Die Bezirksstellen im Lotto – lukrative Austragsstüberl

396 Gulden Gehalt erhielt der Lehrer Johann Michael Vitzthum 1815. Die Gemeinde Moosburg in Bayern war notorisch arm. Sein Nebenverdienst als Lottokollektor brachte ihm hingegen 400 Gulden. Damit konnte der Lehrer standesgemäß leben. Doch die Bürger beklagten sich, dass Vitzthum seine Schule vernachlässige. Vier Jahre nach Übernahme des lukrativen Nebengeschäfts musste der Lehrer seinen Lottojob aufgeben. Mit ihm waren 48 weitere Pädagogen betroffen. Anreizung zum Spiel wurde damals vom Landtag untersagt, Lehrern der Zugang zu Kollekturen verboten.

Während heute die meisten Annahmestellenleiter ohne den Verkauf von Tabak und Zeitschriften kaum überleben könnten, geht es deren Vorgesetzten, den Bezirksstellenleitern, prächtig. Um diese Posten reißen sich die Bewerber. Rita Schlesinger ist seit 19 Jahren dabei. Beim Lotto war sie schon in der DDR angestellt, nach der Wende hat sie die Lotto und Toto in Mecklenburg-Vorpommern mbH als Bezirksstellenleiterin für Rostock übernommen. 110 bis 120 Annahmestellen muss sie betreuen, jede viermal jährlich besuchen. Annähernd 1,4 Millionen € weist der Geschäftsbericht der Lottogesellschaft an Bezirksstellenleiter-Provisionen 1996 aus, im Schnitt für jeden der fünf Bezirksstellenleiter rund 275 000 €. Da ist die Mehrwertsteuer dabei, rechnet Rita Schlesinger schnell, jeder von uns hat maximal 220 000. Ich kenne ja auch die Zahlen der anderen. Kurierfahrer, Aushilfen, eben alle Kosten müssten damit gedeckt werden. Dann können Sie sich vorstellen, was übrigbleibt.

Was ihr übrigbleibt, will Rita Schlesinger nicht nennen, aber ihre Honorare liegen sicher über denen der Durchschnittsangestellten in Rostock. Und die Zuwächse sind beträchtlich: Obwohl der Umsatz 1994 höher war, bekamen die Bezirkschefs 1995 rund 130 000 € mehr als im Jahr zuvor. Schlesingers Kollegen in Sachsen-Anhalt bekommen 0,6 Prozent der Einsätze, durchschnittlich 285 000 €, die in Sachsen 265 000 €.

Mit den Provisionen, die Bezirksdirektoren im Westen monatlich einstecken, können die Ostdeutschen (noch) nicht mithalten. Als Bild am Sonntag am 4. Januar 1998 ihre Liste der Provisionen der 188 Lotto-Direktoren, ihre Abzocker-Statistik, publizierte, war die Aufregung in den Zentralen groß. Wer hat denen die Liste gegeben, rätselten alle. Dementiert hat die Höhe der Provisionen niemand, dagegen haben einige Pressesprecher und Bezirksdirektoren sie bestätigt.

Die Spitzenreiter unter den Absahnern sitzen in Bayern. Jeder der dortigen Bezirksdirektoren nimmt jährlich Provisionen von durchschnittlich 676 344 € ein. Nordrhein- Westfalens Bezirksfürsten dürfen sich noch immer über rund 440 000 € freuen. Die Lottogesellschaften in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein zahlen nach der Bald-Statistik 390 000 €. Für die sechs Bezirksstellen in Schleswig-Holstein liegen aus dem Jahr 1995 detaillierte Zahlen vor: Insgesamt ergaben sich bei einem Provisionssatz von 0,55 Prozent der Spieleinsätze rund 2,9 Millionen €, im Durchschnitt entfielen also 480 000 € auf jede Bezirksstelle. 20 000 € pro Jahr erhielt der Nordbezirk extra, weil er wegen der Versorgung der nordfriesischen Inseln Mehraufwendungen habe. In der Summe sind 15 Prozent Mehrwertsteuer enthalten. 1997 bezahlte NordwestLotto nur noch 0,4 Prozent der Spieleinsätze aus, weil die Arbeit durch die Online-Einführung erleichtert und vereinfacht wurde. An Provisionsaufwendungen fielen damit 1,85 Millionen €, mit Mehrwertsteuer 2,1 Millionen € an. Für jede Bezirksleitung blieben auch damit noch mehr als 300 000 € (mit Mehrwertsteuer mehr als 350 000 €) übrig.

Die Bezirksdirektoren Niedersachsens (Slogan: Ein Gewinn für alle) erhielten im Jahr 1996 ohne Mehrwertsteuer jeweils mehr als 380000 €. Außerdem, so bemerkt der Vorsitzende des Bundesverbandes der Toto- Lotto-Bezirksdirektoren, Hans-Jürgen Gärtner, bezahle Niedersachsen jedem Bezirksdirektoren 45 000 € Kostenentschädigung für Mitarbeiter. Diese Pauschale soll inzwischen auf 20 000 € reduziert worden sein.

