Geschichten eines Zockers in den Las Vegas Kasinos Teil II
Hier in Vegas gibt es jede Menge Abwechslung jenseits der Absperrkordeln, mit der sich ein ruheloser Geist beschäftigen kann – doch dann kommt mir sofort der Gedanke, dass ein Profi gar nicht erst abschweifen würde. Schau dir das Spiel an, mustere die Gesichter, versuche herauszufinden, wo der Herz-König, den du gerade flüchtig gesehen hast, nach dem Mischen im Stapel gelandet ist. Spielte ich immer noch zu viele Hände? Wahrscheinlich. Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden: Ich musste mir Notizen über mein Spiel machen und es später analysieren.
13.45 Uhr: J-10 auf dem Small Blind zu spielen bringt mich wieder hoch auf 1 725 Dollar, weil sich der Big Blind mit einem K-2 in gleicher Farbe gegen mich wendet – und auf dem Flop zwei Karo zu einem möglichen Flush bekommt. Aber die Wahrscheinlichkeit setzt sich durch, und es kommt kein weiteres Karo dazu. Das war knapp. Ich sitze auf Platz Eins und habe Nackenschmerzen davon, ständig einen langen Hals um den Dealer zu machen. Außerdem mag ich es nicht, wenn ich den Namen des alle zwanzig Minuten wechselnden Dealers nicht lesen kann, der auf seinem oder ihrem Ansteckschildchen steht. Wenn ich ihn oder sie anspreche, möchte ich, wie hier üblich, die Person mit Namen ansprechen können.
14.00 Uhr: Nachdem ich ein paar Mal locker mitgegangen bin, klettere ich wieder auf 1 300 Dollar (erneut als Small Blind), in-dem ich den Big Blind vom Tisch nehme. Er hat 8-6; mein Paar Achten reicht, um ihn zu verabschieden.
14.05 Uhr: Eine Hand taucht auf, bei der ich nicht sicher bin, was ich richtig gemacht habe. Ich habe A-Q von einer Farbe und gehe bei zahlreichen Erhöhungen mit – zu Unrecht, wie ich vermute. Doch in der letzten Wettrunde checkt der Leitwolf am Tisch lediglich, und als ich setze, passt er (zu meiner Überraschung und Erleichterung). Eine Dame im Flop hatte mir Sicherheit gegeben; vermutlich wollte er nur testen, aus welchem Holz ich geschnitzt bin. Wie auch immer – ich stehe jedenfalls jetzt bei 3 025 Dollar.
14.10 Uhr: K-K als Bunkerkarten stocken mein Konto auf 3 600 Dollar auf. Die ganze Zeit über geht ein Spieler mit. Nur Luschen als Tischkarten. Bei der nächsten Hand gehe ich mit einem Paar Zehnen unbedacht gegen ein Blatt mit, das sich als ein Paar Asse entpuppt. Ich sacke auf 3 200 Dollar ab.
14.30 Uhr: Pech gehabt. K-J in unterschiedlichen Farben schlagen meine K-10 von Pik, nach König und zwei Pik auf dem Flop. Ich bin runter auf 1 800 Dollar, während die Blinds sich auf 100-200 Dollar erhöhen.
14.35 Uhr: Ich sitze im Big Blind und bekomme 6-7. Der Flop bringt 8-9-10-Einsatz-J-Einsatz-Einsatz-Q. Damit wird der Pot geteilt! Wieder auf 2 500 Dollar.
14.50 Uhr: Erneut im Big Blind bekomme ich 5-5. Lyle Berman, den ich als sehr guten Spieler kenne, erhöht vor dem Flop; ich gehe mit. Der Flop bringt A-A-3. Er setzt, und aus irgendeinem Grund, eher instinktiv als nur schlecht gespielt, gehe ich mit. Der Turn bringt eine Fünf. Ich checke zunächst und nehme erst nach Bermans erneutem Einsatz eine Erhöhung vor; er geht mit. Die letzte Karte ist eine Zehn. Er schiebt; ich setze; er steigt aus. Dies ist das einzige Full House, das ich den ganzen Tag über gesehen habe. Diese Hand lässt meinen Chipstapel auf 4 000 Dollar anschwellen.
14.55 Uhr: Ich habe Hunger und bitte eine Kellnerin, mir einen Schokoriegel zu bringen. Es dauert vierzig Minuten, bis er kommt.
