Das Leben eines Spielers richtig verstehen und neue Pokerstrategien lernen Teil II
Das brachte die anderen ins Grübeln. Nach langem Hin und Her plädierten schließlich einige dafür, es vielleicht doch mal mit dem Mittwochabend zu versuchen. Im Grunde würde es für die anderen Spieler keinen großen Unterschied machen; schließlich waren es allesamt absolute Faulenzer, die – wenn sie es wollten – genauso gut den gesamten Donnerstag im Bett verbringen konnten. Aber da sie wussten, dass es sich für uns um eine Frage von Leben und Tod handelte, ließen sie uns für ihr Entgegenkommen ordentlich schwitzen. In der zweiten Woche des neuen Spieltags – die Teilnehmer hatten gerade Platz genommen – verkündete Al nachdenklich: Irgendwie scheint es von Mittwoch bis Mittwoch länger zu dauern als von Dienstag bis Dienstag.
Und als beide Shows (oder genauer: ihre Moderatoren) sechs Monate später fast zwangsläufig scheiterten und aus dem Programm genommen wurden, wechselte die Dienstagabendrunde sofort wieder zurück an ihren angestammten Platz – mit einer wundervoll kurzen Wechselwoche, in der Al nur von Mittwoch bis Dienstag auf seine wöchentliche Dröhnung warten musste. In der Zwischenzeit war mir ein bemerkenswerter Durch-bruch gelungen. Anfang der achtziger Jahre hatte ich, neben vielen anderen glücklichen Spesenrittern, einen Werbebrief erhalten, in dem man mir eine American Express Gold Card anbot. Diese Kreditkarte war an ein Bankkonto gekoppelt, das man ohne Fragen um bis zu 10 000 Pfund überziehen konnte.
Eine solche Gold Card war damals so etwas wie ein Statussymbol, aber im Grunde brauchte ich gar kein weiteres Konto – erst recht keins, das mich dazu verleiten würde, mich noch höher zu verschulden. Es sei denn …Auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch nichts davon ahnte, sollte AmEx für ihren neuen Gold-Card-Besitzer Zeuge seines langjährigen Erfolges beim Pokerdienstag werden. Nach einem kurzen Besuch beim zuständigen Bankmitarbeiter, dessen Fragen ich ausweichend beantwortete und hochtrabend mit meiner gehobenen gesellschaftlichen Stellung als Stellvertretender Chefredakteur der Times konterte, beschloss ich insgeheim, dieses neue und ansonsten nutzlose Konto ausschließlich meinem noch zu machenden Pokervermögen vorzubehalten.
Indem ich die fragliche Geldsumme vollständig aus dem Umfeld meiner tatsächlichen Finanzsituation auslagerte, erschien sie mir plötzlich nicht mehr real – und das war ja schließlich auch der Sinn der Sache. Wenn man einen Einsatz in schwindelerregender Höhe erwägt und die Gedanken weiterrasen zum prekären Zustand des eigenen Bankkontos und den drohenden Zahlungsraten für die Hypothek oder den Wagen, kann man keine korrekten Entscheidungen mehr treffen. Umgekehrt sollte ein gewonnener Pot nicht sofort mit einem neuen Anzug aus der Savile Row oder der Anzahlung für einen neuen Cadillac gleichgesetzt werden. Poker mag zwar eine Fortsetzung der psychologischen Kriegsführung mit anderen Mitteln sein, eine Kunstform oder tatsächlich ein Lebensstil, aber es ist auch immer noch ein Spiel, bei dem das Geld lediglich dazu dient, den Spielstand anzuzeigen.
