Die Geschichte eines Zockers in Poker Europa Teil II – erfahren Sie mehr
Der gute Pokerspieler ist sich einer ganz bestimmten Tatsache bewusst, die ein Witzbold einmal so formulierte: Dass ein Spieler beim echten Poker nicht jede Hand spielen muss, ist so sicher wie ein Aktienpaket von General Motors. Mit anderen Worten: Der gute Pokerspieler wird aus einem Pot aussteigen, ohne Geld aufzugeben, wenn sein Blatt nicht gut ist; der schlechtere Spieler wird dafür bezahlen, weiterspielen zu dürfen – in der Hoffnung, dass er genau die wundersamen Karten bekommt, die er zur Verbesserung seines Blatts benötigt. Hat der gute Pokerspieler gute Karten, spielt er natürlich. Das tut der schlechtere Spieler ebenfalls, in der Hoffnung, dass sein Glück zurückkehrt. Doch genau das passiert niemals. Also beschloss irgendwann in Toledo, Ohio, einer jener schlechteren Spieler, dieses Verhältnis sei ungerecht und die schlechteren Spieler sollten einen Vorteil bekommen.
Darum erfand er das Jacks-or-Better, eine Variante des Draw Poker, bei dem alle Spieler gezwungen sind, vor dem Geben einen Einsatz zu bringen, bei dem aber nur ein Spieler mit einem Paar Buben oder einem besseren Blatt die Wettrunde eröffnen kann. Somit gewann die zufällige Verteilung der Karten an Bedeutung, auf Kosten der psychologischen Fähigkeiten beim eigentlichen Spiel. Von hier aus war es nur noch ein kleiner Schritt zu Wild Cards (Joker) und dem scheinbar unendlichen Spektrum von Varianten wie Mexican Flip, Fiery Cross, Spit in the Ocean, die heute in Pokerschulen auf der ganzen Welt gespielt werden. Profis nennen diese Varianten Micky Mouse Games, und ein alter Hase hat sie einmal müde so beschrieben:
Es sind Schandtaten von Menschen, die keine Lust mehr haben, der Mona Lisa einen Schnurrbart aufzumalen. Beim Tuesday Night Poker werden mit schöner Regelmäßigkeit solche Micky-Maus-Varianten gespielt und Neueinsteiger mit Eigengewächsen verwirrt wie The Don’s Game (Bunkerkarten und gleichartige Karten sind Joker, sofern sie als Paar auftreten), The Thinking Man’s Game (Five-Card Stud mit einem Kartentausch am Ende) und sogar Big Cross (eine Spezialversion von Fiery Cross, was im Grunde auf eine Partie Omaha mit fünf Handkarten und zwei Flops hinausläuft). Am Neujahrstag, nach meiner Rückkehr vom Hall-of-Fame-Turnier im Binion’s, war Levy’s Game der neueste Schrei – eine Variante des Draw Poker, benannt nach dem Londoner Spieler, der es erfunden hatte.
Beim Levy’s Game erhält wie beim ursprünglichen Draw Poker jeder Spieler fünf verdeckte Karten; dann folgt eine Setz-runde, nach der die noch im Spiel Verbliebenen so viele Karten eintauschen können, wie sie wollen. Statt nun wie beim Draw Poker mit einer weiteren Setzrunde abzuschließen, sieht Levy’s fünf weitere Runden vor. Nach dem Ziehen ordnen die Spieler ihre Karten in der Reihenfolge an, in der sie sie aufdecken möchten. Das tun sie dann auch, eine nach der anderen, und tätigen dabei jedes Mal einen Einsatz. Aber das ist immer noch nicht alles: Haben alle ihren Einsatz auf die vierte aufgedeckte Karte gebracht, können die Spieler eine beliebige Karte austauschen, aufgedeckt oder nicht. Ach ja, Levy’s ist übrigens High-Low, d. h., nach der letzten Wettrunde folgen die Ansagen, worauf der Pot zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Blatt geteilt wird.