15.00 Uhr: Ich bekomme im Small Blind A-2 von Pik. Der Flop bringt A-A-3-4-7. Geschlagen von A-Q. Runter auf 2 500 Dollar.
15.05 Uhr: A-Q von einer Farbe geschlagen von einem Paar Zehnen nach einer Erhöhung vor dem Flop. Runter auf 1 500 Dollar.
15.10 Uhr: Umzug an Tisch Acht. Von hundertachtundzwanzig Teilnehmern sind noch fünfunddreißig übrig, verteilt auf vier Tische. Ich besitze noch 1 500 Dollar.
15.15 Uhr: Allmählich wird die Lage ernst. Nach einer Runde Blindeinsätze bleiben mir nur noch 1 200 Dollar. Jetzt klettern die Blinds auf 150-250 Dollar; mir bleiben also noch drei Runden, was an diesem Tisch vierundzwanzig Hände bedeutet. Noch einunddreißig Spieler übrig. Zehn Minuten bis zur nächsten Pause.
15.20 Uhr: Das Ende naht. J-10 kostet mich 400 Dollar. Nix auf dem Flop. 800 Dollar übrig.
15.25 Uhr: Seit ich den Tisch gewechselt habe, habe ich überhaupt keine ordentlichen Blätter mehr gesehen. Wenn das Ende kommt, kommt es schnell. Dreißig Spieler übrig; ich habe 600 Dollar. Eine Hand sollte reichen.
15.45 Uhr: Bei der ersten Hand nach der Pause bin ich gezwungen, auf meinem Big Blind All-in zu gehen – also setze ich meine letzten 500 Dollar auf die wunderschönen Handkarten 9-3. Der Flop bringt 3-5-6. Mein Paar Dreien schlägt zu guter Letzt ein frech verborgenes Paar Zweien. Immer noch im Turnier, wenn auch knapp, jetzt mit
1 200 Dollar. Erneut umgezogen.
15.50 Uhr: Der Big Blind liegt nun bei 1 000 Dollar. Die Spieler fallen um wie die Fliegen – jetzt sind nur noch siebenundzwanzig übrig, an drei Tischen -, daher werde ich erneut umgesetzt. Jetzt komme ich an Tisch Eins, Platz Eins, und erwische sofort den Small Blind. Nach einer halben Stunde am Abgrund (die mir wie ein Jahr vorkommt) bleiben mir noch 1 200 Dollar. Nach wie vor bekomme ich keine guten Karten. Da mittlerweile nur noch fünfundzwanzig Spieler übrig sind, spielen alle äußerst zurückhaltend, um unter die besten achtzehn und damit ins Geld zu kommen. Wird es mir gelingen, lange genug dabeizubleiben?
16.00 Uhr: Und ob es mir gelingt. Ach, hätte ich doch nur mehr Chips gehabt. Ich bekomme die beiden schwarzen Asse als Startkarten, setze all meine Chips, und zwei Mann am Tisch gehen mit. Der Flop bringt drei Karo. Platz Drei setzt, Platz Fünf passt. Drei dreht ein Paar Könige um, ebenfalls schwarz, und seufzt beim Anblick meiner Asse. Der Turn bringt die Karo-Zehn, der River … eine absolute nervtötende Karo-Fünf. Der Tisch hat gewonnen. Keiner von uns hat ein Karo, mit dem er den Zufallsflush vor uns hätte verbessern können, also teilen wir den Pot. Mit anderen Worten: Wir verteilen die mickrigen 1 200 Dollar von Platz Fünf. Dabei hätte alles mir gehören sollen.
16.05 Uhr: Der Big Blind zwingt mich dazu, mit zwei Luschen All-in zu gehen. Mein hoher Bube wird von einem Full House geschlagen! Damit werde ich Zweiundzwanzigster von 128 Teilnehmern – vier Plätze vom Geld entfernt. Verdammt!
Während ich meine Aufzeichnungen bei einem wohlverdienten Glas Chablis studierte, rechnete ich aus, dass ich in zwei Stunden und zwanzig Minuten vierzehn komplette Hände gespielt hatte. Eine Hand alle zehn Minuten ist nach hiesigen Maßstäben immer noch zu zappelig. Das Problem war nur, dass mir diese Zehnminutenabstände wie Stunden vorkamen. Ich musste mich entspannen, also trug ich mich bei ein paar billigen Satellites für das Pot-Limit-Omaha-Turnier am nächsten Tag ein. Bei einer Teilnahmegebühr von lediglich 30 Dollar waren sie allerdings nur schwer ernst zu nehmen.
