Ende der Geschichte eines Pokerspielers und seine Spielstrategien Teil I
Während ich das Training für meinen Kampf um den Weltmeistertitel aufnahm, das vorwiegend aus intensiven Riffelübungen bestand, gestaltete sich der Umgang mit dem Seelenklempner zunehmend schwieriger. In unserer letzten Sitzung vor Vegas hatte er es endlich auf den Punkt gebracht, auf den er schon so lange hingearbeitet hatte. Abgesehen von einem hamletartigen Bestreben, meinen Vater zu rächen, verbargen sich keine offensichtlichen Kindheitstraumata hinter meiner Pokerleidenschaft – die als solche vollkommen gesund sei, wie er betonte. Doch der Wendepunkt, der mich vom sporadischen und laienhaften Pokeramateur zum engagierten, entschlossenen und zuweilen zwanghaften Spieler hatte werden lassen, müsse wohl in den Iden des März 1982 stattgefunden haben.
Es ist eine lange, verzwickte Geschichte, bei der es um private und öffentliche Meinungsverschiedenheiten mit Rupert Murdoch ging, dem Besitzer der Londoner Times, bei der ich seinerzeit als Stellvertretender Chefredakteur des Feuilletons gearbeitet hatte. Bei der Wahrheitsfindung in dieser Angelegenheit sind bereits zu viele Wälder abgeholzt worden, daher möchte ich Ihnen die Details ersparen. Nur so viel sei gesagt: Im März 1 982 kam es zu meiner fristlosen Kündigung bei Murdoch – und damit letztlich zum Ende meiner Zeitungskarriere. Binnen vierundzwanzig turbulenter Stunden wurde aus einem gut bezahlten aufsteigenden Star der Zeitungsbranche ein arbeitsloser, abgebrannter und besorgter Familienvater mit drei Kindern.
Nach einiger Zeit war ich allerdings froh über den letztlich erfolgreichen Wechsel vom Journalisten zum Autor – und dachte sogar daran, Murdoch einen ironischen Dankesbrief zu schicken. Bei dieser Äußerung zog der Seelenklempner jedoch zweifelnd die Augenbrauen hoch und forderte mehr Ehrlichkeit ein: Seiner Ansicht nach schien sich meine gesunde Skepsis im Hinblick auf den Journalismus wie auf das Leben nach diesem beruflichen Einschnitt in Zynismus verwandelt zu haben – und Poker wurde für mich zum Ersatz für größere, wichtigere Spiele mit höherem Einsatz.
Der entscheidende Punkt war, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben von zu Hause aus arbeitete. Nach jahrelangen Adrenalinstößen in Zeitungsredaktionen, wo ein gewisser Erfolgshunger zum Überleben notwendig ist, fand ich nun Geschmack an einem eher einsamen Dasein.
Allerdings musste ich diesen Erfolgshunger jetzt eine ganze Woche lang aufbauen, damit ich für die Dienstagabendrunde bereit war. Während das Tuesday Night Game einst eine angenehme kleine Flucht aus der realen Welt gewesen war, nahm es nun eine übergroße Bedeutung in meinem Alltag ein – und wurde vermutlich sogar zu meiner realen Welt. Wie andere träge, selbstständig arbeitende Teilnehmer dieser Runde plante ich mir meine Woche um diesen geheiligten Pokerabend herum, wobei die Vorfreude darauf von Tag zu Tag stieg, bis ich es kaum noch aushielt. Nach und nach erkannte ich, wieso die anderen Dienstagabendspieler den Rest der Woche so häufig miteinander telefonierten. Plötzlich führte auch ich bereits am Mittwochmorgen langwierige Analysen durch, die sich im Laufe der Woche allmählich in atemlose Anrufe zum Abgleichen von Zahlen und Austragungsorten für das nächste Spiel verwandelten. Jeder Gewinn erzeugte ein berauschendes Hochgefühl; jeder Verlust führte zu tagelangen Selbstzweifeln und Hoffnungslosigkeit.
