Poker Texas Holdem Geschichten und praktische Beispiele – erfahren Sie mehr

Mein guter Freund Steve und ich verbrachten die letzte Augustwoche 1984 bei meiner Großmutter in den Adirondack Mountains. Schon im schwierigen Alter von sechzehn besaß Steve die Wahnsinnsgabe, überall, wo er hinkam, Frauen aufzureißen. Er hatte damals eine Freundin und hätte eigentlich treu sein müssen, aber so lange ich ihn kenne, hat Steve es mit der Monogamie nie so genau genommen. Er fand sogar in dem kleinen Ort Paul Smith, New York, ein Mädchen, mit dem er den Großteil unseres sechstägigen Sommerurlaubs verbrachte. Am Abend unserer Rückkehr trafen wir uns mit ein paar Freunden in einem Restaurant. Seine Freundin war auch dabei. Steve ging auf den Tisch zu und küsste sie leidenschaftlich. Sie sah ihm kalt in die Augen und sagte: Ich glaub’s einfach nicht. Du hast mich schon wieder betrogen!

Nachdem sie ihm die üblichen Vorhaltungen gemacht und er alles abgestritten hatte, kroch Steve schließlich zu Kreuze, gestand seine Untreue und bat um Vergebung. Ein paar Stunden später nahm sie seine Entschuldigung an (war die Schulzeit nicht toll?), und sie waren noch drei herrliche Wochen zusammen. Hinterher erkundigte sich Steve bei seiner Freundin, weshalb sie seinem Seitensprung so schnell auf die Schliche gekommen sei. Ganz einfach, meinte sie. Erstens hast du mich nicht angesehen, als du auf unseren Tisch zugegangen bist. Du hast die ganze Zeit auf den Boden gestarrt. Zweitens hast du mich geküsst wie ein Pornostar. Und drittens hast du bloß gelächelt und mit den Augen gezwinkert, als ich dir vorwarf, mich betrogen zu haben. Ich beobachtete Steve, als sie das sagte, und in der Tat lächelte er und zwinkerte wie ein Irrer mit den Augen. Das war seine persönliche Macke oder, wie man beim Poker sagt, sein Teil.

Populärpsychologen haben die Theorie aufgestellt, Teils seien unbeabsichtigte Handlungen, die ihren Ursprung im Unterbewussten hätten. Die meisten Menschen erlernen im frühen Kindesalter Regeln, die ein Leben lang ihr Handeln bestimmen sollen. Eltern, Lehrer und sogar die Bibel predigen uns, dass uns nichts Schlimmes geschehen kann, wenn wir die Wahrheit sagen. Diese rigide Erziehung verankert sich im Unterbewusstsein und bildet den Keim für die Persönlichkeit, zu der wir uns entfalten, wenn wir erwachsen werden. Teils resultieren aus dem Konflikt zwischen den Moralvorstellungen, die uns in der Kindheit von Autoritätspersonen eingetrichtert wurden, und unserer Absicht zu betrügen. Wir geben tagtäglich unsere kleinen Geheimnisse preis, ohne es zu wollen. Es heißt, nur die Schuldigen würden im Gefängnis gut schlafen. Ein zu Recht Verurteilter wäre demnach der Meinung, er sei dort gelandet, wo er hingehöre und könne sich deshalb beruhigt aufs Ohr legen.

Ein Unschuldiger würde sich dagegen unruhig im Bett hin und her wälzen und darüber nachgrübeln, wie er seine Lage ändern könne. Wir alle stecken voller Ticks und geheimer Zuckungen. Sie treten bei allem zu Tage, was wir tun. Diejenigen unter uns, die nicht geübt darin sind zu betrügen, neigen dazu, beim Lügen die Hand vor den Mund zu halten oder Blickkontakt zu meiden. Deshalb war ich nie mit einer Schauspielerin zusammen. Während normale Menschen sich mit der Marktwirtschaft in den ersten dreizehn Kolonien oder mit Trigonometrie beschäftigen, lernen Schauspieler, dir in die Augen zu sehen, während sie dir irgendwelche Lügenmärchen auftischen. Unser angeborenes Verlangen, die Wahrheit zu sagen, ist am Kartentisch ausgesprochen kontraproduktiv. Ein Poker-Tell kann katastrophale Folgen haben. Als ich noch ein Frischling am Tisch war, kaufte ich mir das Buch Mike Caro’s Book of Tells. Ich las es allerdings erst am Abend, nachdem ich bei der World Series 2000 rausgeflogen war.