Außerdem gilt das Wheel oder Rad – was bedeutet, dass ein Straight oder Flush hoch und/oder niedrig zählen kann, wobei A 2-3-4-5 das beste niedrige Blatt ist. Um den gesamten Pot zu gewinnen, muss man jedoch sowohl die hohen als auch die niedrigen Blätter gewinnen. Wenn ein Spieler dies ansagt – in der Regel mit dem besten niedrigen Blatt – und eines der beiden Blätter verliert, verliert er alles. An diesem Dienstag beschwerte ich mich gerade wieder einmal darüber, wie absurd dieses Levy’s Game doch war, als ich A-2-4-5 von Karo sowie die Pik-Zehn auf die Hand bekam.
Dieses Blatt garantierte mir natürlich jede Menge Action, denn schließlich hielt ich ja bereits vier perfekte Karten zum Aufdecken auf der Hand – ganz egal, was ich sonst noch an Karten bekommen würde.
Selbst wenn sich mein Tausch als nutzlos erwies, konnte ich die schlechte fünfte Karte im Bunker belassen und hatte immer noch gute Siegchancen; außerdem blieb mir noch die Möglichkeit, ein weiteres Mal zu tauschen, falls die Situation es erforderte. Ein solches Blatt kann sich als extrem kostspielig erweisen, wenn man beide Male schlecht tauscht und jemand anderes beschließt, sich auf einen Showdown einzulassen. Insgeheim verwünschte ich die Verlockungen der Hand, als ich meine Pik-Zehn eintauschte gegen eine … Karo-Drei. Damit hielt ich den perfekten High-Low Straight Flush auf der Hand – ein so seltenes Bild, dass ich mich davon abhalten musste, die Karten ungläubig anzustarren.
Jetzt musste es mir nur noch gelingen, das Maximum aus diesem Blatt herauszuholen. Ich versuchte so gerissen an die Sache heranzugehen wie möglich, ließ erst einmal das Ass im Bunker und drehte zunächst die Fünf um. Das niedrige Herz zu meiner Linken setzte, worauf drei andere Spieler mitgingen, darunter ich. Es war noch zu früh für eine Erhöhung – ich wollte die anderen nicht aus der Hand verjagen, sondern dafür sorgen, dass der Bursche zu meiner Linken weiterhin den Takt angab. Nachdem ich die Karo-Vier umgedreht hatte, kam der nächste Einsatz ebenfalls von ihm und lag bereits in dreistelliger Höhe. Als schließlich alle vier unserer offenen Karten zu sehen waren, waren immer noch drei Spieler in der Hand. Ich spielte mein Blatt nach wie vor verhalten, und trotzdem hatten wir bereits den Höchsteinsatz von 500 Pfund pro Wettrunde erreicht.
Offenbar hatte der Kerl zu meiner Linken ein hohes Blatt – vier nicht miteinander verbundene Herz, darunter das Ass. Und zu meiner Rechten kristallisierte sich offenkundig ein niedriges Blatt heraus: 2-3-4 … 6! Dank der Sechs wusste ich bereits, dass ich diese Hand in beide Richtungen gewonnen hatte – und noch standen zwei Wettrunden an, vor und nach dem Kartentausch. Es hätte nicht besser laufen können. Bis jetzt hatte der Herz- Flush sämtliche Erhöhungen der Einsätze übernommen. Mir konnte es nur recht sein, dass beide Gegner in der Hand blieben, damit ich sie beide ausnehmen konnte. Daher brachte ich erstmals in der Runde vor dem Eintauschen eine Erhöhung – das Maximum natürlich – und gab ihnen damit etwas zum Nachdenken. Unter diesen Umständen nicht zu tauschen, ist häufig ein Bluff oder das Sicherheitsspiel eines Spielers mit einem niedrigen Blatt, etwa ab der Sieben abwärts. Als ich darauf verzichtete, meine Bunkerkarte auszutauschen, schauten mich die beiden anderen lange und eindringlich an, bevor sie sich dazu entschlossen, ihre Karten ebenfalls zu behalten.
