Psychologie des Pokers und Glücksspiels richtig lernen Teil III

Beim zweiten Satellite schied ich früh aus; beim dritten erreichte ich abermals das Finale der letzten beiden Spieler, diesmal mit deutlich weniger Chips als mein Gegner, und hatte das Glück, für 600 Dollar ausgezahlt zu werden. Das vierte gewann ich. Satellite Sam, wie Satellite Betty mich inzwischen getauft hatte, hatte es wieder einmal geschafft. Bei einem Kapitalaufwand von 600 Dollar für Teilnahmegebühren hatte ich mir einen Platz im 1 500-Dollar-Turnier des nächsten Tages gesichert und einen Profit in Höhe von 1 600 Dollar gemacht. Und dank der 1 000 Dollar Reingewinn des Abends befand sich mein Spielgeldkonto endlich im Plus. Achtundvierzig Stunden zuvor hatte ich mich noch wie ein schwankendes Rohr im Wind gefühlt mit einem Loch von 2 300 Dollar in der Kasse.

Inzwischen besaß ich 950 Dollar mehr als die 9 999 Dollar, mit denen ich nach Vegas gekommen war, die über 8 000 Dollar an Satellite- und Turniergebühren nicht eingerechnet. Allein die Tatsache, dass ich mich auf diesem Niveau halten konnte, versetzte mich in eine aberwitzige Hochstimmung. Meine Ziele als Pokerprofi waren zu diesem Zeitpunkt eher auf Schadensbegrenzung ausgerichtet als auf einen frühzeitigen Ruhestand. Wie immer fand ich Trost in den unsterblichen Worten von Jack Straus: Wenn Gott gewollt hätte, dass wir an unserem Geld festhalten, hätte er es mit Griffen versehen.

Jack, einer meiner ältesten Freunde unter den Top-Profis und der populäre Gewinner der World Series 1 982, hatte uns im vergangenen August allesamt fassungslos zurückgelassen, als er mit nur achtundfünfzig Jahren während einer Pokerpartie um hohe Einsätze in Kalifornien einem Herzinfarkt erlag. Zwar hatte er, wie jeder andere auch, häufig behauptet, er würde gern am Tisch sterben – doch nur jemand wie Jack konnte den Nachsatz hinzufügen, er hoffe, zum betreffenden Zeitpunkt hinten zu liegen.

Der Begriff Herz hat im Wortschatz des Pokerspielers eine ganz besondere Bedeutung. Er ist höllisch schwer zu definieren, beinhaltet aber nicht nur Anstand in jeder Lebenslage, sondern auch Mut, Geschick, Kaltblütigkeit und Selbstbeherrschung. Herz benötigt man, um sein Leben in die eigene Hand zu nehmen und auch in äußerst unangenehmer, kühler und furchtloser Gesellschaft seinem Instinkt zu folgen, trotz der Launen des Schicksals. Jack Straus selbst nannte es innere instinktive Stärke. Und genau dieses Herz zeichnete Jack in meinen Augen aus, sowohl als Mensch wie auch als Spieler. Nachdem er es viele Jahre lang immer wieder gezeigt und sich dabei selbst unter Druck gesetzt hatte, überraschte es letztendlich niemanden, dass sein Herz ihm schließlich den Dienst versagte.

Mir steht auf dieser Erde nur begrenzte Zeit zur Verfügung, sagte Jack immer, und ich möchte jede Sekunde davon auskosten. Deshalb bin ich bereit, gegen jeden auf der Welt anzutreten, und zwar um jeden Betrag – ganz egal, um wen es sich dabei handelt. Wenn sie erst einmal Chips im Wert von ein- oder zweihunderttausend Dollar vor sich liegen haben, sehen sie für mich alle gleich aus. Sie sehen dann aus wie Drachen, und ich will sie erschlagen. Jack war sein Leben lang ein Drachentöter. Noch bevor er einen Führerschein machen durfte, gewann er bei einem Pokerspiel an der Highschool ein Auto. Mit seinen Einssiebenundneunzig – daher sein langjähriger Spitzname Treetop – wurde er auf dem College zum Basketballstar, und diesem Leistungswillen ließ er im späteren Leben am Pokertisch freien Lauf. Seine Weigerung aufzugeben war legendär.

