Eine Pokerkreuzfahrt von Miami durch die Karibik und die Strategien dafür Teil II

Okay, Ante up and Deal! Die Hälfte der Turnierteilnehmer bestand aus wohlhabenden Amateuren der besseren Gesellschaft, die andere aus berechnenden Profis mit undurchdringlichen Augen, die genau wussten, wie man diese anfängerhaften Urlauber auszunehmen hatte. Heute jedoch zog es der Pokergott vor, einigen dieser Teilzeitspieler seine Gunst zu erweisen; wahrscheinlich war er ebenfalls in Urlaubsstimmung. Ich benötigte geschlagene vier Stunden, bis ich schließlich auf dem dreizehnten Platz ausschied – dieses Mal immerhin besser als die Puppe, aber ein weiteres Mal den Beweis dafür abliefernd, dass Stud einfach nicht mein Spiel war. Das Turnier zog sich bis weit nach Mitternacht hin, bis schließlich der erste Preis in Höhe von 3 915 Dollar an einen Hypnosetherapeuten aus Florida und der dritte Preis an einen professionellen Bowlingspieler ging.

Zwischen den beiden platzierte sich der frisch Vermählte aus New Jersey, der auf seiner Hochzeitsreise nun schon die zweite Nacht hintereinander durchgespielt hatte. Seine Braut wirkte kaum überrascht darüber, binnen vierundzwanzig Stunden zur Pokerwitwe geworden zu sein. Die meisten nichtspielenden Ehefrauen und Freundinnen konnten sich wahrscheinlich glücklich schätzen, dass sie überhaupt mit an Bord sein durften. Doch sie wussten verdammt gut, wie man sich ein paar Dollar ergaunerte: Sie trieben sich so lange um die Pokertische herum und unterbrachen so regelmäßig im falschen Moment (wodurch natürlich die fürchterliche Gefahr bestand, dass sie genau dann zuschauten, wenn ihrem Gatten ein riesiger Pot durch die Lappen ging), bis ihr jeweiliger Mann, ohne den Blick vom Geschehen vor sich zu wenden, irgendwann einen großen Chip nach hinten reichte und raunte:

Hier, Schätzchen, kauf dir was Schönes. Allen Beteiligten passte es sehr gut, dass man sich danach erst zum Abendessen wiedertraf. Ich machte mir gerade Gedanken über das Mittagessen, als ich aufschaute und Menschen in Abendkleidung herumlaufen sah. Die heutige Zettelflut unter unseren Kabinentüren hatte anscheinend auch die Aufforderung zum Tragen formeller Kleidung enthalten, doch im Pokersaal interessierte sich niemand ernsthaft für das Kapitänsdinner. Während die feinen Pinkel mit ihren Smokings und ihren aufgetakelten Frauen an uns vorbeizogen und eine halbe Stunde lang Schlange standen, um dem Kapitän die Hand zu schütteln, nahm das Leben in der Checkers Cabaret Lounge seinen gewohnten Lauf – wenn man einmal davon absah, dass manche Gewinner unter dem Vorwand aufhörten, sie müssten sich für das Abendessen umziehen. Für die Verlierer, die hier in T-Shirts und Jeans hängen blieben, war Essen ein Luxus, den sie sich praktisch nicht erlauben konnten.

Da ich ohnehin keine Smokingjacke besaß, verbrachte ich den Abend am Pokertisch – und lief heiß. Für $ 20/$ 40-Hold’em, das Spiel also, bei dem ich gegenwärtig mit magischen Kräften ausgestattet war, fanden sich nicht genug Mitspieler. Eine schreckliche Vorahnung befiel mich: Sollte das hier das Ende meiner Strähne werden? Auf keinen Fall würde ich auf die Schmeicheleien der großen Fische wie Eric Drache und Phil Hellmuth he- reinfallen und riskieren, mein gesamtes Spielkapital bei einer ihrer gigantischen Partien zu verlieren. Die einzige Runde, die auf meinem finanziellen Niveau spielte, bestand aus abwechselnden Hold’em- und Stud-Partien. Damit verlockte sie mich, die Hälfte der Zeit mein bestes Spiel zu spielen, die andere Hälfte mein schlechtestes.

