Privatisierung vom Lotto – der Raub der Lottomillionen
Kein Mensch verkauft seine Wertpapiere, wenn die Rendite hoch ist – außer er ist in Not. Die Bundes- wie auch viele Landesregierungen sind in Not. Alle Haushalte haben Schulden und weisen jährlich weitere aus. Die Bonner wie auch viele Länderregierungen bieten deshalb ihr Tafelsilber feil. Niedersachsens damaliger Ministerpräsident Gerhard Schröder hatte bis 1996 einen Schuldenberg von 65 Milliarden € angehäuft. Knapp 40 Milliarden hatte er von der vorherigen Regierung übernommen, mehr als zwei Milliarden kommen derzeit pro Jahr hinzu. Nach dem Verkauf der Harzwasserwerke an ein Konsortium unter Führung des Energiekonzerns Preussen Elektra verscherbelte das Land im darauffolgenden Jahr seine Mehrheitsbeteiligung an der Lottogesellschaft.
Für knapp 400 Millionen € erwarben die Norddeutsche Landesbank (NordLB) und eine Gesellschaft der niedersächsischen Sparkassen, die Fördergesellschaft des Niedersächsischen Sparkassen- und Giroverbandes mbH & Co., die Anteile des Landes. Das entspricht dem Modell Nordrhein-Westfalens, wo die Westdeutsche Landesbank die Lotteriegeschäfte betreibt. Eine geringe Einlage halten in Niedersachsen weiter die Sportverbände. Andere Interessenten wurden erst gar nicht gehört, obwohl eine höhere Einnahme möglich gewesen wäre. Finanzminister Willi Waike meinte aber, mit Landesbank und Sparkassen sei durch ihre Nähe zur öffentlichen Hand auch für die Zukunft eine zuverlässige Trägerschaft garantiert.
Schon diese Einschätzung muss relativiert werden: Die gescheiterte Fusion der NordLB mit der Bankgesellschaft Berlin hätte die viertgrößte Bank der Republik geschaffen. Die öffentliche Hand hätte nur 71 Prozent gehalten, die nach einer Vereinbarung der Bankvorstände auf 60 Prozent hatten reduziert werden können. Doch Gerhard Schröder Benötigte die Millionen. Der Abgeordnete Erwin Jordan i Bündnis 90/Die Grünen) beklagte im Landtag den Handel und meinte, hier wurde Landesvermögen verschleudert. Nicht einmal der Kaufpreis sei bisher von der Landesregierung schlüssig dargelegt worden.181 Finanzminister Waike nannte als Stammwert des Unternehmens 103,4 Millionen €. Als Wertsteigerung der Gesellschaft, die durch die gelinge Konzessionsabgabe eintrete, verbuchte er 231,4 Millionen €. Bei durchschnittlichen Lohneinsätzen von 800 Millionen € errechnete er allerdings eine jährliche Senkung der Konzessionsabgabe um 32 Millionen €, mithin in 13 Jahren 416 Millionen €. Seine Kalkulation rechnete Waike herunter, indem er einen Abzinsungsfaktor von acht Prozent ansetzte, weil das Land für die Einnahme von 400 Millionen € aus dem Verkauf in den nächsten Jahren keine Schuldzinsen bezahlen müsse.
Kritiker sprachen angesichts dieser Interpretation von einem verdeckten Kredit, weil das Land den höheren Erlös durch einen Verzicht auf künftige Einnahmen erreicht habe. Waike verwies darauf, dass dieses Verfahren rechtlich einwandfrei und auch von einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft für korrekt befunden worden sei. Das mag sein, aber den Wert des Unternehmens für die Käufer beeinflusst der Schuldenstand des Landes nicht im geringsten. Wohl aber die Verhandlungsposition: Wer nicht an den Verkauf größerer Posten von Landesbesitz wie der VW-Beteiligung denkt, aber in Zeitnot ist, muss sich mit einem geringeren Angebot zufriedengeben.
Der haushaltspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Hartmut Möllring, machte eine andere Rechnung auf als Waike: Bei einer zu erwartenden Erhöhung der Umsätze um drei Prozent errechnete er eine Wertsteigerung von einer halben Milliarde €, die verschenkt werde. Allein dies sei mehr als der gesamte Kauferlös. Außerdem sei eine zusätzliche Steigerung der Umsätze durch die Euro-Einführung zu erwarten, weil die Leute ihre Spielgewohnheiten nicht aufgeben, eine Reihe dann aber statt einer € einen Euro kostet, an die zwei €. Die schriftlich fixierte Reduzierung der Personal- und Sachkosten um eine Million € erhöhe den Betriebswert um weitere 8,6 Millionen €. Die Banken erwürben außerdem mit den 2900 online-vernetzten Vertriebsstellen eine hervorragende Vertriebsstruktur, ein Wettbewerbsvorteil, der bares Geld wert sei. Insgesamt kann ich kein hundertprozentiges Geschäft für das Land sehen. Für die Sparkassen und damit für die Kommunen und die Organisationen schon, aber für das Land sieht mir das sehr kritisch aus.