Der Geschäftsbericht der Lotterie-Treuhandgesellschaft mbH Hessen weist unter der Rubrik Andere lotteriebezogene Aufwendungen 23,7 Millionen € auf. Im Bundesanzeiger ist diese Position näher aufgeschlüsselt: 8,9 Millionen € davon seien Provisionen für Bezirksleiter. Bei 17 Bezirken, in die Hessen 1996 aufgeteilt war, wäre auf jeden deutlich mehr als eine halbe Million € gekommen. Die Abzocker-Statistik wies dagegen lediglich 356 664 € aus. Ein Sprecher des Finanzministeriums erklärte: Die in der Bild-Zeitung genannte Zahl stimmt wohl – netto ohne Mehrwertsteuer. 2,6 Millionen der knapp neun Millionen € aus der Position Provisionen für Bezirksleiter entfielen auf Glücksspirale-Provisionen für Bezirksleiter und Annahmestellen. Es ist anzunehmen, dass die Glücksspirale-Provisionen auch in anderen Bundesländern zusätzlich anfallen und sich die Gesamteinkünfte damit erhöhen. Außerdem erhalten die Bezirksdirektoren, die freie Handelsvertreter sind, nach einem Urteil des Bundessozial-gerichts von den Lottogesellschaften auch Arbeitgeberanteile an der Sozialversicherung.

Mit jedem Schein, den Otto Lotto und gleich ihm alle Tipper bei ihren Annahmestellen abgeben, bezahlen sie auch diese Provisionen für die Bezirksbosse. 21 Hauptstellen, die von selbständigen Unternehmern geleitet wurden, gab es in Baden-Württemberg bis 1990. Dann strukturierte die Lotteriezentrale um und erhöhte die Zahl der Bezirksstellen auf 26. Elf davon führte die Staatliche Toto-Lotto GmbH von 1994 an als Tochter-GmbH, um Umsatzsteuer zu sparen, aber auch um den Außendienst besser an die Kandare nehmen und zu mehr Umsatz anspornen zu können. Der Rechnungshof hielt die GmbH-Lösung nicht für die beste. Die Behörde gab zu bedenken, dass man sich von einem Bezirksdirektor als Geschäftsführer einer GmbH nicht so leicht trennen könne, sondern diesem eine Abfindung zahlen müsse.

Um ihre Ziele durchsetzen zu können, versüßte die Gesellschaft ihren Bezirksfürsten den Umbau der Organisation mit einer neuen Provisionsregelung. 1995 gab es eine Garantieprovision von 310 000 €. Für erfolgreiche Bezirksleiter konnte es auch mehr werden: 0,4 Prozent der Umsätze waren ausgelobt, 35 € je Quadratkilometer des Hauptstellengebiets, eine Pauschale von 350 € pro Lottoannahmestelle. Hinzu kam eine Erfolgsprämie von einem Prozent für Mehrumsatz im Vergleich zum Vorjahr und von drei Prozent aller Umsätze, wenn diese über dem Durchschnitt lagen. Das alles sollte, so hatte der Aufsichtsrat gefordert, kostenneutral ablaufen.

Der Rechnungshof dagegen fand heraus: Die großzügigen Provisionen stiegen schon 1990 um 1,344 Millionen €, der Trend setzte sich in den folgenden Jahren fort. 1992 hätten die Bezirksdirektoren nach der alten Regelung rund zwei Millionen € weniger eingestrichen – elf statt 13 Millionen. Stuttgart ist derzeit dabei, die Zahl der Bezirksstellen wieder zu reduzieren. Sprecher Klaus Sattler ist zuversichtlich: Wir haben die Zeichen der Zeit erkannt.

Provisionen der Bezirksstellenleiter 1996
Land Bezirke Annahme­

stellen

insgesamt

Durchschnittliche Provisionen je Bezirksleiter in € (ohne Umsatzsteuer)
Bayern 36 4200 676344
Baden-Württemberg 25 3700 3891361
Berlin keine Bezirke    
Bremen keine Bezirke    
Hamburg 8 Angestellte 620 keinerlei

Provisionen2

Hessen 17 2250 256 6043
Niedersachsen 22 2845 3815684
Nordrhein-Westfalen 41 4000 442392
Rheinland-Pfalz 14 1600 390 060
Saarland keine Bezirke    
Schleswig-Holstein 6 886 387 792
Brandenburg Angestellte der Lotto-GmbH,  
  Selbständigkeit angedacht  
Mecklenburg-Vorp. 5 570 239364
Sachsen 13 1331 265 692
Sachsen-Anhalt 10 860 284 256
Thüringen 8 (Angestellte der Gesellschaft)

 
Gärtner wehrt sich stellvertretend für seine 187 Kolleginnen und Kollegen gegen den in Bild erhobenen Vorwurf des Abzockens. Von den Provisionen gingen erhebliche Kosten ab. Man müsse eigene, repräsentative Büros für das Unternehmen unterhalten. Außerdem fielen Personalkosten an, die bei ihm für zwei festangestellte Mitarbeiter 120 000 € ausmachten. Dazu das Auto, die Fahrtkosten, die Versicherungen und die Steuern. Die Bayern müssten sogar das Inkassorisiko tragen, was für den Fall gelte, dass ein Annahmestellenleiter mit dem Geld durchbrennt. Nein, er habe in Nordrhein-Westfalen dieses Risiko nicht zu tragen. Jedenfalls, so Gärtner, müssten 65 Prozent als feste Kosten abgerechnet werden.