Es kostete mich sechshundert schmerzvolle Dollar, bevor ich beschloss, lieber etwas anderes auszuprobieren – womöglich sogar ein Spiel, das ich noch nie gespielt hatte. Schließlich ist Vielseitigkeit der Heilige Gral jedes Pokerprofis. Am Tisch nebenan begann eine Smokinggesellschaft eine $ 10/$ 20-Version des morgigen Turnierspiels – Eight or better, auch bekannt als High-Low Stud. Dabei muss das niedrige Blatt fünf verschiedene Karten enthalten, die nicht höher sind als eine Acht (Straßen und Flushs sind nicht zugelassen). Dank langjähriger Erfahrung mit den verschrobenen Varianten der Dienstagabendrunde war ich einigermaßen vertraut mit den Gewinnchancen – doch letztlich konnte ich es nur meinem Anfängerglück zuschreiben, dass ich die Hälfte meiner verlorenen 600 Dollar wieder hereinholte, ehe ich schließlich meinem Schlafbedürfnis nachgab.

Als echter Großkapitalist hatte ich großzügig versprochen, sowohl die Puppe als auch mich selbst bei den 350-Dollar-Turnieren zu sponsern, so dass sich mein Gesamtverlust an diesem Tag auf einen höchst ärgerlichen Tausender belief. In Anbetracht meines Spielkapitals war das zwar ein äußerst bescheidener Verlust, doch immerhin handelte es sich um meinen ersten Verlusttag auf der ganzen Reise – der erste, seit ich mich, anscheinend vor einem Jahr, auf den Weg nach Lafayette gemacht hatte. Und das tat höllisch weh. Aus der Nacht war mittlerweile wieder Tag geworden – erst der dritte, doch allmählich verlor ich den Überblick -, also unternahm ich einen einsamen Spaziergang über das windgepeitschte Deck und grübelte über die schreckliche Wahrheit nach, dass mein Lauf nun endlich vorbei war.

Oder doch nicht? Gegen Mittag stand ich auf, fest entschlossen, das Gegenteil zu beweisen. Für das Eight-or-better-Stud- Turnier hatten sich sechsundzwanzig Teilnehmer gemeldet und Preisgelder von insgesamt 7 800 Dollar auf den Tisch gelegt. Ich begann so aggressiv – die Übungsstunden des vergangenen Abends kamen da natürlich gelegen dass ich nach kaum fünf Minuten als Erster pleite war. Während ich gedankenversunken am Pool entlangspazierte, fand ich mich plötzlich in einer Gruppe wiedergeborener Christen wieder, die überall an Bord mit ihren missionarischen T-Shirts auffielen. Schätzchen, sagte eine der Frauen zu ihrem Bibel lesenden Gatten, hast du die Beträge gesehen, die in diesem Spielsaal auf dem Tisch liegen?

In einem einzigen dieser Pötte ist mehr, als wir das ganze Jahr über für die Kirche sammeln! Es dauerte nicht lange, bis die Puppe mir mit einem Cocktail im Freien Gesellschaft leistete. Doch zu der Zeit, als der erste Preis in Höhe von 3 510 Dollar an Gien Snow White Abney ging, den amtierenden Gin-Weltmeister und beleibten Besitzer eines Gin-Clubs in Hollywood, steckte ich längst in einer $ 20/$ 40-Hold’em-Partie, für deren Zustandekommen ich lange und hart mit den Organisatoren gerungen hatte. Dieses zähe Ringen hatte auch beinhaltet, dass ich pleitegegangene Turnierspieler mehrere Stunden lang bearbeiten musste, um eine Gruppe mit vier oder fünf Mitgliedern auf die Beine zu stellen, denn andernfalls hätte uns der Saalchef keinen Dealer zugeteilt.

Es war ziemlich beschämend – und erinnerte an die Schuh-Episode in Salzburg -, mit welcher Inbrunst ich verlorene Seelen aufspürte, die durch ihre Turnierniederlagen ins Taumeln geraten waren. Statt ihnen mein Mitleid auszusprechen, drängte ich sie fortwährend zu einer Hold’em-Partie, und das auch noch um Einsätze, die um einiges höher lagen, als es ihnen lieb gewesen wäre. Doch mein Plan funktionierte, und mein Glück kehrte zurück. Wieder ganz in meinem Element, lag ich mit 1 350 Dollar vorn, als das Turnier zu Ende ging und sich der Zweite bzw. Dritte dieses Wettbewerbs zu uns gesellten, beides Experten in Sachen Hold’em: Chicago Sam Petrillo (der seinen Spitznamen vor kurzem ruiniert hatte, indem er nach Long Beach in Kalifornien gezogen war) und John Sutton, kein Geringerer als der Geschäftsführer des Bicycle Club in Los Angeles.

