Umweltlotterie, wie die Länder ihre Pfründen verteidigen
In einem jahrelangen Ringen haben zehn grüne Verbände 1998 ihren ersten Punktsieg errungen: Seit Mai 1994 bemühten sich UNICEF, Deutsche Welthungerhilfe, Bund Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND), Terre des Hommes, World Wildlife Fund (WWF), Greenpeace, Deutscher Naturschutzring, Naturschutzbund, Kindernothilfe und Misereor darum, eine Umwelt- und Entwicklungslotterie gründen zu dürfen. Das Konzept steht seit langem: Vorbild ist die niederländische Nationale Postcode Loterij. Gleich den bestehenden Lotterien in ARD und ZDF sollte die neue Lotterie in Zusammenhang mit einem kommerziellen TV-Sender (die ARD hatte schon 1995 ein Kooperationsangebot ausgeschlagen) veranstaltet werden. Doch alle Bundesländer mauerten. Am 12. Juni 1998 hat das Verwaltungsgericht Hannover das Land Niedersachsen verpflichtet, der Arbeitsgemeinschaft Neue Bundeslotterie für Umwelt und Entwicklung eine Genehmigung zu erteilen.
Alle Diskussionen in den Länderparlamenten zeigen: Die neue Bundeslotterie für Umwelt und Entwicklung wird als Konkurrenz betrachtet, die Antragsteller rannten gegen geschlossene Türen an. Beispielhaft ein Schreiben des Stuttgarter Innenministeriums, das im Einvernehmen mit dem Finanzministerium und mit dem Umweltministerium eine Anträge des SPD-Abgeordneten Wolfgang Drexler beantwortete:
Die ständige Konferenz der Innenminister und -Senatoren der Länder hat am 25. November 1994 einstimmig folgenden Beschluss gefasst:
Zu bundesweiten Lotterien gemeinnütziger Träger ist die Innenministerkonferenz folgender Auffassung:
1. Das Bedürfnis der Bevölkerung, an solchen Lotterien teilzunehmen, wird gegenwärtig weitgehend befriedigt.
2. Ein gemeinnütziger Zweck stellt selbst kein Legitimationselement für die Zulassung einer Lotterie dar, sondern ist vielmehr nur eine der weiteren Voraussetzungen für ihre Genehmigungsfähigkeit.
3. Es sollen möglichst wenig Lotterien gleichzeitig veranstaltet werden.
4. Anträge auf Genehmigung weiterer Lotterien sind nach diesen Maßgaben im Einzelfall zu prüfen. Sofern neue gemeinnützige Zwecke gefördert werden sollen, sind sie vorrangig in bestehende Lotterien einzubeziehen.
Die Schwaben schlugen deshalb vor, den Umweltbereich in der Glücksspirale zu berücksichtigen, was die Finanzministerkonferenz im September 1997 als Vorschlag übernahm. Weiter unten im Schreiben wird deutlich geäußert, was die Finanzminister befürchten: Es ist davon auszugehen, dass sich durch eine neue bundesweite Lotterie das Spielaufkommen und damit die Reinerträge nicht bedeutend erhöhen würden, sondern die Spieleinsätze sich nur auf mehr Lotterien verteilen würden. In diesem Fall wäre nicht sichergestellt, dass der Zweck bestehender Lotterieveranstaltungen ungeschmälert weiter verwirklicht werden könnte.
In der Tat: Würden die Tipper den Veranstalter wechseln, weil er ihnen klar erkärt, wofür seine Einsätze verwendet werden, wären die Länderfinanzminister die Verlierer. Die holländischen Erfahrungen sind anders: Die Einsätze für die Umweltlotterie gingen nicht zu Lasten der Staatslotterien, sondern auch diese konnten ihre Zahlen verbessern. Allerdings wüßten die Upper, wohin ihr Geld geht: Die neue Bundeslotterie soll Mittel einspielen, um die Arbeit der erwähnten Verbände unterstützen zu können, aber auch Umweltprojekte und Entwicklungshilfemaßnahmen kleiner Träger. Wir versuchen durch unsere Initiative nur das zu bekommen, erläutert Projektleiter Udo Weiß, was Sport und Wohlfahrtsverbände schon seit Jahrzehnten in Milliardenbeträgen bekommen.
