Geschichten eines Zockers in den Las Vegas Kasinos Teil I
Die Schöpfung an sich ist schon okay, sagte Steve Wynn, Planer des 630 Millionen Dollar teuren Mirage Hotel am Las Vegas Strip. Aber wenn Gott Geld gehabt hätte, hätte er so was hier gebaut. Das rasche Wachstum des Mirage – vom Bauplatz über das Stahlskelett, die Betonplattierung bis hin zur Miniaturstadt – begleitete mein Kommen und Gehen in Vegas während des gesamten Jahres. Geld spielt keine Rolle, sagte Wynn, als die Baukosten eine halbe Milliarde Dollar überstiegen. Mit einem Lächeln, das so breit war wie eine Kinoleinwand, beschrieb er seine Finanzpolitik: Wenn mir einer meiner Mitarbeiter sagt, dass wir mehr ausgeben müssen, damit irgendetwas perfekt wird, vielleicht fünfzehn, zwanzig oder dreißig Millionen mehr, dann sage ich okay. Ohne zu zögern. Die meisten Unternehmen sind einnahmengesteuert. Das Mirage ist ausgabengesteuert.
Schon allein der Name hatte ihn eine halbe Million an Abfindungen gekostet: Mit diesem Geld zahlte er zwei Billigmotels aus, die so clever gewesen waren, sich schon früher Mirage zu nennen. Inzwischen befand sich vor dem Haupteingang ein ständig feuerspeiender Vulkan im Bau, der sich in einem rund 40 Hektar großen, künstlichen Regenwald verlor. Etwa 30 Millionen Dollar gingen allein für die Landschaftsgestaltung drauf- mehr als die gesamten Baukosten des 1 966 errichteten monumentalen Nachbarn des Mirage, Caesar’s Palace, dessen Hypothek Gott vermutlich längst abbezahlt hat.
Falls es einen typischen Vegas-Vergnügungspalast gibt, sozusagen das Symbol amerikanischer Geschmacklosigkeit in ihrer schamlosesten Form, dann ist dies zweifellos das Caesar’s – der Pionier des goldenen Wasserhahns und des in den Boden eingelassenen Whirlpools, des herzförmigen Wasserbetts und der verspiegelten Zimmerdecke. Auf der anderen Seite des Strip verbergen die orientalischen Zwiebeltürme des Aladdin ein magisches Reich, in dem man an seiner Lampe reiben und Raquel Welch tanzen und singen sehen kann; einige Straßenzüge weiter riskieren die Gäste des Circus Circus beim Glücksspiel Kopf und Kragen, während hoch über ihnen Trapezkünstler ähnliche Risiken eingehen.
Aber sie alle reichen nicht an das Caesar’s heran, eine griechisch-römisch angehauchte Plastik-Phantasie, deren Rollstege den Gast direkt von der Straße in eine antike Welt entführen, in der entlang der gesamten Via Appia Kreditkarten akzeptiert werden, in der Dean Martin im Circus Maximus singt und Caesar persönlich zur Stelle ist, um einem den Weg vom hochflorigen Teppich zu Kleopatras Barke zu weisen, auf der Musen Martinis mixen und servieren. Es ist eine Welt, die selbst Hieronymus Bosch dazu gebracht hätte, sich verwundert die Augen zu reiben, und in der Coleridge sich in Xanadu gewähnt hätte. Und dank meines früheren Lebens war das Caesar’s meine nächste Anlaufstelle.
Anfang des Jahres war nämlich meine Vergangenheit meinem neuen Leben zu Hilfe geeilt: Meine amerikanischen Verleger wollten mich nach Los Angeles fliegen, damit ich bei CNN als Gast der Larry King Show auftreten konnte. Ein Flugticket an die Westküste für eine halbe Stunde im Fernsehen erschien mir wie ein guter Deal – zumal das Datum mit Amarillo Slim’s Superbowl of Poker im Caesar’s Palace zusammenfiel. Man zeigte sich zwar nicht besonders angetan, dass ich auf Business Class beharrte, doch Larry King war nun mal Larry King: eine Sendung, die mehr Bücher verkaufte als jede andere landesweite Talkshow.
Kostenlos im vorderen Bereich einer 747 zu sitzen bewirkt Wunder für ein schwindendes Spielkapital, selbst wenn man als derjenige Passagier ausgesucht wird, der den neuesten achtseitigen Fragebogen von British Airways ausfüllen muss – eine Tortur, die noch dadurch verschärft wurde, dass man mir für meine Bemühungen einen kostenlosen Patrick- Lichfield-Druck anbot. Ohne mein Gepäck, das angeblich bald nachkommen sollte, checkte ich im Four Seasons ein, bestellte mir die hoteleigene Limousine und fuhr den Long Beach Freeway entlang nach Bell Gardens und The Bike.
