Was sollte mit dem Lotto in die Zukunft passieren
Jürgen Gansäuer, Vizepräsident des niedersächsischen I .Landtags, muss es wissen. Früher, so vor 20 Jahren, da hätten Sie bei Lotto suchen müssen, da hätten Sie noch was gefunden. Gansäuer hatte einmal selbst drei Annahmestellen Der frühere Lottochef Ewald Zapfe habe ihn einmal angerufen. Auf der Messe sollte eine Annahmestelle eingerichtet werden. Doch am Tag vor der Eröffnung sei der Leiter abgesprungen. Da habe er mit seiner Frau den Job gemacht. So einfach und unkompliziert war damals alles beim Lotto. Wenn der Zapfe damals zu einer Hauptversammlung des Sportverbandes ging, dann haben die ihn fast noch in der Sänfte hereingetragen. Und wenn er den Landtag besucht habe, hätten ihm alle auf die Schultern geklopft. Der Zapfe hatte immer Geld, und er lieferte die Scheine pünktlich ab. Draufgeschaut hat damals noch keiner, erinnert sich Gansäuer. Da war ja immer genug da. Heute sind die Kassen knapp, und deshalb wird jetzt auch beim Lotto genauer hingeschaut.
Offenbar nicht genau genug. Sechzehn Lottogesellschaften betreiben Toto, Lotto und die Losbrieflotterien, und sie geben sich viel Mühe, ihre Geheimnisse zu wahren. Was Otto Lotto und die Tipper vorne abliefern, wird hinter den Kulissen möglichst diskret verteilt. Selbst Hessens Ministerpräsident Eichel hat gesagt, was er von dieser Art von Mauschelein hält: Er sprach vom Lotto-Sumpf, und in seinem Land ist dieser beileibe nicht der tiefste. Wie sich eine Männergruppe im Saarland gegen Blicke von außen abschottet und damit zwischen Sport und Politik verquickte Interessen geheimhält, würden deutsche Politiker mit dem Etikett Mafia bekleben, handelte es sich um eine Männergruppe aus Sizilien oder Russland. Wenn Banken als Treuhänder die Lotterien betreiben oder verwalten, ist die Öffentlichkeit weitgehend ausgeschlossen. In Nordrhein- Westfalen darf nicht einmal der Rechnungshof hinter die Kulissen von WestLotto blicken. Allein die Ministerien haben noch Einblick, nicht aber das Parlament. Und schon gar nicht die Tipper, die den gefräßigen Glücksspielkonzernen jährlich zwölf Milliarden € in den Rachen werfen.
Alle Lotteriegesellschaften werben offensiv mit dem Argument, das Spiel diene auch einem guten Zweck – und führen die Öffentlichkeit damit in den meisten Fällen an der Nase herum. Zwei Milliarden € Lotteriesteuer gehen an die Haushalte der Länder, jede sechste eingesetzte €. Dass es den Finanzpolitikern mit ihren Krakenarmen inzwischen gelungen ist, auch den größten Teil der rund drei Milliarden € Zweckerträge und Konzessionsabgaben in ihre Haushaltssäckel zu stecken, ist ein Skandal – nicht weil es so ist, wie es ist, sondern weil die Tipper belogen werden. Wer Toto und Lotto spielt, muss wissen: Mit seinen Einsätzen unterstützt er in den wenigsten Bundesländern gemeinnützige Ziele, sondern hilft in erster Linie den Finanzministern aus der Klemme. Beweise dafür wurden hier reichlich vorgelegt. Was not tut, ist eine effektive, wirkliche Kontrolle der staatlichen Lotterien. Mehr Demokratie, also eine Veröffentlichung aussagekräftiger Bilanzen der Unternehmen samt aller Zahlen, die hier mühsam zusammengetragen wurden, wäre der richtige Weg. Die wirklich interessanten, heiklen Ausgaben – beispielsweise Geschaftsführergehälter, Provisionen, Werbekosten, Betriebskosten – verstecken die Lotteriegesellschaften in ihren Hochglanz-Geschäftsberichten in umfangreichen Posten, meist unter dem Titel: Sonstige betriebliche Ausgaben.