Das war eine weitere Lektion, die ich schon sehr früh und auf die harte Tour lernen musste – ob nun mit oder ohne dieses magische Bankkonto. Ich habe diesen Riesenfehler ein einziges Mal begangen, einmal und nie wieder. Eines Mittwochs, nachdem ich am Abend zuvor wunderbare 800 Pfund gewonnen hatte, nahm ich mir den Tag frei, um bummeln zu gehen. Kurz danach tauchte in meinem Arbeitszimmer daheim ein nagelneues Chesterfield-Sofa auf, von dem aus ich mein elegantes neues Fernsehgerät inklusive Videorekorder betrachten konnte (damals ein absoluter Luxus). Die materielle Befriedigung, die sie mir schenkten, wurde noch verdoppelt durch die Tatsache, dass ich darauf zeigen und mir oder jedem anderen sagen konnte, dass ich diese Einrichtungsgegenstände beim Pokern gewonnen hatte. Ich konnte – und könnte es sogar heute noch – genau verifizieren, welcher Spieler so großzügig dafür bezahlt hatte.
Für einen Pokerneuling mag es befriedigend sein, herumzulaufen, auf Objekte zu zeigen und zu verkünden: John Soundso hat dafür bezahlt, mit seinem Einsatz gegen mein Full House mit Assen. Doch das ist eine ausgesprochen schlechte Angewohnheit, selbst für Leute, die nicht abergläubisch sind. Mir blieb weniger als eine Woche, um mich an meinem neuen Video- Heimkino zu erfreuen: Am darauf folgenden Dienstagabend verlor ich eine noch höhere Summe als die zuvor verdienten 800 Pfund – und befand mich plötzlich in peinlichen Zahlungsschwierigkeiten. In der Welt des Pokerns gibt es jedoch keine Entschuldigungen, vor allem dann nicht, wenn man in der Woche zuvor kräftig abgesahnt hat. Pokerspieler erwarten, durchaus zu Recht, dass Gewinne der Pokerwirtschaft wieder zugeführt werden – und zwar vorzugsweise der Runde, in der sie gemacht wurden, und nicht an irgendeinem anderen Spieltisch ein paar Türen weiter.
Meine Mitspieler kannten keine Gnade, was ja auch richtig war, und das glänzende neue Bankkonto rutschte tief in die roten Zahlen – mit extrem hohen Überziehungszinsen, wie es sich für ein Edelzocker-Gold-Card-Konto gehörte. Ich erkannte, dass mir das Sofa, der Fernseher und der Videorekorder keineswegs geschenkt worden waren – ich hatte sie Stück für Stück selbst bezahlt. Und ich hatte zu viel dafür ausgegeben. Nachdem ich diese Lektion gelernt hatte, machte sich das separate Bankkonto allmählich bezahlt. Wenn ich gewann, dann spielte ich in der darauf folgenden Woche mit dem Geld der anderen Teilnehmer – ein Umstand, der mir die Freiheit schenkte, ein paar kalkulierte Risiken einzugehen, und ein psychologischer Vorteil gegenüber dem Spieler, dem ich die Summe abgeknöpft hatte. Wenn ich verlor, bestrafte ich mich selbst durch den hohen Zinssatz, statt auf richtiges Geld von meinem richtigen Konto zurückzugreifen und meine Schulden zu begleichen. Dieser Trick funktionierte so gut, dass das Pokerkonto nach einer Weile bedeutend mehr Geld aufwies, als ich in ein oder sogar zwei Dienstagabendrunden verlieren konnte. Daher war nun der ein oder andere Luxus erlaubt: Ein Spontanurlaub ist doppelt so schön, wenn man in der karibischen Sonne sitzt und seinen Bananen-Daiquiri in einem stillen Toast an all die Trottel erhebt, die dafür bezahlt haben. Aber so lief es selbstverständlich nicht immer.