Ich war nur vierundzwanzig Stunden entfernt von Vegas, nur einen Tag entfernt von Kleopatras Armen, doch ich hielt es nicht länger aus. The Bike nennen die Kenner den Bicycle Club, den größten Kartensaal der Welt, mit seinen zweihundert immer gut besetzten Pokertischen, die sich endlos durch den Raum zu erstrecken scheinen. Seine ungeheure Größe stellt fast alle traditionellen kalifornischen Kartenklubs der Nachbarstadt Gardena in den Schatten, die als Erste die jahrhundertealten Bestimmungen des Glücksspielverbots zu umgehen verstand – vor allem für Stud- Horse Poker, eine Bezeichnung, die so fest umrissen (und heutzutage so unverständlich) ist, dass sie regelrecht zu Umgehungen einlädt.
Seit der Neufassung des Regelbuchs 1 936, kurz nach der Stadtgründung von Gardena, bieten berühmte alte Clubs wie das Eldorado, das Normandie oder das Horseshoe den Einheimischen jenen entspannten Lebensstil, den Robert Altman in seinem 1 974 gedrehten Film California Split so gut einfing; darin lernen Elliot Gould und George Segal das Pokern in Kalifornien auf die harte Tour kennen. Die Clubs zahlen derart immense Gewerbesteuern, dass der Lebensstandard der Bewohner, ebenso wie der Anteil an Hausbesitzern in der Stadt, zu den höchsten in den USA zählt.
Doch die etwas außerhalb gelegenen und erst kürzlich im protzigen Vegas-Stil neu eröffneten Kartenclubs wie das Commerce sowie gigantische Kartensäle wie das Bicycle haben die Vormachtstellung der Pioniere in Gardena geschwächt. Insbesondere das Bicycle ist so erfolgreich, dass es mittlerweile fast ein Viertel des gesamten Steueraufkommens von Bell Gardens ausmacht. In diesem Club herrscht eine warme, dem Wilden Westen nachempfundene Atmosphäre, die jeden Sommer mit der Austragung des Diamond-Jim-Brady-Turniers unterstrichen wird und sich deutlich vom klinischen Chrom-und-Glas-Glamour des benachbarten Commerce mit seinem schicken Restaurant und seinen Shows abhebt. Der südliche Teil von Los Angeles wurde ursprünglich von Einwanderern aus dem Osten besiedelt, daher ist es kein Zufall, dass das Bicycle wie das Commerce den asiatischen Glücksspielen viel Platz einräumen.
Vor allem ein wildes, auf purem Zufall basierendes Spiel namens Pai Gow Poker findet in eigens dafür abgetrennten Bereichen statt, in denen die Umsätze hoch sind, die Action schnell ist und manchmal sogar dreistellige Zuschauerzahlen die Partien verfolgen. Im Laufe der Jahre hatte ich die Clubs alle kennen gelernt, und nun rollte ich mit der Limousine vom Commerce zum Huntington Park, vom Normandie zum Eldorado und vom Horseshoe zum Bell, nur um mir selbst zu bestätigen, dass das Bike nach wie vor der richtige Platz für mich war. Ich freute mich so sehr, wieder hier zu sein, dass ich bald vergaß, dass mein langer Tag eigentlich in London begonnen hatte. In einem kurzen Moment benommener Faszination brachte ich es fertig, 1 000 Dollar am $ I0/$ 20-Hold’em-Tisch zu verlieren; danach beschloss ich, dass es Zeit dafür war, mich auf mein Schwätzchen mit Mr. King vorzubereiten. Entweder ich nahm jetzt sofort eine Mütze Schlaf oder ich würde vor aller Welt wie eine heißgelaufene Wachsfigur dastehen (und wahrscheinlich auch so reden).
Vierundzwanzig Stunden später war die Show im Kasten und ich wieder in Vegas. Mein Spielkapital litt immer noch unter dem vergangenen Abend, aber ich fühlte mich zuversichtlich genug, um es mit den vor mir liegenden Prüfungen aufzunehmen. Was konnte der Seelenklempner gemeint haben? Die schiere Freude, mit der das Leben hier in diesem modernen antiken Rom gelebt wurde, ließ seine Behauptung, ich könnte Besseres mit meiner Zeit anfangen, absurd erscheinen. Ganz im Gegenteil: Ich war genau in der richtigen Stimmung für das Caesar’s Palace – das sich übrigens seit kurzem einer noch nie da gewesenen Popularität erfreute, weil dort die Blackjack-Szene aus Rain Man mit Dustin Hoffman und Tom Cruise gedreht worden war. Wie sich herausstellte, hielt sich noch ein anderer Engländer aus beruflichen Gründen im Caesar’s auf: der Boxer Lloyd Honeyghan, der an diesem Wochenende hier seinen WBC-Weltmeistertitel im Weltergewicht verteidigen wollte.