Einst war ich ein vielbeschäftigter leitender Angestellter einer Zeitung gewesen, der Gefallen an seiner Arbeit hatte und regelmäßig vom Crony mit der Aussage genervt wurde, dass der Dienstagabend das einzige noch verbliebene Spannungsmoment in meinem Leben sei. Mittlerweile fand ich, dass der gute Al noch untertrieben hatte. Der Seelenklempner zog eine bedenkliche Miene. Was sagte das über mich aus? Über die jeweilige Bedeutung, die das Pokerspiel, meine Arbeit und die Menschen einnahmen, die ich liebte? War ich wirklich so zufrieden mit meinem Los, wie ich behauptete? Selbstverständlich wolle er keine Bewertung abgeben; es sei jedoch eine Überlegung wert, meine wahren Werte neu zu überdenken, ehe sie unwiderruflich den Göttern des grünen Tuchs zum Opfer fielen.
Das ging mir alles ein bisschen zu nahe, so dass ich die Sitzungen mit dem Seelenklempner bis auf weiteres beendete, ehe ich mich auf den Weg zur Concorde Lounge in Heathrow machte, um mich auf mein letztes großes Abenteuer zu begeben. Dennoch fühlte ich mich irgendwie geläutert. Das pure Vergnügen des hinter mir liegenden Jahres überwog alle Befürchtungen, dass das Pokerspiel von meiner Seele Besitz ergriffen haben könnte. Ganz im Gegenteil. Während ich mich an der kostenlosen Cocktailbar eindeckte und im Spiegel an der Wand mein mitgenommenes Erscheinungsbild betrachtete, hatte ich das Gefühl, dem Pokerspiel endlich seinen klar umrissenen Platz in meinem Leben zugewiesen zu haben. Zwar hatte ich mich tatsächlich zu sehr darauf verlassen, dass Pokern mir durch meine wilden Jahre helfen würde. Aber der Seelenklempner hatte sein Geld dadurch verdient, dass er mir half, alles ins rechte Licht zu rücken.
Zufallsforscher werden ihre Freude daran haben, was als Nächstes geschah. Der Concorde-Flug 001 der British Airways nach New York wurde bereits aufgerufen, während ich mich noch ausgiebig telefonisch von der Puppe verabschiedete. Ganz der kosmopolitische Vielflieger, nippte ich noch beiläufig an meinem Chablis, während andere schon murrend in der Schlange standen. Ich war aber nicht der Einzige, der die dringenden Aufrufe aus den Lautsprechern überhörte. Am Telefon nebenan stand ein leger gekleideter Mann, der unbekümmert mit einem Untergebenen schwatzte, während er die wachsende Panik seiner Frau ignorierte und dabei die Zuversicht ausstrahlte, dass die Maschine notfalls warten würde, bis er sein Gespräch beendet hatte.
Als wir beide schließlich doch dem Aufruf nachkamen, im gleichen Moment auflegten und uns unbeabsichtigt anschauten, erkannte ich, dass es sich ausgerechnet um Rupert Murdoch handelte. Wie bei einem Ertrinkenden liefen vor meinem geistigen Auge sofort und unfreiwillig die Bilder unserer letzten Begegnung ab. Ich hatte Murdoch im Beisein der Queen angebrüllt und damit einen diplomatischen Zwischenfall ausgelöst, an den man sich in gewissen Kreisen noch immer gern erinnert. Woher hätte ich denn auch wissen sollen, dass ich ihm ausgerechnet am Abend meiner Kündigung auf einer Literaturparty über den Weg laufen würde, die mit der Anwesenheit von Mitgliedern der Königsfamilie beehrt wurde?
Die Einzelheiten sind mir irgendwo in meinem Unterbewusstsein abhanden gekommen, doch nach den Worten von Michael Leapman, dem Biographen Murdochs, teilte ich ihm mit, er sei ein äußerst törichter Mensch, worauf Murdoch aufgebracht erwiderte, ich würde nie wieder für ihn arbeiten. Das ist auch gar nicht meine Absicht, habe ich allem An-schein nach erwidert (ziemlich feinsinnig, wie mir scheint). Leapman fährt fort: Holden stürmte davon und schilderte diesen Vorfall einer Runde, zu der auch Prinz Philip gehörte, welcher von Holdens Verwegenheit in Bann geschlagen war. Hmm, beschied Philip den Versammelten unergründlich, ich kannte Murdochs Vater.