Bei der ersten Hand meines ersten Satellitenturniers bekam ich Ass und König von Kreuz, und Ass und Zehn von Karo; ich setzte 40 Dollar, und der ganze Tisch ging mit. Auf dem Flop kamen 4-5-6, zwei davon Kreuz. Daraufhin trieb ein Kerl die Einsätze auf sage und schreibe 160 Dollar. Ich ging mit. Es kamen 8-4, dabei kein Kreuz. Mein Kontrahent hielt zwei Sechsen, was ihm einen Drilling bescherte. Jedes Kreuz oder jedes Ass hätte mir einen Pot von 720 Dollar mit der ersten Hand eingebracht – stattdessen schied ich aus.
Bis zu meinem ersten Versuch, den Abend zu beenden, verplemperte ich schnell noch weitere 60 Dollar für zwei Satellites. In meinem Notizbuch steht viele Bad Beats, aber vermutlich habe ich mir etwas vorgemacht. Im Grunde musste ich mit diesem Blatt verlieren, denn mein Kontrahent hatte die Quoten auf seiner Seite. Verhaltenere Profis wären bei seinem All-in-Einsatz nicht mitgegangen; aber bei 30 Dollar Startgebühr und der Chance, den Tisch zu beherrschen, finde ich mein Mitgehen nach wie vor nachvollziehbar. Als Bad Beat sollte man wirklich nur eine unglückliche Niederlage bezeichnen, bei der man den Quoten entsprechend korrekt spielt und irgendein Trottel einen schlägt, weil er eine Glückskarte zieht. Die meisten Pokerspieler erzählen dagegen Geschichten von Bad Beats, die das genaue Gegenteil aussagen – und damit lediglich zeigen, welch schlechte Spieler und Verlierer sie sind.
Anschließend gewann ich 300 Dollar an einem $ 15/$ 30-Limit-Hold’em-Tisch, womit ich bis auf 90 Dollar meine gesamten Verluste seit dem Bike wettmachte; danach ging ich endlich auf mein Zimmer. Slims PLO-Turnier am nächsten Morgen hatte eine ungewöhnliche, potenziell sehr kostspielige Struktur, über die ich noch einmal schlafen wollte. Zwar betrug die Teilnahmegebühr nur 200 Dollar, doch während der ersten drei Stunden des Turniers konnten alle, die vom Tisch geflogen waren, sich erneut ins Turnier einkaufen. Solche Rebuys kosten in der Regel das Gleiche wie die ursprüngliche Teilnahmegebühr; Profis hassen diese Regelung und behaupten zu Recht, dass das eigentliche Turnier erst dann beginnt, wenn die Phase der Rebuys vorbei ist. Aber natürlich erhöht sich dadurch das Preisgeld, und die morgigen Rebuys würden es gewaltig aufblähen: Das Erste kostete 500 Dollar, und danach konnte man sich so oft wieder einkaufen, wie man wollte – für jeweils 1 000 Dollar.
Im Laufe der Nacht fällte ich die strategische Entscheidung, das Rebuy den anderen zu überlassen. Wenn es mir nicht gelang, mich mit 200 Dollar bis zur ersten Pause am Leben zu halten, dann würde ich irgendwo anders etwas Besseres finden. Dementsprechend übervorsichtig starte ich ins Turnier – und sehe zu, wie zwei Hände, bei denen ich gewonnen hätte, an mir vorübergehen. Bei einer von ihnen wäre aus meinem K-Q ein Full House mit Königen und Damen geworden. Aber mittlerweile bin ich viel zu erfahren, um mich über so etwas noch zu ärgern.
Unter den 155 Teilnehmern hat das Glück mir ausgerechnet einen begeisterten Amateur an meine linke Seite gesetzt, der ständig nach den Regeln fragt und dann mehrmals mit viel Dusel einen Pot gewinnt. Solche Typen sind gefährlich. Sie bringen mich ins Grübeln, ob ich es lieber bei meinem Amateurstatus hätte belassen sollen. Aber …
11.55 Uhr: K-K verschafft mir ein Full House, bei einem Flop mit 5-5-8-8-5. Ich schiebe all meine Chips in die Mitte, und zwei andere Spieler gehen mit! Das treibt meine ursprünglichen 200 Dollar auf mehr als 400 Dollar. Dann stehle ich dem Amateur einen Pot, und schon sind es 520 Dollar.