Meine Lebensgeister – noch leicht angegriffen, aber wieder auf dem Wege der Besserung – kamen endgültig auf Touren, als ich den Brief las, der mich bei meiner Ankunft in meiner kostenlosen Petite Suite erwartete: Ich, Caesar, heiße Euch im Caesar’s Palace herzlich willkommen. Mein königliches Wunderland wurde einzig und allein zu Eurem Vergnügen geschaffen. Meine edlen Mitstreiter und ich streben an, Euch, unseren königlichen Gast, mit dem Besten zu bewirten, was Urlaub und Freizeit zu bieten haben …
Ave Caesar!, rief ich ketzerisch bei meiner Ankunft im Kartensaal und begrüßte damit Jack McClelland, den imposanten Leiter dieses und vieler anderer Turniere. Haltet ein, Zenturio, erwiderte er, ich habe Neuigkeiten für Euch. Jack musste kurz noch einen hitzigen Streit an Tisch Sechs schlichten, ehe er zurückkam und mir erzählte, er habe gerade die Korrekturfahnen der Broschüre für die in Kürze anstehende World Series gesehen. Du wirst begeistert sein, Tony. Auf einer farbigen Doppelseite bezeichnet man dich als einen der führenden Anwärter auf den Weltmeistertitel. Verwirrt, geschmeichelt und hoch erfreut murmelte ich ein paar Dankesworte, in der Annahme, das wäre von Jack veranlass worden. Bedank dich nicht bei mir, Tony. Das hat nichts mit mir zu tun. Und glaub ja nicht, dass du dich allzu sehr da-rüber freuen solltest. Nein? Warum nicht?
Weil damit deine Tarnung aufgeflogen ist. Im Mai liegt dieser Hochglanzprospekt in jedem Kartenclub der USA und noch ein paar anderen Ländern. Du wirst es fortan schwer haben, in passende Partien einzusteigen. Stimmt genau, Kumpel, sagte eine vertraute Stimme hinter mir. Ich schaute mich um und erblickte ein breites, freundliches Lächeln im Gesicht des Mannes, der dem bevorstehenden Turnier seinen Namen gegeben hatte, dem berühmtesten aller lebenden Pokerspieler.
Viele der jüngeren Pokerprofis sind körperlich wie geistig echte Hochleistungssportler und strafen das ungesunde Image des Pokerns Lügen, indem sie in Jogginganzug und Turnschuhen am Tisch erscheinen, direkt vom Squashplatz oder der Joggingstrecke. Alle übrigen werden fett. Und dann ist da noch Amarillo Slim. Vergessen Sie die schlanke, durchtrainierte Erscheinung des jungen Cassius – Slim ist so dünn und hager, dass selbst seine Freunde behaupten, er sehe aus wie der Vorbote einer Hungersnot. Dünn?, sagt der Mann selbst. Teufel noch mal, als Kind musste ich aus der Wanne raus, bevor Mam den Stöpsel zog.
Thomas Austin Preston, mit Sicherheit der einzige Bewohner von Arkansas, der nach einer texanischen Stadt benannt wurde und nach einer weiteren seinen Spitznamen erhielt, wiegt 77 Kilogramm und ist einsneunzig groß – bzw. über zwei Meter, wenn man den riesigen Stetson mitrechnet, den er Tag und Nacht zu tragen scheint. Man erkennt Slim schon aus hundert Metern Entfernung und kann ihn von dort auch schon hören, denn Amarillo ist eine der größten Plaudertaschen der Pokerwelt. Das liegt nicht nur an seiner natürlichen Lebensfreude: Für Slim sind Gespräche am Tisch eine raffinierte Taktik, um seine Widersacher aus dem Konzept zu bringen. Varianten zu Themen wie Hey, Nachbar, bei meinem fetten Einsatz gehst du lieber nicht mit, ich hab’ nämlich sechs Tittchen (drei Damen) auf Lager oder Der Mann hier ist ja noch lahmer als ein Maultier mit drei gebrochenen Beinen oder (wenn keine Damen zugegen sind) Der Kerl ist ja noch verschlossener als das
Ding einer Nonne haben Slim im Lauf der Jahre ein veritables Vermögen eingebracht und dazu beigetragen, ihn zu einem der populärsten Pokerspieler seiner Zeit zu machen. Als er zu einer Partie gegen die weitbeste Pokerspielerin herausgefordert wurde, im Stile von Bobby Riggs gegen Billie Jean King im Tennis, nahm Slim begeistert an und sagte voraus, eine Frau hätte bessere Chancen, eine Wildkatze in einen Tabakbeutel zu stopfen, als mich beim Pokern zu schlagen. Betty Carey, seinerzeit amtierende Weltmeisterin, ließ sich von seinem Tischgeschwätz in die Niederlage treiben. Obwohl sie sittsam gekleidet erschienen war, behauptete Slim nach der Partie: Immer wenn sie einen Bluff versuchte, konnte man ihre linke Titte wackeln sehen. Beim Rückkampf zeigte Betty ein wenig Dekollete. Jetzt ist es noch leichter, deine Bluffs zu erkennen, rief Slim wiederholt während der Partie und gewann erneut.