An eines erinnere ich mich noch: Als der Prinz mich zu dem Eklat befragte und wissen wollte, ob Murdoch noch im Raum sei, erwiderte ich Da drüben steht er – was Nigel Dempster am nächsten Tag in der Daily Mail zu Da ist der Übeltäter! verwandelte. Später erfuhr ich, dass Murdoch mir die Sache nicht nachtrug, und mit der Zeit verrauchte auch mein Zorn. Doch ich hatte seit diesem ereignisreichen Tag vor sieben Jahren keinen direkten Kontakt mehr mit ihm gehabt. Stattdessen hatte ich das Vergnügen, ihm bei einem langwierigen Vertragspoker um die Serien-Veröffentlichungsrechte zweier von mir verfasster Bücher große Mengen seines Gelds aus der Tasche zu ziehen, wobei ich witzelte, dies kompensiere den goldenen Handschlag, auf den ich verzichtet hatte, indem ich aus seinem Leben verschwunden war. Murdoch hatte in der Zwischenzeit sein weltweites Imperium erweitert und mit anscheinend unerschöpflichen Krediten Filmstudios, Fernsehsender, weitere Zeitungen und Zeitschriften aufgekauft und sogar Satelliten ins All geschickt.
Nun stand er hier in Heathrow, meine persönliche Nemesis, und streckte mir scheinbar freundlich die Hand zur Begrüßung entgegen – genau wie seine Frau Anna, die Romanautorin (der ich zuletzt beim Dinner in Reagans Weißem Haus begegnet war, woran ich sie flugs erinnerte). Was machen Sie denn hier?, setzte Murdoch an, als hätte er mich beim Versuch erwischt, mich an Bord seines Privatjets zu schleichen. Ich fliege nach Amerika, erwiderte ich in einem Tonfall, als hätte ich hinzugefügt: wenn Sie erlauben, Euer Gnaden. Wieso? Um Großbritannien bei der Pokerweltmeisterschaft zu vertreten. Okay, ich übertrieb ein wenig. Aber Murdochs Gesicht erhellte sich. Poker?
Wir drei blieben stehen und ließen die Schlange für Flug 001 davonziehen. In der festen Überzeugung, dass die Concorde in Anbetracht meiner Gesellschaft nicht ohne uns abheben würde, erlaubte ich mir, gegenüber Mrs. Murdoch ein wenig gesprächiger zu werden, und erläuterte ihr den Unterschied zwischen Turnierpoker und richtigem Poker. Was macht einen guten Turnierspieler aus?, wollte sie wissen. Rücksichtslosigkeit und Aggressivität, erklärte ich und deutete mit dem Kopf auf ihren Mann. Er wäre beispielsweise sehr gut darin. Erfreulicherweise lachte sie, während Murdoch deutlich kühler reagierte. Dann beugte sie sich vertrauensvoll, aber noch in Hörweite ihres Mannes vor. Wissen Sie, die Kinder spielen nicht mehr Poker mit ihm. Jedes Mal, wenn er die Karten herausholt, erwidern sie: Lass mal, Dad. Du willst ja immer so sehr gewinnen, dass es uns anderen keinen Spaß mehr macht. Unsinn, schnaubte Murdoch.
Komm schon, Liebling, drängte seine Frau ihn, du weißt doch, dass es so ist. Ich musste da irgendetwas ausgelöst haben. Dreieinhalb Stunden später, im Gepäckbereich des New Yorker John F. Kennedy Aiport, war ich absurderweise hocherfreut, dass mein Koffer eher auf dem Gepäckkreisel erschien als der von Murdoch. Bei unserem Abschied winkte ich ihm selbstgefällig zu, diesem unglaublich reichen internationalen Tycoon, der inmitten der breiten Masse hin und her lief, um einen Blick auf das langsam vorbeirollende Gepäck zu erhaschen, und der genau wie wir Normalsterblichen mit den Widrigkeiten eines Langstreckenflugs zu kämpfen hatte.
