig vorkommen.

Das war doch nicht nötig, Sir, meint er mit breitem Südstaatenakzent, schiebt den Fünfziger in die Tasche und schleppt meine lächerlich schweren Koffer (voller Bücher, obwohl ich das in Vegas nicht einmal zu flüstern wagen würde) durch die Eingangstür zur Rezeption des Golden Nugget, dem Ausweichquartier des Horseshoe in dieser Jahreszeit. Hank und mich verbindet von nun an ein geheimer Pakt: Er wird ab jetzt jedes Mal freundlich grinsen, wenn wir uns in dieser Woche im Casino über den Weg laufen – genauso wie Jerry das jetzt tut, der Hotelpage, der mich erstaunlicherweise noch von meinem Besuch im letzten Jahr kennt. Da geht der nächste Fünfziger, und ich habe es noch nicht mal bis in den Fahrstuhl geschafft.

Das Lächeln des Empfangschefs wird breiter, als mein Eintrag im Computer erscheint. Die Suite geht auf Kosten des Hauses, Mr. Holden. Sie sind diese Woche Gast von Mr. Binion, also werden Sie Ihre Kreditkarte nicht benötigen. Ich nehme an, Sie haben dieselbe Suite verlangt wie bei Ihrem letzten Besuch? Hatte ich das? Konnte ich das? Es schien etwas zu sein, das richtige High Roller tun, also entschied ich mich für ein wissendes Lächeln. Gar kein Problem, Sir. Würden Sie bitte einen Augenblick hier warten? Der Schichtmanager des Casinos möchte Sie gern offiziell begrüßen.

Kurze Zeit darauf steht besagter Schichtmanager vor mir und entpuppt sich als junge, weibliche und attraktive Managerin – was mich aus irgendeinem Grund wie ein Schlag trifft. Zu meiner eigenen Überraschung küsse ich sie auf die Wangen, in der irrigen Annahme, dass wir einander bei meinem letzten Besuch vor einem Jahr schon einmal begegnet sind und dass dieses Ritual darum irgendwie dazugehört. Oh nein, Sir, sagt Karen – wie ihr Namensschildchen verrät – errötend, ich arbeite hier erst seit sechs Monaten.

Jerry bringt mich hinauf in mein Zimmer, wobei er in Erinnerungen an meinen letzten Aufenthalt schwelgt, sich an mehr Details meiner Casino-Abenteuer erinnert als ich und Spekulationen über meine Aussichten für die kommende Woche anstellt. Eine unserer besten Suiten, Mr. Holden. Sehr klug von Ihnen, sie erneut zu buchen. Immer schön, Sie wiederzusehen, Sir. Wenn ich irgendwas für Sie tun kann, lassen Sie’s mich wissen. Das allein ist einen weiteren Fünfziger wert.

Der Raum ist riesig und riecht nach neuem Teppich. Das Bett bietet genug Platz für eine Großfamilie. Das Badezimmer verfügt über allen erdenklichen sanitären Luxus und einen Bade-mantel mit meinen Initialen. Natürlich gibt es auch einen riesigen Fernseher und eine ganze Batterie von Telefonen, doch davon abgesehen wirkt die gewaltige Zimmerflucht seltsam leer. Keine Minibar. Kein Sofa. Kein Hotel-Pay-TV. In Vegas soll sich jeder Gast wie ein Millionär fühlen – das aber bitteschön unten in den Casinos. Die Anreize, im eigenen Hotelzimmer zu bleiben, sind folgerichtig minimal.
Nicht, dass ich welche gebraucht hätte – doch irgendwie scheint es nicht richtig zu sein, sofort wieder von Jerry nach unten zu fahren. Mein Instinkt rät mir, ihm drei Minuten Vorsprung zu lassen und mich dann ins Getümmel zu stürzen, ohne noch mein Transatlantik-Hemd zu wechseln. Schließlich habe ich lange auf diesen Augenblick gewartet.