Zum dritten und letzten Wettbewerb erschien Betty mit einem bühnenreifen Dekollete – und mit einem Sony Walkman, um Slims endloses Geschwätz auszublenden. Dieses Mal gewann sie. Slims Sieg bei der World Series of Poker 1 972 überraschte selbst ihn: Jungchen, zwischenzeitlich waren meine Aussichten besser, ein Rendezvous mit der Preiheitsstatue zu ergattern, als das Turnier zu gewinnen. Doch seinen Sieg vermarktete er extrem geschickt. Ein witziger Auftritt in der Johnny Carson Show, gefolgt von einem Pokerhandbuch, das sich wie warme Semmeln verkaufte, ließen ihn zur bekanntesten Figur im Poker seit Wild Bill Hickok werden.
Heute ist er vielleicht nicht länger der beste aller aktiven Spieler, doch mit Sicherheit der prominenteste. Wenn Slim mit federndem Schritt vorbeikommt, stoßen sich Möchtegern-Kartenhaie, die zum ersten Mal und mit staunenden Augen in Vegas zu Besuch sind, gegenseitig an, zeigen mit dem Finger auf ihn und flüstern sich aufgeregt etwas zu. Sogar diejenigen, die seine Mätzchen am Tisch satthaben, räumen ein, dass er über Jahre hinweg ein großartiger Botschafter für das Pokern gewesen ist. Wenn die Bedingungen stimmen, akzeptiert er jede Einladung zu einer Veranstaltung: Mein Reisepass sieht aus, als wäre ein Huhn darauf herumgelaufen. Und wenn begeisterte Amateure Slim bis zum heutigen Tag Mister Poker nennen, legen nur wenige seiner Profikollegen Protest ein.
Slim kam vor etwa siebzig Jahren in Johnson, Arkansas, zur Welt – er ist heute einer der wenigen Profis, die sich ihres Alters schämen -, und er war noch kein Jahr alt, als seine Familie erkannte, dass sie auf dem falschen Pfad wandelte, und nach Texas zog. In der Geschichte der Familie Preston hatte das Glücksspiel nie eine Rolle gespielt. Meine Eltern waren ganz normale Leute, die zur Kirche gingen und hart arbeiteten. Dad hatte ein paar Cafes und betrieb viele Jahre lang einen Gebrauchtwagenhandel in Amarillo. Der Privatmann Slim ist heute ebenfalls ganz Familienmensch und lebt auf einem großen Anwesen außerhalb von Amarillo. Den Winter über reist er durch die Lande, und im Sommer bleibt er daheim, um bei seiner Familie zu sein. Soweit ich weiß, hat meine Frau Helen Elizabeth in ihrem ganzen Leben noch kein einziges Glücksspiel gespielt. Sie hält einen König für den Herrscher eines Landes und eine Dame für dessen Bettgefährtin.
Bis heute gibt Amarillo Slim in seinem hühnerzerkratzten Reisepass als seinen Beruf Professioneller Billardspieler an. Tatsächlich nahm seine Karriere damit auch ihren Anfang: Auf der Highschool schwänzte der junge Preston häufig den Unterrieht, steuerte stattdessen die örtliche Billardhalle an und schlug jeden, der im Laden war. Mit etwa sechzehn Jahren wechselte er vom Pool zu den Karten, profitierte jedoch auch weiterhin von seinen Billardkünsten. Während seiner Zeit bei der Marine machte er die Westküste unsicher, wobei er als rechte Hand und Chauffeur eines Marinehauptmanns auch in seiner freien Zeit einen Dienstwagen benutzte. Einer berühmten Anekdote zufolge gewann er in San Francisco fünf Cadillacs, nachdem er seine Widersacher um ihr gesamtes Bargeld gebracht hatte. Ich verließ die Navy mit über 100 000 Dollar in der Tasche. Ich war immer noch ein Jüngelchen, gerade mal zwanzig, und glaubte, ich wäre reich. Binnen eines Jahres verlor ich alles bis auf den letzten Cent.
Als der Krieg ausbrach, reiste Slim durch Europa und gab als ziviles Mitglied der US Special Services Billard-Vorführungen. Zwar konnte er nie Englands legendären Snooker-Weltmeister Joe Davis schlagen, besiegte dafür jedoch die amerikanische Pool-Legende Minnesota Fats bei zwei von drei öffentlichen Wettbewerben. Jedenfalls behauptet Slim das. Fats hat Slims Erinnerungen an diese Partien stets widersprochen, doch diese Geschichten sind längst in die Preston’sche Überlieferung eingegangen – genau wie viele andere Anekdoten, die viel zu gut sind, als dass man sie überprüfen wollte.
