Sportwetten in Deutschland – der unbegrenzte Markt
Keine Frage – ein Mann wie Georg Kotier weiß ziemlich genau, wann es wirklich etwas zu holen gibt. Als einst das Monopol der öffentlich- rechtlichen Fernseh-Platzhirsche fiel, gehörte der heutige Chef des Pay-TV-Giganten Premiere zu den ersten, die sich an den privaten Rundfunk heranwagten. Insofern sollte man den nächsten Clou des umtriebigen Medien-Managers wohl besser ernst nehmen.
Er heißt „Premiere-Win“ und ist ein im August 2005 auf Sendung gegangener Sender, der sich ausschließlich mit Wetten und Gewinnspielen befasst.
Und Kotier wäre nicht Kotier, hätte er nicht auch mit dieser Idee Großes vor. Man wolle, erklärte der Premiere-Chef, eine der Premiummarken im Wettgeschäft werden. Dass man sich dafür bis zu einem möglichen Fall des staatlichen Wettmonopols noch auf Kooperationen einlassen muss, ist für den ambitionierten Sender nicht mehr als ein kleiner Schönheitsfehler. Man sei immerhin startbereit, sollten im Falle einer Liberalisierung neue Lizenzen zu vergeben sein. Und man muss beileibe kein Prophet sein um zu behaupten, dass Kotier auch mit dieser Geschäftsidee ziemlich richtig liegen wird. Spätestens mit der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land, so lauten die Prognosen, sollen die eigentlich so sparwütigen Deutschen endgültig vom Wettfieber erfasst sein denn bis zuletzt galt Deutschland noch als wetttechnisches Entwicklungsland.
Man mag das kaum glauben angesichts der stolz erscheinenden Zahlen, die hierzulande etwa aus dem Jahr 2004 überliefert sind. So belegen Erhebungen, dass sich bis Ende 2005 über zehn Millionen Menschen immerhin schon pauschal für das Thema Wetten interessierten. Mehr als sieben Millionen Deutsche hatten bis dahin schon einmal eine Wette platziert. Bei gut jedem Siebten davon geht die Leidenschaft schon so weit, dass er wöchentlich den einen oder anderen Euro für das Spiel mit den Quoten aufwendet.
Einer Studie der Agentur MECN zufolge wurden im Land der Dichter und Denker 2005 mehr als 30 Milliarden Euro für Glücksspiele aller Art aufgebracht. Immerhin rund zwei Milliarden davon, also gut sieben Prozent, kamen aus dem Bereich der Sportwetten, wie in nachfolgender Grafik abzulesen ist.
Pro Kopf haben die spiellustigen Bundesbürger im Jahr 2004 also durchschnittlich fast 30 Euro für Wetten aufgewendet. Das klingt ordentlich, ist aber im internationalen Vergleich noch denkbar unspektakulär. Hier sehen sich die Deutschen zwar auf Augenhöhe mit den Italienern, doch schon die Nachbarn aus Österreich und Frankreich, ganz zu schweigen von den Wett-Europameistern aus Großbritannien und den Weltmeistern aus Hongkong, erwiesen sich als weitaus risikofreudiger als die Menschen aus dem WM-Gastgeberland von 2006.
Doch glaubt man den Experten, werden die Unterschiede schon bald verwischen. Was nicht unbedingt eine sonderlich gewagte Prognose ist, denn schon der Blick auf die Geschäftsentwicklung von Branchenprimus „bwin“ lässt dies erahnen. Die Österreicher gehören zu den vier privilegierten Unternehmen, die dank einer Lizenz aus DDR- Zeiten schon seit geraumer Weile in Konkurrenz zum Staatsanbieter ODDSET treten dürfen, und seit sie den deutschen Wettmarkt beackern, gingen die Umsätze steil nach oben. 856 Millionen Euro setzte bwin beispielsweise allein im Jahr 2004 um – das ist mehr als 50 Mal soviel wie noch im Jahr 2000! Und es ist immerhin mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr.