Caro beschreibt darin den Teil eines Spielers, der immer, wenn er überlegte, ob er eine Wette mitgehen sollte, plötzlich den Dealer oder einen anderen Spieler fragte, wie viel eine Erhöhung koste. Caro bringt dieses Beispiel, weil bei einem so hochkarätigen Spiel natürlich jeder Teilnehmer weiß, was eine Erhöhung kostet. Ein Spieler, der lange überlegt und dann eine solche Frage stellt, will definitiv den Anschein erwecken, er sei entweder dumm oder völlig verzweifelt. Als ich das las, glaubte ich, Caro habe sich diese Geschichte nur ausgedacht. So bescheuert konnte doch niemand sein. Am nächsten Tag sah ich mir die Endrunde des Turniers an, aus dem ich gerade rausgeflogen war.

Als ich eintraf, waren nur noch drei Spieler übrig, allesamt echte Koryphäen. In einem Spiel bot Melissa Hayden gegen Men Nguyen, den dreimaligen Champion. Men saß stumm da und machte einen verwirrten Eindruck. Nach einer Weile warf er einen Blick auf seine Karten und fragte einen der Funktionäre, wie viel eine Erhöhung koste. Der Mann sagte es ihm, und Men erhöhte. Melissa ging mit, Men deckte sein Full House auf und kassierte lachend den Pot. Vermutlich haben selbst die großen Spieler Teils. Einen Teil loszuwerden ist genauso schwierig wie eine bestimmte Charaktereigenschaft zu ändern. Ich kannte mal einen Kartenspieler, der ein ganzes Jahr lang seine wöchentliche Pokerrunde auf Video aufzeichnete. Er sah sich die Kassetten stundenlang an und machte sich Notizen über seine Eigenheiten und Reaktionsweisen. Er wollte ganz sicher gehen, dass seine Körpersprache nichts über sein Blatt preisgab. Allerdings musste er feststellen, dass er nach dreißig Jahren Spielpraxis immer noch schätzungsweise zehn sichtbare Teils hatte.

Ich fragte ihn, ob er seine Teils für so schwerwiegend halte, dass andere Spieler sie bemerken würden. Seine Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: Keine Ahnung, sag du es mir. Ich lächele, wenn ich gute Karten habe, und ziehe einen Flunsch, wenn ich schlechte habe. Stell dir bloß vor, das kriegt eines Tages jemand spitz. Das war ein gutes Argument. Ganz rational betrachtet, versucht jeder Pokerspieler, seine Gegner übers Ohr zu hauen. Das ist der Kern des Spiels. Deshalb basieren die meisten Teils auf gesundem Menschenverstand. Angenommen, ein Spieler bekommt beim Texas Hold’em einen tollen Flop. Was wird er tun? Nun, da er beabsichtigt, die anderen hinters Licht zu führen, diktiert ihm sein gesunder Menschenverstand, so zu tun, als könne er nichts damit anfangen. Und viele Spieler tun genau das.

Das ist ein gigantischer Teil. Sie täuschen Desinteresse am Spiel vor. Sie sehen woanders hin, gucken Fernsehen, unterhalten sich mit anderen Spielern oder tun sonst etwas; nur die Karten gucken sie nicht an. Ein Spieler, der den Flop lange anstarrt, kann mit ziemlicher Sicherheit nichts damit anfangen. Es ist, als würde er die Karten in der Hoffnung mustern, plötzlich etwas Neues zu entdecken. Ich werde jetzt etwas sehr Dummes tun. Ich werde zum Wohl meiner Leser mein privates Buch der Teils auf- schlagen, dessen Niederschrift mich fast zwanzig Jahre gekostet hat. Ich werde allen, gegen die ich jemals gespielt habe, ihre persönliche kleine Macke verraten. Ich befürchte, das wird mich letztlich teuer zu stehen kommen, aber was soll’s? Es liegt mir eben nichts mehr am Herzen, als meine Leser glücklich zu machen. Ich will mit meinem Bruder anfangen.