Die amerikanische Zollgesetzgebung erlaubt es Slim heute auch, sich voller Freude in Erinnerungen an den lukrativen Schwarzmarkthandel zu ergehen, den er innerhalb der alliierten Truppen in Europa betrieb. Die Gis waren einfach nur platt, was sie alles hinten auf meinem Wagen zu sehen bekamen. Bei Kriegsende warfen die Billardtricks nicht mehr so viel ab, als dass Slim damit weiterhin seiner Neigung zum guten Leben hätte nachgehen können. Daher verlegte er seinen Schwerpunkt fortan auf das Pokern. In den fünfziger Jahren bildete er eine Spielergemeinschaft mit Doyle Brunson und Brian Sailor Roberts:
Sie teilten sich Gewinne und Verluste, während sie im gesamten Westen der Vereinigten Staaten auf die Jagd nach Partien mit hohen Einsätzen gingen. Wenn wir weiterzogen, sah die Stadt aus, als sei jemand mit dem Staubsauger durchgegangen.
Eine andere Masche von Slim bestand darin, sich frühmorgens in den Bars in unmittelbarer Nähe von Staatsgefängnissen herumzutreiben. Frisch entlassene Gefangene, deren Spar-schwein schlachtreif war, landeten auf der Suche nach einem Drink und einer Frau als Erstes hier und stießen dann auf Slim und einen Partner, die eine amateurhafte Partie Domino spielten – das einzige Spiel, das in amerikanischen Gefängnissen erlaubt war. Unweigerlich kam es zu einer Herausforderung. Slim ließ die Knastbrüder die ersten kleinen Spiele gewinnen, bot dann unschuldig an, die Einsätze zu erhöhen, und nahm sie anschließend rücksichtslos aus.
Alle, die an dieser speziellen Geschichte ihre Zweifel hegten (darunter zu seinem eigenen Schaden Steve Wynn, der Besitzer des Golden Nugget), wurden erst kürzlich eines Besseren belehrt: Slim nahm nämlich die Herausforderung eines berühmten Ex-Sträflings – des Country- und Westernsängers Willie Nelson, der damals im Nugget auftrat – an und besiegte diesen im Domino. Überhaupt scheinen Prominente eine Vorliebe dafür zu haben, sich an Slim zu versuchen: Vor ein paar Jahren bezahlte Larry Flint, der Besitzer des Magazins Hustler, fast zwei Millionen Dollar, nur um festzustellen, dass Slim sich bei einem Pokerspiel Mann gegen Mann tatsächlich zum Sieg quasseln kann – vor allem bei der Art von Pot, die er am meisten liebt, nämlich so hoch, dass kein Hund mehr drüberspringen kann.
Pokerprofis dringen in aller Regel nicht in die Privatsphäre ihrer Kollegen ein, doch Slim muss man nicht lange bitten, bis er von den Waterford-Kristalllüstern erzählt, die seine luxuriöse Farm in Texas schmücken, oder von der Rinderherde, die in Sichtweite seines olympiaverdächtigen Swimmingpools grast. Früher besaß er auch eine Rennpferdezucht, aber man sollte nie ein Hobby betreiben, das frisst. Die meisten Räuberpistolen über Slims glückliches Landleben haben etwas mit den Cowboys zu tun, die sich um seine Herden kümmern, mit den Stallburschen, die seine Pferde versorgen, den Helfern, die tagelang reiten, ohne das Preston’sche Grundstück zu verlassen.
Einer dieser Männer war es auch, der pflichtgetreu jene Klapperschlange tötete und häutete, die Slim vor zehn Jahren gebissen hatte und die sich nun auf ewig um seinen Stetson windet, mit smaragdgrünen Augen passend zu den großen, ungeschliffenen Diamanten, mit denen er sich seine Maßhemden mit Monogramm zuknöpft. Sie glauben ihm nicht? Dann lassen Sie sich die Bisswunde zeigen, die ihm die Klapperschlange an der Hand zugefügt hat. Sie haben ihn nie gewinnen sehen? Er wird Ihnen einen (bescheidenen) Preisnachlass bei einer der Fast-Food-Ketten anbieten, deren Franchiserechte er in drei Staaten der USA besitzt. Anschließend wird er Ihnen erzählen, wie viel er für das Eigengewicht des Schmucks bezahlt hat, der seine maßgeschneiderten Westernanzüge besser zur Geltung bringt. Wie die Imelda Marcos des Pokerns besitzt Slim Stiefel aus Kalbs- und Alligatorleder, Eidechsen, ja sogar aus Straußen-, Känguru- und Ameisenbärleder im Wert von Zehntausenden von Dollar.
Ich weiß, dass ich auf großem Fuß lebe, aber so was muss man eben machen, wenn man beim Poker ums ganz große Geld spielt… Es schadet nie, wenn potenzielle Gegner glauben, dass man mehr als nur leicht beschränkt ist und das ganze Geld in seiner Gesäßtasche gar nicht zählen, geschweige denn behalten kann. Das ist einer der Gründe, warum ich einen großen Cowboyhut, Cowboystiefel und Westernklamotten trage-vor allem, wenn ich um die Welt reise und es auf hohe Einsätze abgesehen habe. Überall gehen die Leute davon aus, jemand aus Texas mit einem breitrandigen Cowboyhut müsse nicht nur Milliardär, sondern auch ein Trottel sein.