Was sind das für beachtliche Steigerungsraten in Zeiten der allgemeinen Rezession! Doch genau so wird es auch in den nächsten Jahren noch weiter gehen, da sind sich die Experten einig. Glaubt man der Agentur MECN, dann werden aus den knapp 2,2 Milliarden Euro Wettumsatz des Jahres 2004 schon im WM-Jahr deren 2,7 Milliarden geworden sein. Bis 2010 könnte sich die Branche mit knapp 5 Milliarden Euro Umsatz noch einmal mehr als verdoppelt haben.
Eine gewaltige Entwicklung. Warum sie so spät kam und kommt hat natürlich viel mit der rechtlichen Situation zu tun. Prinzipiell waren Sportwetten mit dem offiziellen Markteintritt von ODDSET im Jahr 1999 de jure die alleinige Sache dieses Staatsunternehmens. Und natürlich auch jener vier Privatunternehmen, die sich noch eine der begehrten DDR-Lizenzen hatten sichern können. Neben dem heutigen Branchenführer bwin sind dies Sportwetten Gera, Digibet und Interwetten. Wobei die öffentliche Hand so manchen Hebel in Bewegung setzte, um dieses Quartett nach allen Regeln der Kunst in seiner Handlungsfähigkeit einzuschränken. So wurde beispielsweise argumentiert, die Privatunternehmen müssten ihre Aktivitäten auf die Bundesländer beschränken, in denen ihre Lizenz einst ausgestellt worden war. Aber es half nichts – das Monopol war nicht zu halten. Im Gegenteil, die Privaten haben dem Platzhirsch ODDSET inzwischen ein gewaltiges Stück des Wettkuchens abgenommen. Von den knapp 2,2 Milliarden Euro, die laut MECN 2004 auf dem deutschen Wettmarkt umgesetzt wurden, gingen mehr als 1,5 Milliarden schon über die Konten der privaten Anbieter. Das sind über 70 Prozent-die hinter ODDSET stehende Lottogesellschaft musste sich mit mageren 26 Prozent aus Wetten und dem klassischen Toto bescheiden.
Und es wird ganz sicher noch erheblich schlimmer kommen-ganz egal wie sich der deutsche Markt selbst weiterhin entwickeln mag denn das seit einiger Zeit gültige europäische Recht erlaubt Firmen, die in einem Land der Union lizenziert sind, ihre Dienste auch in allen anderen Mitgliedsstaaten anzubieten. Und das gilt längst nicht mehr nur im grenzübergreifenden Internet – seit geraumer Zeit entstehen in deutschen Städten allenthalben neue Wettbuden. Mehr als 2000 solcher Büros sind längst auf deutschem Boden aktiv. Dahinter stehen meist Betreiber aus Malta oder Gibraltar, aber auch britische Wettriesen fallen nur zu gerne über den deutschen Markt her. Alle Versuche von staatlicher Seite, den Umtrieben ein rasches Ende zu bereiten, sind bislang gescheitert. Woran das Verfassungsgericht bereits den ersten Anteil hatte. Bereits im April 2005 verfügten die Karlsruher Richter, dass die deutschen Behörden die Aktivitäten zu dulden haben. Und nun könnten sie eben auch die letzten nationalen Schranken kippen denn das Gericht stellt auf Antrag der Münchner Buchmacherin Irene Katzinger-Göth mit Anspruch auf Endgültigkeit das rigide Sportwetten Gesetz auf den Prüfstand, das das Angebot von Sportwetten in Deutschland bislang zum Schutz der Bevölkerung stark reglementierte. Kippen die Juristen das Gesetz, dann werden die auf den Markt drängenden Privatunternehmen wohl weite Teile der allgemein prognostizierten zusätzlichen Geldströme abschöpfen. Und sei es nur durch erheblich höhere Gewinnausschüttungen, die man im Vergleich zum Staatsanbieter bieten kann denn die Bilanzen zeigen, dass ODDSET von den einmal eingezahlten Beträgen nicht mehr als 58 Prozent wieder an die Wettgewinner zurückzahlt. Die bereits aktiven Privatunternehmen dagegen haben bislang rund drei Viertel der Gelder wieder an die Wetter ausgeschüttet.