Weiß, der früher Geschäftsführer des WWF war, beklagt eine staatliche Verhinderungsstrategie, die sich folgendermaßen gestaltet: Alle Landesregierungen, die sich mit der Frage einer Genehmigung einer Umweltlotterie beschäftigen mussten, sahen für diese keinen Bedarf. Außerdem dürfe der Spieltrieb nicht weiter angefacht werden. Das ist ja lächerlich angesichts der mehr als 100 Millionen €, die bei Lotto für Werbung ausgegeben werden, meint Weiß. Nach dieser ersten Verteidigungsmauer wurde die nächste errichtet: Niedersachsen, wo die Umweltlotterie zuerst eingeführt werden sollte, veranstaltete ein eigenes Bingo-Lotto zugunsten des Umwelt- und Naturschutzes. Das Innenministerium hat das Projekt einer eigenständigen Umweltlotterie gegenüber diesem Bingo- Lotto stets benachteiligt. In einem Ablehnungsbescheid an die Arbeitsgemeinschaft hieß es, dass ein hinreichendes öffentliches Bedürfnis nicht ersichtlich ist. Zum schließlich nach nur zehn Monaten genehmigten Bingo-Lotto meinte dasselbe Haus, ein öffentliches Interesse kann bei wohl-wollender Betrachtung gerade noch unterstellt werden. Was den Gesinnungswandel erzeugt hat, geht aus einem Siе reiben des Innenministers an den Hamburger Innensenator hervor:
Mit der Bingo-Lotterie soll ein neues Lotteriespiel eingeführt werden, das ein vermutetes Spielbedürfnis abdecken soll, das von den bestehenden Angeboten nicht erfasst wird. […] Daneben wird mit der Zweckbestimmung >Umwelt< ein von der Gesellschaft als wichtig erkannter Bereich gefördert. [...] Forderungen nach einer Öffnung des Lotteriewesens stehen weiterhin im Raum, so dass es für die Toto- und Lottounternehmen zukunftsorientiert sinnvoll sein kann, Lücken in ihren Angeboten zu schließen. 120 000 Niedersachen erwarben für dieses Bingo- Lotto pro Runde ein Los. Es kostet fünf €, außerdem eine Bearbeitungsgebühr von 50 Pfennig. Die Zweckerträge werden durch die Lottostiftung vergeben, die nach Meinung der Geschäftsführer von UNICEF und BUND, Dietrich Garlichs und Winfried Pickler, schon aufgrund der Zusammensetzung ihrer Gremien eine kompetente Mittelvergabe für Umweltprojekte kaum sicherstellen kann. Die Vertreter der Umweltverbände und der Entwicklungsorganisationen haben im Verhältnis zu den Vertretern der Parteien und der Übrigen Verbände nur eine Minderheitsstellung. Das ist nicht korrekt: Rund sechs Millionen € Zweckerträge brachte Bingo bis zum Sommer 1998 ein. Die Lottostiftung vergab 4,7 Millionen € an 222 Projekte: von 150 € für Eulennistkästen bis zu 300 000 €, die der BUND einstecken durfte. Die Organisation baute damit Burg Lenzen um, die nun ein europäisches Zentrum für Auenökologie, Umweltbildung und Besucherinformation becherbergt. Beraten lässt sich die Lottostiftung vom Umwelt rat, dessen Vorsitz Renate Backhaus übernommen hat, die Vorstandsvorsitzende des BUND in Niedersachsen. Neben ihr sitzen im Umweltrat Vertreter des Naturschutzbundes, des WWF, des Landesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz, des Niedersächsischen Heimatbundes, des Vereins Entwicklungspolitischer Initiativen Niedersachsen und des Forums Entwicklungszusammenarbeit Niedersachsen, das im Haus der Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen untergebracht ist. Unter den sechs übrigen Vertretern befindet sich noch die Vorsitzende der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Rebecca Harms. Von einer Minderheit der Umweltverbände und der Entwicklungsorganisationen