Der deutsche Lottokrieg, das Ringen um die Millionen

Die Claims sind abgesteckt: Jede Landesregierung kassiert im deutschen Lottoföderalismus bei ihren Landeskindern ab, so gut sie kann. Wehe, eine streckt ihre Finger über die Grenzen hinaus aus. Dann steht der Block vor der Spaltung. Als der ehemalige Studienrat Norman Faber vor rund 20 Jahren begann, ins Lottogeschäft einzusteigen, dachte noch niemand daran, dass er einmal den Block zum Wanken bringen könnte. Eine Anzeige von WestLotto, die um das Überleben ihres Annahmestellennetzes fürchtete, schlug die Staatsanwaltschaft Bochum 1981 nieder. Heute dürfte WestLotto sich glücklich schätzen, damals unterlegen zu sein. Faber soll inzwischen jährlich 120 Millionen € umsetzen. Die Spielscheine gibt er allesamt in Nordrhein-Westfalen ab, was allein an Lotteriesteuern 20 Millionen € in die Kassen Nordrhein-Westfalens spült. Wie das Nachrichtenmagazin Report ermittelte, gehen die Scheine sämtlich an die Annahmestelle eines Studienfreundes, der damit mehr als sieben Millionen € an Provisionen einnehmen soll.

Fabers Erfolg weckte auch bei anderen Unternehmen das Verlangen, am Lottoboom teilzuhaben. Saartoto Schloss 1995 einen Vertrag mit einem Systemanbieter (Lotto Pool) ab, der zwar bundesweit Scheine einziehen, diese aber alle im Saarland abliefern wollte. Die Firma war Data Service Leistungssysteme (DSL) und gehörte zu annähernd einem Mittel der Ehefrau des Schweizers Cesar Lüthi, der als Partner des Deutschen Fußballbundes und einiger Bundesligavereine Stadion- und Bandenwerbung betrieb. Für Faber, der in zahlreichen Stadien wirbt, eine heikle Situation. DSL.-Geschäftsführer war Max Boxheimer, früher ein Bezirksdirektor beim baden-württembergischen Lotto. Er war mit 20 Prozent beteiligt. Der ehemalige Fußballprofi Günter Netzer saß bei der Vorstellung des Lotto Pools im Münchener Hotel Bayerischer Hof neben Lüthi.

Im Haus des Sports, das der Saartoto gehört, wurde in der früheren Geschäftsstelle des 1. FC Saarbrücken ein Büro eingerichtet, eine Sonderannahmestelle, wie es hieß. Die Annahmestellenprovision von 6,9 Prozent sollte DSL behalten dürfen, zusätzlich war die Rede von einem Rabatt von zwei Prozent. Aus Bayern tobte Karl Rodler: Wer in anderen Ländern grast, der stiehlt! Schleswig-Holsteins Lottochef Rolf Stypmann meinte dagegen: Die Saarländer haben aus ihrer Sicht das Richtige getan, nämlich in anderen Bundesländern zu wildern, statt sich von denen nur beklauen zu lassen. Doch Saarlotto-Geschäftsführer Albert Wagner, der auf einen zusätzlichen Umsatz von 700 Millionen € hoffte, wartete vergeblich auf den Startschuss. Die 7000 ausgefüllten Lottoscheine, die am Saarufer in der Saarbrücker Zentrale bereitlagen, wurden nie gespielt. Nach vier Wochen hatte DSL gerade 32 000 € eingenommen, nach 20 Wochen soll’s eine halbe Million gewesen sein. Lüthi, Boxheimer und Saartoto gaben das Vorhaben Ende Mai 1995 auf – der Lotto- und Totoblock hatte in Cottbus gegen die Stimmen Nordrhein-Westfalens, Hamburgs und des Saarlandes beschlossen, gewerbliche Spielgemeinschaften künftig aus dem Spiel auszuschließen. Insider meinen, auch der hohen Werbekosten wegen habe sich das Geschäft nicht rentiert.

Faber dagegen spielt bis heute mit. Er bekam vor dem Berliner Kammergericht recht und darf sein Angebot weiter verbreiten. Schon das Bundeskartellamt hatte den Blockbeschluß als unzulässige Wettbewerbsbeschränkung bewertet. Das Berliner Kammergericht entschied den deutschen Lotto-Krieg (Die Welt) schließlich endgültig zugunsten Fabers und WestLottos.