Die Kontrolle muss sich auch auf alle Einrichtungen erst! ecken, die Lotteriemittel zur freien Verfügung gestellt bekommen – von den Sportverbänden bis hin zu den Wohlfahrtsverbänden. Das Gegenteil ist derzeit der Fall. Niedersachsen fordert zwar neuerdings auch von den Wohlfahrtsverbänden Belege, warum aber nur für 60 Prozent? Alle Lotteriebeteiligten verschleiern nach Kräften die Zahlen, Im- weiteren Aufschluß über die Frage dieses Buches geben wurden: Wo bleiben die Lotteriemilliarden?
Sinn des staatlich organisierten Glücksspiels soll es sein, die Wettleidenschaft der Menschen zu bändigen. Die Gesellschaften aber heizen diese Neigung durch massive Werbung und hohe Gewinnversprechen nicht nur an, sondern du- wachsenden Umsätze verlocken auch offenbar einige di-i beteiligten, sich auf Kosten der Tipper zu bereichern: Luxus in den Lottozentralen, Selbstbedienung durch überhöhte Gehälter vor allem bei den Managern, eine aufgeblähte Bürokratie, Günstlingswirtschaft bei der Besetzung von hohen Positionen und bei der Verteilung der Lottomittel sowie Missbrauch derselben – die Missstände sind hier dokumentiert und schreien nach Veränderung.
Lotterien zu verbieten macht keinen Sinn, auch wenn die bestehenden Lotteriegesellschaften und interessierte Finanzpolitiker ihrerseits das Entstehen neuer Lotterien verhindern. Auch die Prohibition hat die Alkoholsucht nicht beseitigt – im Gegenteil: Sie hat Kriminalität und Verbrehen erzeugt. Der umgekehrte Weg, Lotterien zu privatisieren, ist ebenfalls keine Lösung. Eine Kontrolle der Wettunternehmen wäre dann noch schwieriger, die Verlockung zum Betrug würde zunehmen. Die mangelnden Kontrollmöglichkeiten werden schon heute bei denjenigen Gesellschaften offenbar, die als Sondervermögen des Landes selbst die Herausgabe minimaler Informationen lediglich an das sie kontrollierende Ministerium gewähren – und das noch geschützt durch Gesetze.
Demokratischer und ehrlicher als die derzeitige Praxis in den meisten deutschen Ländern wäre es, die Lottomittel in die Haushalte der Länder einzustellen. Die Spielteilnehmer wüßten dann, wo ihr Geld bleibt und könnten sich überlegen, ob sie den Staat nicht nur mit ihren Steuern, sondern auch durch ihre Spieleinsätze zusätzlich alimentieren wollen. Gleichzeitig wäre damit die Lüge vom Tisch, Lotteriezweckerträge würden eingesetzt, um gemeinnützige Ziele zu verfolgen. Wie gesehen, trifft das nur für bescheidene Anteile am Gesamtaufkommen zu. Der Nachteil dieser Regelung liegt auf der Hand: Schnelle Hilfe für Projekte und Vereine durch eine unbürokratische Instanz wäre dann nicht mehr möglich. Aber der ausufernde Lotto-Sumpf wäre damit trockengelegt. Denn nicht nur ein paar Minister oder Funktionäre hätten dann einen Überblick über den Verbleib der Lottomilliarden, sondern deren Verwendung müsste auch im Rahmen der Haushaltsdebatten in den Landtagen diskutiert werden. Ein Königsweg ist aber auch diese Lösung nicht.
Otto Lotto hat seinen eigenen Weg gefunden. Er will wissen, was mit seinen Spieleinsätzen geschieht – ohne Wenn und Aber. Solange dies nicht geschieht, hat er beschlossen, künftig sein Geld nicht mehr zu Leuten zu tragen, die damit ihre eigenen Interessen verfolgen und sich bereichern.