Der Flush mit dem Ass als hohe Karte war wahrscheinlich echt; beim niedrigen Blatt handelte es sich vermutlich auch um eine Straße – und der Besitzer fragte sich gerade, ob einer oder beide Gegner blufften. Wie erwartet, setzte der Flush das Maximum, worauf 2-3-4-6 mitging und sich dabei gefragt haben muss, ob er diesen Riesenpot in beide Richtungen gewonnen hatte. Als ich erneut erhöhte, schienen sie beide erstmals das Schlimmste zu befürchten, gingen aber nichtsdestotrotz mit. Als ich beide Richtungen ansagte und das verborgene Ass aufdeckte, das mir zu einem perfekten, unschlagbaren High-Low- Blatt verhalf, schnappten die Zuschauer am Tisch erstaunt nach Luft, und jemand rief: Gott sei Dank bin ich rechtzeitig ausgestiegen! Der Pot, den ich einstrich, belief sich auf insgesamt 9 340 Pfund, davon über sechstausend Pfund Nettogewinn.
Es war der größte Pot in der Geschichte des Tuesday Night Game, groß genug, um Vegas in den Schatten zu stellen – und er unterstrich meine Ansicht zum Thema Micky-Maus-Poker: Wenn er das beste Blatt findet und die Glücksgöttin ein paar anderen Spielern ebenfalls gute Blätter auf die Hand gibt, kann nicht mal ein Roboter so eine Hand verlieren. Das liebe ich am Glücksspiel. Die Chancen auf ein solches Blatt standen 1:64 973. Den Rest des Abends stellte ich Berechnungen darüber an, dass ich nach fünfzehn Jahren Dienstagsabendrunde wahrscheinlich genau die 64 974ste Hand erwischt hatte. Mein wahres Glück aber hatte darin bestanden, dass zwei Spieler bis zum Ende mitgegangen waren.
Während dieser Gedankenspiele klammerte ich mich natürlich so fest an meinen Gewinn wie an das Leben selbst und ging schließlich mit 6 000 Pfund im Plus nach Hause. Diese langatmige (aber wunderbar wehmütige) Einleitung soll nur als Erklärung dafür dienen, warum die nächste Szene plötzlich an einem sonnenverwöhnten Strand auf der Karibik-insel St. Lucia spielt: Dort verbrachten die Puppe und ich nämlich Mitte Januar einen Straight Flush von einem Urlaub und ließen bei ein paar Banana Daiquiris die Erkenntnisse des Seelenklempners auf uns wirken. Auch wenn dieser Urlaub zweifellos ein ordentliches Loch in meine Pokerkasse riss, erwies er sich dennoch als gute Investition. Um uns herum sahen wir nur Beweise dafür, dass alle Menschen Glücksspieler sind. Der leitende Konzernmitarbeiter, der in aller Öffentlichkeit seine Geliebte zur Schau stellte; der Börsenmakler von der Wall Street, der nie sein Mobiltelefon aus der Hand legte und selbst am Pool unaufhörlich handelte; der kleine Politiker, der den Tag der Amtseinfühung des neuen amerikanischen Präsidenten auskostete – sie alle bestätigten meine Theorie, dass wir alle irgendwie mit unserem Leben spielen.
Ehegatten, die ihre jeweiligen Partner betrügen, lassen sich zum Beispiel auf ein Glücksspiel mit genau kalkulierten Risiken ein. Zunächst einmal sind die Quoten auf ihrer Seite: Beide haben das Spiel des Zusammenlebens lange genug gespielt, um zu wissen, mit welchem Einsatz sie davonkommen. Außerdem wissen sie, was sie tun müssen, um die Aufmerksamkeit von ihrem abweichenden Verhalten abzulenken – manchmal genügt schon eine so einfache Finte wie ein Blumenstrauß. Diese Leute sind zu wahren Meistern in der Kunst des Bluffens geworden. Wie erfahrene Pokerspieler spielen sie die Person, die sie kennen, anstatt das Blatt, das die Person auf der Hand hat – sie spielen den Menschen statt die Karten. Wie schwache Pokerspieler jedoch werden sie dabei im Laufe der Zeit übertrieben selbstsicher.