12.05 Uhr: Alle anderen an meinem Tisch haben bereits für 500 Dollar Chips nachgekauft. Plötzlich bin ich hier der Rock am Tisch. Die Jungs von der Dienstagabendrunde würden es nicht fassen.
12.08 Uhr: Ich gebe es nur äußerst ungern zu, aber ich habe gerade einen Blick auf das Blatt des Amateurs erhascht. Der Flop bringt 10-10-6-5, und der Mann setzt 200 Dollar mit nur einer Sechs auf der Hand. Irgendwie wünschte ich, ich hätte Luschen, aber ich habe eine Zehn. Alle anderen passen, ich gewinne einen (nach aktuellen Maßstäben) riesigen Pot, und der Amateur kauft für 1 000 Dollar Chips nach.
12.15 Uhr: Mein Gott, gegen Omaha wirkt Hold’em fast schon langweilig. Ich gehe bei fast jedem Flop mit und bekomme definitiv ordentliche Blätter auf die Hand. Dieses Mal ist ein Full House auf dem River: Ich habe K-K-10-9 als Startkarten, mit dem Flop erscheinen J-J-x-x-K. Ich weiß, ich habe Glück gehabt mit dem König als letzter Karte, aber damit stehe ich bei 855 Dollar.
12.20 Uhr: Mit großer Befriedigung stelle ich fest, dass ich bislang jeden Rebuy vermeiden konnte. Ich will unbedingt die drei Stunden bis zum Ende dieser
Nachkauf-Phase überstehen. Aber ob sich die Mühe lohnen wird?
12.45 Uhr: Plötzlich sitzt Berry Johnston neben mir, der Welt-meister von 1 986, der anderthalb Stunden zu spät eingetroffen ist. Nachdem ihm in Abwesenheit seine Grundeinsätze abgezogen worden sind, bleiben ihm noch 120 Dollar. Er geht beim ersten Blatt All-in, verliert und tätigt einen Rebuy von 500 Dollar. Meine ursprünglichen 200 Dollar, aus denen inzwischen 900 geworden sind, fühlen sich immer besser an.
12.50 Uhr: Eine Reihe von Steals in später Position bringt mich auf 1 200 Dollar. Ich spiele selbstbewusst und gut.
13.00 Uhr: Dank eines gefährlich niedrigen Full House steigt mein Guthaben auf 1 530 Dollar: Mit 6-3-4-4 auf der Hand zu spielen wird mit 6-2-4 im Flop und einer 2 auf dem River belohnt.
13.10 Uhr: Noch fünf Minuten bis zur Pause. Ich habe das Vergnügen, aus zwei 500-Dollar-Chips (alias Nickels) etwas Kleingeld für den Meister zu meiner Rechten zu machen. Aber Hochmut kommt vor dem … Wir haben die erste Pause erreicht; noch eine Stunde, und die Phase der Rebuys ist vorbei. (Bis jetzt haben siebzig Teilnehmer über ihre ursprünglichen 200 Dollar hinaus mindestens weitere 1 500 Dollar bezahlt, um weiter dabei zu sein.) Aber bevor das eigentliche Turnier weitergeht, hat jeder Teilnehmer das Recht, einen letzten Nachkauf in Höhe von 1 000 Dollar zu tätigen, den so genannten Add-on – unabhängig von dem Geldbetrag, den er vor sich hat. Ich lasse mich vom Turnierleiter Jack McClelland beraten, der so freundlich ist, aus seiner Rolle des Unparteiischen zu schlüpfen und mich darauf hinzuweisen, dass zum Zeitpunkt des Add-ons die durchschnittliche Chipmenge pro Teilnehmer bei etwa 2 000 Dollar liegen wird. Sollte ich zu diesem Zeitpunkt mehr Chips haben, lohnt sich die Sache wirklich nicht. Im Augenblick, nach einem lockeren Mitgehen unmittelbar vor der Pause, besitze ich 1 315 Dollar.