So warf ihn beispielsweise 1 970 eine Pechsträhne auf seine letzten 40 Dollar zurück. Weit davon entfernt, die Flinte ins Korn zu werfen, nahm Straus das Geld mit zum Blackjack-Tisch und machte 500 Dollar daraus. Damit setzte er sich an einen Pokertisch und verwandelte sie in 4 000 Dollar. Erneut beim Blackjack ließ er die Summe auf 10 000 Dollar anwachsen und setzte sie danach auf eine Superbowl – Wette, bei einer Quote von 2 :1 auf die Kansas City Chiefs. Die Chiefs gewannen und sorgten so dafür, dass Jack aus ursprünglich vierzig Dollar binnen 24 Stunden 30 000 Dollar machte.

Diese Episode ist deshalb so großartig, weil Jack dabei nicht ein einziges Mal einen Kompromiss einging. Er hatte die ganze Zeit sorgfältig die Quoten studiert, nichts in Reserve behalten, und jedes Mal alles oder nichts gespielt. Dieselbe Eigenschaft brachte ihm, der bei Bargeld-Pokerrunden immer erfolgreicher spielte als bei Turnieren, 1 982 die Weltmeisterschaft ein: Am ersten Tag bis auf 500 Dollar in Chips abgestürzt, kehrte er dank einiger erfolgreicher Bluffs wieder zurück von den Toten und sicherte sich in der Folge den Titel samt 520 000 Dollar Preisgeld. Diese Leistung war typisch für seine grundsätzliche Weigerung aufzugeben. Allerdings besaß Jack auch die einzigartige Fähigkeit, auf verblüffende Art nicht spielbare Blätter in Gewinnerblätter zu verwandeln. Mein Kumpel Al wurde einmal Augenzeuge eines klassischen Beispiels:

Beim No Limit Hold’em bekam Straus 7-2 in unterschiedlicher Farbe auf die Hand, die schlechteste aller denkbaren Startkarten. Hoch er hatte einen Lauf und erhöhte deshalb vor dem Flop, worauf nur ein einziger Spieler mitging. Der Flop brachte 7-3-3, was lack zwei Paare bescherte. Wieder setzte er, doch noch während er dies tat, bemerkte er, dass sein Gegenspieler rasch nach seinen Chips griff. Also wusste Jack, dass er einen Fehler gemacht hatte und der andere ein hohes Paar als Startkarte haben musste (später stellte sich heraus, dass es Buben waren). Vollkommen zuversichtlich erhöhte sein Kontrahent Jacks 5 000 Dollar. Zu diesem Zeitpunkt wäre Passen der logische Schritt gewesen – schließlich war Jack davon überzeugt, dass er unterliegen würde und dass nur noch ein Bluff ihn retten konnte. Dennoch ging er mit und säte damit Zweifel bei seinem Gegenspieler. Der Dealer drehte die vierte Karte um: eine Zwei. Sie bildete mit Jacks zweiter Bunkerkarte ein Paar, verbesserte aber sein Blatt nicht, da auf dem Tisch bereits ein gemeinsames Paar Dreien lag.

Mit anderen Worten: Er wusste, dass er sich nach wie vor auf der Verliererstraße befand. Ohne zu zögern, setzte Jack 18 000 Dollar. Es folgte ein langes, sehr langes Schweigen, während der andere über die Konsequenzen des Einsatzes sinnierte. Schließlich beugte sich Jack mit einem liebenswürdigen, schiefen Lächeln vor. Ich sag Ihnen was, meinte er. Sie geben mir einen Ihrer $ 25-Chips, und ich zeige Ihnen eine meiner Karten, ganz nach Ihrer Wahl. Erneut setzte Stille ein. Schließlich schob der Mann einen gelb-grünen Chip über den Tisch und wies auf eine der Karten, die vor Jack lagen. Jack drehte sie um: eine Zwei. Wieder lang anhaltende Stille. Die einzig logische Erklärung für Jacks Angebot war, dass die beiden vor ihm liegenden Karten identisch waren, so dass der Flop ihm ein Full House mit Zweien bescherte. Sein Gegenüber stieg mit seinem Gewinnerblatt aus.