Möllring wunderte sich nicht, dass die Anteile, die der Sparkassenseite zustanden, innerhalb weniger Tage völlig überzeichnet gewesen seien. Bei einer Renditeerwartung von 8,9 Prozent sei dies auch nicht verwunderlich.182 An der Fördergesellschaft des Niedersächsischen Sparkassen- und Giroverbandes mbH & Co., Beteiligungsgesellschaft bürgerlichen Rechts mit beschränkter Haftung und ohne Einlage, beteiligten sich schließlich 69 kommunale Banken, von der Kreissparkasse Bersenbrück mit 89 900 € bis zur Landwirtschaftlichen Brandkasse Hannover, die 25 Millionen € investierte. Die Fördergesellschaft wurde extra für diesen Kauf gegründet. Gegenstand der Gesellschaft ist der Erwerb, die Verwaltung und die Veräußerung von Anteilen an der Toto-Lotto-Gesellschaft Niedersachsen Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Nebenbei bemerkt: Über ihren eigentlichen Auftrag hinaus ist die Fördergesellschaft auch an der Expo-Vorbereitungsgesellschaft der s Finanzgruppe mbH beteiligt.
Die Union vergaß dabei, dass auch sie während ihrer Regierungszeit zweimal selbst zugegriffen hatte. Im Haushaltsentwurf 1987 sah die Landesregierung vor, die Zweckbindung der Lottomittel aufzuheben. Damals war es die M’D-Opposition, die sich vor allem daran störte, dass aufgrund dieser Maßnahme die Förderung von Forschungsprojekten nicht mehr gewährleistet erschien (Historische Kommission Niedersachsen etc.). Sie sah darin eine forschungsfeindliche Gesinnung, so der Abgeordnete Wernstedt (SPD), weil sie eines der wenigen Instrumente zur flexiblen Finanzierung junger Wissenschaftler zerschlägt. Bisher seien Berufungsverhandlungen mit hochqualifizierten Forschem zuweilen durch den Hinweis darauf erleichtert, dass man für landesspezifische Projekte auch Toto- Lotto-Mittel mit einsetzen könne. Die Landesregierung, so kündigte Kultusminister Oschatz damals an, werde das Ziel, die Zweckbindung wiederherzustellen, nicht aus dem Auge verlieren.
Nun hatte Gerhard Schröder die Lotterie versilbert. Der Kaufpreis, fällig am 1. Juli 1997, wurde als allgemeine Dekkungsmittel in den Haushalt eingestellt. In Baden-Württemberg und auch im Saarland führte der Deal sofort zu ähnlichen Diskussionen. Erwin Teufel, Ministerpräsident im handle, fand die Idee seines Wirtschaftsministers Walter Döring (FDP) sehr interessant. Im Saarland lobte der Präsident des Saarländischen Sparkassen- und Giroverbandes sofort die glänzende Idee. Doch Finanzministerin Christiane Krajewski gab zu bedenken: Wenn es nur darum geht, fiskalisch einen kurzfristigen Erfolg zu erzielen und durch den Verkaufserlös seine eigene Bilanz zu verschönern, dann ist das nicht besonders intelligent. Denn ein Kuchen lässt sich nur einmal verfrühstücken. Die Niedersachsen mussten besonders hungrig gewesen sein. Ein kleines Loch im Haushalt konnte mit dem Verkauf sicher gestopft werden, aber der Anteil am Gesamthaushalt war so gering, dass die Einnahmen aus dem Verkauf nach ganzen drei Tagen verbraucht waren. An anderer Stelle entstanden allerdings viele neue Löcher, die jahrelang erhalten bleiben werden – bei den Lottodestinatären. Die Konzessionsabgabe beim Zahlenlotto, so vereinbarten die Vertragspartner, wurde für 13 Jahre von 24 auf 20 Prozent reduziert. Der Landeshaushalt muss mindestens bis zum Jahr 2020 mit Einnahmeverlusten rechnen wie auch die Empfänger der zweckgebundenen Lotterieerträge in Sport, Kultur und im sozialen Bereich.