Trotz seines für ihn typischen Dauerlächelns verriet mir John an diesem Abend mit gedämpfter Stimme, er wäre noch glücklicher, wenn er den folgenden Abend unbeschadet erreichen würde. Vor etwa zehn Jahren besaß er die Casinokonzession für ein Kreuzfahrtschiff, das an dieser Stelle besser namenlos bleibt. Eines Tages rief ihn sein Assistent Tom Bowling, mittlerweile Geschäftsführer des Pokersaals im Las Vegas Hilton, über Seefunk an und sagte: Die gute Nachricht lautet: Wir sind alle in Sicherheit. Die schlechte Nachricht: Wir brauchen alle Flugtickets nach Hause. Während eines im Nachhinein als verdächtig erklärten Feuers war das Schiff im Hafen von St. Maarten auf Grund gelaufen, genau dort also, wohin auch unser Schiff steuerte. Alles, aber auch alles – Schließfächer, Tresorboxen und so weiter – war in den Tiefen des Meeres versunken.

Fest davon überzeugt, dass Geschichte sich nur als Farce wiederholt, verständigte ich mich mit John darauf, dass wir am besten weiterspielten, solange wir noch die Gelegenheit dazu hatten. Mit uns am Pokertisch saßen Barbara Enright; eine weitere Ex- Weltmeisterin namens Linda Ryke; Ron Stanley (aus der Pot- Limit-Partie im Dunes eine Woche zuvor); John Stephanian, ein freundlicher Profizocker aus Vegas; und ein berühmter Arzt, der gerade Vierter des Eight-or-better-Turniers geworden war. Der Doc feierte seinen Erfolg, indem er mit Geld um sich warf, als gäbe es kein Morgen. Ich hatte den starken Eindruck, dass dem Spiel der anderen Anwesenden etwas Verzweifeltes anhaftete – was ich zu meinem Vorteil nutzen konnte und über 3 000 Dollar einstrich, bis ich begriff, dass sie so spielten, weil es tatsächlich kein Morgen gab. An diesem Punkt ließ ich mich von der allgemeinen Stimmung anstecken und verschenkte fünfhundert Dollar durch viel zu lockeres Spiel.

Das Problem bestand darin, dass wir sehr bald Land sichten würden. Für normale Passagiere auf einer Kreuzfahrt, die nach einem Tag gesundheitsförderlicher Bewegung an der frischen Luft und netter Unterhaltung am Abend bereits fest schliefen, bedeutete dies, dass sie bald das exotische St. Maarten erkunden konnten. Für uns Pokerspieler bedeutete es das Undenkbare: die vorübergehende Schließung des Kartensaals. Das glauben Sie nicht? Als in der Morgendämmerung der karibische Horizont durch die Fenster schimmerte, hatte der arme alte Robin Powell Mühe, den Spielbetrieb abzubrechen, den Saal zu räumen und die Tische abzudecken.

Doch das war eben der Aufhänger, den jene gerissenen Pokergatten brauchten, um eine lang herbeigesehnte Endlos-Pokerpartie offiziell als gemeinsamen Jahresurlaub mit ihrer Gattin deklarieren zu können. Jedes Mal, wenn das Schiff anlegte – was Schiffe nun einmal so an sich haben -, wurden Kartensäle und Casino bis dreißig Minuten nach dem Ablegen geschlossen. Die Kreuzfahrtgesellschaff stellte auf diese Weise sicher, dass das Geld dort ausgegeben wurde, wo sie es wünschte. Für die Pokerprofis, die man gegen ihren Willen an Land zerrte, damit sie dort schwammen, ein Sonnenbad nahmen, Rumpunsch tranken, sich in karibischem Luxus aalten und zum ersten Mal seit Betreten des Schiffs Meeresluft schnupperten, bedeutete der Landgang jedoch, dass sie den ganzen Tag miteinander reden mussten.

Einige von ihnen zogen daher eine weit interessantere, um nicht zu sagen wichtigere Alternative vor – und gingen schlafen. Phil Hellmuth zum Beispiel betrachtete die Landgänge als Gelegenheit, sich seinen Edelzocker-Konkurrenten gegenüber einen Vorteil zu verschaffen, indem er sich auf diese Weise trimmte, während sie ihre grauen Zellen und ihre Geldbörse an Land strapazierten. Seine Zielstrebigkeit erinnerte Robin Powell an Tom McEvoy und Yosh Nakano auf einer früheren Kreuzfahrt. Damals hatte er ein Flugzeug gechartert, um mit der Pokergruppe einen Ausflug zum berühmten venezolanischen Wasserfall Salto Angel zu unternehmen. Während sie über einer der überwältigendsten Aussichten Südamerikas ihre Kreise zogen, schauten die beiden Profis kein einziges Mal von ihrem Backgammonbrett auf.