Das ist mir nur recht, denn diesen Eindruck möchte ich ja erwecken. Diese Vorgehensweise bringt die Kerle zum Rätseln, und wer rätselt, verliert. Das ist genau mein Ding – die anderen rätseln zu lassen. Auf großem Fuß leben – das war Slims erster Ratschlag, als ich ihn um ein paar Tipps aus seiner Trickkiste bat. Außerdem empfindet er seinen Aufputz als praktisch: Was glaubst du, warum ich gerne diesen breitrandigen Stetson trage? In den Augen eines Mannes spiegeln sich 90 Prozent seiner Gedanken. Aber wenn ich meinen Hut trage, sieht man meine Augen nur dann, wenn ich es will.
Nachdem ich seinen Hut ausprobiert hatte, der sich als tonnenschwer erwies, beschloss ich, mir eine getönte Brille zuzulegen. Für Slim ist die Kopfbedeckung sogar Inspirationsquelle neuer Pokermetaphern. Egal, ob für Lokalgrößen oder Profis bei der World Series: Beim Pokern kommt es immer auf Psychologie, Position, Quoten und Fallenstellen an. Ich stelle liebend gern Fallen – und Fallensteller tragen nun mal nicht nur Pelzmützen. Slim kam mir mit einem ganzen Lexikon voller Pokerratschläge – zu viele, als dass ich sie mir alle hätte merken können. Zunächst einmal bestätigte er mir eine meiner Lieblingsthesen, nämlich dass Poker zwar eine institutionalisierte Form der Unehrlichkeit ist, dass aber die Bekanntschaften zwischen Berufs-spielern zu den ehrlichsten in dieser finsteren Welt gehören. Tony, sagte Slim mit Nachdruck, ich hab zwei oder drei Zigarrenkisten voller geplatzter Schecks, die mir Geschäftsleute angedreht haben, aber keinen einzigen von einem professionellen Glücksspieler.
Dann folgte Slims Rat zum Thema Wachsamkeit: Du musst den Arsch einer Fliege auf hundert Meter erkennen und hören können, wenn eine Maus auf Baumwolle pinkelt. Slim über Vertrauen: Wenn dir bei diesem Spiel ein wahrer Freund erzählt, eine Gans könnte einen Pflug ziehen, dann spann’ sie an, denn sie wird ihn todsicher bewegen können … Über Mitgefühl für Freunde, die gerade verlieren: Ich mag dich, Tony, aber wenn es sein muss, steck ich dir eine Klapperschlange in die Tasche und bitte dich um Feuer. Über den Killerinstinkt beim Pokern: Ein Schaf kann man oft scheren, aber nur einmal häuten. Slim über Optimismus: Ich bin wie dieser Kerl, der von einem Witzbold zum Geburtstag eine große Kiste Pferdeäpfel geschenkt bekommt. Und wenn dieser Optimist sie dann aufmacht, freut er sich wie ein Schneekönig und fängt an, in dem ganzen Pferdemist herumzuwühlen – weil er nach dem Pferd sucht.
Slim weiß, wie man das Beste aus einem starken Blatt herausholt: Leg nicht gleich los wie ein Furie. Warte, bis du glaubst, die Katze im Sack zu haben, dann stell deinem Gegenspieler Mr Nochmehr vor. Slim sucht sich seine Gegner sorgfältig aus: Ich lass mir lieber die Ernte verhageln, als dass ich mit dem Kerl eine Partie Stud spiele. Er weiß, wann man aufhören muss: Ich kann nicht mehr, ich bin so durch wie ein altes Sofa. Und er weiß eine Niederlage philosophisch zu nehmen: Manchmal schlachten die Lämmer eben den Metzger. Einer von Slims besten Sprüchen aber behandelt die hohe Kunst eines würdevollen Abgangs: Falls sie dich fragen, wohin du gehst, sag ihnen einfach: Niemand weiß, wohin läuft die Geiß, kriegt sie’s auf den Steiß. Bevor die Woche vorüber war, sollte ich es selbst herausfinden.
Trotz unseres Ausflugs nach St. Lucia hatte diese eine unsterbliche Hand beim Levy’s Game genug Geld eingebracht, dass sich mein Spielkapital wieder auf 15 000 Dollar belief, drei Viertel seiner ursprünglichen Summe. Erneut war mir ein kostenloses Flugticket in den Schoß gefallen, und natürlich wohnte ich wieder kostenlos in Vegas. Doch im Bike hatte ich bereits 1 000 Dollar verschleudert, und die Teilnahmegebühren für die in dieser Woche stattfindenden Turniere waren gesalzen. Falls ich auch noch ein Spielchen an den Nebentischen riskieren wollte, würden mich meine gesetzlich zugelassenen 9 999 Dollar nicht allzu weit bringen, sofern ich nicht ein oder zwei Satellitenturniere gewann. Nachdem Slim einen weiteren Ankömmling entdeckt hatte, den er mit witzigen Sprüchen vollstopfen konnte, machte ich mich an die Arbeit, nahm 150 Dollar und meldete mich für einen Satellite für das
1 500-Dollar-Limit-Hold’em-Turnier am nächsten Tag. Bei der ersten Hand bekam ich A-6 von Pik und setzte darauf. Drei Leute gingen mit. Der Flop brachte 5-7-8, davon zweimal Pik.
