Lotto Fallbeispiel 3 in Hessens Lottoklüngel, schlimmer Sumpf Teil 1
Ein Erdbeben erschütterte im Jahr 1993 die Lotterie-Treuhandgesellschaft mbH Hessen (LTG). Nachbeben gab es noch bis ins Jahr 1998. Nachdem die Presse bundesweit über die Lotterwirtschaft in Hessens Lotto-Gesellschaft (Frankfurter Rundschau) berichtet hatte, musste Minister-präsident Hans Eichel mehr als einen Bauern opfern: Nicht nur Finanzstaatssekretär Otto Geske musste gehen, sondern auch Finanzministerin Annette Fugmann-Heesing musste ihren Hut nehmen. Außerdem versprach Eichel eine Reform des Lotteriewesens hin zu mehr Staats- und Politikferne. Die Frage, ob das nicht ein Eingeständnis für jahrelange sozial-demokratische Klüngelwirtschaft sei, beantwortete Eichel so: Ja, Sie können das so formulieren. Das gilt für alle Bundesländer, je nach der politischen Farbe.
Die Wiesbadener Lottogesellschaft war fest in SPD- Hand. Der hessische Lottoskandal nahm seinen Anfang mit dem Versuch, den langjährigen Geschäftsführer Hans-Georg Dumschat auszutauschen. Im Untersuchungsausschuss des Landtags hieß es später, dass Dumschat seine Arbeitszeit sehr großzügig gestalte und häufiger am Wochenanfang und auch freitags nicht im Unternehmen anzutreffen sei. Nach dem Wunsch der Finanzministerin sollte es zwei Nachfolger geben. Seit 1988 war nach dem Ausscheiden eines der da-maligen Geschäftsführer, Fritz Rückei, kein Nachfolger benannt worden. Damals hatte es offenbar heftige Dissonanzen zwischen den beiden Chefs gegeben. 1993 sollte Dumschat nun doch ein zweiter Mann zur Seite gestellt wer-den, weil Finanzministerin Annette Fugmann-Heesing das Vieraugenprinzip wiederherstellen wollte. Das sei in sieben von elf Gesellschaften der alten Bundesländer zur gegenseitigen Kontrolle und zur Verhinderung einsamer Entscheidungen üblich. Dumschat wollte keinesfalls einen zweiten Mann neben sich haben. So entstand Bedarf, neben dem designierten (eigentlich zweiten) Geschäftsführer Hans-Detlef von Uckro einen weiteren Geschäftsführer zu finden. Die Wahl fiel auf Peter Hartherz, Abgeordneter der SPD im hessischen Landtag und Landesschatzmeister seiner Partei. Er sollte mit von Uckro das Vieraugenprinzip Fug- mann-Heesings verkörpern. Die CDU wollte keine zwei Geschäftsführer haben, schon gar nicht aus den Reihen der Regierungspartei. Hilfloser Zwischenruf im Landtag: Was machen Sie denn, wenn Sie zwei Blinde haben?
Am 22. September 1993 stellten der parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Hans-Jürgen Hielscher, und der Fraktionsvorsitzende der CDU, Roland Koch, im Landtag einen Antrag: Der Landtag wolle beschließen:
1. Der Landtag misbilligt den Versuch der hessischen Landes-regierung, die Position eines Geschäftsführers der Lotterie- Treuhandgesellschaft mbH Hessen (Hessen-Lotto) zu parteipolitischer Personalpolitik zu missbrauchen.
2. Der Landtag erwartet, dass das in den vergangenen fünf Jahren erfolgreiche Konzept der betrieblichen Führung mit einem Geschäftsführer bei der Lotterie-Treuhandgesellschaft mbH Hessen beibehalten wird.
Der Antrag wurde mit der Mehrheit der regierenden Parteien, SPD und Grüne, abgelehnt. Eigentlich hätte das Thema damit beendet sein können, doch nun entwickelte die Geschichte über die Besetzung eines Geschäftsführerpostens mit einem SPD-Abgeordneten eine unglaubliche Eigendynamik.
In der Plenarsitzung vom 30. September 1993 trieb der Abgeordnete Franz Josef Jung (CDU) das Thema voran. Es sei unklug, in Zeiten, wo die Landesregierung Einschnitte bei Kindergärten, Behindertenförderung und älteren Menschen vornehme, aufgrund parteipolitischer Personalpolitik einen zweiten Geschäftsführerposten zu schaffen und diesen mit einem Jahressalär von 250000 € auszustatten. Der inzwischen zurückgetretene Grünen-Abgeordnete Reinhold Weist gefiel sich mit dem Zwischenruf: So wenig? Ein Geschäftsführer, fuhr Jung fort, sei für diese Position schon fast zu viel. Mit seinem Antrag wollte er sicherstellen, dass die Lotto- und Totogelder auch in Zukunft zugunsten der Bürger und nicht für einen zweiten Geschäftsführer ausgegeben werden. Nach den Protesten der Opposition hatte Peter Hartherz kein Interesse mehr. Auch die Finanzministerin nahm nun endgültig Abstand von ihrem Vorhaben, zwei Geschäftsführer zu ernennen.