Vielleicht hat das ein wenig dazu beigetragen, dass auch die Deutschen so massiv die Faszination dieser Branche erkannt haben. Es ist schließlich nicht wie bei so vielen anderen Varianten der Suche nach dem schnellen Glück. Wie beim klassischen Lotto zum Beispiel, bei dem zwar ein einziger Euro Einsatz schon einen Multimillionär produzieren kann – bei dem sich der Spieler allerdings mit der einigermaßen ernüchternden Gewinnchance von eins zu 140 Millionen konfrontiert sieht. Wer auf Sportereignisse wettet, der hat die Gewinne stets real vor Augen.
Und das schon bei vergleichsweise geringem Risiko. Wer sich etwa zur Vorrundenmitte der Fußball-Bundesliga-Saison 2005/06 schon auf den FC Bayern München als neuen deutschen Meister verstieg, dem stellte bwin für den Erfolgsfall eine Quote von 1,50 in Aussicht. Wem der Rekord-Champion also beispielsweise 100 Euro wert war, dem würde die lange Wartezeit auf den zwanzigsten Titelgewinn der Münchner immerhin mit 150 Euro versüßt. Von spannenden Wochen und Monaten des steten Mitfieberns einmal ganz zu schweigen. Wer mehr will, der muss aber doch auf Überraschungen bauen. 100 Euro etwa auf den FC Schalke 04 versprachen immerhin schon 800 Euro Gewinn-wenn das Team von Trainer Ralf Rangnick tatsächlich dem Abonnementmeister aus München die Meisterschale wegschnappen würde. Wer dagegen noch auf einen, zugegebenermaßen nicht sehr wahrscheinlichen, Durchmarsch dei.1. FC Nürnberg aus der Abstiegszone bis zum Titel setzte, der würde im Erfolgsfall für sein Vertrauen mit immerhin 100.000 Euro belohnt.
Nicht weniger breit fällt die Spanne beim vorgezogenen Blick auf das große Sport-Highlight 2006 aus. Zwar stand im Oktober 2005 noch nicht einmal das vollständige Teilnehmerfeld fest-wer sich trotzdem schon darauf festlegen wollte, dass Titelverteidiger Brasilien erneut das Rennen macht, dem versprach bwin im Falle des sechsten Titelgewinns der Ballzauberer aus Südamerika immerhin den vierfachen Einsatz als Gewinn. 100 Euro auf einen Weltmeister aus Trinidad und Tobago stellten dagegen einen Geldregen von stattlichen 200.000 Euro in Aussicht, wenn dem Antillenstaat die Sensation tatsächlich gelänge. Vergleichsweise bescheiden macht sich da noch der patriotische Tipp aus: Ein Heimsieg der deutschen Nationalmannschaft war gerade einmal den neunfachen Einsatz wert. Nur drei Teams – man höre und staune – trauten die Quotenschreiber des österreichischen Branchenriesen mehr zu als den Schützlingen von Bundestrainer Jürgen Klinsmann.
Zugegeben, man muss schon ein großer Optimist sein oder noch besser reichlich Geldreserven zur Verfügung haben, will man wirklich auf Jahrhundertereignisse wie einen Weltmeister aus Trinidad und Tobago setzen. So sind Außenseitersiege – Otto Rehhagels Griechen haben es erst 2004 mit dem Gewinn der Europameisterschaften bewiesen – zwar keineswegs ausgeschlossen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass sich über eine Saison oder auch ein Turnier hinweg letztlich doch meist die größte Qualität durchsetzt.