Nun setzte ein Typ mit einer Hasenpfote als Glücksbringer das Maximum, wonach die beiden Nächsten passten. Ich erhöhte meinerseits, und Hasenpfote ging mit. Der Turn brachte eine Neun, so dass ich jetzt eine Straße zusammenhatte, komplett mit der Chance auf einen Flush. Hasenpfote setzte; ich erhöhte wieder, und er ging mit. Zu diesem Zeitpunkt hielt ich es nicht mehr für wahrscheinlich, dass jemand mit 6-10 so lange mitging; daher war das einzige Blatt, das mich in diesem Augenblick schlagen konnte, 10 und Bube – und ein Gegner mit einem solchen Blatt hätte seinerseits erhöht. Obwohl Hasenpfote mich ein wenig irritierte, hatte ich immer noch ein gutes Gefühl, bis auf dem River eine Zehn auftauchte. Als er schob, setzte ich alle Chips, die mir geblieben waren. Zu meiner Überraschung ging er mit, womit wir beide All-in waren.
Als ich meine Straße aufdeckte, warf Hasenpfote seine Karten weg, doch sie drehten sich kurz vor dem Stapel um und legten ein Paar Buben frei. Der Dealer warf einen langen, bedächtigen Blick darauf, während der Verlierer mit den Schultern zuckte, seine Hasenpfote nahm und gehen wollte. Er dachte, er hätte nur ein paar Buben gehabt. Tatsächlich hatte er eine höhere Straße zusammen als ich. Beim Poker gilt der Grundsatz: Cards Speak – der Wert eines Blatts definiert sich nur über die Karten. Also tat der Dealer seine Pflicht und wies Hasenpfote darauf hin, dass er gerade einen Pot gewonnen hatte, der so groß war, dass er ihn zum Führenden dieses Satellitenturniers machte. Und ich war nach der ersten Hand ausgeschieden.
Na schön, so ist das nun mal. Wie heißt es so schön? Spiel nie mit einem Schwachkopf. Vielleicht hätte ich mir auch eine Hasenpfote zulegen sollen. Immerhin sind einige der coolsten, vernünftigsten Profis erklärtermaßen abergläubisch: Sie bevorzugen bestimmte Platznummern, sie glauben an bestimmte Glückskarten, und nach einem schlechten Lauf verlangen sie einen Satz neuer Karten – ein Set-up – in der tiefen Überzeugung, dass sich die Lage dadurch ändert. Sogar Johnny Chan hat seine Glücksorange. Vielleicht war es für mich an der Zeit, der Karo-König-Uhr noch eine Chance zu geben? Ich beschloss, es noch einmal bei einem Satellite zu versuchen, nur dieses eine Mal, und flitzte hinauf in mein Zimmer, um mich am Handgelenk neu einzukleiden.
Dieses Mal landete ich an einem Tisch, an dem mir kein einziges Gesicht bekannt vorkam. Zu Anfang irritierte mich eine Frau, die problemlos acht Chips gleichzeitig riffeln konnte, und zwar auf einem Stapel von zwanzig Chips – genug, um mir den Mut für eigene Versuche zu rauben. Dieses Spiel, so überlegte ich, konnte sich als gute Gelegenheit erweisen, mich in der Aufdeckung von Teils zu üben, verräterischer Angewohnheiten der anderen Spieler. Doch kurz darauf steckte ich in einem fortwährenden Kampf mit einem unangenehmen, aggressiven Asiaten auf Platz Fünf, dessen Gesicht überhaupt keine Informationen preisgab – weder vor noch während oder nach einem Pot. Er zeigte das perfekte Pokerface und war die Unergründlichkeit in Person. Der Mann jagte mir lange Zeit Angst ein, doch es gelang mir, mich zu behaupten und manchmal sogar mit der gleichen coolen Selbstsicherheit zu spielen wie er. Nach einer Stunde, als ich 700 Dollar über meinen ursprünglichen 1 000 Dollar lag, setzte ich instinktiv auf einen Loser – setzte das Maximum auf absolut wertlose Bunkerkarten – und sah zu meiner Genugtuung, dass alle anderen passten. Also hatte ich mir doch ein wenig Respekt erarbeitet! Es war ein ungewohntes und sehr angenehmes Gefühl.