Ich erwähnte bereits, dass er ein unerschütterlicher Spieler ist. So unerschütterlich, dass er selbst dann totale Gelassenheit bewahrt, wenn er blufft. Wenn er mit Müllkarten bietet, bleiben seine Hände vollkommen ruhig. Hat er aber das bestmögliche Blatt und will einem anderen Spieler eine Falle stellen, regt ihn das so sehr auf, dass ihm die Hände zittern. Ich habe sehr lange gebraucht, bis ich dahinter kam, aber seine Hände zittern, wenn er das Siegerblatt hält. Auch in meiner Dienstagabendrunde gibt es ein paar klassische Teils. Johnny California, der die krummste Körperhaltung hat, seit der Mensch auf zwei Beinen geht, wird jedes Mal steif und gerade wie ein Brett, wenn er gute Karten hat. Tom Lemme verrät sich durch seine Methode, die Chips zu stapeln. Wenn er bietet und seine Chips zu einem sauberen Stapel geordnet in den Pot schiebt, rechnet er damit, dass er sie zurückbekommt. Wenn er sie aggressiv in den Pot feuert, versucht er meistens zu bluffen. Und wenn er sie lässig hineinwirft, geht er in der Regel nur sehr widerwillig mit.

Ich komme mir wie ein richtiges Schwein vor, wenn ich verrate, dass auch der nette Matheprofessor, der mich während meiner Pokerlehrjahre an der Uni unter seine Fittiche nahm, einen Teil hatte. Ich habe ihm nie gesagt, dass ich ihn durchschaut habe. Das wäre wahrscheinlich anständig gewesen, aber da wir sehr häufig zusammen gespielt haben, habe ich durch dieses Versäumnis viel Geld gespart. Ich weiß, das ist keine Entschuldigung. Mein guter Freund der Professor neigte dazu, sofort auf seine Chips zu gucken, wenn er eine gute Karte bekam. Das hatte nichts mehr mit einem flüchtigen Blick zu tun. Sobald die gute Karte kam, schossen seine Augen in Richtung Chipsstapel.

Es sah immer aus, als wolle er sich vergewissern, dass noch genug für einen Einsatz übrig war. Bei einem Spiel Texas Hold’em hatte er zum Beispiel nach dem Flop ein Paar Neuner. Die Turn-Card war ebenfalls eine Neun, sodass er jetzt einen Drilling hatte. Er starrte zuerst seine Chips an und dann in die Ferne. Ich wusste, was das bedeutete. Ich passte oft mit einem erstklassigen Paar, wenn er nach der Turn-Card plötzlich seine Chips anstarrte. Entschuldige, Doc. Ein besserer Mensch als ich hätte es dir früher gesagt. Der Professor ist ein perfektes Beispiel dafür, weshalb ein Spieler nie auf den Flop schauen sollte, während er ausgegeben wird. Die meisten Menschen sind so auf die Karten fixiert, die sie gleich bekommen werden, dass sie sich sehr oft durch ihre Reaktion verraten. Werfen Sie nie einen Blick auf die Karten, die gerade ausgeteilt werden; beobachten Sie stattdessen die Blicke der anderen Spieler.

Ihr Blatt können Sie sich später anschauen, denn das läuft nicht davon. Beobachten Sie, ob jemand zusammenzuckt, zwinkert, lächelt oder sogar wegsieht, während der Flop gegeben wird. Auf diese Weise finden Sie ganz sicher heraus, was um Sie herum vorgeht. Genau aus diesem Grund gibt der Dealer die Flopkarten auf einmal aus. So kann keiner sehen, wie ein Spieler auf jede einzelne Karte reagiert. In meiner Montagabend-Wall-Street-Runde, in der wir Hold’em spielen, gibt es zwei fantastische Teils. Andrew Megget hat eine extrem sonderbare Art, seine Karten anzugucken. Er nimmt die beiden Karten so auf, dass er nur die eine sehen kann. Dann legt er sie wieder hin, legt die untere zuoberst und nimmt sie wieder auf, um sich die zweite anzusehen. Es ist immer dieselbe Prozedur. Tja, fast immer. Von Zeit zu Zeit wirft Andrew einen zweiten Blick auf die erste Karte. Ich brauchte fast ein ganzes Jahr, bis ich dahinter kam, was das zu bedeuten hatte. Wenn die erste Karte für sich genommen wertlos ist, zum Beispiel ein Kreuz 5, wirft er schnell einen Blick auf die zweite.