Es ist nur eine Frage der Psychologie, mehr nicht, meinte Jack später. Al jedoch war der Ansicht, es sei viel mehr als nur das: Das war nicht bloß Psychologie oder einfach ein guter Bluff. Es war im wahrsten Sinne des Wortes ein Schauspiel: geistreich, stilvoll, elegant und phantasievoll. Der Crony und ich hatten einmal geschäftlich mit Jack Straus zu tun, als wir an Bord der Queen eine Pokerpartie um eine Million Dollar veranstalteten. Die Idee dafür war uns gekommen, als wir in der Pause eines Sommerturniers auf der Isle of Man einen Berg bestiegen. Das Ganze erschien uns seinerzeit als einträgliche Idee; es war sozusagen ein Vorläufer der heutigen, höchst erfolgreichen Pokerkreuzfahrten. Da wir jedoch alle lausige Geschäftsleute waren, konnten wir von Glück reden, kostendeckend aus der Sache herausgekommen zu sein – und das, obwohl uns Eric Draches einzigartige diplomatische Fähigkeiten zur Verfügung standen.

Die Tuesday Night Limited, wie wir uns fröhlich nannten, erreichte nie die Umsätze, die ihren Geschäftsführern vorgeschwebt hatten. Im Nachruf des Las Vegas Review-Journal stand, Jack habe dazu beigetragen, Poker von seinem schlechten Image zu befreien. Doch Jack hat noch eine Menge mehr befreit als das. Das letzte Mal sah ich ihn am Abend jener Nacht, in der meine Mutter starb – nur wenige Tage nach der Beerdigung meines Vaters. Jack verbrachte den Großteil dieses Abends damit, für ihn typisch scharfsinnige, weltliche Bonmots über den Tod eines Vaters zu machen. Wenige Tage später erhielt ich einen Brief von ihm, in dem es um den Tod einer Mutter ging (mit einem Postskript über den Tod beider Eltern innerhalb einer Woche, das eines Oscar Wilde würdig gewesen wäre). Es war äußerst ungewöhnlich, fast schon beispiellos, dass ein Pokerspieler einen Brief schrieb; deshalb berührte mich diese Geste tief. Als ich dann von Jacks eigenem Tod erfuhr, kamen mir sofort seine tröstenden Worte in den Sinn.

Doch rasch trat meine liebste Straus-Story an ihre Stelle, die perfekt den unglaublichen Großmut und das Mitgefühl dieses Mannes zum Ausdruck bringt: 1 985 wurde Jack vom Finanzamt vor Gericht gebracht, da er dem Staat angeblich drei Millionen Dollar schuldete. Nach einer katastrophalen Pechsträhne bei Sportwetten wäre er im Falle einer Verurteilung zahlungsunfähig gewesen. Jack traf früh bei Gericht ein und setzte sich mit seinem Anwalt auf eine hintere Bank, während der vorhergehende Fall abgehandelt wurde. Dieser Angeklagte hatte lediglich 35 000 Dollar Steuerrückstand, war jedoch ebenfalls zahlungsunfähig. Er bat den Richter um Zeit; andernfalls könne er seiner Familie kein Dach über dem Kopf bieten und sie nicht ernähren: Wir landen alle auf der Straße, Euer Ehren. Es würde unser Leben zerstören. Als Jack dies hörte, empfand er solches Mitleid mit dem Mann, dass er hinten im Gerichtssaal aufstand und rief: Ist in Ordnung, Euer Ehren. Schreiben Sie es einfach auf meinen Deckel! Dieser ungeheuer liebenswerte Mann, einer der wenigen Pokerspieler, die man wirklich vermissen wird, sollte nun ebenfalls posthum in die Hall of Fame aufgenommen werden.