Norbert Roske (Bündnis 90/Die Grünen) sprach von einem Sonderangebot an die Banken und beklagte den Verzicht des Landes auf einen Teil der Konzessionsabgaben, die er einen Springquell nachhaltiger Quasi-Steuereinnahmen nannte. Im Kaufvertrag stehe sogar ein Passus, der festlege, dass vor einer Wiederanhebung der Konzessionsabgabe die dem Kaufpreis zugrunde gelegte Renditeerwartung zu berücksichtigen sei. Das heißt, wenn die Renditeerwartung nach Anhebung nicht erreicht werde, verliere das Land auf Dauer die Möglichkeit, die Senkung der Konzessionsabgabe zurückzunehmen. Verluste müssen durch die Kürzung der Konzessionsabgabe insgesamt auch die Destinatäre hinnehmen. Vermutlich auf Dauer. Bei den Ausschussberatungen für das neue Lotteriegesetz im Ausschuss für innere Verwaltung war die Bestimmung über die Konzessionsabgabe um ein entscheidendes Wörtchen geändert worden. Der ursprüngliche Entwurf sah vor, dass die Abgabe an das Land aus dem Zahlenlotto mindestens
20 vom Hundert des Spielkapitals sein solle, im Ausschuss wurde dieses Wort gestrichen. Von den Konzessionsabgaben sollten 1999 demnach 177 Millionen € (von rund 275 Millionen € insgesamt) zweckgebunden vergeben werden und der Betrag sich jährlich um 2,8 Millionen € erhöhen – eine Art Inflationsausgleich. 37,4 Prozent erhält der Landessportbund, 11.7 Prozent die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege, 6,2 Prozent die Niedersächsische Lottostiftung, 2,2 Prozent die Stiftung Niedersachsen, 1,2 Prozent die Niedersächsische Umweltstiftung, 0,5 Prozent die Stiftung> Kinder von Tschernobyl, deren Kuratorium die Exgattin des damaligen Ministerpräsidenten, Hiltrud Schröder, bis 1997 fünfeinhalb Jahre lang vorgestanden hatte und deren Sitz sich in der niedersächsischen Staatskanzlei befindet.]Der große Rest geht als allgemeine Deckungsmittel in den Haushalt ein. Maximal die Hälfte darf zweckgebunden an die obengenannten Einrichtungen gehen. Damit, so meinte der Abgeordnete Collmann (SPD), seien die Interessen des Landes unserer Ansicht nach deutlich besser gewahrt.
Der Zugriff der niedersächsischen Landesregierung auf die Lottomittel hat damit zwar nicht ein Ende, aber einen Rahmen gefunden. 1983 und 1987 hatte die damalige < DU- Regierung die Zweckerträge erstmals gedeckelt. 1993 zog die SPD-Grünen-Regierung 20 Millionen € zusätzlich zur allgemeinen Haushaltsdeckung ab, worauf sich die Wohlfahrtsverbände und der Landessportbund beschwerten. Eine kleine Anfrage beantwortete der damalige Innenminister Gerhard Glogowski im Landtag mit der lakonischen Feststellung, die angespannte Lage der öffentlichen Haushalte erfordert Einsparungen in fast allen Bereichen. Der damalige Finanzminister Swieter schob die Kürzungen auf die Kosten der Einheit, zu denen der Sport nun mit sieben, die Wohlfahrtsverbände mit sechs Millionen € beitrügen. Es ist offensichtlich: In Niedersachsen - aber nicht nur dort - betrachten Politiker die Lottomittel wie Haushaltsposten, über die sie frei verfügen können. Die CDU sprach denn auch zu Recht vom Raub der Lottomillionen. Und noch jemand bezahlt diesen Deal mit: der niedersächsische Lottospieler. 13,4 Millionen € mehr konnte das Land bei den Käufern immerhin herausschlagen, weil zuvor eine Erhöhung der Bearbeitungsgebühren für den Spielschein von 50 auf 60 Pfennig beschlossen worden war. Finanzminister Waike erklärte am 9. Juli 1997 im Plenum ausdrücklich, die Erhöhung der Gebühren sei bereits im Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft berücksichtigt worden, die den Wert des Unternehmens bestimmt hatte. Vielleicht werden daraus die Renditen für die Banken bezahlt. Die Lotterien vollends in private Hände zu legen kann nicht Ziel einer verantwortungsbewussten Politik sein. Der Berliner Journalist Harry Nutt stellte 1994 Erkundungen zum Glücksspiel an und kam zu dem Schluss: Keine Volkswirtschaft überlässt den Glücksspielmarkt einer wettbewerblichen Selbststeuerung.189 Die Aufhebung einer staatlichen Regulierung des Gücksspiels könne ebensowenig das Ziel einer sozialpolitisch verantwortungsbewussten Glücksspielpolitik sein wie die Forderung nach stärkerer Anwendung des allgemeinen Glücksspielverbots. Sinnvoll wäre es, eine Situation zu schaffen, die das Glücksspiel als Angebot eines Marktgeschehens definiert. Es gelte, darauf zu achten, dass der Spieler beim Spiel faire Bedingungen vorfinde.