
Sportwetten-Sucht in Frankreich ANJ startet Aufklärungskampagne bei Roland Garros
Hinter den Etiketten: Frankreichs mutige Kampagne gegen Sportwetten-Sucht
Die rote Asche von Roland Garros steht nicht nur für große Emotionen im Tennissport – sondern auch für einen der vielen Momente im Jahr, in denen Sportwetten ihren Höhepunkt erreichen. Wenn Millionen Zuschauer auf Siege, Satzverläufe oder Breaks setzen, klingeln nicht nur die Kassen der Wettanbieter – es wachsen auch die Risiken. Gerade rechtzeitig zum Beginn des berühmten Grand Slams hat Frankreichs Glücksspielaufsicht ANJ ihre eindringliche Präventionskampagne „Derrière les Étiquettes“ neu gestartet. Doch diesmal kommt sie lauter, sichtbarer und persönlicher daher als je zuvor.
Die Idee hinter der Aktion ist ebenso simpel wie wirkungsvoll: Was sonst klein und unauffällig im Kleingedruckten einer Anzeige steht – die gesetzlich vorgeschriebenen Warnhinweise – wird bei dieser Kampagne zum Mittelpunkt der Kommunikation. Großformatige gelbe Balken mit Sätzen wie „Wetten kann süchtig machen“ überdecken die üblichen Lockmittel. Daneben: echte Geschichten von Menschen, die der Wettleidenschaft nicht widerstehen konnten und ihren sozialen, emotionalen oder finanziellen Halt verloren.
Sportwetten als gefährlichste Spielform
Die jüngsten Zahlen des französischen Observatoriums für Drogen und Abhängigkeit (OFDT) zeigen, wie ernst die Lage ist: Im Jahr 2024 gibt es in Frankreich rund 1,17 Millionen problematische Glücksspieler – darunter etwa 360.000, die als stark gefährdet oder bereits abhängig gelten. Sportwetten stehen dabei an der Spitze des Risikorankings. Sie verzeichnen eine exzessive Spielquote von 5,9 % – das ist sechsmal so hoch wie bei Lotterien.
Warum ausgerechnet Sportwetten? Vielleicht, weil sie sich harmlos anfühlen. Ein Tipp hier, ein Live-Wette da. Schließlich kennt man das Spiel, man glaubt, es einschätzen zu können. Doch gerade diese vermeintliche Kontrolle wird vielen zum Verhängnis. Der Übergang von Unterhaltung zur Obsession verläuft oft schleichend – und für viele unbemerkt.
„Zwei Zeilen reichen nicht“ – wenn Werbung aufrütteln soll
Mit einem mutigen Kampagnen-Motto richtet sich die ANJ direkt an die emotionale Seite der Spieler:
„Zwei Zeilen am unteren Rand einer Anzeige werden niemals ausreichen, um die Geschichte einer Sportwettenabhängigkeit zu erzählen.“
Und genau deshalb stellt die Kampagne diese Zeilen nach oben – ins Sichtfeld. In Zeiten, in denen Werbung oft auf Überredung setzt, versucht diese Aktion, zum Nachdenken anzuregen.
Visuell auffällig, aber inhaltlich tief – die Kampagne setzt auf Authentizität. Die gezeigten Geschichten sind keine Fiktion, sondern basieren auf realen Erfahrungen. Sie erzählen von jungen Männern, die mit Wetten ihre Studienkredite verzockt haben. Von Vätern, die heimlich ihr ganzes Monatsgehalt gesetzt haben. Und von Freundschaften, die durch die Sucht zerbrochen sind.
Evalujeu: Ein digitaler Kompass für gefährdete Spieler
Wer sich angesprochen fühlt oder unsicher ist, ob sein eigenes Spielverhalten noch in einem gesunden Rahmen liegt, wird auf die Plattform Evalujeu verwiesen. Dort kann man anonym sein Spielverhalten analysieren, Fragen beantworten, Risiken einschätzen – und erhält konkrete Empfehlungen. Die Seite ist niedrigschwellig, diskret und bietet nicht nur Selbsthilfe, sondern auch Wege zu professioneller Unterstützung, sowohl für Spieler als auch für Angehörige.
In einer digitalen Welt, in der Wetten mit wenigen Klicks abgeschlossen werden, braucht es auch digitale Lösungen, um Betroffenen Orientierung zu geben. Evalujeu ist ein Schritt in diese Richtung – und Teil eines größeren Plans.
ANJ und der Dreijahresplan gegen Spielsucht
Die Wiederauflage von „Hinter den Etiketten“ ist nicht nur ein Einzelprojekt. Sie ist Teil des umfassenden Strategieplans der ANJ für die Jahre 2024 bis 2026. Ziel: Die Zahl der exzessiven Spieler in Frankreich drastisch zu senken – durch bessere Aufklärung, härtere Regeln und ein gesellschaftliches Umdenken.
Dabei geht es nicht darum, Wetten grundsätzlich zu verbieten. Vielmehr soll ein verantwortungsvoller Umgang gefördert werden – ein Bewusstsein dafür, dass hinter jedem Tipp auch eine Versuchung steckt. Und dass der Weg aus der Sucht nicht mit Schuld beginnt, sondern mit Erkenntnis und Unterstützung.
Wenn Werbung Verantwortung übernimmt
Was die ANJ mit dieser Kampagne zeigt, ist ein bemerkenswerter Ansatz: Statt Werbeplätze zu nutzen, um noch mehr Klicks und Kunden zu generieren, werden sie genutzt, um aufzuklären – laut, sichtbar und unbequem. „Hinter den Etiketten“ ist keine klassische Werbung. Es ist eine Gegenrede zur Branche. Eine Erinnerung daran, dass Glücksspiel nicht immer ein Spiel ist. Und dass zwei gelbe Zeilen manchmal der Anfang einer Geschichte sind – oder ihr letzter Hoffnungsschimmer.
FAQ
Was ist das Ziel der Kampagne „Hinter den Etiketten“?
Die Kampagne möchte auf die oft unterschätzten Risiken von Sportwetten aufmerksam machen und gesetzlich vorgeschriebene Warnhinweise stärker in den Fokus der Öffentlichkeit rücken – unterstützt durch echte Geschichten von Betroffenen.
Wer steckt hinter der Kampagne?
Verantwortlich ist die französische Glücksspielaufsichtsbehörde ANJ (Autorité Nationale des Jeux), die für die Regulierung und Kontrolle des legalen Glücksspiels in Frankreich zuständig ist.
Warum gelten Sportwetten als besonders riskant?
Sportwetten haben laut aktuellen Daten die höchste Quote für problematisches Spielverhalten in Frankreich. Die Mischung aus schnellen Einsätzen, Live-Wetten und der Illusion von Kontrolle macht sie besonders suchtfördernd.
Was ist Evalujeu?
Evalujeu ist eine Online-Plattform, auf der Spieler ihr Wettverhalten analysieren können. Sie bietet eine anonyme Selbstbewertung, individuelle Tipps zur Prävention und Informationen über Hilfeangebote.
Gibt es auch Hilfe für Angehörige?
Ja. Evalujeu und viele weitere Anlaufstellen bieten auch Unterstützung für Familienmitglieder und Freunde, die unter der Spielsucht eines nahestehenden Menschen leiden.