Ausländer wie ich waren dazu verpflichtet, sich zur Erledigung der Einreiseformalitäten beim Club Internationale zu melden – und zwar zum unfassbaren Zeitpunkt von 7.00 Uhr morgens. Als ich auf dem Weg dorthin durch den menschenleeren Kartensaal stolperte, nach kaum einer Stunde unruhigen Schlafs, erfuhr ich als einer der Ersten von der Prügelei – die später als Die Prügelei bekannt wurde -, die hier zur Sperrstunde zwischen zwei aufbrausenden High Rollers stattgefunden hatte. Mr. X, ein professioneller Slotmaschinen-Spieler, der sein Glück beim Poker um hohe Einsätze versuchte, hatte sich eine Stichelei zu viel gegenüber Yosh Nakano geleistet – der, wie sein Name schon vermuten lässt, so etwas wie ein Kampfkunstmeister war.

Obwohl fast einen ganzen Kopf kürzer, hatte Yosh seinen Angreifer binnen weniger Sekunden grün und blau geschlagen. Zweimal waren sie von Mitspielern getrennt worden, zweimal hatten sie sich losgerissen und ihre Feindseligkeiten fortgesetzt. Nun war die Rede von einem Gerichtsverfahren. Robin Powell pendelte, plötzlich in der Rolle eines Henry Kissinger zur See, zwischen der einen und der anderen Kabine hin und her, im verzweifelten Bemühen, die Neuigkeit nicht bis zum Kapitän durchdringen zu lassen. Der Zwischenfall war das Gesprächsthema von Tag vier, der auf St. Maarten verbracht wurde.

Während die Pokergruppe einen Nacktbadestrand ansteuerte, wo sie damit drohte, den ganzen Tag über in Taucherbrille und Schnorchel Stud zu spielen, bildeten die Puppe und ich gemeinsam mit Eric Drache und ein paar Casinoangestellten eine Haute-Cuisine-Splittergruppe. Was als Strandtag begann, verwandelte sich in Das große Fressen, als Eric, der sich offenbar kaltblütig darin hervorgetan hatte, die Streithähne des vergangenen Abends zu beruhigen, uns alle zu einem gigantischen Mittagessen am Strand mitnahm, welches den ganzen Nachmittag andauerte. Um die Wahrheit zu sagen, dauerte es für mich sogar den ganzen Abend bzw. die ganze Nacht an – denn das Erste, an das ich mich danach erinnern kann, war das Mittagessen am folgenden Tag. Ich hatte St. John verschlafen, und nun wurde von mir verlangt, in St. Thomas an Land zu gehen.

Im Verlauf eines weiteren Essens im Freien mit der Puppe erinnerte ich mich bruchstückhaft an einen Höhepunkt meiner zwölf komatösen Stunden. Ich hatte geträumt, ich hätte mich aus irgendeinem Grund bereit erklärt, am Eton College eine Predigt zu halten. Als der fürchterliche Moment nahte, hatte ich natürlich keinen Schimmer, was ich sagen sollte, und ging voller Panik und mit leerem Kopf den Gang entlang. Doch plötzlich sprang ich volle fünfzig Meter über die Köpfe der gesamten Gemeinde, legte eine saubere Drehung in der Luft hin und landete stehend in der Kanzel, von wo aus ich das Publikum fromm und mit gefalteten Händen betrachtete. Zum großen Ärger des Lehrkörpers ließen mir die Schüler eine stehende Ovation zukommen.

Anschließend hielt ich eine bemerkenswert eloquente Predigt über Poker, unter besonderer Berücksichtigung seiner großartigen gleichmachenden Fähigkeiten. Ich erzählte meiner Gemeinde, ein reicher Mann könne sich zum Spiel zu einem Bettler setzen, ein armer Mann zu einem König; alle würden das Spiel auf gleicher Höhe beginnen, der Rest liege bei den heidnischen Göttern des Kartentischs. Auch meine Coda war inspirierend: Gerade dieses Publikum, die privilegiertesten jungen Männer der mutmaßlich zivilisierten Welt, könnten viel vom willkürlichen Lauf der Karten lernen.

Wie zum Kuckuck hatte ich mir das alles zusammengebraut? Mir blieb keine Zeit zum Überlegen, da mit dem nächsten Morgen der sechste von sieben Kreuzfahrttagen anbrach. Als dreizehnter von einunddreißig Teilnehmern beim Hold’em-Turnier musste ich weitere 700 Dollar an Teilnahmegebühren bezahlen, ehe es am Abend dann ernsthaft zur Sache gehen sollte. Mit fast 13 000 Dollar Spielkapital, aber nur noch sechsunddreißig Stunden Zeit war jetzt der Moment gekommen, einen Gang hochzuschalten und sich zu den eine Nummer größeren Jungs beim $ 30/$ 60-Hold’em-Spiel an den Tisch zu setzen. Ich lag eintausend Dollar im Plus gegenüber einem kalifornischen Profi und dem ehemaligen Weltmeister Jack Keller, meinem Sparringspartner seit Malta, als uns genau jener urlaubende Arzt Gesellschaft leisten wollte, der gerade bei seinem dritten Turnier in Folge Vierter geworden war.

