Lotto und Glücksspiele Online, mit Innovationen Geschäfte machen

Am 2. Oktober 1995, um sechs Uhr morgens, begann in den knapp 230 Annahmestellen in Bremen das Computerzeitalter. Die Bremer Toto und Lotto GmbH hatte sie alle mit Computern ausgestattet und den Spielbetrieb auf Online umgestellt. Die Kosten wälzten die Lotteriemanager auf die Spieler ab: Eine neue Gebührenstruktur für Online-Spielaufträge sorgte für 8,2 Prozent mehr Gebühreneinnahmen. Die weiteren Online-Einführungskosten sowie die allgemeinen Kostensteigerungen mussten daneben durch eine befristete Reduzierung der Toto-Lotto-Zweckabgaben abgedeckt werden. Nach Ablauf der Garantiezeiten werde mit zusätzlichen Kostenbelastungen für die Hardware- und Softwarewartung zu rechnen sein.

Alles korrekt, meint der ehemalige Präsident des Landesrechnungshofs Bremen, Hartwin Meyer-Arndt. Der Innensenator habe das Verfahren nicht beanstandet, weil es keine anderen Quellen gibt, aus denen man das hätte bezahlen können. Für einen vorübergehenden Zeitraum sei das zu akzeptieren.

Aber was ist ein vorübergehender Zeitraum? Die Gesellschaft hatte bereits in den vorhergegangenen Jahren einen Teil ihrer Überschüsse zurückgelegt. Jetzt erhöhte sie nicht nur die Gebühren, sondern kürzte auch den Annahmestellen die Provisionen, weil diese angeblich weniger Arbeitsaufwand haben. Das ist umstritten. Zwar fällt mit On-line eine Menge Papierkram weg, aber dafür müssen die Tipper auch mittwochs und samstags betreut werden. Mit 500 € Anschlußgebühr bat die Zentrale ihre Kollektoren außerdem noch zur Kasse. Ein Monopolbetrieb kann sich das leisten. Wer nicht mitspielt, fliegt raus. Nicht nur einige Rechnungshöfe kritisierten das. Ohnehin sind Rechnungsprüfer der Meinung, dass den Gesellschaften zur Abwicklung des Spielbetriebs die Bearbeitungsgebühren ausreichen müssten. Statt dessen gestatten ihnen Politiker aller Länder, sich auch aus den Einsätzen zu bedienen. Und dann sollen bei einer Investition auch die großzügigsten Geschäftsbesorgungsverträge nicht ausreichen?

Alle Lotteriegesellschaften haben sich ihre Zukunftsinvestition von anderen bezahlen lassen. Sie wollen sich damit nicht nur gegen mögliche Konkurrenz aus dem Ausland wappnen, sondern vor allem höhere Umsätze erreichen. Die Aussichten dafür erscheinen rosig, denn das wichtigste Ergebnis eines Feldversuchs auf Helgoland war: Die Umsätze stiegen um 100 Prozent. Auch die Hessen, die als erste komplett vernetzt waren, meldeten im ersten Jahr acht Prozent Wachstum. Schnell zogen alle anderen Bundesländer nach in der Hoffnung, mit dem neuen Service neue Spieler anzulocken.

Auch der schleswig-holsteinische Finanz-Staatssekretär Joachim Lohmann zeigte sich 1995 hoffnungsvoll, dass damit auch der Umsatz gesteigert werde. In der Landeshauptstadt Kiel hätten Tests das überraschende Ergebnis eines Umsatzplus von 34 Prozent in zwölf Wochen erbracht. Das wichtigste aber: Mittel- und langfristig ist damit auch die Einführung von neuen Gewinnspielen möglich, die weit über das traditionelle Spielangebot hinausreichen, so die Staatliche Toto-Lotto GmbH Baden-Württembergs. Längst wird über ein tägliches Lotto diskutiert. Die Online-Technik hat dafür die Voraussetzungen geschaffen.

Die Verlogenheit der Argumentation, der Staat müsse seine Bürger vor dem Glücksspiel schützen, hat sich mit dieser öffentlich ausgesprochenen Spekulation wieder einmal erwiesen, auch wenn sich die Umsätze dann doch nicht so erhöhten wie erwartet.