Untreue Ehegatten haben kein Problem damit, ihre Untreue in Einklang mit ihrem eigenen Gewissen zu bringen. Sie reden sich ein, dass sie sich nicht zu rechtfertigen brauchten und dass ein gelegentliches Fremdgehen keine Bedeutung für den Zustand ihrer Ehe hätte. Damit täuschen sie sich natürlich selbst – wie der Spieler, der auf eine Hand auf dem Board setzt. Die Quoten legen den Schluss nahe, dass die ganze Sache herauskommt und am Ende teuer bezahlt werden muss. Ein Bluff ist jedoch nicht nur ein Akt der List: Im Leben wie beim Pokern handelt es sich in der Regel auch um einen Akt der Aggression. Große unternehmerische Transaktionen – Übernahmen, Fusionen, Neugründungen, die Einfluss nehmen auf die persönliche Finanzlage zahlloser unschuldiger Aktionäre – ähneln unvermeidlicherweise Pokerpartien: Eine Seite erhöht den Einsatz, und die andere Seite fragt sich, ob dieser letzte Schritt ein Bluff war und ob man besser mitgehen oder aussteigen sollte.
Für die meisten Firmenangestellten, die sich auf ihrem Weg nach oben auf zweifelhafte Deals einlassen, gehört die Kunst des Bluffens zum alltäglichen Berufsrisiko. Für Politiker ist ein Bluff fester Bestandteil ihrer Trickkiste. Die erfolgreichsten Politiker sind definitionsgemäß diejenigen, die am effektivsten – und vielIeicht am häufigsten – geblufft haben und die am wenigsten zum Aufdecken ihrer Karten gezwungen wurden. Es ist kein Zufall, dass viele amerikanische Präsidenten Experten in Sachen Poker waren. Wie ein oder zwei Episoden aus der jüngeren Geschichte zeigen, könnte das Spiel durchaus als erforderliche berufsbezogene Ausbildung in die Verfassung aufgenommen werden.
Seit George Washington in seinem Notizbuch eine Seite mit der Überschrift Karten und andere Spiele führte und darin in den drei Jahren bis zum 1. Januar 1 775 einen Gewinn von 6 Pfund, 3 Shilling und 30 Cent verzeichnete, haben sich hervorragende Kenntnisse des amerikanischen Lieblingsspiels geradezu zu einer Grundvoraussetzung für die Führer dieses Landes entwickelt. Einer der Dozenten von Richard Nixon am Whittier College in Kalifornien formulierte es so: Ein Mann, der bei einem hochklassigen Pokerspiel kein Geld verdienen kann, taugt nicht als Präsident der Vereinigten Staaten.
Nixon scheint diesem Rat Beachtung geschenkt zu haben, denn er lernte während seiner Zeit bei der Marine das Pokern und spielte dabei mit der für ihn typischen Entschlossenheit und List. Nach Aussage eines seiner Offizierskameraden fragte Nick Nixon ihn eines Tages, ob es beim Poker eine todsichere Methode gäbe, um zu gewinnen. Ich erklärte ihm, dass ich keine todsichere Methode kannte, aber eine Theorie entwickelt hatte, wie man Draw Poker spielen musste. Sie lautete, dass man nie im Spiel bleiben darf, wenn man nicht genau weiß, dass man zum Zeitpunkt des Kartentauschs alle anderen am Tisch schlägt. Nick gefiel meine Antwort, und ich gab ihm seinen ersten Pokerunterricht. Wir beide spielten vier oder fünf Tage lang Poker ohne Geld, bis er die diversen Varianten gelernt hatte. Schon bald war er richtig gut.