Mir fiel auf, dass die Bereiche vor der Einwanderungsstelle an internationalen Flughäfen, wo selbst die prominentesten Promis ihrer Lakaien beraubt sind, zu den wenigen noch verbleibenden Orten auf Erden zählen, an denen alle Menschen tatsächlich gleich sind. Dieser winzige Triumph markierte für mich ein passendes Ende von sieben Jahren Angst und bildete eine nette visuelle Stütze für meinen psychologischen Triumph über die Pokerdämonen. Am nächsten Tag erzählte ich die Geschichte bei einem großartigen Abendessen in Manhattan mit Harold Evans – genau jener Redakteur, dessen Entlassung meinen Streit mit Murdoch überhaupt erst ausgelöst hatte und der mich kurz zuvor mit Spielkapital für die Pokerkreuzfahrt ausgerüstet hatte.
Harry und seine Frau Tina Brown, die überaus erfolgreiche Herausgeberin von Vanity Fair, feierten die Romanveröffentlichung eines Freundes, wie nur die Manhattan-Schickeria zu feiern versteht. Während ich ein weiteres Mal triumphierend Abschied von Murdoch nahm, nickten unter anderem Irving Swifty Lazar, Superagent der Stars, und Ahmet Ertegun, der Chef von Atlantic Records (der mich bis dahin mit Spieleranekdoten aus seiner ärmlichen Jugend gefesselt hatte) zustimmend. Ach ja, das Gepäckband ist schon ein großer Gleichmacher, seufzte Ertegun mit Nachdruck, als ich die Pointe erreicht hatte. Genau wie sein Landsmann und Konkurrent Kerry Packer ist Murdoch auch außerhalb der Dienstzeit ein ebenso leidenschaftlicher Spieler wie im Geschäftsleben. Im Gegensatz dazu hielt Ertegun es mit Donald Trump und meinte, er würde nicht einmal spielen, wenn es um sein Leben ginge.
Erfolgreiche Geschäftsleute, die sich ihre erste Million auf die harte Tour verdient haben, versuchen ihr Vermögen möglichst auf die sanfte Tour zu vermehren – sie spielen nur, wenn sie sich ihrer Sache sicher sind. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht gespielt, erzählt Trump in seiner aufschlussreich betitelten Autobiographie Die Kunst des Erfolges. Für mich ist ein Spieler jemand, der an Spielautomaten steht. Ich ziehe es vor, diese Spielautomaten zu besitzen. Es zahlt sich immer aus, die Bank zu sein.
Dieses Apercu kommt bezeichnenderweise von dem Mann, dem ein großer Teil von Atlantic City gehört. Aber mich kann Trump nicht zum Narren halten. So redet er einige Seiten später auf unerträglich selbstzufriedene Weise genau wie Doyle Brunson: Geld war für mich nie das Wichtigste; es dient lediglich dazu, den Spielstand anzuzeigen. Die echte Spannung liegt darin, das Spiel zu spielen. Trump versteht es sogar, sich nicht von einem Siegerblatt aus der Fassung bringen zu lassen, das an ihm vorbeigegangen ist: Ich zerbreche mir nicht lange den Kopf darüber, was ich hätte anders machen sollen oder was als Nächstes passieren wird.
Ein weiterer seiner Gesammelten Gedanken könnte auch von einem erfahrenen Pokerprofi stammen: Ich mache es nicht wegen des Geldes. Ich habe genug, viel mehr als ich je benötigen werde. Ich mache es des Machens wegen … Geschäftsabschlüsse sind meine Kunstform. Trumps Witz und Weisheit reichten gerade einmal für die Zeit bis zum Start der Maschine nach Vegas, so dass ich den Rest des Flugs damit verbrachte, noch einmal Sklansky zu lesen. Konnte jemand wirklich so tight spielen? Wie zur Bestätigung entpuppte sich mein Lesezeichen als ein Merkzettel, den ich mir vor einem halben Jahr bei meiner trübsinnigen Abreise aus dem Horseshoe zu Weihnachten selbst geschrieben hatte:
Wenn du bei der World Series von 1 989 besser als auf dem neunzigsten Platz abschneiden möchtest, dann spiele nur A-A/A-K/K-K/A-QJ10 von dergleichen Farbe, und Pärchen, wenn du dir an letzter Position billig den Flop anschauen kannst. Sonst nichts, nicht einmal A-x von dergleichen Farbe oder K-Q – es sei denn, sie sind von dergleichen Farbe und du kannst dir billig den Flop an- sehen. Geh auf dem Turn mit großer Vorsicht ans Werk. Vor allem aber verlier deinen Platz nicht, selbst wenn das bedeutet, Siegblätter wegzuwerfen. Denk an Slims Ratschlag: Wer das beste Blatt nicht wegwerfen kann, kann nicht pokern.