Hans-Werner Jakoby, Vorsitzender des Bundesverbandes der Lotto-Toto-Verkaufsstellen, nannte dagegen einen Aufwandsposten von 20 Prozent, bei den umsatzschwächeren Bezirken von 40 Prozent. Gärtner wischt diese Schätzung mit der Bemerkung vom Tisch, sie sei wenig sachgerecht.

Konkrete Abrechnungen will dennoch niemand auf den Tisch legen. Alle aber fürchten um ihre Pfründe, denn die Online-Einführung hat den Zentralen ein Argument zur Kürzung der Provisionen in die Hand gegeben, was auch die Tipper forderten, die mit ihren Einsätzen diese Provisionen bezahlen. In Hessen, wo zuerst online getippt wurde, wies Finanzminister Karl Starzacher während einer Sitzung des Haushaltsausschusses auf Einsparungsmöglichkeiten bei den Bezirksleitern hin. Diese müssten kein Personal mehr einstellen, um am Mittwoch oder Freitag die Lottoscheine einzusammeln und sicher nach Wiesbaden zu bringen. Auch der ehemalige Geschäftsführer der Lotterie-Treuhandgesellschaft mbH Hessen, Fritz Rückei, schätzt, dass heute 40 Prozent der früheren Tätigkeiten wegfallen – wegen der Erleichterungen durch die Einführung von Online. An Besitzstände wird sich allerdings niemand heranwagen. Im günstigsten Fall wird die Zahl der Bezirke verringert und damit der Umsatz pro Bezirksleiter vergrößert. Unterm Strich kommen dann Provisionen in gleicher Höhe wie zuvor heraus. So geschah und geschieht es in Hessen und auch in Stuttgart. Folglich bleiben die Bezirksdirektoren, was sie sind: Inhaber eines lukrativen Jobs – da die Bezirksstellen sehr begehrt sind. Deshalb spricht Nikolaus Arens, Vorsitzender des rheinland-pfälzischen Verbandes der Annahmestellenleiter, auch von Vetternwirtschaft und Politklüngel.

Verdiente Sportler und ausrangierte Politiker würden bevorzugt. In Nordrhein-Westfalen sind dies beispielsweise der ehemalige Kölner Fußballprofi Karl-Heinz Thielen und der ehemalige Europameister (1958) im 200-Meter-Lauf, Manfred Germar. Germar war in den sechziger Jahren Abteilungsleiter bei Kaufhof gewesen. Dann hat mich der Geschäftsführer von WestLotto dort weggeholt – mit einem Gehalt, das dreimal so hoch war wie beim Kaufhof.

Warum gerade er? Sicher hat mein Name eine Rolle ge-spielt. Aber Lotto hat mit Sport zu tun, und ich bin Diplomkaufmann. Germar wurde Abteilungsleiter und Assistent der Geschäftsleitung. Und weil ihm immer wieder noch attraktivere Angebote Vorlagen, bekam Germar zu seinem Abteilungsleitervertrag eine Bezirksstelle hinzu, die damals mit einer Pauschale honoriert wurde. Irgendwann hat ihm der damalige Geschäftsführer Peter Weiand (von 1973-1987 Präsident des 1. FC Köln) versprochen: Wenn ich einmal weggehe, wirst du mein Nachfolger. 1988 ging Weiand weg. Nachfolger aber wurde Rainer Maedge, der bis 1996 Geschäftsführer blieb. Maedge gehört der SPD an. Ihm zur Seite stand Theodor Schwefer, zuvor 20 Jahre lang Hauptgeschäftsführer eines Industrieverbands und Finanzexperte der CDU im Landtag sowie seit 1984 bei West- Lotto.

Germar bekam zum Trost eine weitere Bezirksstelle dazu. Ich habe mir das alles selbst erarbeitet, schwört er. Ich hatte viele gute Angebote. Mit Klüngel hat das nichts zu tun. Bei Thielen sei das etwas anders gelaufen: Der Thielen kam zum Lotto, um eine Bezirksstelle zu kriegen, ich kam zum Lotto, um Geschäftsführer zu werden. Aber, fragt Germar, warumsollte nicht auch ein Sportler solch eine Stelle bekommen? Schließlich sind auch Leute aus der Innenrevision Bezirksleiter geworden, und auch Politiker haben so eine Stelle gekriegt.

Thielen selbst verweist auf die überdurchschnittlich guten Umsätze in seinem Bezirk Neuss: Ich liege immer vorn. Womit er dann auch mehr als eine halbe Million € Provisionen kassieren dürfte. Ex-Fußballprofi Thielen fragt: Warumsoll sich in diesem Land Leistung nicht lohnen?

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