Das hatte ihm zusätzlich den Titel des besten Allround-Pokerspielers der Kreuzfahrt eingebracht, wie eine hübsche Kristallglas-Trophäe bewies, die er stolz vor sich auf den Tisch stellte. Der Doc bestellte sich einen großen Drink, zog einen dicken Stapel Hunderter hervor, kaute auf seiner Zigarre herum und meinte: Okay, jetzt seid ihr reif. Geblendet von seinem Erfolg war der Doc schon bald heißgelaufen – er ging bei jeder Hand mit und verlor die meisten. Und als er kurz mal zur Toilette musste, ließ er sogar seine junge, weibliche Begleitung für sich einspringen, obwohl die Dame offensichtlich in ihrem ganzen Leben noch nie Poker gespielt hatte. Keller und der Kalifornier warfen einander erfreute Blicke zu und machten es sich für einen längeren Abend bequem. Die Pötte wuchsen immens an, und ich hatte Schwierigkeiten mitzuhalten. Um 4.00 Uhr früh fragten sie den Doc, ob er etwas dagegen hätte, die Einsätze auf 50 und 100 Dollar anzuheben.

Kein Problem, meinte der, ganz wie ihr wollt, Jungs. Als ich den Vorschlag ablehnte, konnten sie es kaum fassen. Natürlich erwies ich mich damit als Spielverderber, und es fiel mir nicht leicht, darüber hinwegzusehen, wie sie in Anbetracht meiner Dummheit die Augen verdrehten. Aber ich spielte ja gegen sie genauso wie gegen den im freien Fall befindlichen Arzt – und im Gegensatz zu ihm hatte ich mein Ego auch noch völlig unter Kontrolle und machte mir keinerlei Illusionen, was unsere gegenseitigen Fähigkeiten anging. Pötte von mindestens 500-600 Dollar reichten mir völlig aus. Außerdem machte es ganz schön Spaß, sie zu ärgern. Lag es denn etwa an mir, dass Gentleman Jack Keller ausnahmsweise einmal schlechte Laune hatte und die Kreuzfahrt von vorn bis hinten niedermachte? Ich hab’s nicht gern, wenn mir jemand sagt, wo und wann ich was essen soll, murrte er. Das hat mir schon beim Militär nicht gefallen und tut’s heute immer noch nicht. Eine höfliche Nachfrage meinerseits – nur um ihn noch etwas mehr auf die Palme zu treiben – brachte ans Tageslicht, dass seine Frau Gloria dies genauso hasste. Klar, die Inseln sind schon ganz nett.

Aber wenn ich die sehen will, kann ich auch ins Flugzeug steigen. Pokerspieler mögen zwar Freigeister und als solche resistent gegen die berüchtigte Reglementierung des Lebens an Bord sein, doch ich meinte zu spüren, dass Gentleman Jack ganz langsam heißlief. Auch wenn dieser Gedanke spitzfindig sein mochte und ich damit nur mein Selbstwertgefühl nach dem $ 50/$ 100-Vorfall wieder aufzubauen versuchte, so schien er sich doch allmählich zu bewahrheiten. Im Laufe der nächsten anderthalb Stunden war ich der Einzige am Tisch, der seine Eitelkeit unter Kontrolle hatte. Und diese Selbstbeherrschung zahlte sich aus: Ich gewann 1 600 Dollar, zusätzlich zu dem Tausender, den ich schon vor Ankunft des Docs im Plus war, ehe ich ihnen das Feld überließ. Ich wollte ins Bett, bevor die Puppe zum Frühstück aufstand.

Zu spät. Sie kam genau in dem Moment in den Saal, als ich ihn gerade verlassen wollte. Also leistete ich ihr auf einen Kaffee Gesellschaft, zusammen mit den Mädchen von der Nacht-schicht, bis langsam unsere letzte Poker-Unterbrechung in Sicht kam. Auch wenn Jack Keller lieber mit dem Flugzeug die Karibik besuchte: Nicht einmal ein Ex-Weltmeister findet eine Flug-gesellschaft, die ihn auf die Privatinsel der Norwegian Cruise Line auf den Bahamas bringt, unsere letzte Station vor der Rückreise nach Miami. Ich verbrachte den Tag mit Sonnenbaden und Tretbootfahren im Kreis – was völlig absurd aussah und sich auch so anfühlte, mich aber vor der Teilnahme an einem Basketballspiel der großen Fische bewahrte, bei denen es wieder einmal um hohe Einsätze ging -, bevor wir zu einem letzten Abend voller Pokeraction wieder an Bord zurückkehrten.