kann also nicht gesprochen werden. Allerdings berät das Gremium nur, die Entscheidung trifft immer noch der Chef, Lottogeschäftsführer Reinhard Scheibe. Mit 120 000 Mitspielern trägt sich Bingo-Lotto kaum. Erst bei 180 000, hatte die Toto-Lotto-Niedersachsen GmbH zunächst kalkuliert, lohne das Spielangebot. Deshalb, und weil die Bingo-Lotto-Sendungen über N3 ebenfalls in anderen Bundesländern empfangen werden können, will Niedersachsen sein Bingo-Lotto auch in den anderen norddeutschen Ländern anbieten. Doch dagegen wehrten sich zunächst die Gesellschaften in Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. Inzwischen ist die Landesregierung in Kiel aufgesprungen. Allerdings sollen in Schleswig-Holstein nur 20 Prozent der Einsätze für Umweltzwecke abgezweigt werden. In Niedersachsen sind es 25 Prozent. Mecklenburg-Vorpommern schwankte lange. Die Landesregierung hatte ein hinreichendes Bedürfnis nicht gesehen. Außerdem befürchtete sie Verluste von mehr als 100 000 € im Jahr, die mit Gewinnen aus den anderen Lotterien ausgeglichen werden müssten - mit Folgen für den Landeshaushalt, an den in Mecklenburg-Vorpommern alle Lotterieerträge gehen. Auch Niedersachsen hatte offenbar unterm Strich bis Sommer 1998 keine Gewinne eingefahren. Für Mecklenburg-Vorpommern sei wegen des ohnehin geringeren Interesses damit zu rechnen, dass der Losabsatz auf Dauer erheblich unter dem für einen wirtschaftlichen Betrieb der Lotterie notwendigen Absatz bleiben wird. Das erwartete Defizit zu Beginn aus Zweckerträgen zu decken lehnte die Landesregierung ab. Die Spielteilnehmer konnten sich hintergangen fühlen. Allerdings konnten zwei Arbeitskräfte für die Bearbeitung der Anträge aus dem Zweckertrag finanziert werden, meinte die Regierung 150 000 €. Das wäre rund ein Sechstel der jährlich erwarteten Zweckerträge. Da hier ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Verwendung der Lotteriezwecke für Umweltprojekte gegeben ist, bestehen [...] keine Bedenken eines zweckfremden Einsatzes. Diese Einschätzung ist falsch. Die Veranstalter erhalten einen ausreichenden Anteil aus den Einsätzen sowie Bearbeitungsgebühren. Damit sollen die Veranstaltungskosten der Lotterie gedeckt werden, und dazu gehört auch das Verteilen der Mittel. Die Veranstalter der neuen Bundeslotterie wollen 38 Prozent der Einsätze als Zweckerträge verteilen. Das ist annähernd das Doppelte dessen, was staatliche für den guten Zweck abzweigen - sofern dies überhaupt geschieht. Eine Stiftung soll die Zweckerträge verwalten. 70 Prozent sollen an die Verbände gehen, 30 Prozent an eine Stiftung Neues Handeln, die andere Begünstigte aus dem Themenfeld bedienen soll. Kritik an dieser Lösung begegnet Udo Weill mit der Bemerkung, das sei eine heute übliche typische Outsourcing-Lösung. Die Stiftung vermeide damit ein finanzielles Risiko. Und noch ein Argument klingt glaubhaft: Die NGOs [Non-Government Organisations nichtstaatliche Organisationen, P. K.] würden alle ihre Glaubwürdigkeit riskieren, wenn durch die Lotterieveranstaltung Lotterieskandale entstehen. Wermutstropfen für die Spieler: Nur maximal 27 Prozent der Einsätze sollen an die Gewinner gehen. Udo Weiß hebt den guten Zweck hervor und erklärt, die Umweltlotterie sei eine Fundraising-Lotterie und unterscheide sich insofern von allen anderen. Der Staat bekommt nur die Lotteriesteuer, ein Sechstel der Einsätze. An Kosten wurden 18 Prozent kalkuliert, was mehr ist als