Auf eine ordentliche Portion Glück folgt meist eine noch größere Portion Pech, und natürlich spielt man an manchen Abenden besser als an anderen. Es ist statistisch und steuerlich erwiesen – daran hege ich keinen Zweifel dass die gleichen sieben oder acht Spieler nicht zwanzig Jahre lange jede Woche Poker spielen können, ohne dass das eingesetzte Geld zu ziemlich gleichen Teilen hin- und herfließt. Natürlich ist im Laufe der Jahre der ein oder andere treue Recke auf der Strecke geblieben, aber das bedauern die Hinterbliebenen mindestens ebenso sehr: Ihnen fehlt sowohl die Gesellschaft des anderen als auch dessen Scheckbuch. Unsere Pokerrunde ist im Grunde ziemlich sozialverträglich – ein geselliges Beisammensein, bei dem die Leute sich amüsieren und für kurze Zeit den Anforderungen ihres Alltags entfliehen können.
Unsere Ehefrauen und/oder Freundinnen sind im Allgemeinen sehr verständnisvoll (ihnen bleibt wohl auch nichts anderes übrig), selbst wenn das bedeutet, in eine Schublade mit den anderen Anforderungen des Alltags gesteckt zu werden. Alvarez hatte genau das eines Tages im Radio herausposaunt – wie vorherzusehen, mit katastrophalen Folgen. Während er versuchte, in einer Radiosendung Reklame für sein Pokerbuch zu machen, erklärte er, warum das Tuesday Night Game einen solch hohen Stellenwert in seinem Leben eingenommen habe. In meinem Alter, setzte er an, gibt es nur noch wenige Nervenkitzel. Ich klettere gerne auf Berge, aber Lesen, Schreiben und sogar Sex … Als ich seine Stimme aus meinem Autoradio hörte, überkam mich ein derartiges Schwindelgefühl, dass ich links ranfahren musste. Wie so häufig, wenn man einem Freund im Radio oder Fernsehen lauscht, wuchs meine Sorge über jedes geäußerte Wort und jede Nuance derart, dass es mich förmlich zusammenkrümmte, obwohl ich allein im Wagen saß. Und während ich hinter meinem Lenkrad verzweifelte Schreie ausstieß – Nein, Al, NEIN! -, erreichte mein Kumpel den fulminanten Höhepunkt, den ich bereits befürchtet hatte: Aber dienstagabends… na ja, dann weiß ich mit hundertprozentiger Sicherheit, dass ich mich amüsieren werde, ob ich nun gewinne oder verliere. Ich will damit sagen, dass der Pokerdienstag das einzige noch verbliebene garantierte Vergnügen in meinem Leben ist. Ich muss ja wohl nicht betonen, dass Mrs. Alvarez bei Als Heimkehr in die eheliche Wohnung alles andere als begeistert war.
Es war übrigens die gleiche, fast schon zu clevere Mrs. Alvarez, die eines Tages eine Frage aufwarf, welche seitdem im Leben aller Pokerdienstagszocker und deren Partner immer wieder eine Rolle spielt. Eines versteh’ ich nicht, sagte Mrs. Alvarez nachdenklich, als das Gespräch bei einem gemeinsamen Abendessen ein weiteres Mal unvermeidlich beim Thema Pokern gelandet war. Wie kommt es, dass du, wenn du am Mittwochmorgen gegen fünf ins Bett kriechst, entweder 500 Pfund gewonnen oder 50 Pfund verloren hast? Wieso ist es nie umgekehrt? Das war das einzige Mal in all den Jahren, dass ich Al dabei beobachten konnte, wie er schleunigst das Thema wechselte und rasch zur derzeitigen Lage des polnischen Kinos zurückkehrte.