Inzwischen hat der Lottokrieg eine europäische Dimension erreicht. Die EU-Kommission hat es bisher unterlassen, sich klar zu entscheiden: Sind Lotterien Wirtschaftsunternehmen, oder haben sie auch eine ordnungspolitische Aufgabe? Der Europäische Gerichtshof muss deshalb erneut entscheiden, ob der Glücksspielmarkt weiterhin in viele nationale Parzellen unterteilt bleiben darf. Den Rechtsstreit hat ein finnischer Geschäftsmann ausgelöst, der 1996 Geldspielautomaten in Großbritannien geleast und sie in seinen Geschäftsräumen in Finnland betrieben hatte. Damit verstieß er gegen finnisches Recht. Doch der Europäische Gerichtshof hatte 1994 festgestellt, dass das Betreiben einer Lotterie eine Dienstleistung sei und nationale Vorschriften eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs seien. Allerdings seien wegen der ganz besonderen Natur der Lotterien nationale Beschränkungen möglich, ja sogar Verbote. Deutsche Lotterieveranstalter und die Landesregierungen stützten sich bisher auf dieses Urteil. Nun fürchten sie, die seit 1994 praktizierte Regelung könnte kippen. Dann könnten neue Anbieter als Konkurrenten auf- treten, die den Gesetzen ihres Landes unterliegen. Sollten dort weder Zweckerträge noch Lotteriesteuer anfallen, so hätte der Konkurrent einen Vorteil.

Die Auswirkungen wären gewaltig, orakelte im Sommer 1998 der Sprecher des damaligen Blockführers Bremen, Peter Zerfowski. Wenn gesagt werden würde: Lotto ist eine Dienstleistung, dann entfallen diese Gelder. Nicht nur Einnahmeeinbruche befürchtete Zerfowski, sondern er erinnerte auch im die Gefahren der Spielsucht. Der Deutsche Lotto- und Toto-Block sei nicht interessiert an einer Erweiterung des Umsatzes. Wenn wir aber freie Konkurrenz hätten, wäre der Block auf der Gewinnerstraße. Die wirtschaftliche Macht der deutschen Lotterieunternehmen sei so groß wie nirgendwo sonst, die kreative Kompetenz ebenso.

Der Deutsche Sportbund jammerte, ohne die Lottomillionen müssten Nachwuchsarbeit, der Bau neuer Sportanlagen, die Förderung von Spitzen- und Breitensport reduziert werden. Alles würde massiv leiden, orakelte der Generalsekretär des Deutschen Sportbundes, € Niederhöfer.

Da heulen Krokodile! Das Urteil von 1994 musste der Europäische Gerichtshof fällen, weil die Süddeutsche Klassenlotterie in fremden Gefilden gewildert hatte – in Großbritannien. Die Glücksspirale konnte bis 1996 auch in Luxemburg gespielt werden. Die Sport Toto GmbH Staatliches Zahlenlotto Rheinland-Pfalz schließlich betreibt seit Jahr und Tag eine Generalagentur mit mehreren Annahmestellen in Luxemburg. Ganz legal.

Es ist schon merkwürdig: Ausgerechnet beim Lotto rufen die Deregulierer dieser Jahre geschlossen nach nationalen Parzellen. Das ist natürlich Unsinn! Was allerdings vor einer Öffnung des Lotteriemarktes nötig wäre, sind einheitliche Gesetze in ganz Europa. Wenn jede europäische Lotterie einen bestimmten Steuersatz sowie Zweckerträge in festgelegter Höhe abliefern muss, hat keine einen Wettbewerbsvorteil. Aber das bessere Angebot wird sich durchsetzen. Das ist nicht nur in allen anderen Bereichen die derzeit gültige Marktideologie, sondern bietet den deutschen Lotterien auch Chancen im Ausland, die sie zweifellos sofort ergreifen würden. Und weil das deutsche Angebot ja das beste ist, wie unsere Lotteriemanager immer wieder betonen, bleibt die Frage: Warumso viel Angst?

Die Deutschen wollen eben lieber das behalten, was sie haben – auch die Lotteriemanager. Doch nicht nur von außen drängen Konkurrenten ins Land, auch national wollen sich bisher benachteiligte Gruppen einen Teil vom Millionenkuchen abschneiden: Umweltschützer und Menschenrechtler. Sie versuchen seit Jahren, eine eigene Lotterie aufzumachen, um Geld für ihre Projekte zu gewinnen. Denn der Umwelt geht’s bisher bei Toto und Lotto vergleichsweise dreckig.

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