Der zurückhaltende Engländer in mir kämpft kurz mit meinem Yankee-Alter Ego, bis meine langweilige ordnungsliebende Seite die Oberhand gewinnt. Also packe ich erst einmal aus, hänge meine Sachen in den Schrank, sortiere meine Bücher und schaffe mir ein kleines Arbeits- und Lebensumfeld – wechsle das Hemd aber immer noch nicht -, ehe ich mir ein Glas Champagner auf Kosten des Hauses einschenke, eine zollfreie Zigarette anstecke und das aufregende Gefühl meiner Wiederkehr nach Utopia genieße. Außerdem bleibt mir so mehr Zeit, die Vorfreude darauf zu genießen, dass ich bald wieder in jenen faszinierend geschäftigen Lärm eintauchen werde, der nie erstirbt – das geisteskranke Gebrabbel der Spielautomaten, die spitzen Schreie der Würfelspieler, und über allem die wahre Sphärenmusik von Vegas, die jedem Pokerspieler das Glück auf Erden verheißt: das ewige, allgegenwärtige Klicken der Chips, ein Geräusch wie nimmermüde zirpende Zikaden, das ihn, mit dem wunderbaren Versprechen eines sofortigen, endlosen Spielvergnügens, unwiderstehlich anlockt.

Ich bin müde, leicht angetrunken, überdreht und spüre den Jetlag – vier von vier Voraussetzungen, unter denen man auf keinen Fall in Las Vegas Poker spielen sollte, wo die Haie gleich scharenweise unterwegs sind. Für Augenblicke wie diesen hat man hier einen altbewährten Spruch: Wenn du nach dreißig Minuten am Pokertisch den Trottel noch nicht entdeckt hast, bist du es selbst. Aber was soll’s, der Spielsaal wartet. Schließlich bin ich nicht den ganzen langen Weg hergeflogen, um mich mal richtig auszuschlafen.

An dieser Stelle sollte ich meine Karten offen auf den Tisch legen. Lange Jahre bin ich immer eine Art Glücksspieler gewesen, der sich von den Würfeln bis zu den Pferdchen an allem Möglichen versucht hat. Aber das ist jetzt vorbei. Jetzt bin ich ein Pokerspieler – zwar leider nur ein Amateur, aber so engagiert und entschlossen wie jeder, der sein halbes Leben lang einmal pro Woche um hohe Einsätze gespielt hat.

Der Unterschied zwischen einem Pokerspieler und einem Glücksspieler ist einfach, aber entscheidend. Ein Glücksspieler ist jemand, der auf ungünstige Quoten setzt, egal, ob er dabei auf Pferde, auf Sportereignisse oder auf Regentropfen wettet, die die Fensterscheibe hinunterlaufen. Ein Pokerspieler dagegen – zumindest einer, der weiß, was er tut – ist jemand, der auf günstige Quoten setzt. Der eine ist ein Romantiker, der andere ein Realist. Es handelt sich dabei um einen Unterschied, eine Wahrheit, die es wert ist, auf einer griechischen Urne verewigt zu werden. Das war alles, was ich in diesem Moment wusste, und alles, was ich wissen musste, während ich 1 000 Dollar in die Geheimtasche meiner Lieblingsjeans schob.

Dies war mein zehnter Besuch in Las Vegas in ebenso vielen Jahren, seit ich im Mai 1978 erstmals hergekommen war, um über die World Series of Poker zu berichten, die Weltmeisterschaft der Pokerspieler, die damals einmal jährlich im Binion’s Horseshoe Casino ausgetragen wurde, schräg gegenüber vom Golden Nugget. Im darauf folgenden Sommer lebte und arbeitete ich in den USA, als Washingtoner Korrespondent einer Londoner Sonntagszeitung, deren leitender Auslandsredakteur bemerkenswert einfach davon zu überzeugen war, dass die Vorwahlen im Bundesstaat Nevada ein bedeutender Gradmesser für die Präsidentschaftswahlen des Jahres 1 980 sein würden. Während die Schlangen vor den Tankstellen immer länger wurden und Präsident Carters Umfrageergebnisse ins Bodenlose fielen, verbrachte ich den Frühsommer damit, Stu The Kid Ungar bei der Eroberung des Weltmeistertitels zuzusehen und mein Handwerk an den Kleingeld-Nebentischen zu erlernen, bis mein Flugzeug ohne mich abhob. Ich hing am Haken.

Zehn Jahre später hatte ich für so ziemlich jedes Hochglanzmagazin des britischen Sonntagsjournalismus über die Poker- Weltmeisterschaft berichtet und dabei miterlebt, wie die World Series sich von einem geselligen Beisammensein einer Handvoll Pokercracks zu einer Großveranstaltung mit über zweihundert Kartenkönnern aus aller Welt entwickelte. Von denen war jeder bereit, 10 000 Dollar für einen Platz beim Hauptereignis hinzublättern – The Big One, jenes abschließende viertägige Turnier, dessen Sieger sich Weltmeister nennen darf.