Ausschließlich die beteiligten Spieler wissen wirklich, welche Summen gerade den Besitzer gewechselt haben. Es gilt als schlechter Stil, darüber mit Außenstehenden zu reden oder gar genaue Beträge zu nennen, die jemand gewonnen oder verloren hat. Manche Teilnehmer geraten durch das Pokern tatsächlich gelegentlich in finanzielle Schwierigkeiten, und der ultimative Beweis dafür, dass unsere Runde sich ziemlich sozialverträglich verhält, ist die Tatsache, dass einer der aktuellen Gewinner dem jeweiligen armen Tropf eine Weile finanziell unter die Arme greifen wird. Von wenigen Ausnahmen abgesehen – wie etwa meiner Freundschaft mit Alvarez – haben wir außerhalb unserer Pokerrunde zwar nur wenig Kontakt untereinander, aber wir sind auch während des Spiels keine gnadenlosen Monster. Für mich ist der Pokerdienstag eine Art psychologischer Kriegsführung, die meinen geistigen Kräften ein paar vergnügliche und dringend benötigte Übungsstunden verpasst, und zwar weit jenseits der Felswand, an der sie sich sonst abplagen müssen. Neben der Geschicklichkeit im Umgang mit Karten und der unvergänglichen Freude an der Täuschung besteht ein großer Teil des Vergnügens in den eleganten, häufig literarischen Spötteleien, die unseren Schlagabtausch begleiten.
Shakespeare, der mir ja schon bei der World Series zu Hilfe gekommen war, ist eine nie versiegende Quelle nützlicher Apercus. Wenn beispielsweise Alvarez mich mit einer Erhöhung zu einem wirklich unangenehmen Zeitpunkt überrascht, die mich, wenn auch widerwillig, passen lässt, kann ich ihn erst noch mit folgenden, unsterblichen Worten ins Schwitzen bringen: Du kläglicher, vorwitz’ger Narr… (ich greife mir einen Riesenstapel Chips, als ob ich einen Gegeneinsatz bringen will) … fahr’ wohl! (ich stelle die Chips wieder hin und schnippe meine Karten zu den anderen weggeworfenen Karten). Übertreibt man es damit aber auch nur ein bisschen – oder kommt gar auf die Idee, die neueste Hamlet-Inszenierung des National Theatre diskutieren zu wollen -, kann man Gift darauf nehmen, dass der Chor der Verlierer schon bald aufmuckt und brüllt: Halts Maul und gib!
Wir mögen zwar keine Engel sein, aber wir sind auch nicht darauf aus, irgendwelche Trottel abzuzocken. Sich mit einer Runde hinzusetzen und Poker zu spielen, die einander in- und auswendig kennt, ist nicht ohne Tücken. Bei uns geht es nicht darum, einem Fremden Geld abzuknöpfen, was dazu führt, dass wir all jene, die dienstagabends gern dabei sein wollen, eindringlich warnen. Nur den Hartnäckigsten wird der Zutritt gestattet – und nur auf eigene Verantwortung! Aber dann nehmen wir sie selbstverständlich aus. Walter Matthau hat es einmal folgendermaßen formuliert: Das Spiel ist ein typisches Beispiel für die schlimmsten Auswüchse des Kapitalismus, die unser Land so groß gemacht haben. Und genau mit dieser Einstellung berichtete ich im Sommer 1 988 unserer Dienstagabendrunde von den Ereignissen in Las Vegas – und zwar voller Selbstvertrauen. Diese Eigenschaft ist beim Pokern derart wichtig, dass ich ein paar Wochen lang mühelos gewann. Die Jungs, von denen sich nur zwei jemals in Vegas versucht hatten, waren aufrichtig beeindruckt. Schließlich stand ich auf Platz 90 der Weltrangliste. Dazu kam, dass ich als einziger britischer Spieler an dem Turnier teilgenommen hatte und daher als Großbritanniens Nummer Eins gelten musste – und sei es auch nur in Ermangelung eines Gegners. Im Grunde, so verkündete ich, rechnete ich jeden Tag damit, dass man mir einen Orden für herausragende Verdienste im Sport verleihen würde.