Nachfolger Dumschats wurde der vormalige Aufsichtsratsvorsitzende der LTG, Hans-Detlef von Uckro. Doch Ruhe kehrte nicht ein. Vielmehr wurden die Bedingungen bekannt, zu denen Dumschat das Haus verlassen hatte. Nach 19 Jahren und sieben Monaten, ganze fünf Monate vor seinem regulären Ausscheiden, wurde sein Vertrag gelöst, damit, so meinte die Opposition, ein anderer SPD-Kandidat zum neuen Geschäftsführer ernannt werden konnte. Den Steuerzahler kosteten die großzügigen Abfindungs- und Pensionsabsprachen zugunsten von Dumschat bei durchschnittlicher Lebenserwartung mindestens 450 000 €. Allein 200 000 € machte die Abfindung aus, die Finanzstaatssekretär und Lottoaufsichtsratsvorsitzender Otto Geske zunächst geleugnet hatte. Die verbesserte Pensionsregelung brachte Dumschat rund 1500 € monatlich mehr. Die CDU-Opposition sprach von einem goldenen Handschlag, mit dem Dumschat verabschiedet worden sei. Und Otto Lotto wundert sich, weil manche, die jeden Freitag mit ihm die Tippzettel abgeben, im Monat mit dem aus- kommen müssen, was Dumschat auf seine monatliche Pension drauf gesattelt bekam.
Auch die Bestallung des neuen Geschäftsführers paßte in das merkwürdige Bild, das der hessische Lottoskandal bot. Von Uckro war zuvor Leiter der Abteilung IV für landeseigene Gesellschaften und Landesbeteiligungen im Finanzministerium gewesen. Sein Lottogehalt überstieg bei weitem sein Beamtensalär von 12 000 € monatlich (B 6), das er sich im Auftrag des vormaligen hessischen Finanzministers Manfred Kanther durch eine Nebenbeschäftigung als Geschäftsführer einer weiteren Landesgesellschaft um jährlich 21000 € netto, später 5000 € monatlich brutto aufgebessert hatte. Die Tätigkeit wurde als Sitzung oder Besprechung deklariert, was die Nebentätigkeitsverordnung zulässt und was nicht zu einer Abführung verpflichtet. Außerdem bezog von Uckro noch eine Pension von rund 4000 € aus einer früheren Bürgermeistertätigkeit in Gelnhausen. Bei Lotto handelte von Uckro 180 000 € Gehalt aus, das nach zwei Jahren auf 198 000 € erhöht werden sollte. Außerdem standen ihm eine feste Tantieme von 50 000 € sowie eine Erfolgsprämie zu, die in den Jahren zuvor jeweils 40 000 € ausgemacht hatte – insgesamt also 270 000 €, 30 000 € mehr als Dumschat. Den hochdotierten Lottovertrag unterschrieb Hans-Henning Baiser, Referatsleiter der Abteilung IV und damit von Uckros Untergebener. Außerdem saß er mit von Uckro und Otto Geske im Lottoaufsichtsrat. Baiser könnte es als Belohnung angesehen haben, dass er wenig später anstelle von Uckros mit ein paar Dutzend Lotto-Annahmestellenleitern eine Vergnügungsreise nach New York mitmachen durfte.
Die Abteilung IV kontrollierte die Lotterie-Treuhandgesellschaft im Aufsichtsrat: Für eine Aufsichtsratssitzung hätte eine Referentenbesprechung im Finanzministerium gereicht. Dazu hätten die nicht zu uns kommen müssen, meint der frühere Geschäftsführer Fritz Rückel. Wenn eine Gesellschaft wie die unsere zu einer Spielwiese einer Abteilung in einem Ministerium wird, dann ist etwas nicht in Ordnung. Die Minister haben das offenbar nicht erkannt.
Nicht nur die Opposition sprach jetzt von Parteibuch-wirtschaft. Auch der Regierungspartner, die Grünen, sah nun Handlungsbedarf. Ihr Fraktionsvorsitzender Rupert von Plottnitz meinte, es sei ein strukturelles Problem, wenn Beamte aus den Beteiligungsabteilungen des Finanzministeriums ins Management landeseigener Unternehmen ein- treten. Das fördere den Eindruck, statt fachlicher Qualifikation könnten parteipolitische Gründe maßgeblich sein. Künftig solle deshalb generell von solchen Wechseln ab-gesehen werden.
Lotto Fallbeispiel 3 in Hessens Lottoklüngel, schlimmer Sumpf Teil 2