Von einem Logenplatz hinter der Absperrung aus hatte ich viele denkwürdige Showdowns miterlebt, bei denen es teilweise um Pötte von einer Million Dollar ging, und war dazwischen immer wieder quer über die Fremont Street in den Pokersaal des Golden Nugget gehetzt, um meinen Platz am $ 3/$ 6-Tisch nicht zu verlieren. Da dort die ersten beiden Wettrunden auf Einsätze bzw. Erhöhungen von je drei Dollar begrenzt waren und in allen anderen Runden um sechs Dollar pro Einsatz erhöht werden konnte, bot mir dieser Idiotenhügel von Glitter Gulch einen Poker-Grundkurs zum Sonderpreis. Nach ein paar Jahren erträglicher Verluste lernte ich, mich gegen die Schmalspur-Profis von Vegas zu behaupten, die ihren Lebensunterhalt mehr schlecht als recht von den paar hundert Dollar pro Woche bestreiten, um die sie die Touristen erleichtern – mit anderen Worten gutgläubige Trottel wie mich.

Wie jeder andere hatte auch ich meine Anfängerfehler gemacht – und zwar ziemlich viele. In den ersten Jahren begann ich immer nervös wie ein Schuljunge: Ich zitterte so stark, dass jeder sofort sehen konnte, welches Blatt ich hatte. Eines Abends bekam ich einen Straight Flush auf die Hand und verschüttete prompt meine Bloody Mary über das grüne Tuch – nicht unbedingt der gröbste Verstoß gegen die Poker-Etikette, aber grob genug, um alle anderen am Tisch zu veranlassen, sofort ihre Karten wegzuwerfen. Lektion Nummer Eins: Beim Pokern reicht es nicht, gute Karten auf die Hand zu bekommen – man muss dies auch gut verbergen, wenn man ordentlich Geld machen will. Wenn bei einem bestimmten Spieler alle anderen am Tisch jedes Mal passen, sobald er ein gutes Blatt hat, pokert dieser Jemand viel zu durchsichtig.

Die Stammgäste an den Kleingeldtischen des Golden Nugget sind die zurückhaltendsten Zocker der Welt – Rocks, die äußerst selten bluffen und nur dann etwas riskieren, wenn sie das höchstmögliche Blatt am Tisch haben, in Fachkreisen auch Nuts genannt. Um sich gegen solche Spieler zu behaupten, braucht man jede Menge Geduld – eine Eigenschaft, die noch nie zu meinen stärksten Seiten gezählt hat. Die Lösung für dieses Problem, so entdeckte ich nach ein paar Jahren, bestand darin, am Tisch einen Walkman zu tragen. Ein wenig Mozart in den Ohren (perdono, Amadeus, perdono) verlieh mir genügend Gleichmut, um in aller Ruhe auf eine starke Hand zu warten.

Außerdem schloss die Musik die Casino-Kakophonie aus – Platz frei an Tisch Fünf, Cocktails, Tisch Drei, Jake Finkeistein, Anruf für Mr. Finkeistein -, die sich nach einigen Stunden zu explosionsartigen Kopfschmerzen hochschaukeln kann. Das Problem war nur, dass ich dadurch auch die Gespräche am Tisch nicht mehr hörte, die für die korrekte Einschätzung einer sich entwickelnden Pokerhand einfach unerlässlich sind. Jedes Mal, wenn ich vielversprechende Karten auf die Hand bekam, begann ich unter dem Tisch am Lautstärkeregler meines Walkmans zu fummeln – und zeigte damit natürlich Gott und dem ganzen Casino, dass man auf den Typen auf Platz Vier aufpassen musste.

Meine Lehrjahre waren kostspielig. Während meiner Zeit in Washington kam ich mit dem Filialleiter meiner Bank überein – genauer gesagt handelte es sich um eine schriftliche Übereinkunft -, dass er mir unter keinen Umständen telegrafisch Geld anweisen würde, ganz gleich, wie flehend oder drohend ich ihn am Telefon darum anging. Die paar tausend Dollar, die ich zur Feier meines Geburtstags mit nach Las Vegas nahm – die alljährlich im Mai stattfindende World Series fällt geregelt mit diesem Großereignis zusammen – waren Geld genug: Wenn ich sie verzockt hatte, wurde es Zeit, aus der Stadt zu verschwinden.