13.30 Uhr: Erste Hand nach der Pause. Ich habe
Karo-Ass – Herz-König – Pik-Vier – Pik-Sechs; auf dem Flop kommen
Herz-Ass – Herz-Drei – Herz-Fünf. In früher Position setze ich frech das Maximum, 300 Dollar, worauf jemand mitgeht. Der Turn bringt eine Kreuz-Sieben, womit meine offene Straße voll-ständig ist. Ich gehe All-in. Mein Gegner denkt eine Weile nach und steigt dann aus. Das bringt mich hoch auf 2 050 Dollar.
13.40 Uhr: Ein Paar Asse auf dem River lassen mein Guthaben auf 2 250 Dollar steigen.
13.55 Uhr: Nachdem dreimaliges glückloses Mitgehen mich jeweils 100 Dollar gekostet hat, bekomme ich Kreuz-König – Karo-König – Karo-Dame – Karo-Vier auf die Hand, und der Flop bringt 2-5-6, alles von Karo. Ich bin Under the Gun, muss also als Erster anspielen, und schiebe in der Hoffnung, dass nach mir Einsätze kommen. Platz Neun setzt 400 Dollar; ich gehe mit, wobei ich mich frage, ob er wohl den Flush mit hohem Ass hat. Der Turn bringt die Herz-Sieben. In der Hoffnung, dass mein Gegner erneut setzt, schiebe ich. Er setzt nicht. Auf dem River erscheint eine weitere Sieben.
Also schiebe ich wieder, für den Fall, dass er ein Full House hat. Er schiebt ebenfalls, was mich davon überzeugt, gewonnen zu haben, und mich überlegen lässt, ob ich zum Schluss nicht noch einmal hätte setzen sollen. Wie sich herausstellt, hat er eine Straße auf der Hand. Mein Flush mit hohem König bringt mich auf 2 750 Dollar.
14.35 Uhr: Nach einer öden halben Stunde, in der ich kein Blatt bekam, das größere Risiken gerechtfertigt hätte, erreichen wir endlich die dreistündige Pause. Damit können keine Rebuys mehr getätigt werden. Ich stehe ohne einen einzigen Nachkauf bei 2 225 Dollar, und das fühlt sich ziemlich gut an. Noch vierundfünfzig Spieler sind im Turnier.
Perry Green, ein freundlicher Mann aus Alaska, der genau wie ich während einer Partie gern auf Zahnstochern herumkaut, rät mir dazu, die Gelegenheit zum 1 000-Dollar-Add-on wahrzunehmen. Der Vorteil liegt seiner Auffassung nach in dem zusätzlichen Tausender, den man bei einem All-in, bei dem mehrere mitgehen, im Pot hätte. Ist doch schließlich nur ein Riese, Tony. Jack McClelland, der im Gegensatz zu Perry genau weiß, was ein Tausender für mich bedeutet, rät mir dagegen noch einmal, nicht nachzukaufen.
Eine Minute vor Wiederbeginn des Turniers beschließen fünf der neun Leute an meinem Tisch spontan, das Add-on zu kaufen. Obwohl ich meine anfänglichen 200 Dollar inzwischen um das Elffache aufstocken konnte, liege ich nun in Chips hinter ihnen und fühle mich verletzbar. Daher rufe ich nach den Add-on- Leuten. Jack McClelland schaut mich zunächst stirnrunzelnd an, grinst dann jedoch, als liege etwas Unvermeidliches an dieser Entscheidung. Also gehe ich mit 3 225 Dollar in die nächste Turnierphase.
15.00 Uhr: Der einzige andere Engländer bei dieser Veranstaltung – ich kenne ihn aus dem Rubicon Club in Wolverhampton – fliegt an meinem Tisch aus dem Spiel, so dass ich nun der letzte noch verbleibende Brite im Turnier bin. Während ich mir noch selbst gratuliere, entgeht mir ein Gewinnpot. Mit Herz-Ass – Herz-Drei – Karo-Drei – Karo-Zwei als Startkarten werde ich von heftigen Einsätzen noch vor dem Flop vertrieben, der daraufhin eine Drei und zwei Herz bringt. Auf dem Turn kommt die Herz- Sieben, auf dem River die Pik-Sieben – ich hätte also erst einen Flush gehabt, dann ein Full House mit Dreien und Siebenen. Verärgerter, als ich es zulassen sollte, spiele ich die nächste Hand schlecht und verliere sie. Laufe ich hier plötzlich heiß? Es scheint Stunden her zu sein, dass ich eine Hand gewonnen habe.