Wenn die zweite Karte aber ein Ass ist, wirft er rasch noch einen Blick auf die erste, um zu überprüfen, ob sie dieselbe Farbe hat, da er beim ersten Mal nicht darauf geachtet hat. Jedes Mal, wenn er seine Karten ein drittes Mal begutachtet und dann mitbietet, hat er ein Ass und eine niedrige Karte derselben Farbe. Dieses Wissen ist natürlich ungemein hilfreich. Chris Wigmore hat den anderen großartigen Teil in der Runde. Er war sehr lange ein überaus konservativer Spieler, aber irgendwann Mitte der 1990er nahm er eine Stelle in einer Internetfirma an und verdiente ein Vermögen. Nachdem Chris mit seinen Firmenaktien ordentlich Kohle gescheffelt hatte, wurde sein Spiel sehr verwegen. Inzwischen ist er ein sehr aggressiver Spieler. Obwohl sein prall gefülltes Scheckbuch es ihm erlaubt, so sorglos zu spielen, als würde Geld ihm nichts bedeuten, ist sein Unterbewusstsein im Jahr 1991 hängen geblieben, als er noch ein kleiner Werbemanager war und sich davor fürchtete, bei einer 5-10-Dollar-Partie so viel zu verlieren, dass er die Miete nicht mehr zahlen konnte.

Immer wenn er einen hohen Betrag gegen mich setzt, bleibe ich ganz ruhig und warte ab. Er denkt wahrscheinlich, ich berechne die Pot Odds, aber das tue ich keineswegs. Ich sitze ihn lediglich so lange aus, bis ihm mulmig wird. Wenn er ein starkes Blatt hält, ist Chris todernst und wartet schweigend meine Entscheidung ab. Aber wenn er blufft, spielt er bloß den Geduldigen und fängt eine pseudolässige Unterhaltung mit den anderen Spielern an. Dann gehe ich sein Gebot mit. Chris hat außerdem die skurrile Angewohnheit, seine Gewinne von seinem Spielkapital zu trennen. Das macht bei Limit-Spielen keinen großen Unterschied, aber beim No-Limit-Poker kann das ein gewaltiger Nachteil sein. Ein Spieler, der seine Chips auf diese Weise stapelt, macht sich offensichtlich große Gedanken um seine Bilanz. Er braucht die Gewissheit, im Plus zu sein. Wenn Chris also beim No-Limit dreihundert Dollar abseits von den zwei Kiesen Buy-in aufbaut, weiß ich, dass ihn – es sei denn, er hat ein Riesenblatt – jede Erhöhung über 300 Dollar aus dem Spiel wirft, weil er den Abend nicht mit Miesen abschließen will.

Als ich in Wesleyan studierte, spielte ich oft gegen einen Typen namens Stoner. Stoner war, wie sein Spitzname schon andeutet, ein echter Drogenfreak und hatte jede Menge Teils. Er war nicht zu dumm, um sie zu erkennen und zu korrigieren; sie waren ihm einfach egal, und so änderte er nichts. Immer, wenn im Flop drei Karten derselben Farbe lagen und Stoner seinen Einsatz tätigte, ohne einen Blick auf seine Pocket-Cards zu werfen, wusste ich, dass er einen Flush hatte. Wenn er dagegen sofort in seine Karten sah, wusste ich, dass er völlig high war und sich erst ihre Farbe ins Gedächtnis rufen musste, bevor er über den nächsten Spielzug entschied. Wenn er danach mitbot, wusste ich, dass er zwar noch keinen Flush, aber eine Karte von derselben Farbe wie das Board hatte. In diesem Fall benötigte er noch eine der beiden ausstehenden Karten, um seinen Flush zu vervollständigen. Dasselbe tat er beim Seven Card Stud. Wenn er mit der Fifth Street die dritte Karte von derselben Farbe bekam und seine verdeckten Karten einer erneuten Überprüfung unterzog, wusste ich, dass er noch keinen Flush hatte.