Vor dem Abendessen, im Rahmen einer großzügigen Abschiedsparty für Mitarbeiter und Spieler in seiner Royal Suite, knackte Eric Drache mit seiner Barrechnung für diese Woche endlich die 3 000-Dollar-Grenze. Die Hälfte davon muss auf den Teppich gegangen sein: Mein erstes Glas Dom Perignon verschüttete ich, als die Frau eines Profis mir gegen das Schienbein trat, um zu demonstrieren, was sie mit einem Schiffsoffizier gemacht hatte, der sie während einer Mitarbeiterfeier (zu der sie ohne Einladung gegangen war) in den Po gezwickt hatte. Das zweite Glas ging zu Boden, als ein Kalifornier versuchte, sich mit einer weiteren Ladung Getränkenachschub für eine Gruppe von Gattinnen vorbeizuzwängen. Entschuldigung, sagte er zu einem anderen Profi, Sie stehen mir im Weg.

Freundchen, ich werde dir immer im Weg stehen, lautete die Antwort. Wohl als Geste für den Weltfrieden versammelten sich während des Abendessens die aus vielen Ländern stammenden Angestellten auf den Stufen des Speisesaals der Norway und brachten uns ein Ständchen: We are the world. Während wir Champagner nippten und Kaviar knabberten, wies die Puppe darauf hin, dass dieser Song die Hymne der Organisation USA for Africa sei, die sich um die Hungernden auf diesem Kontinent kümmerte. Nach neun Monaten in der professionellen Pokerszene drohte mir endgültig der Sinn für das Surreale abhandenzukommen.

Nach dem Abendessen wimmelte es im Pokersaal von Spie-lern, die sich unbedingt noch ein Stück vom Kuchen abschneiden wollten. Die ganze Woche über hatte Bob Thompson unschuldige Mitmenschen umgarnt und mit freundlichen Zurufen wie Kostenlose Pokerstunden! Keine Bange, kommen Sie nur rein! zweite Flitterwöchner geködert. Und tatsächlich hatten sich ein oder zwei Amateurgrüppchen in den Ecken des Saals versammelt, sehr zur Freude der Profis, die erst den Neuankömmlingen und dann einander wissende Blicke zuwarfen und schließlich sagten: Hey, kommt rüber, Leute, wir haben da noch ein paar Plätze frei…

Doch die potenziellen Opfer erwiesen sich als vernünftig genug, der Versuchung zu widerstehen: Sie blieben in ihrem angestammten Umfeld und standen mit zwanzig Dollar nervös mehrere Stunden bei supervorsichtigem $ 1/$ 2-Stud- oder Hold’em-Partien durch. Im Laufe der Zeit formierte sich dabei – gelegentlich durch die Anwesenheit der Puppe beehrt – ein reiner Frauentisch, an dem die Regeln des Spiels anscheinend auf den Kopf gestellt wurden. Jedes Mal, wenn dort ein Pot gewonnen wurde, ertönten Rufe wie: Gute Hand, Schätzchen! und Prima gespielt, Wilma!, ja sogar: Ich habe schon die ganze Zeit drauf gewartet, dass du endlich auch mal einen gewinnst! Es wurde viel gelacht an diesem Tisch, sogar unter den Verliererinnen. Sie schienen wirklich Spaß zu haben und es dem willkürlichen Lauf der Karten zu überlassen, wer gewann und wer verlor. Die Profis, die glaubten, schon alles gesehen zu haben, schauten einander völlig verblüfft an.

Da ich zur gleichen Zeit bis über beide Ohren in einer riskanten $ 30/$ 60-Hold’em-Partie steckte, musste ich schließlich den Saalchef bitten – äußerst höflich, da es sich ebenfalls um eine Frau handelte die Damen zu etwas Zurückhaltung aufzufordern. Die Sache hier wurde mir langsam zu heiß. Die Vorstellung, die Partien könnten abgebrochen werden, bevor die Nacht vorbei war, ließ jeden, ganz gleich auf welchem Niveau er stand, so spielen, als ginge es um sein Leben. Ein paar der großen Fische häuften Schulden auf, die nur daheim in Kalifornien wieder beglichen werden konnten. Phil Hellmuth, obwohl schwer in der Kreide, spielte so wichtigtuerisch wie immer: Komm schon, Baby, zeig mir, was du draufhast.