15.15 Uhr: Auf einmal bemerke ich, dass der Kerl mit den meisten Chips am Tisch nicht bloß einen Ring mit einem Hufeisen aus Diamanten trägt, sondern Die Uhr- jawohl, genau diese mit Billig-Strasssteinchen besetzte Karo-König-Uhr, die mich noch davon überzeugen muss, dass sie sich bezahlt macht. Wie konnte ich die ganze Zeit mit diesem Kerl an einem Tisch sitzen und angeblich jede seiner Bewegungen studieren, jede seiner nervösen Muskelzuckungen bewerten, ohne es zu bemerken? Das ist ein unbarmherziger Hinweis darauf, was für ein Amateur ich nach wie vor bin. Bei der nächsten Hand nimmt er mir prompt 300 Dollar ab: gute Startkarten, aber erbärmlicher Flop. KONZENTRIER DICH!
15.25 Uhr: Während der letzten zehn Minuten habe ich den festen Entschluss gefasst, die Karo-König-Uhr nicht länger als Talisman zu betrachten – oh, auf dem Weg liegt Wahnsinn! Sie ist schlicht und ergreifend ein Zeitmesser, und von jetzt an werde ich sie als solchen tragen, egal, welche Konsequenzen das hat. Daher kann ich sie jetzt auch nicht für zwei weitere knappe Niederlagen sowie für ein deutliches Absacken meiner Moral verantwortlich machen. Zu meinem Leidwesen sind plötzlich die Rollen vertauscht – ich muss den Burschen auf Platz Fünf darum bitten, meinen Nickel zu wechseln. Er gibt mir die Chips in kleinstmöglicher Stückelung, während er Berry
Johnston größere anbietet. Scherzhaft protestiere ich, dies sei unfair: Wollen Sie mir damit etwas sagen? Er bleibt ungerührt.
15.30 Uhr: Neben mir fliegt Berry Johnston aus dem Turnier. Nach meinem anfänglichen Lauf haben hier plötzlich alle anderen am Tisch gute Karten. Ich besitze noch 2 325 Dollar und muss langsam etwas riskieren, sonst bin ich tot. Die beiden Jungs mit den größten Chipstapeln an meinem Tisch (mit jeweils sechs- bis siebentausend Dollar) bahnen sich mit Gewalt ihren Weg durch jeden Pot. Was ihnen wie Kleingeld Vorkommen muss, ist für uns andere eine Entscheidung auf Leben und Tod. Ich verspüre das dringende Verlangen nach einem Blatt, mit dem ich richtig zur Sache gehen kann.
15.45 Uhr: Wer sollte Berry Johnstons Platz zu meiner Rechten (Platz Eins) einnehmen, wenn nicht der amtierende zweifache Weltmeister Johnny Chan! Er hat etwa 6 000 Dollar; ich stehe bei 2 250 Dollar. Chan hat offenbar miese Laune; sofort ärgert er sich darüber, dass er direkt den Big Blind zahlen muss. Ich bin jetzt dreimal in fünf Minuten umgesetzt worden, lässt er finster in die Runde verlauten. Ich hab’ hier ja mehr körperliche Betätigung als zu Hause – wenn ihr wisst, was ich meine. Dieser miese Witz des Oriental Express, gefolgt von einem seltenen Lächeln, nötigt den anderen am Tisch ein kriecherisches Lachen ab.
15.50 Uhr: Ob sich meine zusätzlichen 10 00 Dollar auszahlen? Noch immer grüble ich über dieses verschwenderische Add-on nach. Ich werde es Ihnen gleich verraten, sobald ich damit All-in gegangen bin. Was nun jede Minute der Fall sein wird. Ein Bad Beat vermiest Chan die Laune noch weiter. Wie kann der Typ – gemeint ist der Bursche zu meiner Linken – nur mitgehen? Wir diskutieren darüber. Ich erzähle Chan, dass der Amateur schon den ganzen Tag so spielt. Dann kommt der Dealer an die Reihe: Chan will sämtliche verdeckt weggelegten Karten sehen. Abe, der Dealer, erwidert: So unterrichte ich es bei der Dealer-Ausbildung.