Besser stehen die Aktien da schon bei den tagesaktuellen Offerten, die die Anbieter für die wettlustige Kundschaft zu bieten haben. So klar die Kräfteverhältnisse letztlich auch verteilt sein mögen – der Sieg eines vermeintlichen David gegen einen Goliath gehört im Sport fast schon zur Tagesordnung. Selbst die vermeintliche Zwei-Klassen- Gesellschaft Fußball-Bundesliga erlebt kaum einen Spieltag an dem nicht einer der Titelfavoriten mehr oder weniger kräftig Federn lässt. Und im DFB-Pokal vergeht kaum eine Runde, in der nicht das eine oder andere klassentiefere Team einem Platzhirschen ein Bein stellt. Was gerade den Pokal – die kroatischen Betrüger aus dem Berliner Cafe King haben es mit der Partie SC Paderborn gegen Hamburger SV ja vorexerziert – zu einem wahren Paradies für die Freunde des schnellen Glücks macht denn bei besonders deutlichen Klassenunterschieden locken die Wettunternehmen mit hohen Quoten. Wer im erwähnten Fall zur rechten Zeit auf einen Erfolg des Regionalligisten Paderborn setzte, der konnte seinen Einsatz mit etwas Glück sogar verzehnfachen. Wer ein Jahr später darauf setzte, dass sich Zweitligist Erzgebirge Aue in die Linie derjenigen Klubs einreihen würde, die den FC Bayern aus dem zweiten nationalen Klubwettbewerb kickten, der konnte im Erfolgsfall immerhin noch mit dem bis zu neunfachen Einsatz als Gewinn rechnen.
Keine Frage, den risikolosen Griff nach dem großen Geld ermöglicht natürlich auch das Wettgeschäft nicht. Doch im Vergleich etwa zum Kreuzchen-Spiel Lotto ist die Chance erwiesenermaßen größer. Und die sich daraus ergebende Faszination hat nun offenkundig auch die Deutschen voll erfasst. Woran, das zeigt die Erfahrung, noch nicht einmal der Schiedsrichterskandal etwas ändern konnte, der im Winter 2005 das Fußball-Land erschütterte. Im Gegenteil, die Umtriebe von Robert Hoyzer, Ante Sapina und Co. scheinen das Geschäft mit dem schnellen Glück via Wettschein noch merklich angekurbelt zu haben. Ob es wirklich daran liegt, dass man im Rahmen des Skandals bewiesen hat, dass die bestehenden Systeme ein hohes Maß an Sicherheit gegen Manipulationen bieten, wie manch ein Anbieter vermuten wollte? Wahrscheinlicher ist, dass der Fall Hoyzer in Deutschland erst für die ganz große Aufmerksamkeit für das Thema Wetten gesorgt hat. Und das längst nicht nur bei den internationalen Anbietern, die kurioserweise auf die Betrugsmeldungen mit einer verstärkten Aktivität in Deutschland reagierten. Auch die Deutschen selbst scheinen das Thema auf breiter Front erst durch die Betrügereien des jungen Schiedsrichters und seiner Hintermänner für sich entdeckt zu haben.
Was wiederum erahnen lässt, dass es im Lande des WM-Gastgebers 2006 in Zeiten weltweiten Wettbooms noch reichlich Nachholbedarf gegeben hatte – und nach wie vor noch gibt. So wurden in Deutschland 2004 zwar immerhin schon zwei Milliarden Euro bei den verschiedenen Wettanbietern umgesetzt. In Großbritannien brachte man es im gleichen Zeitraum aber auf mehr als doppelt so viel. Was schon einiges aussagt wenn man bedenkt, dass auf der Insel immerhin rund 20 Millionen Menschen weniger leben als in Deutschland. Nun ist es prinzipiell zwar kaum zu erwarten, dass sich die traditionell wettlustigen Briten in ihrem Wettrausch überflügeln lassen, doch könnten zumindest die immer noch gewaltigen Unterschiede schnell verwischen. Gerade wenn die Karlsruher Richter das staatliche Monopol tatsächlich kippen und damit den Weg frei machen sollten für die unzähligen privaten Anbieter, stehen diese schon Gewehr bei Fuß, um die Menschen zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen mit immer reizvolleren Angeboten zu umgarnen, schließlich haben sie sich größtenteils schon jetzt über Kooperationen mit lizenzierten Partnern in Stellung gebracht. Dazu gehören natürlich Anbieter wie Georg Kotier – und der Chef des Pay-TV-Riesen Premiere wusste bekanntlich schon immer, wo Geld zu holen ist.