Woll*n doch mal sehen, ob du dabei auch mitgehst! Ein paar der unterklassigeren Pros hatten sich bereits pleite zurückgezogen. Nach ein paar wilden Stunden, in denen anscheinend alle Vorsichtsmaßnahmen außer Kraft gesetzt waren, begannen die Gewinner, mich eingeschlossen, ihre Hunderter-Bündel zu horten – schließlich standen der Mai und die World Series kurz bevor. In der anderen Ecke des Saals hatten die Amateure nach wie vor ihren Spaß und feierten die letzten Stunden der ungesündesten, aber anregendsten Kreuzfahrt, die sie je unternommen hatten.

Gegen 3.00 Uhr früh löste sich unser Tisch schließlich widerwillig auf, wobei so unbekannte Worte wie Bett und Schlaf fielen. Unerbittlich drängte sich die reale Welt in das Blickfeld der Pokerspieler. Die Amateure, die jetzt bald zu richtigen Jobs zurückkehrten, fühlten sich ein bisschen schuldig, weil sie eine Woche so wunderbar vergeudet hatten. Für die Profis dagegen war es Zeit, sich für die kommenden arbeitsreichen Tage in Form zu bringen.

Da auf mich nur der Flug nach London wartete, den ich komplett verschlafen konnte, stellten sich mir derartige Probleme nicht. Gleiches galt offenbar auch für Sam Petrillo, mit dem ich noch spielte, während Robin Powell und sein Team damit begannen, um uns herum alles dichtzumachen. Als die Norway wieder im Miami Sound anlegte, konnten sie unsere Partie nur dadurch beenden, dass sie die Beine unseres Pokertischs abschraubten.

Trotz des Aufpreises für unsere Plätze in der Upper Class brachte es das Kabinenpersonal von Virgin auf dem Rückflug nach London fertig, den Raucherbereich mit Nichtrauchern zu besetzen, zumeist mit Kindern, deren Umsetzung die Stewardessen nicht gerade freundlich ablehnten. Die Hölle kennt keinen schlimmeren Zorn als den eines Rauchers auf einem Langstreckenflug in einer Nichtraucherzone – vor allem, wenn es sich um einen Nichtmathematiker handelt, der versucht, Berechnungen auf Leben und Tod anzustellen. Siebzehnhundert Piepen Gewinn am letzten Abend hatten den Stapel Geldscheine in meiner Tasche auf 16 900 Dollar aufgestockt. Und auch die Puppe hatte bei der Damenpartie gut abgeschnitten und zahlte mir stolz die 1 000 Dollar zurück, die ich für ihre Teilnahmegebühren hingeblättert hatte.

Ebenso stolz unternahm ich einen Versuch, das Geid abzulehnen, beließ es allerdings bei diesem einen Versuch; als sie eingeschlafen war, rechnete ich ihren Beitrag heimlich meinem Gewinn hinzu. Sie hatte den fatalen Fehler begangen, einem Spieler Geld anzubieten, der versuchte, sein Vermögen zu maximieren. Wie Dagobert Duck mit einem Taschenrechner weckte ich sie mit weiteren langweiligen Fakten und Zahlen bald wieder auf. Ich wollte es ganz genau wissen: Wenn man dieses berücksichtigte und jenes abzog, hier Zinsen aufschlug, die zehn Riesen Startgebühr im Horseshoe dazurechnete … Als wir die Zahlen noch einmal durchgingen, kamen wir offiziell überein, dass ich inklusive Unterkunft und Verpflegung mit einem Plus von 7 900 Dollar nach Hause fuhr.

Müde und nervös kamen wir zu Hause an – wobei ich immer noch mit den Zahlen jonglierte – und mussten feststellen, dass irgendjemand unser Haus völlig ausgeräumt hatte. Ich hatte über 8 000 Dollar auf der Kreuzfahrt gewonnen, was meinen Gewinn für die dreiwöchige Reise auf wunderbare 20 000 Dollar plus ein paar Hunderter schraubte. Das fühlte sich ziemlich gut an, verglichen mit den 5 000 Dollar, die ich für Turniergebühren in Louisiana eingeplant hatte und die mein Spielkapital an den Rand des Nichts hätten schrumpfen lassen. Doch dieser Betrag schien lächerlich gegenüber den 28 000 Pfund, dem Gegenwert all unseres Hab und Guts, mit dem sich die Einbrecher davongemacht hatten.