In was für einem Gefühlszustand musste ich mich damals befunden haben! Doch als die Maschine zum Landeanflug auf Las Vegas ansetzte, stellte ich entsetzt fest, dass mich dieses Gefühl erneut überkam. Meine übliche Begeisterung über den wunder-baren Blick auf die Stadt wurde getrübt von einem neuen und ungewohnten Sinnesreiz: nervöse Erwartung. Das Gefühl unguter Vorahnung, das mich nun überwältigte, hatte ich in keiner Weise erwartet. Plötzlich verstand ich, warum alle Olympiateilnehmer oder Golf- und Tennisprofis, die am Schauplatz des alles entscheidenden Höhepunkts ihres Sportjahres eintreffen, etwas von einer Verabredung mit dem Schicksal faseln. Die sonst so vertraute Landschaft erschien mir plötzlich unpersönlich, ja feindlich – das Gefühl der Sicherheit, das mir dieses Nachhausekommen sonst vermittelte, wurde verdrängt von der Sorge vor den Dingen, die vor mir lagen.
Vegas war für mich seit jeher mit einem gefährlichen Nervenkitzel verbunden gewesen; nun ging eine Bedrohung von der Stadt aus. Natürlich erwartete mich bereits die Limousine des Horseshoe. Dieses Mal begrüßte Hank mich nicht als schnorrenden Journalisten, sondern als rechtmäßigen, in der Rangliste geführten Teilnehmer an der Weltmeisterschaft. Er wünschte mir viel Glück und kutschierte mich in die Stadt, wie zu einer rituellen Enthauptung. Meine gewohnte Suite im Horseshoe fühlte sich jetzt an wie die Umkleidekabine eines Boxers oder wie der Bunker, von dem aus ein General einen zum Scheitern verurteilten Feldzug führt. Offensichtlich hatte ich ein Problem mit meiner Einstellung – und mir blieben nur fünf Tage, um daran etwas zu ändern.
Selbst ein Gewinn von 500 Dollar bei einem Satellitenturnier, den ich mir an meinem wie gewohnt leicht überdrehten ersten Abend sicherte, ließ meine Moral nicht steigen. Im Horseshoe wimmelte es nur so von Geistern aus meiner jüngsten Vergangenheit, was meine unguten Vorahnungen nur noch verstärkte. Trump nicht zum Narren halten. So redet er einige Seiten später auf unerträglich selbstzufriedene Weise genau wie Doyle Brunson: Geld war für mich nie das Wichtigste; es dient lediglich dazu, den Spielstand anzuzeigen. Die echte Spannung liegt darin, das Spiel zu spielen. Trump versteht es sogar, sich nicht von einem Siegerblatt aus der Fassung bringen zu lassen, das an ihm vorbeigegangen ist: Ich zerbreche mir nicht lange den Kopf darüber, was ich hätte anders machen sollen oder was als Nächstes passieren wird..
Ein weiterer seiner Gesammelten Gedanken könnte auch von einem erfahrenen Pokerprofi stammen: Ich mache es nicht wegen des Geldes. Ich habe genug, viel mehr als ich je benötigen werde. Ich mache es des Machens wegen … Geschäftsabschlüsse sind meine Kunstform. Trumps Witz und Weisheit reichten gerade einmal für die Zeit bis zum Start der Maschine nach Vegas, so dass ich den Rest des Flugs damit verbrachte, noch einmal Sklansky zu lesen. Konnte jemand wirklich so tight spielen? Wie zur Bestätigung entpuppte sich mein Lesezeichen als ein Merkzettel, den ich mir vor einem halben Jahr bei meiner trübsinnigen Abreise aus dem Horseshoe zu Weihnachten selbst geschrieben hatte:
Wenn du bei der World Series von 1 989 besser als auf dem neunzigsten Platz abschneiden möchtest, dann spiele nur A-A/A-K/K-K/A-QJ10 von der gleichen Farbe, und Pärchen, wenn du dir an letzter Position billig den Flop anschauen kannst. Sonst nichts, nicht einmal A-x von dergleichen Farbe oder K-Q – es sei denn, sie sind von dergleichen Farbe und du kannst dir billig den Flop an- sehen. Geh auf dem Turn mit großer Vorsicht ans Werk. Vor allem aber verlier deinen Platz nicht, selbst wenn das bedeutet, Siegblätter wegzuwerfen. Denk an Slims Ratschlag: Wer das beste Blatt nicht wegwerfen kann, kann nicht pokern.