Wir unterbrachen die letzte Phase des Limit-Hold’em-Turniers, damit Gastgeber Jack Binion Jack als Glücksspieler unter den Glücksspielern würdigen konnte. Genau in diesem Augenblick war ich gezwungen gewesen, mit A-K als Bunkerkarten All-in zu gehen. Nach den Reden zur Erinnerung an Jack brachte der Flop 5-5-A-A-K. Nie wieder bin ich einer religiösen Erfahrung so nahe gekommen wie in jenem Moment. Dank Jack, dessen Anfeuerung ich von jenseits des großen grünen Samttuchs hörte, verzeichnete ich in der Folge mein bis dahin bestes Turnierergebnis in Vegas: Zwanzigster von 142 Teilnehmern. Das war zwar immer noch zwei Plätze außerhalb des Preisgelds, aber doch so gut, dass ich das Gefühl hatte, mit dem Geschick eines erfahrenen Profis gespielt zu haben. Unter allgemeinen Missfallensäußerungen hatte ich in den vergangenen beiden Stunden an zwei Turnieren gleichzeitig teilgenommen – Henri Bollinger war gezwungen gewesen, das Turnier der Medienvertreter ohne mich zu beginnen.

Zieh einfach meine Einsätze ab, hatte ich frech von meinem Turnierbereich aus hinübergerufen. Ich komme zu euch, sobald ich das hier gewonnen habe. Peter Alson von der Zeitschrift Esquire übernahm es, sich um meine Interessen zu kümmern, und gab vergnügt Antwort auf meine angeberischen Rufe quer durch den Saal: Wo stehe ich? Als dann Hans Tuna Lunds Paar Asse mein A-K von Herz schlug und ich durch den Saal von einer Meisterschaft zur nächsten marschierte, hatte ich nur 75 Dollar meiner imaginären 500 Dollar verloren, und zweiundzwanzig der fünfundfünfzig Teilnehmer waren bereits eliminiert worden. Doch kurz darauf setzte eine gewisse Turniermüdigkeit bei mir ein, und ich hielt mich nicht viel länger am Tisch. Der Sieger? Das war mir völlig egal.

Während der Essenspause an jenem Abend blieb genug Zeit, um meinen verschobenen Kurzauftritt im Fernsehstudio nachzuholen. Der britische Ex-Biograph und jetzige Pokerprofi gab einen tollen Stoff für die Lokalnachrichten in Vegas ab, doch in Gedanken beschäftigte ich mich immer noch mit dem Turnier. Eric Drache, der sich das Interview zufällig zu Hause anschaute, fiel vor Lachen fast aus dem Bett, als er meine Antwort auf die Frage hörte, welchen professionellen Pokerspieler ich am interessantesten fände. Eric fragte sich, für wen ich mich wohl entscheiden würde: Johnny Chan oder Doyle Brunson, Johnny Moss oder Stu Ungar? Vielleicht gar für Eric Drache?

Weißt du, was du geantwortet hast, Tony? Ich konnte mich nicht mehr erinnern. Erneut brach Eric vor Lachen zusammen. Du hast gesagt: Mich selbst. Ich dachte, du würdest Amarillo Slim sagen, aber du hast Tony Holden gesagt! Zurück im Horseshoe stellte ich erstaunt fest, wie viele Leute die Sendung tatsächlich gesehen hatten. An der Kasse, im Casinosaal, ja sogar im Aufzug wünschten mir Leute Glück und behandelten mich wie einen guten Freund. Aber das waren die Amateure. Die Profis nickten einander grinsend zu, als ich an ihnen vorbeikam. In der Cafeteria konnte ich Warhols berühmte Viertelstunde des Ruhms genießen, doch im Kartensaal war meine Tarnung unwiderruflich aufgeflogen. Fünftausend Piepen erschienen mir inzwischen viel zu viel, als dass ich sie am nächsten Tag beim großen No-Limit-Hold’em-Turnier im Rahmen der Binion’s Hall of Fame Poker Classic hätte riskieren wollen. Da ich insgesamt gerade einmal doppelt so viel Spielkapital in der Tasche hatte, war es das Beste, mit realistischem Blick anzuerkennen, lass sich eine solche Investition nicht lohnte.

Lieber also Johnny Chau den Titel gewinnen lassen (was er dann auch tat, ohne dass ich genug Grips aufgebracht hätte, auf ihn zu setzen) und versuchen, das Spielkapital am letzten Abend bei einer Runde um hohe Einsätze aufzumöbeln. Aber wie sahen meiner Ansicht nach jetzt hohe Einsätze aus? Das war die entscheidende Überlegung – Ego und Selbsterkenntnis gegeneinander abzuwägen, eine Prise Bescheidenheit hinzuzugeben, mit Raffgier zu würzen und sich dann zwischen der $ 20/$ 40-Felswand und den Gefahren des Pot-Limit-Spiels zu entscheiden. Das war eine Alternative, die bei einer guten Flasche Wein zu überlegen war, die ich zusammen mit einem Abendessen beim Zimmerservice bestellte und während der
Kenny-Rogers/Dolly-Parton-Weihnachts-Sondersendung im Fernsehen ausleerte.

