Dreister Zugriff im Lotto – Millionen für die Politik
Kultur ist in Deutschland Ländersache, aber bei wichtigen nationalen Projekten mischte vor allem Helmut Kohls Mannschaft gerne mit. Insbesondere die Geschichte, das wissen alle, ist das große Steckenpferd des ehemaligen Kanzlers. Berlin, das historische Zentrum der Republik, half da gerne mit: Das Deutsche Historische Museum (DHM) erhielt zwischen 1992 und 1994 rund sechs Millionen € von der DKLB-Stiftung: für drei Ausstellungen, darunter eine über Die Ufa – ein deutsches Bilderimperiumsowie den Erwerb der deutschen Fassung der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung (430 000 €). Auch in den folgenden Jahren summierten sich die Lottomittel beim DHM auf mehrere Millionen €. Sabine Weisler weiß: Die schwimmen im Geld. Das DHM bekomme auch Mittel aus Bonn. Die haben eine ganz starke Lobby. Sowohl CDU als auch SPD hätten das DHM immer befürwortet. Alice Ströver meinte, das DHM wird bevorzugt bedient, weil es das Prestigeobjekt Kohls in Berlin ist, DHM-Chef Christoph Stölzl hatte ja bekanntermaßen einen direkten Draht zum Kanzler gehabt. Die tageszeitung nannte Stölzl einmal einen ziemlich rechten Knochen der Museumslandschaft, und Stölzl, den der CDU-Kanzler als Chef der Staatlichen Sammlung Preußischer Kulturbesitz durchdrücken wollte, kokettiert selbst offenbar mit der Bezeichnung Reaktionär.
Das DHM jedenfalls wurde vom Stiftungsrat stets gut bedient. Die Opposition im Abgeordnetenhaus kolportierte den Verdacht, Diepgen selbst würde sich für des Kanzlers Anliegen verwenden. Doch Diepgen schwor, er würde sich mit den Mitgliedern des Stiftungsrats nicht über alle Einzelheiten ihrer Bewilligungspraxis auseinandersetzen. Manchmal macht er es aber doch, und es sei möglich, dass er sich für das DHM interessiere. In einem anderen Fall erklärte er 1996: Wenn ich selber ein ganz spezielles Interesse habe, dann gehe ich zum Telefon. Das werde ich auch in Zukunft so machen. In welchen Fällen das sein könnte, behielt Diepgen für sich.
Der Regierende Bürgermeister und seine CDU scheuen sich nicht, Lottomittel auch für politische Zielsetzungen einzusetzen. Die Gesellschaft für Deutschlandforschung e. V. (GfD), gegründet 1978, wollte im Bewußtsein der offenen deutschen Frage ihre Aufgaben erfüllen. Zum Vorstand gehören bekannte Historiker wie Gerhard Ritter und Jens Hacker (Deutsche Irrtümer: Schönfärber und Helfershelfer der SED-Diktatur im Westen). Die GfD will sich, so hieß es im März 1998 auf der 20-Jahr-Feier, mit dem noch vorhandenen totalitären und kommandowirtschaftlichen Denken beschäftigen. Zum Jubiläum sprachen Wolfgang Schäuble (CDU) sowie der Berliner Historiker Ernst Nolte, in der Öffentlichkeit bekannt geworden im sogenannten Historikerstreit um die Bewertung des Nationalsozialismus. Programmatisch erklärte die GfD schon 1991, es sei nun Aufgabe, einer beginnenden DDR-Nostalgie schon in den Anfängen entgegenzutreten.
Doch Bonn musste sparen, und der Innenausschuss des Bundestags ließ den Titel 0602-68511, die Förderung der zeitgeschichtlichen und integrationsbegleitenden Deutschlandforschung, fallen. Für die GfD hatte das unmittelbare Folgen. Die Existenz der Geschäftsstelle stand auf dem Spiel und damit der ganze Verein: Falls es hier nicht zu einer befriedigenden Lösung komme, so notierte der Protokollant am 4. März 1993 auf der Hauptversammlung, müsse Mitte 1993 eine außerordentliche Mitgliederversammlung über Weiterarbeit oder Auflösung der GfD entscheiden. Gleichzeitig wurde der Vorstand aufgefordert, auch weiterhin alle Anstrengungen zu unternehmen, um die weitere Existenz zu sichern. Für diesen Fall waren allerlei Feinheiten zu beachten, etwa diese: Falls eine Auflösung beschlossen werden sollte, sollte der Auflösungstermin auf den 28. Februar 1994 gelegt werden, um der Geschäftsführerin […] eine zusammenhängende zehnjährige Beschäftigung zu sichern.