In was für einem Gefühlszustand musste ich mich damals befunden haben! Doch als die Maschine zum Landeanflug auf Las Vegas ansetzte, stellte ich entsetzt fest, dass mich dieses Gefühl erneut überkam. Meine übliche Begeisterung über den wunderbaren Blick auf die Stadt wurde getrübt von einem neuen und ungewohnten Sinnesreiz: nervöse Erwartung. Das Gefühl unguter Vorahnung, das mich nun überwältigte, hatte ich in keiner Weise erwartet. Plötzlich verstand ich, warum alle Olympiateilnehmer oder Golf- und Tennisprofis, die am Schauplatz des alles entscheidenden Höhepunkts ihres Sportjahres eintreffen, etwas von einer Verabredung mit dem Schicksal faseln.
Die sonst so vertraute Landschaft erschien mir plötzlich unpersönlich, ja feindlich – das Gefühl der Sicherheit, das mir dieses Nachhausekommen sonst vermittelte, wurde verdrängt von der Sorge vor den Dingen, die vor mir lagen. Vegas war für mich seit jeher mit einem gefährlichen Nervenkitzel verbunden gewesen; nun ging eine Bedrohung von der Stadt aus. Natürlich erwartete mich bereits die Limousine des Horseshoe. Dieses Mal begrüßte Hank mich nicht als schnorrenden Journalisten, sondern als rechtmäßigen, in der Rangliste geführten Teilnehmer an der Weltmeisterschaft. Er wünschte mir viel Glück und kutschierte mich in die Stadt, wie zu einer rituellen Enthauptung.
Meine gewohnte Suite im Horseshoe fühlte sich jetzt an wie die Umkleidekabine eines Boxers oder wie der Bunker, von dem aus ein General einen zum Scheitern verurteilten Feldzug führt. Offensichtlich hatte ich ein Problem mit meiner Einstellung – und mir blieben nur fünf Tage, um daran etwas zu ändern. Selbst ein Gewinn von 500 Dollar bei einem Satellitenturnier, den ich mir an meinem wie gewohnt leicht überdrehten ersten Abend sicherte, ließ meine Moral nicht steigen. Im Horseshoe wimmelte es nur so von Geistern aus meiner jüngsten Vergangenheit, was meine unguten Vorahnungen nur noch verstärkte.
Das Binion’s erschien mir wie der Bayeuxteppich meines Profi-jahrs: Ich sah Eric Drache und Phil Hellmuth, die schon auf Malta dabei gewesen waren; Bulldog Sykes und die Jungs von der Hall of Farne; Amarillo Slim und Perry Green vom Februar im Caesar’s; Dave Bellucci, Andrew Tahoe und Donnacha O’Dea von meinem Ausflug nach Marokko; T. J. Cloutier und Seymour Liebowitz aus der Lobby des Hilton in Lafayette; Johnny Moss, der mich an meine ruhmreichen Ostertage erinnerte, und Sam Petrillo, Barbara Enright und diverse Kalifornier von der Kreuzfahrt. Sie waren eine Reinkarnation von Chaucers Pilgern, die schließlich den Weg in ein neues Canterbury gefunden hatten. Anwesend war auch der Daily Telegraph, und zwar in Gestalt von David Spanier – was mich daran erinnerte, wie alles angefangen hatte.