Zwischendurch rief ich die Puppe und den Crony an, die mir rieten, alles auf eine Karte zu setzen. Ich wusste, dass sie beide als gewiefte Politiker mir immer den Rat geben würden, den ich sowieso am liebsten hören wollte; außerdem erkannte ich, dass die Entscheidung in Wirklichkeit schon längst gefallen war und dass ich eigentlich nur darauf wartete, dass dieses kleine Ritual zur Stärkung des Selbstbewusstseins seine Wirkung zeigte. Am Kassenschalter beschloss ich, die Hälfte meines Geld-bündels im Banksafe zu belassen, und marschierte mit berauschenden 5 000 Dollar in der Tasche in Richtung Kartensaal – exakt die Teilnahmegebühr für das große Turnier am nächsten Tag. Die 500-Dollar-Satellites saßen voller bekannter Gesichter, die kurz mal 4 500 Dollar einsparen wollten, bevor sie sich ernsthafteren Dingen wie dem Bargeldspiel an den Nebentischen widmeten. Das schloss die Möglichkeit weitgehend aus, so wie in den vergangenen Tagen Kapital sammeln zu können, doch einen Versuch wollte ich mir zumindest gestatten. Der Tisch war von führenden Profis bevölkert, darunter der berühmte T. J. Cloutier, ein ehemaliger Footballprofi, der heute zu den härtesten – und nettesten – Topspielern der Welt zählt.

Wenn ich mich schon mit der Rachegöttin anlegen musste, dann wenigstens in Gestalt von TJ. Von Beginn an hatte ich das sonderbare Gefühl, dass ich nur gegen ihn spielte und dass die anderen Teilnehmer belanglos seien. Erst später stellte ich fest, dass dies eine Standardtaktik der Turnierprofis ist: Suche dir irgendeinen Gegner – egal, ob Johnny Chan oder Johnny Tourist – und spiele gegen ihn und sein Geld anstatt gegen die Karten. Dass an diesem Gefühl etwas dran sein musste, wurde mir schon früh deutlich, als ich einen hohen Einsatz von TJ vor dem Flop brachte und dann nervös mit einem Paar Damen auf der Hand All-in ging. Der grauhaarige Riese dachte eine ganze Weile nach und fixierte mich dann mindestens eine halbe Ewigkeit – um schließlich mit dem Ausruf: Guter Einsatz, England! zu passen. Das Gefühl wurde noch stärker, als einer nach dem anderen ausschied, bis ich schließlich beim Heads-up Cloutier gegenübersaß.

Er hatte doppelt so viele Chips wie ich und machte daher keinerlei Angebote – auch ohne zu wissen, dass ich mich innerlich bereits geschlagen gegeben hatte, ganz gleich, was der Zufall bescheren würde. Dennoch verlor ich mit Stil: Ich bekam A-A auf die Hand und ging damit All-in, musste dann aber miterleben, wie TJ mit 10-J von Karo mitging und der anschließende Flop 5-10-10-J-J brachte. Er pfiff durch die Zähne, starrte auf die beiden Blätter und drückte mir sein Mitgefühl aus. So viel zu Erics System. Aber irgendwie war ich nicht überrascht – nicht einmal über meinen bemerkenswerten Abgang. Es kam mir gar nicht in den Sinn, mich über mein Pech zu beklagen. Immerhin sorgte das dafür, dass TJ mich für einen noch nobleren Vertreter Großbritanniens hielt als zuvor; seit dem Tag hat er immer ein Lächeln und ein paar nette Worte für mich übrig.

