Die Klassenlotterien, ein Drittel für die Werbung – hilfreiche Information
Johannes Rau hatte es sehr eilig: Einen Tag nachdem die DDR der Bundesrepublik Deutschland beigetreten war und zehn Tage bevor in den neuen Bundesländern die Landtage gewählt werden sollten diskutierte das Parlament in Düsseldorf eine Änderung des Gesetzes zur Einführung einer Klassenlotterie. Die ostdeutschen Länder sollten eingeladen werden, so Finanzminister Heinz Schleußer, sich an der nordwestdeutschen Variante der Klassenlotterie, der NKL, zu beteiligen. Der bündnisgrüne Abgeordnete Manfred Busch spottete im Parlament, er verstehe jetzt den tieferen Sinn der Personalhilfe für die einstige DDR: Eifrige Finanzbeamte hätten sich offenbar mit nichts anderem zu beschäftigen, als den Vormarsch des legalen Glücksspiels in der ehemaligen DDR zu organisieren. Sein FDP-Kollege Hagen Tschoeltsch meinte: Ich empfinde diese Eile schon mehr als peinlich. CDU-Kollege Winfried Schittges zeigte dagegen aus Konkurrenzgründen Verständnis, denn auch die Süddeutschen werden bei den Lotterieprognosen, die in den ehemaligen DDR-Ländern bereits angestellt worden sind, hoffnungsfroh in die östliche Zukunft geschaut haben.
Die Landesregierung dachte an das Geld, das wohl auch in der einstigen DDR durch solch eine Lotterie zu holen wäre. Zumal für die ersten Monate abzusehen war, dass die Lose für den Osten in den westlichen Ländern verkauft werden würden. 47 Millionen € hatte die NKL in diesem Jahr in die maroden Kassen des Landes gespült, aus Steuern und Überschüssen. Jede zusätzliche Million war natürlich willkommen. Weil die Klassenlotterien, SKL und NKL, keine Zwecklotterien sind, fällt nicht nur die Steuer an den Finanzminister, sondern er kann auch die Überschüsse der Lotterie beliebig zur Deckung seines Haushalts verwenden.
SKL und NKL beziehungsweise die Länderregierungen haben sich schließlich geeinigt und die Claims abgesteckt: Sachsen und Thüringen traten der SKL bei, die anderen Länder der NKL. 1997 setzte die SKL 1,953 Milliarden € um, die NKL mit 931 Millionen € etwa die Hälfte. Bei der SKL blieben davon lediglich 148 Millionen € als Reingewinn übrig, ganze 7,6 Prozent. Die NKL gab keine Zahlen preis. Annähernd eine halbe Milliarde € Lotteriesteuer und rund 200 Millionen € Überschüsse dürften aber in diesem Jahr an die Länder gegangen sein. Verteilt wird nach einem Schlüssel, der je zur Hälfte die Bevölkerungszahl und den Losabsatz in den jeweiligen Vertragsländern berücksichtigt.
Die Vertreter der Finanzminister im Staatslotterieausschuss dürften mit dem Umsatzwachstum zufrieden gewesen sein: Die SKL verdoppelte ihren Umsatz in sechs Jahren, und das nicht nur wegen der Lospreiserhöhung im Jahr 1995. Unzufrieden müssten sie aber mit den geringen Überschüssen gewesen sein, bleibt doch bei Toto und Lotto rund dreimal so viel übrig. Einer der Gründe dafür wird die Spieler freuen: 54 beziehungsweise 55 Prozent der Spieleinsätze schütteten SKL und NKL 1997 aus, es gab aber auch Gewinnquoten von 51 Prozent, etwa in der 83. Lotterie der NKL, weil überdurchschnittlich viele Gewinne auf nicht verkaufte Lose fielen. Mit diesen Quoten liegen die Klassenlotterien über der Konkurrenz vom Lotto.
Doch das erklärt nur zum Teil den geringen Überschuss. Nach Abzug der Ausschüttung, des Überschusses und der Lotteriesteuer fehlen immer noch knapp 25 Prozent der Spieleinsätze, deren Verbleib im dunkeln liegt. Und das soll auch so bleiben: Bitte, haben Sie Verständnis dafür, dass der Verteilerschlüssel für die Ablieferung der Lotteriesteuer und Erträge, die Provisionssätze und deren Staffelung für die staatlichen Lotterieeinnehmer zu den Betriebsinterna der SKL gehören und demzufolge nicht publiziert werden. Die Hamburger schrieben kurz: Unser Unternehmen ist nicht publizitätspflichtig.
Ein Viertel der Einsätze sollen nach Informationen Manfred Buschs als Provisionen an die Lotterieeinnehmer gehen. Das heißt, dieser Teil wird für die enormen Verwaltungskosten, Provisionen und insbesondere für die Vertriebskosten, die nämlich ausschließlich über die Post laufen, verausgabt.
Von diesen hohen Vergütungen müssen die staatlichen Lotterieeinnehmer, bei der SKL 1997 rund 180, die amtlichen Verkaufsstellen (2800 bei der SKL, rund 4500 Laden- und Versandgeschäfte bei der NKL) finanzieren. Entscheidend aber ist, dass ein Anteil von ca. 30% enthalten ist, der mindestens wieder in die Werbung zu investieren ist (Mindestwerbeaufwand), wie die SKL erklärt.
Das bedeutet, dass ein erheblicher Teil der Spieleinsätze, geschätzt etwa acht Prozent, für PR ausgegeben wird – rund eine Viertelmilliarde € pro Jahr dürften hierfür bei den beiden Gesellschaften Zusammenkommen. Das ist das Doppelte dessen, was die 16 Lotteriegesellschaften der Länder für Werbung insgesamt investieren – bei vierfachem Umsatz. Das Branchenblatt Der Kontakter meldete 1996 einen NKL-Werbeetat für Hamburg von 20 Millionen €. Er ging an die M-S-B+K Hamburg Werbeagentur für Directmarketing GmbH.
Als die Diplomsozialarbeiterin Heidemarie Berger (SPD) im Düsseldorfer Landtag die Bemühungen der Landesregierung verteidigte, die NKL um die ostdeutschen Länder zu erweitern, erklärte sie: Auch gewährleistet das System der staatlichen Lotterien […] den Ausschluß aggressiver […] Werbemethoden. Sie scheint im Vorfeld einer neuen Ausspielung der Klassenlotterien selten in ihren Briefkasten zu blicken. 93 Prozent der 1994/95 von der SKL abgesetzten Lose wurden über den Versandweg vertrieben, 7% über die Ladengeschäfte der staatlichen Lotterieeinnahmen und amtlichen Verkaufsstellen.
Nach dem Lotteriegesetz von Rheinland-Pfalz etwa stoßen die hohen Kosten, die der Betrieb der Klassenlotterie verursacht, an die obere Grenze. Dort heißt es: Der Veranstalter hat die Kosten der Veranstaltung so gering wie möglich zu halten; sie sollen ein Viertel des Spielkapitals nicht übersteigen.
Wenn die beiden Klassenlotterien in fremden Revieren wildern, könnte das sogar strafrechtlich relevant sein, wie Bremens Toto-Lotto-Sprecher Peter Zerfowski meint. Die SKL habe mit Bremen keinen Vertrag abgeschlossen. Umgekehrt holt sich die NKL Kunden aus südlichen Bundesländern. Die SKL wirbt sogar international für ihre Lose. Die Mehrheit der Lotterieunternehmen lehnt dies ab. Sie haben die deutschen Klassenlotterien deshalb 1997 aus den Weltverbänden ausgeschlossen.