Im Verlauf des Abendessens scherzte er, er sei jetzt der Holden-Korrespondent des Telegraph. In der aktuellen Ausgabe wäre bereits eine Vorschau auf die World Series mitsamt Einschätzung meiner Chancen erschienen, und ab jetzt würde er täglich Berichte über mein Abschneiden nach Hause senden. Tief im Inneren hatte ich die Vermutung, dass eine Kurzmeldung ausreichen würde. Am nächsten Tag, nachdem ich die besagten 500 Dollar geistesabwesend am $ 20/$ 40-Tisch wieder verloren hatte, fühlte ich mich in so schlechter Form, dass ich mich zum ersten Mal überhaupt in Las Vegas aus dem Casino fortstahl und ins Kino ging. Als die Lichter nach Mississippi Burning wieder angingen, sah ich mit Schrecken, dass ich der einzige Weiße im Publikum war, und fand mich im Geiste schon mit der Lynchjustiz ab, zu der der Film die schwarzen Kinobesucher zu berechtigen schien.
Obwohl ich nur drei Straßenzüge vom Horseshoe entfernt war, erfuhr ich später, dass ich es fertiggebracht hatte, direkt in die Kampfzone von Glitter Gulch zu marschieren. Da ich in den elf Jahren meiner bisherigen Besuche in Downtown Las Vegas nie mehr als einen Block zu Fuß gegangen war, hatte ich nicht einmal gewusst, dass es hier so etwas gab. Es kostete mich gewaltige Anstrengung, mich zusammenzureißen und den $ 20/$ 40-Jungs meine verlorenen 500 Dollar wieder abzunehmen. Diese magische Zahl entwickelte sich rasch zu einer Art symbolischem Spielraum für mögliche Fehler.
Doch nach wie vor befand sich meine Zuversicht in puncto Weltmeisterschaft auf dem Tiefpunkt. Irgendwie konnte ich das Gefühl verlorener Unschuld nicht abschütteln – das Gefühl, dass ich als Amateur, in fröhlicher Verkennung der Tatsachen, besser dran gewesen war. Hatte ich zu viel gelernt, um beim Big One gut abzuschneiden? Wie um alles in der Welt hatte ich es im vergangenen Jahr nur fertiggebracht, Neunzigster zu werden? Mein zwanzigster Platz zu Weihnachten, als ich mich entspannt genug fühlte, um an zwei Turnieren gleichzeitig teilzunehmen, erschien mir plötzlich wie eine Erinnerung aus einem früheren Leben. Seinerzeit hatte ich mir nicht viel darauf eingebildet, sondern war einfach davon ausgegangen, dass dies auf dem Weg an die Weltspitze dazugehörte.
Im Rückblick erschien mir die damalige Platzierung eher wie der Leistungshöhepunkt meines Pokerjahres – ein Moment, den ich seinerzeit ausgiebiger hätte genießen sollen. Aber vielleicht würde mich das Medienturnier im Vorfeld der Meisterschaft aufmuntern – zumindest deutete sich das bei der Einschreibung an (ich war als Vertreter der Times dabei – und damit im Auftrag von Rupert Murdoch …). Hey, der Typ ist ein Pro!, protestierte Bill Bulldog Sykes, als ich den Platz neben ihm bezog. Mit uns am Tisch saß auch eine spitzbübische alte Dame, die sich mit viel Glück ständig Pots sicherte und dann Sprüche losließ wie: Ich hab’s doch gleich gesagt! Das stehe ich nicht lange durch, murmelte Bulldog. Die alte Dame gab ihm Recht, indem sie ihn aus dem Turnier warf.
Zwei anstrengende Stunden später hatte ich es bis an den Finaltisch geschafft, erlitt dort jedoch ziemlich schnell Schiffbruch, ebenfalls gegen die gewiefte Tricoteuse. Neunter von neunzig Teilnehmern: bescheiden im Plus, mit hart verdienten 150 Dollar, dazu eine schicke, seidig glänzende World-Series-Jacke. Nicht schlecht für den Anfang. Darüber hinaus war es mir gelungen, mich bei Spanier für die Demütigung des vergangenen Jahres zu rächen. So konnte es weitergehen. Nach einem Glas noch billigeren Champagners als im letzten Jahr erreichte ich an diesem Abend ein weiteres, so lang gehegtes Ziel, dass ich nicht gewagt hatte, jemandem davon zu erzählen: