Die Emotionen der Gegner jederzeit beobachten – neue Pokerstrategien lernen

Wir haben uns bis zu diesem Zeitpunkt mit den grundsätzlichen Strategien des Spiels auseinander gesetzt. Wir haben die Spielbarkeit von Anfangskarten besprochen, das Zählen der Outs und das Berechnen der Potquoten. Und wir sind bei einem Thema angelangt, das sich direkt mit den menschlichen Schwächen auseinander setzt. Sowohl das Unterbinden derartiger Schwächen in uns selbst als auch das Erkennen der Anzeichen von Verwirrung in unseren Gegnern sind entscheidende Punkte in unserem Bestreben, langfristig erfolgreiche Pokerspieler zu sein. Es folgen somit einige Anhaltspunkte, die helfen, das Spiel unserer Gegner besser zu durchschauen.

Wenn wir einen wirklich guten Spieler vor uns haben, der konsequenterweise meist nur seine besten Anfangskarten spielt, der nur dann mitgeht beziehungsweise erhöht, wenn seine Karten es erlauben; seltene Bluffs hingegen auch nur dann versucht, wenn es offensichtlich ist, dass niemand am Tisch über die entsprechenden Karten verfügt, die eine Verteidigung rechtfertigen würden; und wenn noch dazu der Verlauf des Spiels gleichmäßig und harmonisch erfolgt, dass dieser Spieler keinen Rückschlag, bedingt durch mehrmaligen glücklichen Kauf seitens der Gegner, erleidet; sein Stack, sein Stapel von Chips, unaufhaltsam wächst; dann werden wir uns sicher sehr schwer tun, Fehler in seinem Spiel zu finden. Solch einem Spieler weichen wir aus!

Sobald er im Pot ist, wissen wir mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass seine Karten gut sind. Sind unsere mittelmäßig, ziehen wir uns zurück. Erhöht er, hat bewiesen, dass er dies üblicherweise nur mit einem hohen Taschenpaar, A – K oder einfarbigen A – Q, vollzieht, dann passen wir meist auch mit Karten wie Q – J, es sei denn, so viele Spieler bleiben im Pot, dass die Quoten ein Mitgehen rechtfertigen würden.

Etwas können wir diesem Spieler gegenüber gelegentlich und vorsichtig versuchen: den Pot zu stehlen! Nachdem wir wissen, dass ihn auch der anhaltende Gewinn nicht zum Übermut verleitet, wir auch wissen, dass er nur seine hohen Kartenwerte spielt, können wir ihn, wenn wir ihn als einzigen Gegner im Pot haben, gelegentlich durch einen kleinen Einsatz am Flop verdrängen, wenn dieser aus niedrigen Kartenwerten besteht und vielleicht sogar noch Flush oder Straße anzeigt. Gelegentlich! Tun wir es zu oft, lassen wir uns durchschauen, dann wird er, etwa mit A – 10 in der Hand, seine erbrachten Einsätze natürlich auch verteidigen.

In anderer Situation kann es aber auch passieren, dass wir bei genau dem gleichen Spieler schwere Anzeichen von Schwäche erkennen, und zwar, wenn er eine länger anhaltende Verlustphase erleidet.

Bloß über viele Spiele hinweg schlechte Karten zugeteilt zu bekommen bringt ihn üblicherweise noch lange nicht aus der Fassung! Was ihn aus seiner Gelassenheit reißen möge, ist verrücktes Spiel, das zum Erfolg führt. Die schwachsinnige Spielweise überlassen wir selbstverständlich den anderen. Wir ziehen aber den Profit daraus, wenn der Betroffene erst einmal die Nerven verloren hat.

Zwar kennen wir seine Karten nicht, doch wissen wir, dass er nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen erhöht. Ein leichtsinniger Spieler erhöht wieder, seinem Blatt entsprechend erhöht unser Profi nochmals.

Es folgt der Flop:
A♣ – K♥ – 10♦

Wieder folgen mehrere Erhöhungen! Der Verdacht erhärtet sich, dass unser Freund entweder A – A, K – K oder A – K in Händen hält. Worüber könnte der Leichtsinnige verfügen? Nachdem dieser, einem Maniac entsprechend, jeden Müll spielt, gibt es dafür nicht viele Anhaltspunkte. Unseren Freund scheint es jedenfalls nicht zu beunruhigen.
3♥
Und nochmals kommt es zu drei Erhöhungen!
8♥
Unser Freund wird vorsichtig und checkt! Es folgt ein Einsatz, er geht mit, und Bruder Leichtsinn kassiert den Pot mit:
5♥ – 4♥!

Wir wissen bereits, dass dieser Spieler, langfristig gesehen, ein Verlierer ist. Was ihm hier geglückt ist, wiederholt sich selten. Dank des Überraschungsgewinnes wird er jedoch noch leichtsinniger.

Wenige Spiele später passiert Ähnliches. Am River kauft er die dritte Karte zum kleinen Taschenpaar.

Kurz darauf hält unser Freund ein Narrenflush. Der River bringt einem anderen Spieler sein Full House.

Nach einigen dieser schmerzlichen Erfahrungen beginnt er plötzlich, seine guten Karten, aus denen er kurze Zeit davor noch das Maximum herauszuholen versucht hatte, zurückhaltend zu spielen! Warum? Schließlich ist A – K um nichts schwächer geworden als eine Stunde zuvor! Er hat das Vertrauen in seine eigene Spielweise verloren! Er passt, vermutlich mit einem gepaarten A in der Hand, sowohl eine Straße als auch ein mögliches Flush fürchtend, nachdem ein Spieler erhöht und ein anderer wieder erhöht. Es kommt zum Showdown. Beide haben geblufft! Sein A hätte zum Sieg gereicht!

Während sein Stack immer kleiner wird, er mehrmals sogar Chips nachkauft, stellen wir fest, dass sich seine Spielweise wiederum ändert. Nach der Phase übertriebener Vorsicht folgt plötzlich eine spekulative.

Mit immer schwächeren Karten bringt er Einsätze. Er orientiert sich mehr an der Chance auf einen glücklichen Kauf als an soliden Vorteilen in der Wahrscheinlichkeit. Immer öfter wundern wir uns, dass er auch dann mitgeht, wenn es seine Outs absolut nicht rechtfertigen. Jetzt wissen wir: Ein Felsen (Rock, unerschütterlich solider, trockener Spieler) hat auf tilt geschaltet!

Jetzt haben wir unsere große Chance, die Schwächephase eines ansonsten tadellosen Spielers zu unserem gewinnbringenden Vorteil zu nutzen!

Eine verbreitete Schwäche, die sich bei so manchem Spieler während der ganzen Sitzung zeigt, ist übertriebene Redefreudigkeit, sowohl im Pokerklub als auch im Internet. Natürlich meine ich damit keineswegs gelegentliche Kommentare, Scherze oder sonstige angebrachte Äußerungen. Ich spreche von diesem andauernden Geschnatter – ungeachtet ob verbal oder in der Chatbox. Während des Spiels, nach dem Spiel, vor dem Spiel – unentwegtes Abgeben von ungefragten Kommentaren. Direktes Ansprechen von Mitspielern, die offensichtlich nicht angesprochen werden wollen. Solche Spieler leiden unter einem Persönlichkeitsproblem. Sie sitzen am Pokertisch, um sich in den Mittelpunkt des Geschehens zu drängen. Sie suchen nach Anerkennung! Und dementsprechend gestalten sie auch ihr Spiel!

Sie hoffen, für jeden ihrer Züge Bewunderung zu finden, anerkennendes Kopfnicken, bestätigende Kommentare! Ein Vergleich mit dem bereits erwähnten „Fancy Play Syndrom“ scheint hier angebracht. Keineswegs sind sie sich darüber bewusst, dass schlechtes Spiel, wenn es auch hin und wieder zu Überraschungserfolgen führen kann, trotzdem schlechtes Spiel bleibt.
Diese Schwäche können wir, wenn wir möchten, natürlich forcieren. Wir können ihm die Anerkennung zeigen, die er sucht. „Sehr gut gespielt! Wirklich, sehr, sehr gut!“! Ohne den Verdacht von Zynismus zu erwecken! Loben Sie seine Fehler und erhöhen Sie die Chance, dass er sie wiederholen wird. Vielleicht nimmt ein anderer Spieler am Tisch Ihre Kommentare sogar ernst, glaubt, dass Sie die falsche Anerkennung ernst meinen, und stuft Sie als dementsprechend schwach ein!

Spieler, die mit wenig Kapital am Tisch sitzen, sind nach zwei grundlegend verschiedenen Gesichtspunkten einzustufen:

Auf den meisten Pokertischen genügt es, zehn kleine Einsätze als Stack einzubringen. Setzt sich jemand mit so niedrigem Budget an den Tisch, dann können Sie davon ausgehen, dass er mit jedem Einsatz extrem vorsichtig umgehen wird. Letztendlich hat er sich offensichtlich vorgenommen, mit diesem bescheidenen Anfangskapital einige Zeit zu verbringen, und sicher will er es nicht in einem einzigen Spiel riskieren. Lange wartet er, bis er sich endlich zum Mitgehen entschließen kann. Und selbstverständlich hofft er, bevor der Flop sich zeigt, dass niemand erhöhen wird; möchte er sich doch seines Vorteils gewiss sein. Genau das tun Sie natürlich! Sie erhöhen – ungeachtet der Karten, die Sie zur Verfügung haben! Geht er trotzdem mit, steht er am Flop vor der gleichen Konfrontation. Niemand ist leichter aus dem Pot zu bluffen als ein Spieler, der mit wenig Kapital die Sitzung beginnt.

Anders ist es bei dem Spieler, der bereits eine Menge verloren hat und auf den Erfolg mit seinen letzten Chips hofft. Er fühlt sich bereits geschlagen! Er glaubt gar nicht mehr daran, sich von der Niederlage noch erholen zu können. Er sucht das Risiko, versucht das Ende seines Leidens näher zu bringen. Er wartet nicht auf gute Karten, um zu erhöhen, um seinen letzten Versuch zu starten. J – 10 ist für eine Erhöhung gut genug. Göttin Fortuna soll ihre letzte Chance haben, ihm zu beweisen, dass er nicht ganz verlassen ist.

Natürlich, bluffen lässt er sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr! Ohnehin ist schon alles verloren. Da kommt es auf diesen einen, diesen letzen Einsatz auch nicht mehr an! Äußerste Vorsicht ist geboten, wenn sich ein neuer Spieler, von allem Anfang an, wie ein Maniac verhält! Es gibt die – allerdings falsche – Annahme, dass es die beste Strategie sein sollte, in der ersten halben Stunde am Tisch wie ein Wahnsinniger zu bluffen. Der Vorteil liegt natürlich darin – was bis zu einem gewissen Grade natürlich auch der Fall ist -, dass den Gegnern nicht sofort klar wird, wann der vermeintliche Maniac seine Spielweise ändert. Verwundert starren sie auf sein Gewinnblatt, wo sie doch so sehr davon überzeugt waren, dass er ein unverbesserlicher Blufferist. (Unvermeidlich ist es, dass auch der Bluffer gelegentlich ein gutes Blatt in der Hand hält!)

Natürlich hat dieser Spieler, wenn er Platz nimmt, einen entsprechend großen Stack vor sich. Spiel um Spiel erhöht er. Setzt und erhöht am Flop, am Turn und oft sogar am River – ohne auch nur die geringste Chance, den Pot zu gewinnen!

Der wirkliche Maniac gehört – leider – einer nur selten anzutreffenden Spezies an. Er ist ein unverbesserlicher Gambier, der Spiel um Spiel, gegen jede Wahrscheinlichkeit, auf die wundersame Verbesserung seiner Karten hofft; und zwar tut er es so lange, bis alle seine Reserven aufgebraucht sind.

Der den Maniac nur Vorgebende ist am ehesten daran zu erkennen, dass er seine wirre Strategie, absichtlich, bei weitem übertreibt! Er erhöht nicht nur mit den Karten, die sich nur durch ein kleines Wunder verbessern können, sondern er erhöht mit wirklich allen Karten.

Insbesondere, wenn dieser Spieler links von uns sitzt, müssen wir bei unserem Einsatz bedenken, dass eine Erhöhung von ihm folgen wird. Nicht nur, dass wir uns in diesem Fall fragen müssen, ob unser Blatt für eine Erhöhung auch gut genug ist! Wir stehen vor dem Problem, dass dieser Spieler höchstwahrscheinlich ohne etwas Nennenswertes in der Hand erhöhen wird und somit unser halbwegs gutes Blatt für eine Konfrontation ausreichend sein müsste. Doch was kommt danach? Ungeachtet dessen, wie der Flop ausfallen wird, er wird einsetzen. Setzt ein anderer vor ihm – was natürlich falsch ist, einen derartigen Spieler am Tisch wissend, und doch findet sich immer wieder jemand, der diese Situation nicht berücksichtigt -, er wird erhöhen!

Meist ist es in solchen Fällen das Beste, trotz der Gewissheit des Bluffs, von Anfang an nur mit wirklich guten Karten mitzugehen. Hätten wir diesen Spieler alleine vor uns, wäre die Situation einfacher. Doch geht es natürlich nicht nur darum, besser als dieser eine Spieler zu sein. Wir müssen alle am Tisch schlagen!

Natürlich ist Sinn und Zweck dieser Strategie, die Spielweise am Tisch zu lockern! Plötzlich, oft ohne sich darüber wirklich bewusst zu sein, werden allgemein schwächere Karten gespielt, wird bei Erhöhungen ungerechtfertigt mitgegangen, in der Annahme, dass es dazu schon ausreichen wird, diesen Verrückten zu schlagen.

Langsam, so unbemerkt wie möglich, reduziert dieser Spieler schließlich seine Aggressivität. Viele am Tisch mögen nun glauben, dass es die Summe der Niederlagen war, die ihn zur größeren Vorsicht bewegt.

Nein, von Anfang an ist dies sein Plan gewesen. Irgendwann erhöht er wieder, genau wie zuvor, erwartend, dass der eine oder andere glauben möge, er sei in seine alte, gewohnte Verrücktheit zurückgefallen. Ist er aber nicht! Diesmal hält er Topkarten in der Hand!

vorherige Der weitere Spielverlauf folgen – No Limit Pokerstrategien
nächste Short-Hand spielen ist nicht schlecht Teil II – neue Pokerstrategien lernen