Am 25. Januar 1994 konnte der Vorstand in einem Rundbrief Entwarnung geben, denn seine Bemühungen hatten Erfolg: Durch eine Zuwendung der Stiftung Klassenlotterie Berlin können die geplanten Tagungen durchgeführt werden. 96 000 € aus dem Topf des Regierenden Bürgermeisters retteten den Verein, im dritten Quartal 1994 spendierte Eberhard Diepgen noch einmal 90 000 € – Zuschuss zur Finanzierung von sechs wissenschaftlichen Fachtagungen. Näher brauchten die Projekte in diesem Fall nicht beschrieben zu werden. Das materielle Über
leben, freute sich der Vorstand, sei gesichert. Hinzu kommen sollten Mittel der Bundeszentrale für politische Bildung. Für die Geschäftsführerin reichten die Mittel dennoch nicht. Sie musste gehen, in aller Freundschaft: Es gelang, sie bei einer wissenschaftlichen Einrichtung in Potsdam unterzubringen. Weiterhin werde sie in ihrer Freizeit der GfD zur Verfügung stehen – für Buchhaltung und Mitgliederbetreuung. Übrigens: Die Senatskanzlei ist Mitglied der Gesellschaft und bezahlte 1997 6000 € Mitgliedsbeitrag.
Der Journalist Mathew D. Rose hat den Kern des Berliner Filzes in einer Gruppe um den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen ausgemacht. Entstanden sei die Crew Anfang der sechziger Jahre an der Freien Universität. Neben Diepgen, damals Mitglied einer schlagenden Verbindung, und Landowsky gehörten als wichtigste Mitglieder zur K-Gruppe: Gero Pfennig (damals MdB), mit dem die beiden nach Studienende eine Anwaltskanzlei gründeten, Peter Kittelmann (heute Europa-Abgeordneter), Heinrich Lummer (ehemaliges MdB), der inzwischen verstorbene CDU-Schatzmeister und Abgeordnete Jürgen Wohlrabe, die Senatoren Jürgen Klemann und Peter Radunski. Filz ist da überall, meint Alice Ströver. Die kennen sich alle seit mehr als 20 Jahren. Die Viererbande – sie zählt dazu: Diepgen, Kittelmann, Landowsky und Radunski – habe schon als RCDS-Gruppe im AStA der Freien Universität zusammengearbeitet. Sie und ihre politischen Freunde haben heute ein dichtes Netz gespannt, das Banken, Immobilienfirmen, Vereine wie den LTTC Rot-Weiß e. V. und auch Kultureinrichtungen einbindet.
Einer der Treffpunkte der Gruppe war der Förderkreis Junge Politik e.V.. Er soll laut Satzung der Verbreitung christlich-demokratischen Gedankenguts durch Herausgabe von Druckschriften dienen. Er setzt sich zur Aufgabe, auf das politische Geschehen und das gesellschaftliche
Leben aus christlicher Verantwortung Einfluß zu nehmen. Es ist Ziel des Vereins, insbesondere die junge Generation für den demokratischen Staat und die politische Arbeit zu gewinnen. Dies geschah mit den Blättern für junge Politik, die 1961 als Chefredakteur vier Monate lang Peter Schiwy betreute, später Hermann Oberländer (heute Geschäftsführer neuer Hotels in Berlin-Mitte) und dessen Chef vom Dienst Joachim Kramarz (Autor eines Werks über Claus Graf Stauffenberg, heute Vorsitzender der Theatergemeinde Berlin/B randenburg).
Mitglieder des Förderkreises Junge Politik e.V. sind a) die jeweiligen Mitglieder des Landesvorstands der Jungen Union Berlin, b) die von der Mitgliederversammlung gewählten Bewerber.