Aber jetzt reichte es mir. Es war mein letzter Abend in Vegas, und ich brauchte einen Tisch mit mehr Action. Die fand ich dann bei einer $ 5/$ 10-Pot-Limit Hold’em-Partie, in deren Verlauf sich meine bei einer Flasche Wein getroffene Entscheidung als katastrophal teuer erweisen sollte. Vielleicht sollte ich im vorliegenden Fall einräumen, dass es an der Flasche Wein selbst gelegen haben könnte. Manchmal teilt mir mein Biorhythmus mit, Alkohol könne meine Fähigkeiten beim Pokern verbessern und mir einen Vorteil in Sachen Scharfblick und Aggressivität verschaffen. Während meines Auftritts beim Satellitenturnier hatte sich dies auch bewahrheitet; doch nun ließ mich der Wein aggressiv und locker spielen, und zwar um echtes Geld – gefährliche Voraussetzungen, wenn man sich mit Profizockern an einen Tisch setzen will, die wegen eines großen Turniers in der Stadt sind. Ich war derart zufrieden mit der Anzahl von Pötten, die ich stehlen konnte, indem ich vorsichtige Spieler mit mittelmäßigen Händen durch Erhöhen zum Passen brachte, dass ich allmählich selbstgefällig wurde. Es sollte nicht lange dauern, bis ich dafür die Quittung bekam.

Es war nur ein kleiner Fehler, aber eben meiner und auch ein kostspieliger. In früher Position, mit einem Paar Könige als Handkarten, erhöhte ich vor dem Flop um das Maximum von 250 Dollar. Ein wohlhabender Skandinavier auf Platz Acht, dessen Können als Pokerspieler ich nicht allzu hoch einschätzte, nutzte die Gelegenheit, um mich seinerseits um 1 000 Dollar zu erhöhen. Konnte er ein Paar Asse besitzen? Daran glaubte ich nicht. Er hatte bisher ebenfalls aggressiv und locker gespielt, vor allem deshalb, so vermutete ich, weil ihm Geld nichts bedeutete. Nach seinem vorher gezeigten Spiel zu urteilen, schrieb ich ihm ein Ass mit einem hohen Kicker (einer Beikarte) in der gleichen Kartenfarbe zu und erhöhte meinerseits um weitere 1 000 Dollar. Es hätten 2 000 Dollar sein können, vielleicht sogar sein müssen, doch ich hatte mich mit nur 4 500 Dollar an den Tisch gesetzt und im Augenblick etwa 6 000 Dollar vor mir liegen, während er über 10 000 Dollar zur Schau stellte und noch jede Menge mehr in der Tasche haben musste.

Ich wollte erreichen, dass er All-in ging; er jedoch brachte nur meinen Einsatz, und mit dem Flop erschienen Herz-Ass, Kreuz-König und Pik-Drei. Ich beobachtete ihn, wie er das Aufdecken der Karten verfolgte, und glaubte etwas in seinen Augen zu entdecken, was meine Vermutung mit einem Ass auf seiner Hand bestätigte. Nun hatte ich also drei Könige und er ein Paar Asse. Da ich an der Reihe war, schob ich zunächst einmal, um Schwäche und Angst vor seinem Ass vorzutäuschen. Meine drei Könige schwach anzuspielen erschien mir als superschlaues Profimanöver und sollte mir ein
Check-Raise ermöglichen: Ich ging davon aus, dass er mir ein Paar Damen oder Buben zuschrieb und einen Einsatz auf seine Asse brachte, was mir die Gelegenheit eröffnen würde, um das Maximum neu zu erhöhen. Doch auch er schob.

Das war an sich schon Rückschlag genug, doch mit der nächsten Karte erschien ein weiteres Kreuz auf dem Tisch. Konnte das seine Kartenfarbe sein? Langsam merkte ich, dass etwas schieflief, und schob erneut. Dieses Mal setzte er sein gesamtes Geld und forderte mich so heraus, mit meinen verbleibenden 3 750 Dollar mitzugehen. Nun war ich mit Nachdenken an der Reihe. Während ich dies tat, sagte er lächelnd und wie aus heiterem Himmel: Gut haben Sie im Fernsehen ausgesehen! Das überzeugte mich endgültig davon, dass er schwache Bunkerkarten haben musste. Einen grübelnden Gegenspieler mit nichtssagendem Smalltalk abzulenken ist eine gängige, wenn auch ein wenig durchtriebene Praxis. Die Reaktion darauf kann äußerst entlarvend sein.