Stoner gehörte außerdem zu jenen Spielern, die beim Five Card Draw niemals setzen, wenn sie kein vollständiges Blatt haben. Wenn er einen 4er-Flush oder einen 4er-Straight hielt, checkte er oder ging mit und zog dann eine Karte. Wenn er aber setzte oder erhöhte und dann eine Karte aufnahm, hatte er immer zwei Paare. Auch die Art und Weise, wie er die gezogene Karte betrachtete, war absolut verräterisch. Wenn er einen Flush Draw hatte, steckte er die gezogene Karte zwischen die anderen und schob sie dann langsam heraus. Dasselbe tat er beim Seven Card Stud. Wenn er seine River-Card unter die übrigen Down-Cards mischte, spielt^ er immer auf einen Draw. Wenn er sie bloß aufnahm und ansah, hatte er sein fertiges Blatt schon vor der River-Card.

Ich habe Stoner zum letzten Mal bei einem Heads- up-Spiel Five Card Draw Pot-Limit getroffen. Er gab mir A♥ K♥ 3♠ 8♠ 9♣. Ich hatte den ganzen Tag verloren und eröffnete die Bietrunde daher mit drei Dollar. Stoner ging mit. Ich warf die Drei, die Acht und die Neun ab und zog drei Karten. Er zog eine, nahm sie auf und betrachtete sie. Ich zog wie durch ein Wunder eine Zehn, einen Buben und eine Dame. Damit hatte ich einen Straight Ass (Broadway) und setzte den Höchstbetrag. Er erhöhte um den gesamten Potinhalt. Das war ganz schön unheimlich. Bei jedem anderen Spieler hätte ich schreckliche Angst bekommen, er könnte ein Full House oder einen Flush haben. Aber nicht bei Stoner. Da er mein Eröffnungsgebot lediglich mitgegangen war und dann eine Karte gezogen hatte, wusste ich, dass er keine zwei Paare hatte, also kam ein Full House nicht in Frage.

Außerdem hatte er die Karte, die er sich selbst gegeben hatte, aufgenommen und sie angesehen, anstatt sie zwischen die anderen zu stecken und dann hervorzuschieben, wie er es tat, wenn er auf einen Flush hin spielte. Damit war klar, dass er einen Straight hielt. Da ich den höchstmöglichen Straight hatte, wäre ich schön blöd gewesen, den Pot mit ihm zu teilen. Also erhöhte ich ein zweites Mal um den Potinhalt. Wir erhöhten jeder noch einmal. Dann wollte er sehen und deckte seinen Straight König auf. Er verlor in einem Heads-up-Spiel mit einem Dollar Ante über zweihundert Dollar. Und das ist gar nicht so einfach. Hinterher bezichtigte er mich des Falschspiels, da ihm meine letzte Erhöhung verdächtig vorkam. Er wollte wissen, weshalb ich ihn nicht auf einen Flush oder ein Full House gesetzt hätte und einfach mitgegangen sei. Tja, Kumpel, hier hast du die Antwort.

Mein Duell mit Stoner ist ein perfektes Beispiel dafür, dass man als Pokerspieler unbedingt deduktiv denken muss, wenn man gewinnen will. Jede Beobachtung für sich allein hätte mir nicht viel weitergeholfen. Erst als ich sie zu einem Ganzen zusammenfügte, wurde daraus eine extrem nützliche Information. Natürlich wird es leichter, einen Spieler zu durchschauen, je besser man ihn kennt und je öfter man gegen ihn spielt. Mit der Zeit macht man sich im Kopf Notizen über seine Spielweise, und irgendwann ist man in der Lage, sein Handeln vorauszusagen. Es gibt jedoch gewisse allgemein gültige Wahrheiten über die Natur des Menschen, die sich unmittelbar auf den Kartentisch übertragen lassen. Sie werden in jedem x-beliebigen Klischee über die menschliche Psyche etwas entdecken, das auf den ein oder anderen Pokerspieler zutrifft.

Ein Mensch, der viel klüger ist als ich, sagte einmal: Die Kraft der Jugend verkennt die Unsterblichkeit. Auch wenn dieser Ausspruch für meinen Geschmack etwas zu blumig klingt, trifft er doch in hohem Maße auf den Pokertisch zu. Jüngere Spieler haben die Jahre, in denen sie viele unerwartete Niederlagen einstecken müssen, noch vor sich und sind unverbraucht. Sie kommen sich potent vor, wenn sie am Spieltisch sitzen. Für die meisten jungen Spieler gilt: Je jünger sie sind, desto verwegener ihr Spiel und desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sie bluffen. Ältere Spieler sind in der Regel vernünftiger, haben ihre Emotionen besser im Griff und spielen geradliniger. Je älter ein Spieler ist, desto seltener wird er Karten repräsentieren, die er nicht hat. Alles, was ein Spieler außerhalb des Spiels sagt oder tut, kann einen Einblick in seine Psyche geben. Säufer bluffen häufiger. Menschen, die beim Pokern Sport- oder Pferdewetten abschließen, steigen nur ein, wenn sie ein erstklassiges Blatt haben, denn sie sind abgelenkt und zu unkonzentriert, um gewieft zu bluffen. Dasselbe gilt für Spieler, die am Tisch essen.