Jedem unserer Besucher wurden meine Leistungen in glühenden Farben geschildert; ganze Abendgesellschaften sahen sich gezwungen, Platz zu nehmen und sich meine heldenhaften Reiseberichte aus Vegas anzuhören. Fast wie ein alter Kriegs-veteran musste ich daran gehindert werden, wildfremde Leute auf der Straße anzusprechen und irgendetwas von Flops und Finten zu faseln. Pokern war zu einer Obsession geworden, und Londons Literaturszene erschien im Vergleich dazu ungeheuer langweilig. Obwohl ich mich zum ersten Mal seit Jahren an einem Punkt befand, den ich intensiv hätte genießen müssen – ein von mir verfasstes Buch war gerade erschienen und ein weiteres stand kurz vor seiner Vollendung -, fühlte ich mich entsetzlich niedergeschlagen. Während ich mich auf eine Promotiontour für mein neues Buch machte, die mich durch ganz Großbritannien führte (ein Egotrip, den ich normalerweise voll ausgekostet hätte), sehnte ich mich nach nichts anderem, als sofort wieder nach Vegas zu fliegen.
Damals bewohnten die Puppe und ich ein hübsches, aber teures Haus an der Themse in Chiswick, das wir gemietet hatten. Zwei Jahre lang war es mir gelungen, meinen Anteil der Mietkosten rein aus Pokergewinnen zu bestreiten. Nichtsdestotrotz konnte ich, nach einem halben Leben auf dem britischen Immobilienkarussell – einer deutlich solideren Investition als jede Aktie, jedes Wert- oder Investmentpapier -, einfach keinen Fuß fassen. Durch den Verkauf des Hauses aus meiner ersten Ehe hatte ich eine beträchtliche Summe auf meinem Bankkonto, die ein paar lumpige, steuerpflichtige Zinsen abwarf. Die Puppe und ich unternahmen etliche frustrierende Versuche, unser gemietetes Haus zu kaufen, und sahen einer Zukunft mit ständig steigenden, horrenden Mietforderungen entgegen. Als wir eines Abends – nach einem weiteren Rückschlag – zusammensaßen und alles besprachen, machte ich plötzlich den spontanen Vorschlag, unsere Energien zu bündeln.
Warum fuhr ich nicht einfach zur Curzon Street, Londons Glitter Gulch, und setzte meine gesamten weltlichen Besitztümer beim Roulette auf die Farbe Rot? Auf diese Weise würden wir entweder mehr als genug Geld zum Kauf des von uns ersehnten Hauses haben, oder ich wäre pleite. Zumindest wüssten wir dann, wo wir stünden. Diese Vorstellung bestach durch ihre verlockende und zugleich beängstigende Schlichtheit. Nun muss man wissen, dass die Puppe einer kleinen Wette nicht gerade ablehnend gegenübersteht. Hinzu kommt, dass sie die heftigen Sprünge eines Spielerhirns nicht nur nachvollziehen kann, sondern auch bereit ist, damit zu leben, und außerdem deutlich nüchterner damit umgeht als jede andere Frau, die ich je kennen gelernt habe.
Doch mein radikales Ansinnen ließ selbst ihre Alarmglocken schrillen. Sie war nicht davon überzeugt, dass unsere Herzen stark genug waren, mitanzusehen, wie eine kleine silberne Kugel in und aus den roten Fächern sprang, während meine gesamte finanzielle Zukunft auf dem Spiel stand. Okay, sie hatte schon immer eine Schwäche für Tippelbrüder gehabt. Aber das war eine ganz dämliche Wette, die außerdem gegen all meine Prinzipien verstieß – und die konnte sie inzwischen in- und auswendig herunterleiern. Selbst wenn ich gewinnen sollte, fuhr sie eindringlich fort, würde ich den Einsatz nur verdoppeln wollen und wieder und wieder setzen, bis ich schließlich alles verlor. Warum wollte ich stattdessen nicht das Vorhaben in die Tat umsetzen, von dem ich die ganze Zeit träumte: das Geld nehmen – also einen Teil davon – und mich ein Probejahr lang als professioneller Pokerspieler versuchen?