Die langwierige Auseinandersetzung mit der Versicherungsgesellschaft (die letztlich ein halbes Jahr dauerte und bei der wir nur die Hälfte von dem erhielten, was wir verloren hatten) brachte mich unsanft in die Welt echter Geldwerte zurück. Da mir noch ein Monat bis zum Armageddon blieb, beschloss ich, es im April locker angehen zu lassen. Bei jeder anderen Sportart hätte ich mich nun ins Trainingslager begeben; bei der von mir gewählten Tätigkeit aber war ich mir nicht sicher, wie so etwas hätte aussehen sollen. Im Barracuda fand ein Omaha- Turnier statt, bei dem sich mein Abstecher in die amerikanische Szene auszuzahlen schien; erstmals schloss ich in England in den schwarzen Zahlen ab, auch wenn es nur mickrige achthundert Pfund für einen vierten Platz waren. Immerhin verhalf diese Summe – die ich bei drei Cameoauftritten, wie die Jungs sie nannten, im Tuesday Night Game noch problemlos verdoppelte – meinem Pluskonto bequem über die 9 000-Dollar-Marke.

Mit unserem richtigen Geld war es der Puppe und mir derweil gelungen, ein Haus zu kaufen, das groß genug war für uns und unsere fünf Kinder. Nach der ersten Maiwoche – zufälligerweise die Woche, in der die Kinder wieder zur Schule gingen – hatte das Warten dann endlich ein Ende, denn die World Series of Poker trat in ihre heiße Phase. Doch in meinem richtigen Leben passierte zu viel, als dass mein Alter Ego damit hätte zurechtkommen können: Wie wollte ich in der Woche unseres Umzuges ins neue Haus wieder ins Märchenland zurückkehren?

Die Lösung der Puppe war einfach und selbstlos: Ich musste diese letzte Reise allein antreten. Sie würde für eine Weile die Hausfrau spielen, sich um den Umzug kümmern und ein vita nuova einrichten, in das ich dann zurückkehren konnte. Vermutlich wäre ich ohne sie sogar besser dran, meinte sie. Ich würde mich schon genug unter Druck setzen mit meinem absurden Ehrgeiz, unbedingt besser abschneiden zu wollen als auf dem neunzigsten Platz des Vorjahrs. Wenn mir das nicht gelang, dann würde ich immerhin niemand anderem die Schuld geben können. Es war alles sehr bewegend – umso mehr, als ich begriff, dass ihr Flugticket (das zu bezahlen ich aus meinem neu gewonnen Wohlstand versprochen hatte) die Teilnahmegebühr für ein weiteres Turnier ausmachte.

Doch nun meldete sich die richtige Welt mit Macht zurück. Vorsichtig wie immer bei meinen Einsätzen, hatte ich die Pläne für ein weiteres Buch das ganze Jahr über auf Eis gelegt. Wenn ich mir diese Option weiter offen halten wollte – falls es mir aus irgendeinem Grund nicht gelang, die World Series zu gewinnen -, musste ich eine seit langem geltende Vereinbarung in New York einhalten. Es hieß also: Jetzt oder nie. Selbst wenn ich das Jahr finanziell auf einem Höchststand abschloss, so hatte ich es zum großen Teil tief im Keller verbracht: Noch vor wenigen Wochen war ich mit gerade einmal 7 000 Dollar in Richtung Louisiana geflogen.

Wäre diese Reise so fabelhaft verlaufen wie alle früheren, dann würde ich jetzt wohl Sachen verkaufen müssen, um über die Runden zu kommen. Früher als erhofft – und noch bevor ich auch nur den Versuch unternehmen konnte, mir die zwei Millionen Dollar für den Weltmeistertitel zu sichern – musste ich mir widerwillig eingestehen, dass es wohl keinen Sinn ergab, meinen Lebensunterhalt mit Poker verdienen zu wollen. Wenn ich die Verabredung in New York platzen ließ, bedeutete das, ich würde mir die mühelose Rückkehr in meinen früheren Beruf verbauen – und das war ausnahmsweise einmal ein Risiko, das ich nicht eingehen wollte.

Doch da meine Profikarriere aller Voraussicht nach mit der World Series zu Ende ging, wollte ich mich wenigstens mit Stil verabschieden. Es gab eine Möglichkeit, so überlegte ich, zumindest ein bisschen familiären Anstand mit etwas Extravaganz zu kombinieren – anstatt einen letzten, zügellosen Versuch auf Kosten anderer zu unternehmen. Hatte ich das ganze schöne Geld nur gewonnen, um es bei der Jahreshauptversammlung an die Spitzenleute der Branche zu verlieren? Gab es etwas Kostbareres für Geld zu kaufen als Zeit? Wenn ich mit all diesen Bällen gleichzeitig jonglieren wollte, musste ich ein paar zusätzliche Tage in London bleiben, beim Umzug helfen, die Kinder wieder heil in die Schule bringen und dann mit doppelter Schallgeschwindigkeit gen Westen fliegen.

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