In Augenblicken wie diesen, mitten in einer der scheinbar endlosen Pokersessions in Vegas, erkannte ich allmählich, welche Bedeutung die Intuition beim Pokern spielt. Spiele lieber täglich rund um die Uhr als einmal die Woche mit allem Möglichen im Kopf, dann entwickelst du einen sechsten Sinn nicht nur für die Karten, sondern auch für Gelegenheiten, Situationen und deine Gegner. Das Berechnen der Quoten erfolgt dann fast unbewusst, so wie es vielleicht auch sein sollte, und man hat den Kopf dafür frei, die Stimmung des Spiels aufzunehmen, die ureigenen Zweifel der anderen Spieler, die Launen des Schicksals, die Bedeutungslosigkeit aller anderen Dinge. Übernimmt ein leichtsinniger Autopilot die Kontrolle, was immer mal wieder vorkommen kann, dann steckt man in Schwierigkeiten.
Doch trifft man die richtigen Entscheidungen, die in gleichem Maße auf Instinkt wie auf Logik basieren, dann kann man sich einer kurzen Zwiesprache mit den Pokergöttern erfreuen. Die Profis machen sich in der Regel lustig über derart romantische Anflüge und beharren stattdessen auf einem rücksichtslosen, unerbittlichen Festhalten an der Pokerwissenschaft; doch die meisten von uns kennen Situationen, in denen das Spiel zu einer Art Kunstform aufblüht und einen zu Einblicken befähigt, dass man sich regelrecht vorkommt wie ein Gott. Hätte ich jetzt doch nur in einer höheren Liga gespielt, denn das hier entwickelte sich zu einem dieser Momente.
Als beim nächsten Flop ein Ass auftauchte, ließ ich den Asiaten mit seinem Einsatz den Pot stehlen, obwohl ich davon ausging, dass er nichts auf der Hand hatte. Ich hatte J-J auf der Hand, aber das war in dem Moment egal. Danach saß ich am Dealerbutton und er in später Position – perfekt für die Art von Steal, den ich kurz zuvor zuwege gebracht hatte. Aber ich wollte diesmal nicht alles riskieren, nur um ihn zu entlarven. Ich war in jene Art angenehmen geistigen Gleitflug übergegangen, bei dem aus dem Nichts heraus eine ruhige, undramatische Selbstsicherheit auftaucht und unmerklich die Kontrolle übernimmt. In solchen Momenten – es lässt sich nicht erklären – werden Wahrscheinlichkeiten und Quoten zweitrangig: Man weiß einfach, dass einem nichts passieren kann, wenn man nur mit Bedacht spielt. Selbst als nur noch der Asiate und ich übrig geblieben waren, bekam ich keine feuchten Hände, wurde ich nicht nervös, blieb geduldig wie noch nie. Warte, warte, warte nur, sagte ich mir immer wieder, die Karten werden schon noch kommen. Auf meinen eigenen Ratschlag zu hören war so schwierig wie immer – doch ich tat es und gewann.
Hatte mir die Karo-König-Uhr endlich ihren Zauber entfaltet? Ich ließ den Gedanken nicht zu. Ich wusste nur, dass ich sie bei einem Kapitalaufwand für Startgebühren von 300 statt 1 500 Dollar am nächsten Morgen immer noch trug, als einem von 128 Teilnehmern an Amarillo Slim’s Limit-Hold’em-Turnier, bei dem ein Preisgeld von insgesamt 192 000 Dollar winkte. In der ersten Pause, um 13.20 Uhr, war ich noch immer dabei, hatte allerdings nur noch 1 200 Dollar in Chips. Ein Paar Sechser half mir, Platz Drei aus dem Turnier zu befördern und meinen Chipstapel wieder auf 1 500 Dollar auszugleichen. Jetzt saßen nur noch sechs Spieler an unserem Tisch. Daraufhin entstand eine kleine Verzögerung, in der Jack McClelland uns mitteilte: Rührt euch nicht vom Fleck. Da ist wieder Frischfleisch im Anmarsch.
Während ich Stunde um Stunde, Tag um Tag hier saß und auf das richtige Blatt und den richtigen Moment wartete, wartete und noch einmal wartete, schweiften meine Gedanken zugegebenermaßen das eine oder andere Mal ab. Wer mit Stu Ungar oder Johnny Chan an einem Tisch sitzt, wird feststellen, dass sie die Zeit nutzen, die ihnen nach dem Passen zur Verfügung steht: Sie studieren das Spiel der anderen Turnierteilnehmer, bilden sich ein Urteil über deren Wettverhalten, suchen die Gesichter nach verräterischen Zeichen ab und beobachten sogar das Mischen und Austeilen mit minutiöser Aufmerksamkeit. Jeder Hinweis, ja jede Spur eines Hinweises, verschafft ihnen einen Vorteil. Ich dagegen langweile mich häufig derart, dass ich von dem gleichen Drang ergriffen werde, der mich gelegentlich bei öden Abendgesellschaften überkommt: Dann möchte ich etwas Ausgelassenes tun, meine Gesellschaft mit unflätigen Worten schockieren oder die unentwegt leiernde Herzoginwitwe zu meiner Linken anfunkeln.