Es war ein inspirierender Augenblick, fast so, als wäre der Pfad der Erleuchtung mitten durch unsere Küche verlegt worden. Ich würde mich sofort auf den Weg machen; und genau wie der Heilige Paulus würde ich einen Bericht meiner Reise verfassen, einschließlich der Briefe in die Heimat. Bristol, Manchester, Birmingham, Norwich … während die Promotour lief, kamen noch weitere Monate hinzu, in denen mich unabwendbare Verpflichtungen an der Ausführung meines Plans hinderten. Zwar war mein neuestes Buch bereits fertiggestellt, doch ich hatte kurz zuvor einen fünf Monate dauernden Auftrag für eine Dokumentarsendung angenommen, die im Herbst ausgestrahlt werden sollte.
Glücklicherweise fällt die Pokerszene den Sommer über in eine Art Dornröschenschlaf – mal abgesehen vom Diamond Jim Brady Tournament im Bicycle Club in Los Angeles, das fast den ganzen August dauert. Dieses Turnier würde ich leider verpassen. Der erste große Wettkampf meiner Profipokerkarriere sollten die European Championships werden, die im November auf Malta stattfanden. Bis dahin würde ich mich auf herkömmlichere Weise finanziell über Wasser halten müssen. Daher nahm ich, zum ersten Mal in drei Jahren, einen regelmäßigen Job an, in Gestalt einer wöchentlichen Zeitungskolumne – nur um mich daran zu erinnern, wie grauenhaft das wirkliche Leben ist. In der Zwischenzeit bearbeitete ich vier Auszüge aus meinem neuen Buch für eine Fortsetzungsreihe in einer Sonntagszeitung. Gelegentliche Tätigkeiten als Journalist in Kombination mit einer regelmäßigen Arbeit fürs Frühstücksfernsehen hatten mein System bereits zu einem Überlastet- Warnton veranlasst, als die Puppe und ich die Grundregeln aufstellten.
Das Guthaben auf der Bank erklärte ich für tabu. Ich war bereit, meine eigene Zukunft aufs Spiel zu setzen, aber nicht die meiner Kinder. Sämtliche Tantiemen aus meinen Büchern und Libretto-Übersetzungen – zwei standen gerade wieder auf dem angekündigten Repertoire der English National Opera im London Coliseum – sollten treuhänderisch verwaltet werden, um meine Unterhaltszahlungen, meine Lebensversicherung, die Schulgebühren, die Miete und andere Fixkosten zu finanzieren. Jeglicher Überschuss würde in den gemeinsamen Fonds fließen, den wir zum Erwerb des Hauses eingerichtet hatten. Diese Beträge waren auf jeden Fall unantastbar. Aber ich benötigte irgendeine weitere Summe, mit der ich mich in der Pokerwelt tummeln konnte.
Mein letzter Job als freier Journalist brachte mir etwas über 20 000 Pfund ein, von denen nun genau 20 000 zu meinem offiziellen Spielgeld deklariert wurden. Wir beschlossen feierlich, dass ich mit der Summe, die ich aus diesem Grundstock innerhalb der folgenden zwölf Monate (also bis zum Beginn der nächsten World Series) machen würde, sämtliche Reisekosten zu bestreiten hatte sowie alle anderen Ausgaben, die durch meine neue Karriere entstanden.
Auch alle Vergnügungen wie etwa Urlaubsreisen und selbstverständlich das Startgeld in Höhe von 10 000 Dollar für meinen nächsten Angriff auf den Weltmeistertitel sollte ich davon bezahlen. Dabei galt es zwei Ziele zu meistern: das Jahr mit Profit abzuschließen und meine Position in der Weltrangliste zu verbessern. Während meiner Promo-Tour trug ich als Zeichen meiner Entschlossenheit meine Karo-König-Armbanduhr und ignorierte die entsetzten Gesichter, die das Ding unter den Bildungsbürgern hervorrief. Dann nahm ich meinen grünen Journalisten-Augenschirm ab, setzte meine Pokerbrille auf und machte mich an die Arbeit.