Ein Spieler, der blufft, wird dummes Zeug vor sich hin brabbeln; der Mann mit dem besten Blatt am Tisch wird dagegen locker und offen antworten. Ich gab keine Antwort, nach wie vor davon überzeugt, dass er kein verborgenes Paar Asse haben konnte. Er mochte es auf einen Flush in Kreuz abgesehen haben, aber ich hatte immer noch das bessere Blatt. Außerdem bestand die entfernte Möglichkeit, dass die fünfte karte – eine innere Stimme rief: Paar auf dem Tisch! – mir ein Full House bescheren würde; auf vier Könige zu hoffen, wäre dagegen zu viel des Guten gewesen. Vielleicht rechnete er sich nach meinen beiden Checks schlichtweg aus, ein einzelnes Ass würde ihm reichen? Ich ging mit und wünschte mir, ich hätte genug Geld für eine erneute Erhöhung dabeigehabt.

Die letzte Karte war die Kreuz-Sieben. Ich deckte meine Könige auf, ohne an der Reihe zu sein, denn eigentlich hatte ich ja den Einsatz des Skandinaviers gebracht – und musste mitansehen, wie er Ass und Zehn von Kreuz umdrehte. Er hatte mich abgezogen, und das war einzig und allein meine Schuld gewesen. Ich hatte ohne Not zugelassen, dass er sein Blatt verbesserte, und mich dann, als in meiner Kasse Ebbe herrschte, unter Druck setzte. Hätte ich nach dem Flop den Höchsteinsatz gebracht, hätte ein solider Spieler eingesehen, dass die Quoten gegen ihn standen, und wäre wohl kaum mitgegangen. Und dass der Mann ein solider Spieler war, zeigte sich an der Art und Weise, wie er mein Checken nachgeahmt hatte. Natürlich war es ein außergewöhnlicher Glücksfall, dass er mit den beiden letzten Karten seinen Flush zusammenbekam – doch ich hatte sowohl meinen Gegenspieler als auch mein Blatt falsch eingeschätzt.

Nun reichte es. Während der Nordländer zufrieden mein Geld einstrich – eine verdammt große Menge meines Geldes -, verließ ich wortlos den Tisch, löste mein Schließfach auf und ging auf mein Zimmer, um meine Sachen zu packen. Was für ein katastrophales Ende einer von Höhen und Tiefen geprägten Reise. Nun lag die lange Rückreise nach London vor mir, die ein einziger Moment der Schwäche in eine Art Flucht verwandelt hatte. Nur einen Moment lang hatte ich alles missachtet, was ich über so lange Zeit gelernt hatte – und nun wurde ich mit 5 000 statt 10 000, geschweige denn 100 000 Dollar in der Tasche zu Weihnachten nach Hause geschickt. Es spielte keine Rolle mehr, dass ich mein Malta-Minus von 700 Dollar ausgeglichen, viertausend imaginäre Dollar an Turniergebühren bei Satellitenturnieren eingespart und bei meinem Debüt auf der amerikanischen Bühne eine Reihe durchweg guter Ergebnisse erzielt hatte. Noch ein halbes Jahr bis zur World Series, und mein Spielkapital war um 25 Prozent geschrumpft.

Mir blieben nur noch 5 000 Dollar – also genau die Summe, die ich mit einem einzigen Blatt verloren hatte – plus die 10 000 Dollar, die ich benötigte, um meinen kostbaren Weltranglistenplatz zu verteidigen. So viel zu meiner angeblichen Selbsterkenntnis; so viel zu Stunden um Stunden neu gesammelter Turniererfahrung; so viel zu meiner Glück bringenden Armbanduhr, die ich nun feierlich auszog. Vielleicht sollte ich doch lieber Dostojewski statt Doyle Brunson lesen. Und wo ich schon darüber nachdachte: Vielleicht sollte ich ja einen Tipp von Dostojewski annehmen und mir einen ganz persönlichen Sigmund Freud suchen. Mit der kollegialen Kameraderie von Gambiers Anonymous, der Selbsthilfegruppe anonymer Glücksspieler, würde ich mich ganz sicher nicht anfreunden. Wenn ich erst einmal wieder in London war, würde ich meinen Stolz hinunterschlucken, meine Bedenken zerstreuen und mich auf Gedeih und Verderb einem Seelenklempner ausliefern.

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