Werbung, mit Millionen den Spieltrieb zügeln – Lotto und Glücksspiele Teil 2
Werbung, mit Millionen den Spieltrieb zügeln – Lotto und Glücksspiele Teil 1
Der englische Nationalökonom Alfred Marshall hielt Menschen wie Otto Lotto schon 1890 für nicht geeignet für regelmäßige Arbeit und die höheren und dauerhafteren Freuden des Lebens. Aus ethisch-moralischen Gründen und weil es nicht sein durfte, dass sich jemand ohne Arbeit Eigentum verschaffte, war Glücksspiel im vorigen Jahrhundert verpönt.
In England und in den USA, aber auch in Deutschland ist Glücksspiel deshalb gesetzlich verboten. Jedenfalls unter-liegt die Einführung einer Lotterie einem sogenannten Erlaubnisvorbehalt, bedarf also einer staatlichen Genehmigung. Bis heute heißt es in Paragraph 284 des Strafgesetz-buches: Wer ohne behördliche Erlaubnis ein Glücksspiel veranstaltet oder hält oder die Einrichtung hierzu bereit-stellt… Es ist also nicht ganz verboten, oder genauer: Es ist nur dem Staat erlaubt, Lotterien zu veranstalten oder zu genehmigen. Bei Toto und Lotto spielt der Staat den Dealer und achtet peinlich darauf, dass ihm keiner ins Handwerk pfuscht. Klar, sagt sich Otto Lotto, die wollen sich die Millionen selbst sichern, statt sie jemand anderem zu schenken. Offiziell aber soll das Monopol des Staates dazu dienen, so der Bundesgerichtshof, die wirtschaftliche Ausbeutung der Spielleidenschaft des Publikums unter staatliche Kontrolle und Zügelung zu nehmen. Das Glücksspiel gilt heute als sozialschädlich, auch wenn dieses Urteil eher der extremen Spielsucht einiger weniger entspringt, was im Fall von Tabak oder Alkohol keineswegs zu Verboten führt.
Die staatlichen Lotterien heizen den Markt durch raffinierte Spielangebote weiter an: Die 1991 eingeführte Superzahl erhöht zwar die Quoten, aber sie vermindert die Chancen auf den absoluten Spitzengewinn auf ein Zehntel, die Wahrscheinlichkeit liegt bei 1 zu 140 Millionen. Mit den Jackpots, die dadurch entstehen, kann vorzüglich geworben werden. In der anhaltenden massiven Werbung für die nationalen Veranstaltungen, der Diskussion um ein tägliches Lotto und der Vergabe weiterer Spielbankkonzessionen sieht der Spielsuchtexperte Gerhard Meyer eher den Schutz des eigenen Marktes als vorrangiges Ziel. Auch Albers erscheint der Schutzgedanke lediglich als politischer Vorwand. Weder sei es so, dass niedrigere soziale Schichten vermehrt zu Glücksspiel neigten, denn ausgerechnet Beamte zeichnen sich durch höhere Teilnahme aus, noch konnte er nach seinen Umfrageergebnissen einen erhöhten Geldaufwand für Glücksspiele bei Arbeitslosen bestätigen.
Mehr noch: Erst durch die staatliche Regulierung entstünde das, was der Staat angeblich mit seinem Eingreifen verhindern will: Der Schutz der Konsumenten führe zu Schranken beim Marktzutritt, zu Strafsteuern sowie zu erhöhten Transaktionskosten und da-mit zu einem Vermögensverlust der Spieler. Auf diese Weise kann die Regulierung des Glücksspielwesens niemals hinfällig werden und trägt folglich zur Verfolgung von Politikerinteressen dauerhaft bei. Die massive Werbung, die für Lotto betrieben wird, fördere sogar eine positive Einstellung gegenüber Glücksspielen allgemein, meint Gerhard Meyer, und weckt Bedürfnisse nach dem schnellen Geld.
Die Werbung, so kritisierte auch der Landesrechnungshof Schleswig-Holstein in seinen Bemerkungen schon 1991, muss sich in engen Grenzen halten und darf nicht zur Entfachung zusätzlicher Spielleidenschaft führen. Seien Lotterien nur durch permanente Steigerung der Werbeetats abzusetzen, spreche dies dafür, dass über ein natürliches Bedürfnis hinaus geworben wird. Das Finanzministerium meinte dagegen, es sei Aufgabe des NordwestLotto, sich gegen andere Anbieter, etwa die Spielhallen, zu behaupten, und das in der Bevölkerung vorhandene Spielbedürfnis auf das staatliche Glücksspielangebot zu lenken.