Chan erwidert: Wir sind hier aber nicht auf der Dealer-Schule. Junge, Junge, ist der sauer. Während ich mir diese Auseinandersetzung notiere und da-bei die Hände unter dem Tisch habe, starrt mich Chan an. Dann beugt er sich vor, um zu sehen, was da unten vor sich geht, und stellt mir gereizt die Frage, die das ganze Jahr über sonst niemand zu stellen gewagt hat: Was machst du da? Schreibst du ein Buch oder was? Ich gebe ihm keine Antwort.
16.00 Uhr: Meine Karten sind kalt geworden, meine Blase schwach. Während dieses Turniers musste ich schon dreimal aufs Klo, und das ist nicht gut für die Konzentration. Je kleiner Chans Stapel wird, desto übler wird seine Laune. Als Nächstes raunzt er eine Kartengeberin an, die auf der Jagd nach einem einzelnen Chip kurz vom Tisch aufsteht. Dann ertönen ein paar Meter links von uns erstaunlich spitze Schreie, als jemand den Automaten-Jackpot des Tages knackt. Chan bleibt als Einziger am Tisch vollkommen unbewegt. Als der weibliche Dealer, in Tränen aufgelöst, ausgetauscht wird, beruhigen wir uns und nehmen die Partie wieder auf. Von 155 Teilnehmern sind noch dreißig Spieler im Turnier.
16.10 Uhr: Johnny Chan ist rausgeflogen … dank meiner Wenigkeit. Tja, wer hätte das gedacht? Er war schon eine Weile on tilt, seit er versuchte, es dem Amateur heimzuzahlen, und als die Hand begann, hatten wir beide jeweils ungefähr 1 500 Dollar in Chips. Der Flop bringt A-J-7. Ich habe ein Paar Siebener auf der Hand. Chan, der als Erster setzen muss, geht All-in. Natürlich muss ich mitgehen. Wie sich herausstellt, hat er A-J-Q-K, doch der Rest der Tischkarten hilft keinem von uns weiter. Während er seine Siebensachen zusammenrafft und davonschlendert, als hätte er sich gerade bloß ein wenig die Zeit vertrieben, bevor er richtig Poker zu spielen beginnt, wird mein Triumph von dem Gedanken an die lange Liste von Pokerfreunden getrübt, die nicht anwesend waren und miterlebten, wie ich den Weltmeister vom Tisch gefegt
habe – genauer gesagt war keiner von ihnen dabei.
16.15 Uhr: Ich habe Karo-König – Kreuz-König – Karo-Zwei – Pik-Zwei und erhöhe vor dem Flop. Ein Spieler geht mit. Der Flop bringt Q-x-x (davon zweimal Karo). Jetzt heißt es alles oder nichts – also versuche ich einen überzeugenden Eindruck zu machen und setze das Maximum, 800 Dollar. Der andere denkt lange nach, geht dann mit und erhöht um meine noch verbleibenden 1 600 Dollar. Meine Könige verbessern sich nicht, während er mit der letzten Karte eine Straße zusammenbringt. Damit scheide ich an neunundzwanzigster Stelle aus, was mir die Möglichkeit verschafft, aufzustehen und mich bei Jack zu entschuldigen. Der Tausender extra spielte überhaupt keine Rolle. Du hattest vollkommen Recht. Das war die totale Verschwendung eines schönen Riesen. In meinem Turniertagebuch steht: Wieder mal deprimiert. Jeder Pro, der das hier liest und sich meine Resultate anschaut, wird mir sagen, dass mir der Killerinstinkt fehlt. Und er hätte Recht… Es scheint, dass ich zu vorsichtig werde, wenn sich das Feld lichtet und ich versuche dranzubleiben … Ich neige dazu, gute Blätter zu übergehen und auf bessere zu warten – die dann schiefgehen.
Am Telefon jammere ich der Puppe die Ohren voll, die gerade in Boston ist und ihre Mutter und Schwestern besucht, um den Familienschmuck aufzuteilen. Aber es gelingt mir nicht, ihre Stimmung zu trüben, denn sie hat gerade einen goldenen Armreif ergattert, den sie schon immer haben wollte.
Das ist ja toll, sage ich. Kannst du ihn auf dem Weg hierher versetzen?
Und damit hieß es: Auf zum großem Kampf.