Die Lotteriegesellschaften rechneten bundesweit mit Modernisierungskosten von einer halben Milliarde €. 50 Millionen € kalkulierte beispielsweise Niedersachsen allein für die Investitionen, zusätzlich soll jedes Jahr die Hälfte der Summe an Betriebskosten hinzukommen. Solche Zahlen entlockten den Managern allenfalls ein Schulter-zucken. Die notwendigen Mittel holten sie sich bei allen am Spiel Beteiligten. Beispiel Brandenburg: Rund elf Millionen € investierte die Land Brandenburg Lotto GmbH in die Umstellung ihrer Annahmestellen auf Online. Diese Investition, warb die Gesellschaft vor der Presse, zahlt sich für die Lottospieler sofort aus: Lotto-Online bietet schnelles Spiel, schnelle Gewinnauszahlung und vielleicht auch neues Glück.

Online bringt vor allem neue Kosten, allerdings nicht in erster Linie für die Gesellschaften. Eine knappe Million pro Jahr spart die Lottogesellschaft in Potsdam durch die Kürzung der Provisionen für die Annahmestellen um ein halbes Prozent. Während diese 1995 und 1996 8,1 Prozent der Einsätze (einschließlich Umsatzsteuer, also 6,9 Prozent netto) kassieren durften, waren es 1997 noch 7,5 Prozent (netto 6,5 Prozent). Der Anteil der Gesellschaft erhöhte sich umgekehrt proportional von 5,3 auf 5,9 Prozent. Außerdem mussten sich die Annahmestellen mit einmalig 300 € an der Investition beteiligen, zusammen rund 225 000 €. Auch von der Konzessionsabgabe, die eigentlich über die Ministerien für gemeinnützige Zwecke verteilt werden soll, durfte die Lotterie-GmbH für Computerinvestitionen und Rücklagenbildung eine Menge einbehalten -1995 und 1996 jeweils rund sechs Millionen €. Und wenn’s dann immer noch nicht reicht, wird eben noch mehr abgezweigt. Antje Edelmann, Lottosprecherin in Brandenburg, freut sich, dass das Ministerium mitspielt: Wir überweisen, was übrig ist.

Auch Otto Lottos Spielerkollegen in Brandenburg müssen bluten. Die Erhöhung der Bearbeitungsgebühren, beispielsweise um zehn Pfennig für den Spielschein 6 aus 49, wird für die Großinvestition eine weitere Million € pro Jahr einbringen. Und schließlich bezahlt jeder Tipper, der vermeiden will, dass ihm beim neuen Lotto ein Gewinn entgeht, zehn € für seine zwei Jahre gültige Lottocard. 15 563 waren wenige Wochen nach Abschluss der Umrüstung verkauft, macht 155 630 € zusätzliche Einnahmen. Um die hundert, berichtet die Sprecherin, kommen jede Woche dazu.

Damit sie auch künftig ihre Gewinne sicher erhalten, müssen Lottospieler eine solche Karte kaufen. Macht fünf € pro Jahr und Nase. Die Lotterieverwaltungen halten die Gewinne von Spielteilnehmem ohne Kundenkarte 13 Wochen bereit, dann verfallen sie. Wer eine Kundenkarte hat, bekommt seinen Gewinn keinesfalls sofort überwiesen, sondern nach einer Frist von sechs Wochen und unter Abzug einer Überweisungsgebühr von einer €. Bei Gewinnen über 5000 € wird der Gewinner benachrichtigt und erhält seinen Gewinn nach sechs Tagen angewiesen, ebenfalls gegen eine Gebühr von einer €.

Die Toto-Lotto Niedersachsen GmbH nahm innerhalb eines Jahres für 150 000 Karten 1,5 Millionen € ein. Sie gelten ebenfalls zwei Jahre. Rheinland-Pfalz meldete 1996 Erlöse aus Kundenkarten in Höhe von 162 400 €. Hessen hatte bis dahin schon 350 000 Karten verkauft, macht 3,5 Millionen € für die GmbH-Kasse. Der Verkauf dieser Kundenkarten wurde sogar werblich gesondert gefördert – Motto: Sischä ist sischä! Das mutet an wie der Ruf nach dem Brandstifter als Feuerwehrmann: Erst verursachen die Lotteriezentralen mit Online das Feuer, dann bieten sie das Löschwasser an – natürlich gegen Gebühr. Auch die hessischen Annahmestellen mussten sich mit einmalig 950 € an den Investitionen beteiligen, die Provision wurde von sieben Prozent ohne Bearbeitungsgebühr auf einen Anteil von 6,45 Prozent abgesenkt, wobei nun auch die Spielscheingebühren verprovisioniert werden.