Er erhöhte immer erst, wenn er davon überzeugt war, das beste Blatt auf der Hand zu haben. Dwight Eisenhower, seit frühester Jugend ein solider Poker-spieler, erinnerte sich einmal daran, wie unbehaglich ihm zumute war, anderen Soldaten ihr Geld abzunehmen: Als ich feststellte, dass manche Offiziere um mich herum mehr Geld verloren, als sie sich erlauben konnten, hörte ich auf. Anders sein zukünftiger Vizepräsident: Nixon gewann in seinen ersten beiden Monaten bei der Marine 6 000 Dollar und blieb auch danach auf der Siegerstraße. Nick war ein guter Pokerspieler, wenn nicht sogar der beste, den wir je erlebt hatten, bezeugte eines seiner Opfer. Er spielte unauffällig, hatte aber auch keine Angst davor, es darauf ankommen zu lassen. Und er schreckte nicht vor einem Bluff zurück. Manchmal gingen die Einsätze ziemlich hoch, doch Nick besaß die nötige Kühnheit und das Gespür dafür, was zu tun war.
Nixon verriet später, dass seine Gewinne aus Navy-Zeiten ihm seinen ersten Wahlkampf finanzierten, bei dem er 1 946 gegen Jerry Voorhis um den Einzug in den Kongress antrat. Mit anderen Worten: Poker bildete das Sprungbrett für Nixons politische Karriere. Man könnte aber auch sagen, dass Poker ihn ins Verderben führte. Während der Watergate-Affäre 1973/74 hätte Nixon sich an seine eigenen Pokerregeln halten sollen: Bleib nie im Spiel, wenn du nicht schon vor dem Kartentausch alle und jeden schlägst – und erhöhe nur dann den Einsatz, wenn du genau weißt, dass du das beste Blatt auf der Hand hast. Die Vertuschung von Watergate war offensichtlich der größte Bluff, an dem sich Nixon je versucht hatte. Dabei verfolgte er eine durch und durch aggressive Strategie: Wenn er Macht und Ansehen der Präsidentschaft auf die Verschleierung der Affäre setzte, so kalkulierte er, standen seine Chancen gut, dass der Kongress es nicht wagen würde, ihn zum Aufdecken seines Blatts zu zwingen.
Doch Nixon machte bei seinen Überlegungen einen verhängnisvollen Fehler: Pokerspieler, die erfolgreich bluffen, zeigen ihre Karten niemals den anderen Spielern – und sie machen darüber schon gar keine Aufzeichnungen für die Nachwelt. David Spanier, damals selbst Korrespondent in Washington, erkannte diesen grundlegenden Fehler in seinem Buch Total Poker:
Letztendlich scheiterte der Bluff, weil die Hände in Form von Tonbändern [des Weißen Hauses] aufgenommen worden waren. Deshalb flog die versuchte Verschleierung am Ende auf Wären die Bänder zerstört statt bearbeitet worden, hätte der Kongress wahrscheinlich nicht den Mut aufgebracht, einen Antrag auf Amtsenthebung zu stellen, und Richard Nixon wäre mit seinem größten Bluff durchgekommen.
Poker bildete auch den Hintergrund für eine der bedeutendsten Entscheidungen eines US-Präsidenten im 20. Jahrhundert. Auf der Rückreise von der Potsdamer Konferenz 1 945, während er mit der Frage rang, ob er eine Atombombe auf Japan werfen lassen sollte, entspannte sich Harry Truman damit, die Reporter des Weißen Hauses auszunehmen, die mit ihm an Bord des Kreuzers Augusta den Atlantik überquerten. Warum in aller Welt lasst ihr den Präsidenten nicht mal in Ruhe?, wollte Außenminister James F. Byrnes von den akkreditierten Journalisten wissen. Er braucht auch einmal Zeit für etwas anderes als Poker.