bei den eingeführten Lotterien. Nach fünf Jahren soll der Kostenanteil auf 15,5 Prozent abgesenkt worden sein. Im Vergleich zum niedersächsischen Bingo- Lotto schneidet die geplante Lotterie allerdings besser ab. Während das Innenministerium den hohen Betriebskostenanteil bei der Umweltlotterie monierte, weist Bingo-Lotto offiziell 18,3 Prozent Kostenanteil aus. Doch selbst diese reichen nicht aus. Für die Finanzierung der TV-Produktion werden auch Rabatte eingesetzt. Ein Vertragsentwurf mit der Bingo-TV Produktions- und Marketing-Gesellschaft mbH sah vor: Die seitens der Bingo-TV akquirierten Sach- preise werden zu Netto-Ladenverkaufspreisen zzgl. Umsatzsteuer an die TLN [Toto-Lotto Niedersachsen GmbH, P. K.] weiterveräußert. Sollten der Bingo-TV beim Erwerb der Sachpreise größere Mengenrabattstaffeln eingeräumt werden, wird sie ab dem 1.4.1998 einen Teil dieser Rabatte an die TLN weitergeben und die Sachpreise damit unter den Netto-Ladenverkaufspreisen an TLN veräußern. Den Beamten des Innenministeriums, die das nicht hinnehmen wollten, wurde beschieden: Die Rabattregelung dient zentral zur Mitfinanzierung der TV-Sendung. Dies ist in allen Gesprächen mit dem Innen- und Finanzministerium deutlich dargestellt und von diesen akzeptiert worden. Die vorliegende Formulierung würde eine Finanzierung der TV-Sendung unmöglich machen und damit die Lotterie verhindern. Mitfinanziert hat auch der NDR: Zur Abgeltung aller auf den NDR zu übertragenden Rechte zahlt der NDR einen Betrag in Höhe von € 920 000 inkl. der gesetzlichen Mehrwertsteuer. In Worten: Deutsche € neunhundertzwanzigtausend. Auch das Verbot von Wirtschaftswerbung im Zusammenhang mit Lotterien wird beim Bingo-Lotto offenbar mißachtet. Die Lotteriereferenten stellten Ende 1996 auf ihrer Tagung in Potsdam fest: Als besonders gravierend wird die Verbindung der Lotterie mit Produktwerbung und Sponsoring angesehen. Das Innenministerium Nordrhein-Westfalen stellte deshalb fest: Soweit ersichtlich, würde auch erstmals eine Lotterie in Kooperation mit der >Wirtschaft< durchgeführt werden. Auch das hessische Innenministerium wunderte sich: Bingo-Lotto gebe den bisher von allen I .ändern vertretenen Grundsatz auf, dass Lotterien nicht mehr mit eigenwirtschaftlichen Interessen verknüpft sein sollen, als durch die Ausstellung gespendeter Sachgewinne unvermeidbar ist. [...] Bei der gesamten für Sonntag von 17.00 bis 18.00 Uhr geplanten Sendung scheint es sich um eine unterhaltende Werbesendung zugunsten umweltfreundlicher Produkte mit Lotterieelementen zu handeln. Und schließlich wunderte sich selbst das niedersächsische Finanzministerium: Im ersten Satz auf Blatt 2 wird verräterischer- und bedenklicherweise die gesamte Sendung im dritten Programm des Norddeutschen Rundfunks als Werbung hingestellt. Bingo-Lotto ging im September 1997 auf den Markt. Neben dem politischen Willen, es so zu machen, war mitentscheidend, wer die Anträge bearbeitete: Der Staatssekretär des zuständigen Innenministeriums sitzt im Aufsichtsrat der Toto-Lotto-Niedersachsen GmbH. Gerhard Schröder, der sich zwar für eine Umweltlotterie ausgesprochen hatte, aber angesiedelt unter dem staatlichen Lotteriedach, ist bekanntlich mit Lottogeschäftsführer Reinhard Scheibe eng befreundet, der einmal Leiter der Staatskanzlei Schröders war. Und die zweite Geschäftsführern) der Toto-Lotto Niedersachsen GmbH, Christiane von Richthofen, ist Mitglied im Verwaltungsrat des NDR.