Seit 1998 nutzen die Veranstalter mit ihrer Lotto- Show das Medium, das am meisten geeignet ist, Massen anzuziehen: das Fernsehen. Liegengebliebene Gewinne werden nun denkbar publikumswirksam ausgespielt. Bei WestLotto heißt es: Bisher für Sonderauslosungen verfügbare Gewinnanteile bringt Lotto in die Fernsehveranstaltung ein. Ziel der Show ist: die Zuschauer begeistern, neue Spieler gewinnen.
WestLotto war schon immer sehr phantasievoll, wenn es um die Werbung fürs Produkt ging. 1995 bot sie mit dem Lotto-Super-Ding einen, wie der Geschäftsbericht vermerkt, Publikumsanreiz fürs Mittwochslotto, durch den sich bei der Sonderveranstaltung der Umsatz fast vervierfachte. Wer 100 Scheine in Folge spielte, bekam außer den üblichen Gewinnchancen zusätzlich die Garantie auf die Hälfte seines Einsatzes. Heute befürchtet Geschäftsführer Winfried Wortmann baldige europäische Konkurrenz, die über Offshore-Lottozentralen den deutschen Markt angreife. Käme es dazu, zeichnet sich schon heute ab, über welche Hebel der Wettbewerb ausgetragen würde: Ausschüttungsquote und Jackpot. In der richtigen Dosierung äußerst wirksam, falsch verabreicht töten sie das Spiel.
Wo die Grenzen sind, zeigen Beispiele in Großbritannien, den USA oder in Spanien. Dort stehen bisweilen umgerechnet weit mehr als 100 Millionen € auf dem Spiel. Ein vierunddreißigjähriger Mann aus dem US-Staat Kentucky knackte im Januar 1996 den Jackpot mit 130 Millionen €. Allein. In England freute sich zur gleichen Zeit eine vierköpfige Tippgemeinschaft über 90 Millionen € für ihre sechs Richtigen mit Zusatzzahl. Erst zwei Wochen zuvor hatten drei Engländer einen Gewinn von 94 Millionen € erzielt, den bislang größten Jackpot auf der Insel. Wenn solche Anreize dazu führen, dass deutsche Tipper ihr Geld im Ausland setzen, dann ist zu erwarten, dass der Lotto- und Totoblock dem etwas entgegensetzen wird.
Bisher sind die Möglichkeiten für so außerordentlich hohe Jackpots in Deutschland begrenzt. Blieben die Tipper nach zehn aufeinanderfolgenden Ausspielungen auch in der elften erfolglos, so wird die Gewinnsumme in dieser Ausspielung der nächstniedrigeren Gewinnklasse zugeschlagen. Möglich, dass die Lottochefs daran denken, diese Regelung zu kippen. Es wäre nicht die erste Grenze, die fällt, um das Spiel durch höhere Gewinne verlockender und damit werbefähiger zu machen. Yvonne Schnyder, Generalsekretärin von Intertoto in Basel meint: Wir befürchten bei den Spielern einen Wettlauf um die höchsten Jackpots.
Unabhängig davon, wie man es sieht, ist klar: Die Werbung für Toto und Lotto soll die Zahl der Teilnehmer und die Einsatzsummen erhöhen. Ginge es wirklich um eine Eindämmung des Spieltriebs, müsste die Werbung gestaltet sein wie etwa die Zigarettenwerbung: Der Bundessozialminister warnt: Glücksspiel untergräbt die öffentliche Moral und kann zu Sucht führen. Oder: Glücksspiel ist nur für Dumme: Die Gewinnerwartung ist gering, Verluste statistisch gesehen mehr als wahrscheinlich. Solche Werbung würde dem Gebot, Glücksspiel einzuschränken, entgegen kommen und hätte einen aufklärerischen Impetus. Statt dessen werden irrationale Szenarien vom sicheren Glück aufgebaut. Das alles demonstriert, dass das staatliche Interesse sich allein an der fiskalischen Ergiebigkeit der Glücks-spielbesteuerung orientiert und nicht, wie behauptet, am Konsumentenschutz ,
Als sich Anfang der neunziger Jahre die Europäische Kommission aufmachte, den künftigen europäischen Glücksspielmarkt zu regulieren, ordnete sie die Frage statt dem Wirtschaftsrecht dem Recht zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu. Eine Mogelpackung, denn wie gesehen verteidigen die Macher ihre Werbeetats zu Recht mit dem Argument, dass dies bei allen Wirtschaftsunternehmen so sei. Geht es um den Schutz des eigenen Marktes gegen ausländische Konkurrenz, wird wieder der Ordnungsfaktor bemüht. Mal so, mal so, je nach Bedarf.
Anders die Österreicher: Sie begründeten die Anpassung der Lotteriegesetze an internationales Recht schon 1986 ehrlich und offen. Ziele seien 1. die Schaffung einer Einnahmequelle aus fiskalischer Sicht; 2. die Verringerung des Ab-flusses von Spielgeldern in das benachbarte Ausland; 3. die Schaffung eines zusätzlichen Angebotes für Ausländer.