In den achtziger Jahren wurde der Vereinszweck erweitert. Als letzte Maßnahme, wie die Jugend für die christlich-demokratische Politik gewonnen werden soll, wurde vermerkt: Errichtung und Betrieb von Studentenwohnheimen und Jugendfreizeitheimen. Zur Renovierung des Studentenheims in der Suarezstraße 15 gab es immer wieder hohe Summen aus dem Filzfonds (Mathew D. Rose): rund 1,1 Millionen € zwischen 1985 und 1986, rund 900 000 € im vierten Quartal 1992, 743 000 € als zweite Rate im Frühjahr 1993 und noch einmal 680 000 € Anfang 1996. Kein anderes Studentenwohnheim Berlins erhielt jemals Lottomittel zugeteilt. Weil offenbar im Rahmen der Antes-Affäre eine Spende des Bauunternehmers Kurt Franke beim Förderkreis landete, erkannte Rose gewisse Ähnlichkeiten mit einer Geldwaschanlage.
Seine perfekteste Ausprägung aber hat der Berliner Parteienfilz mit einer Änderung des Lotteriegesetzes gefunden. Seit 1974 dürfen in der Hauptstadt nicht nur soziale, karitative, kulturelle und sportliche Vorhaben gefördert werden, sondern auch staatsbürgerliche. Jährlich jeweils 1,715 Millionen € schiebt der Stiftungsrat heute den Stiftungen von CDU (Zuschuss zur Durchführung von div. bildungspolitischen Tagungen und bilateralen Veranstaltungen in und für Berlin) und SPD (Zuschuss für die Fortführung der politischen Bildungsarbeit in und für Berlin) zu, die von FDP (Zuschuss zur Fortsetzung staatsbürgerlicher Bildungsarbeit) und Bündnis 90/Die Grünen (Zuschuss zur Fortsetzung politischer Bildungsarbeit) erhalten je 735 000 €. Die PDS-Stiftung erhält nichts, und so kann von einem konzertierten Zugriff der etablierten Politik auf die Lottomillionen gesprochen werden. Dass diesen gefräßigen Einrichtungen 618 Millionen € (1997) nicht genug sind, die sie ohnehin schon aus Steuermitteln bekommen, ist ein Skandal. Dutzende von kleinen Einrichtungen stellen jährlich vergeblich Anträge bei der Stiftung, weil die Mittel nicht ausreichen, alle Antragsteller zu bedienen. Das Gesetz, das dies erlaubt, haben die Berliner Regierungspolitiker gemacht, die Begutachtung in den Senaten übernehmen deren Beamte, und der Stiftungsrat, in dem sechs Politiker der Regierungsparteien sitzen, segnet die Dauerförderung für deren regionale Parteistiftungen schließlich ab.
Weil das offenbar immer noch nicht reicht, erhielt die Konrad-Adenauer-Stiftung im Mai 1998 die Zusage für weitere 350 000 € für die Ausstattung ihrer Berliner Dependance im Tiergarten. 24 Millionen € hat der Bau gekostet. Warum die Lottostiftung für die Ausstattung der Konferenzräume und die Konferenzanlage noch ein paar hunderttausend € zuschießen musste, die an anderer Stelle fehlen, ist nicht einzusehen. Zur Eröffnung der feinen Schachtel (Architekt Thomas van den Valentyn) am 25. Juli war nicht nur Helmut Kohl anwesend, sondern auch Eberhard Diepgen. Er wünschte sich immer gut besuchte Gartenpartys wie diese. Paul Wink, Direktor der Konrad- Adenauer-Stiftung in Berlin, freute sich sehr über die Geste, für die ich mich bei den Verantwortlichen bedankt habe. Im übrigen sei in diesem Jahr nicht nur die Konrad- Adenauer-Stiftung bedacht worden, verteidigt er die Gabe. Der Stiftungsrat habe eine Million € Ausstattungszuschuss für die politischen Stiftungen beiseite gelegt, die nach Bedarf vergeben würden. Offenbar soll damit der Umzug nach Berlin auch für die Stiftungen attraktiver gestaltet werden. Die Heinrich-Böll-Stiftung ist schon hier. Die Friedrich-Ebert-Stiftung baut, und die Friedrich-Nau- mann-Stiftung bereitet sich auf den Umzug vor. Auf sie wartet schon ein Begrüßungsgeld – von Berlins Lottospielern.