Nach einigen Jahren war ich reif für die Schwindel erregen-den Höhen der $ 10/$ 20-Tische im Golden Nugget, wo ich mich schon bald wie zu Hause fühlte. Das Spiel, das dort gespielt wurde – Texas Hold’em – war dasselbe, das auch die weitbesten Profis auf der anderen Straßenseite spielten, wo es um 10 000 Dollar Einsatz pro Kopf und um den Weltmeistertitel ging. Aber zehn Riesen, die Gewinne eines erfolgreichen Jahres bei meiner wöchentlichen Pokerrunde in der Heimat, schienen mir eine zu große Summe, um sie den Pros in den ersten fünf Minuten eines Vier-Tage-Marathons über den Tisch zu schieben. Also war ich immer Zaungast und Schmalspurzocker geblieben.

Doch das hatte bis heute nichts am alljährlich wiederkehrenden prickelnden Gefühl der Vorfreude geändert, das mich auch diesmal wieder durchströmte, während ich den Fahrstuhl rief, Leidensgeschichten mit meinen Mitreisenden austauschte und mit der – wie ich inständig hoffte – überzeugenden Nonchalance eines Einheimischen in den Pokersaal schlenderte. Der Nachmittag bot genug Zeit für eine preiswerte Aufwärmrunde mit ein paar über die Jahre vertraut gewordenen Gesichtern, ehe im Horseshoe das Turnier für die Medienvertreter begann. Es fand traditionsgemäß am Tag vor The Big One statt und sollte den Reportern genauere Einblicke in das Spiel vermitteln, über das sie später zu schreiben hatten. Im Kartensaal des Nugget machte ich mich auf die Suche nach einem Tisch, an dem niemand mich kannte. Ich begann meinen Aufenthalt in Vegas immer gern damit, dass ich an einem Kleingeldtisch den Anfänger gab und versuchte, diese Rolle so lange wie möglich durchzuhalten.

Mit ein wenig Glück ließ sich auf diese Art genug Geld machen, um mir einen Platz an einem der teureren Tische zu sichern, wo die Gefahr größer war, dass mich die Stammgäste schon aus früheren Jahren kannten. Glücklicherweise wurde gerade ein Platz an einem Tisch mit niedrigem Limit frei: Platz Sechs an Tisch Acht, $ 3/$ 6 Texas Hold’em, mit einer schweigenden, schwermütig wirkenden Runde, deren Durchschnittsalter durch mein Dazukommen auf unter sechzig fiel. Nun ging es vor allem darum, zumindest für eine Weile Selbstbeherrschung zu zeigen und Fehler zu machen – auf die Gefahr hin, dass man mich für einen Idioten hielt -, um so später besser abkassieren zu können. Ich musste also so tun, als hätte ich noch nie in meinem Leben Hold’em gespielt. Texas Hold’em ist eine Variante des Seven-Card Stud, die seit über einem Jahrzehnt bei den besten Profis der Welt als kultivierteste und anspruchsvollste der vielen Pokervarianten gilt. Es ist schnell und einfach zu erlernen und doch äußerst komplex zu spielen.

Jeder Spieler erhält zwei verdeckte Karten, mit denen er versuchen muss, fünf Gemeinschaftskarten – das Board – zu verbessern, welche nach und nach in der Mitte des Tischs auf-gedeckt werden. Dazu gibt es vier Wettrunden. Die erste Runde findet nach dem Geben statt und testet sozusagen die Qualität der beiden verdeckten Karten, die jeder Spieler vor sich hat (die Pocket Cards oder Handkarten). Die zweite Wettrunde folgt im Anschluss an das Aufdecken der ersten drei Gemeinschaftskarten (auch bekannt als Flop), eine weitere Runde nach dem Aufdecken der vierten Gemeinschaftskarte (Turn oder Fourth Street genannt) und die vierte und entscheidende Wettrunde nach dem Aufdecken der fünften Karte (River oder Fifth Street).

Muss ich beide verdeckten Karten spielen?, fragte ich den Geber, während ich mich auf meinem Platz niederließ und 200 Dollar in Chips so vor mir aufbaute, als wäre dies mein einziger weltlicher Besitz. Nein, Sir, kam die überraschend geduldige Antwort. Es ist auch möglich, nur mit einer Karte zu spielen. Und natürlich kann das Board gewinnen.

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