Die Bremer Toto und Lotto GmbH kassierte 1995 rund 4,4 Millionen € an Bearbeitungsgebühren von den Tippern, zwei Jahre später waren es 5,228 Millionen € – eine Mehreinnahme von annähernd 18 Prozent. Auch die Bremer begründeten den Zuwachs verschämt: Mit der Online-Einführung wurden die Bearbeitungsgebühren geändert.31 Der Senator für Inneres genehmigte die Finanzierung der Rationalisierungsmaßnahmen durch eine neue Gebührenstruktur für Online-Spielaufträge. Doch nicht nur direkt wurden die Upper zur Ader gelassen: Durch eine befristete Reduzierung der Lotto-Toto-Zweckabgaben zur Deckung der Kosten für die Online-Einführung standen Sportvereinen, sozialen Einrichtungen, Kultur oder Umweltschutz weniger Mittel zur Verfügung.

In Sachsen-Anhalt veranschlagte die Lotto-Toto GmbH die Online-Kosten 1995 und 1996 auf insgesamt 13,7 Millionen €. Von den 18 Millionen €, die 1995 als Zweckerträge hätten abgeführt werden müssen, durften die Magdeburger 1,051 Millionen € für den Aufbau der Gesellschaft einbehalten, 1996 sogar acht Prozent, mehr als 1,5 Millionen €, zur Deckung der mit der Online- Einführung verbundenen Mehraufwendungen. Jede Annahmestelle musste hierfür einmalig 600 € investieren. Weil die Umsätze 1996 um vier Prozent stiegen, konnte sich die Gesellschaft im Geschäftsbericht über diese günstige Investition doppelt freuen: Mit Online erzielten 1997 [!] weit weniger Verkaufsstellen zusammen mehr Umsatz […] als im Vorjahr. Und: Die 1996 abgeschlossene Umstellung auf die neue Onlinetechnik löste bei den Kunden ein positives Echo aus. Wir rechnen daher mit weiteren Umsatzsteigerungen. Für die Ausstellung von Kundenkarten, die eine automatische Auszahlung der Gewinne aufs Konto sichern, nahm die Gesellschaft 153 930 € ein.

Ob die neue Technik zu Rationalisierungen beim Personal führen wird, bewerten die Gesellschaften je nach politischer Opportunität: Baden-Württembergs Toto-Lotto GmbH schrieb hierzu: Durch diese Investitionen können im Unternehmen langfristig Arbeitsplätze gesichert werden. Sachsen dagegen spricht von einer infolge der Online-Einführung notwendigen Reduzierung der Verkaufsstellenanzahl. Wie bei jeder Rationalisierung ist diese zweite Einschätzung realistischer.

In Nordrhein-Westfalen mussten wegen der Einführung von Online 60 Frauen mit unbefristeten Verträgen, die älter als 55 Jahre waren, in den Vorruhestand gehen – versehen mit einem ordentlichen Überbrückungsgeld, das sie bis zum Rentenalter versorgt. Schon 1996 wies die Bilanz drei Millionen € mehr für die Altersversorgung aus als im Jahr zuvor. Außerdem mussten sich 127 Studenten mit befristeten Verträgen einen neuen Job suchen. Im Gegenzug entstanden 40 neue, qualifizierte Dauerarbeitsplätze, vornehmlich in der Datenverarbeitung.

Großer Nutzen für Otto Lotto und andere leidenschaftliche Spieler ist durch die Etablierung von Online noch nicht abzusehen – im Gegenteil: Nach der Einführung standen etwa in Niedersachsen Automobile im Wert von 900 000 € auf dem Parkplatz der Lotteriezentrale herum: ein BMW Z3, sieben Audi A4 Avant und sechs VW Passat Variant. Sie blieben nach vier Sonderauslosungen im März und April 1996 übrig, weil sich die Gewinner nicht meldeten. Sie hatten online getippt. Auch in Hamburg standen zur gleichen Zeit zwei Kleinwagen aus Sonderziehungen, die vergessen worden waren. In Niedersachsen suchten kurz vor Weihnachten 1996 die Zeitungen den Gewinner eines Mercedes E 200 – Wert: 56 000 €. Er könne den Gewinn noch bis heute abholen, hieß es, und alle Regionalzeitungen druckten den Fahndungsaufruf nach, nicht ohne die dramatische Warnung: Nach 17 Uhr verfällt der Gewinn!

Rund 200 Millionen € an Gewinnen, rechnen die Lotteriestrategen, sollen den Tippern jährlich seit der Ein-führung von Online entgehen, weil Gewinne übersehen oder vergessen und die Gewinner nicht mehr erfasst werden – außer sie haben eine Lottocard.

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