Wir sollen ihn in Ruhe lassen?, erwiderte der Korrespondent von United Press, Merriman Smith. Wir fangen nicht mit dem Pokern an. Er tut das. Truman, noch keine vier Monate im Amt und erschöpft von wochenlangen harten Verhandlungen, wollte entspannen, während er seine apokalyptische Entscheidung abwog. Byrnes, das wusste er, stimmte ganz und gar nicht mit ihm überein. In seinem Bericht über die Reise schrieb Smith, Truman habe den Großteil der Woche seinen eigenen Außenminister mit einer Verschleppungstaktik hingehalten, wobei er ein Kartenspiel und einen Stapel Chips benutzte, um längeren Unterhaltungen mit Byrnes aus dem Weg zu gehen – Byrnes war ein willensstarker Mann aus South Carolina, der sich später in einem lautstarken politischen Streit mit dem Präsidenten überwarf.
Truman spielte morgens, mittags und abends mit den Presseleuten Poker. Die Einsätze waren hoch – Pot Limit – und beliefen sich häufig auf Hunderte von Dollar. Derweil wartete Byrnes auf eine Gelegenheit zu einem ausführlichen Gespräch mit dem Präsidenten, doch Mr. Truman hatte nur frühmorgens vor dem Frühstück sowie zu den Mahlzeiten Zeit. Die Pokerrunde an Bord begann offenbar bereits um 8.30 Uhr und setzte sich bis Mitternacht fort, unterbrochen lediglich von Mittag- und Abendessen. Eines Morgens holte eine Marine- Ordonnanz die Pressevertreter noch vor acht Uhr aus dem Bett und teilte ihnen mit, sie sollten sich binnen fünfzehn Minuten in Trumans Kabine einfinden. Mein Gott, beschwerte sich einer der Reporter, warum spielen wir nicht die Nacht durch, anstatt zu so unchristlicher Stunde anzufangen?
Doch dieser Termin hatte nichts mit Poker zu tun. Der Präsident gab uns vielmehr einen sehr detaillierten Überblick über die Entwicklung der Atombombe und den bevorstehenden Abwurf auf Hiroshima. Nachdem er uns dieses Geheimnis zur späteren Veröffentlichung verraten hatte, kamen wieder Karten und Chips auf den Tisch. Truman war der große Gewinner dieser Pokerrunden. Doch Smith stellte an seinem Präsidenten eine grundlegende freundliche Ader fest. Beim Spiel mit den vergleichsweise schlecht bezahlten Reportern war es dem Präsidenten peinlich, wenn er einen Kontrahenten zu viel abnahm; also spielte er unmögliche Hände, um seine Gewinne wieder in die Runde einfließen zu lassen.
Doch er hatte so viel Glück, dass er bei diesen Versuchen manchmal in der Mitte offene Straßen komplettierte und auf diese Weise nur noch mehr gewann. Nie habe ich ihn deutlich verlieren sehen, schrieb Smith. Von Trumans Verhalten am Pokertisch lernte der Reporter eine Menge über den Mann selbst und zog daraus seine Schlüsse über Trumans späteren Umgang mit politischen Problemen. Er zögerte nicht, wenn es darum ging, kalkulierte Risiken einzugehen. Er spielte ein direktes, aggressives Spiel und bluffte offensichtlich nur aus spielerischem Vergnügen oder Langeweile, wenn er eine ganze Weile nur mittelmäßige Blätter bekommen hatte. Sein Spiel gründete mehr auf der Analyse seiner Mitspieler als auf den Karten selbst. Ironisch fügte Smith später hinzu: Ich kenne niemanden, der während einer Pokerpartie jemals Staatsgeheimnisse von Mr. Truman erfahren hätte – außer vielleicht die Schrecken erregende Tatsache, dass ein Paar Asse zwei Könige schlagen.