Wie kann ich mir diese ärgerlichen 1 000 Dollar zurückholen? Wieder einmal hatte ich ordentlich gespielt, und wieder einmal war ich nicht ins Geld gekommen, und dadurch schmerzte die Add-on-Dummheit ganz besonders. Ich nahm meinen Chablis aus dem Turnierbereich mit in das riesige Sports Book des Caesar’s Palace, ein verwirrender Komplex mit gigantischen Leinwänden und elektronischen Anzeigetafeln wie aus Star Wars. Wie wär’s mit einer patriotischen Wette auf Lloyd Honeyghan? Keine Chance. Er lag bei -250 (5 : 2) gegenüber +200 (2 :1) für seinen Gegner, Marlon Starling. Das würde mir nicht mal das Schwarze unter den Fingernägeln einbringen.
Nicht vertraut mit dem amerikanischen Sportwetten-System, suchte ich den Rat eines erfahren wirkenden Zockers. Der schaute sich erst verstohlen um und gab dann seinem kolonialen Cousin mit gesenkter Stimme einen heißen Tipp. Im Nebenkampf wurde der amerikanische Weltergewichtler Mark Breland, der gegen einen unbekannten Koreaner namens Seung Soun Lee antrat, mit – 600 (6:1) hoch vorgewettet. Obwohl Breland bei den Olympischen Spielen in Los Angeles Gold gewonnen hatte, war er inzwischen abgehalftert, wenn man den Worten meines verschwörerischen Freundes Glauben schenkte. Mit +400 (4:1) war der Chinese (wie er den Koreaner ständig nannte) eine Superwette.
Da ich absolut nichts von Boxen verstand und von keinem der beiden Kämpfer je etwas gehört hatte, beeindruckte mich vor allem die Aussicht darauf, mit 250 Dollar Einsatz auf den Mann aus China meinen verlorenen Tausender zurückzuholen. Nachdem ich die Wette platziert hatte, machte ich mich in der vagen Hoffnung, die Sportarena zu finden, auf den Weg durch die riesigen Räumlichkeiten des Caesar’s. Überall zogen Legionäre umher, deren Speere ständig etwas zu beschädigen drohten. Als ich mich endgültig hoffnungslos verirrt hatte, nahm ich daher die Hilfe eines freundlichen Zenturios in Anspruch. Als dieser mich gerade durch das Forum eskortierte, wurde er unsanft von einem sehr großen und breiten Mann aufgehalten, der den Weg zum VIP-Empfang wissen wollte.
Wusste dieser Kerl denn nicht, dass ich selbst ein VIP war, ein professioneller Pokerspieler? Ich muss ihm meinen besten finsteren Blick zugeworfen haben, denn urplötzlich wandte sich der bedrohliche Riese von meiner römischen Eskorte ab, senkte den Blick und sagte ausgesprochen höflich zu mir: Entschuldigen Sie, Sir. Der Zenturio sah mich flehentlich an und sagte: Schon in Ordnung, Mr. Cooney. Während wir unseren Weg fortsetzten, fragte ich ihn: Wer ist denn dieser Cooney? Oh, Sir, das war Jerry Cooney, sagte er, von Ehrfurcht ergriffen, der Mann, der gegen Holmes und Spinks um die Boxweltmeisterschaft gekämpft hat. Während wir die Via Appia entlang auf Poseidon’s Pool zugingen und uns damit der Sportarena näherten, fasste ich den Entschluss, bei meiner nächsten Auseinandersetzung mit einem Unbekannten hier etwas vorsichtiger zu sein.
Schließlich wimmelte es in diesem Schuppen nur so von riesigen, breitschultrigen Kerlen. Wie schon den ganzen Tag über steuerte meine Blase mich erneut in Richtung Herrentoilette. Während ich mich durch die Menge kämpfte, stieß ich gegen jemanden, der mir den Weg versperrte, und versuchte ihn mit dem Ellbogen beiseitezuschieben. Dabei fiel mir auf, wie seltsam eng diese Sporthallen gebaut sind. Aufgrund des bösen Blicks, den der Kerl mir zuwarf, und dank der Tatsache, dass er eine glänzende Tunika und Shorts trug, ging mir schließlich auf, dass es sich um einen verschwitzten Boxer handeln musste, der frisch aus dem Ring kam. Offenkundig hatte er gerade verloren. Darüber hinaus war er Asiate. Panik. Doch nicht etwa mein Asiate?