Zeitgenossen, die sich mit Filzhut oder schicker Sonnenbrille an den Tisch setzen, spielen oft kompliziert und setzen überdurchschnittlich häufig Täuschungsmanöver wie Bluffs, Semibluffs und Slow Plays ein. Einige Tage, nachdem ich aus der letztjährigen World Series geflogen war, spielte ich im Beilagio eine mittelgroße Runde Texas Hold’em Pot-Limit. In einem Spiel spielte ich Heads-up gegen einen Herrn, der Onkel Fester von der Addams Family zum Verwechseln ähnlich sah. Nachdem wir beide mehrmals erhöht hatten, wurde die River-Card ausgegeben. Ich stand noch genauso da wie am Anfang, nämlich mit einem Bubenpaar. Ein Flush war bei diesem Board ausgeschlossen, ein Straight sehr unwahrscheinlich, und die einzige Karte, die höher war als meine Buben, war die Königin im River. Bis zur River- Card hatte ich jede Bietrunde beendet, das heißt, ich hatte entweder geboten oder erhöht, und Onkel Fester war mitgegangen. Sobald die River-Card ausgegeben war, setzte Onkel Fester plötzlich den gesamten Potinhalt – ungefähr 500 Dollar.

Ich war diesem Mann noch nie zuvor begegnet. Vor dem Spiel hatte ich mir kaum Gedanken über ihn gemacht und ihn mir lediglich mit einer Glühbirne im Mund vorgestellt. Ich sah mich außer Stande zu sagen, ob er bluffte oder nicht. Deshalb entschied ich mich für eine alte Reservetaktik; ich tat so, als wollte ich seine Wette halten, indem ich meine Hand auf meine Chips zu bewegte und dabei nach einer Reaktion seinerseits Ausschau hielt. In den meisten Fällen reagiert ein Spieler auf eine gehaltene Wette. Wenn er sich in seinen Stuhl zurückfallen lässt, hat er nichts. Wenn er nach vorn schnellt, um eilig seine Karten aufzudecken, hat er meistens ein gigantisches Blatt. Fester tat nichts dergleichen.

Er saß einfach da und sah mir zu. Allerdings war er stinksauer, weil ich versuchte, ihn mit einem solchen Anfängertrick zu linken. Er sagte wütend: Was zum Teufel sollte das? Willst du mir mein Geld stehlen, Jungchen? Was willst du überhaupt damit? Dir Haarwuchsmittel kaufen, oder was? Ich hatte einen wildfremden Menschen auf die Palme gebracht, und das war mir unangenehm. Aber dann dachte ich über seine Beleidigung nach. Mein Haaransatz geht zwar zurück, daran gibt es nichts zu rütteln, aber von Glatzenbildung kann keine Rede sein. Was wollte dieser Herr mir also sagen? Hätte mir jemand mit einer Löwenmähne diese Bemerkung an den Kopf geworfen, hätte ich geglaubt, er wolle mich auf die Palme bringen und mich so verleiten, mit einem Verliererblatt mitzugehen. In diesem Fall hätte ich gepasst. Aber mein Gegner hatte eine spiegelblanke Glatze wie Telly Savalas.

Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er Augenbrauen hatte. Manche Typen kommen mit so einem Look durch, aber ihm stand er nicht besonders gut. Was war also im Busch, wenn ein Esel den anderen Langohr schimpft? Warum erzählte er mir etwas von Haarwuchsmittel? Ich deutete seine Bemerkung als die Kränkung eines in die Enge Getriebenen und ging sein Gebot mit. Onkel Lester drehte sein Paar Zehn um, ich drehte mein Bubenpaar um, und der Dealer schob mir die 1000 Dollar im Pot zu. Ich hätte mit meiner Einschätzung Onkel Lesters völlig daneben liegen können. Es wäre ebenso gut möglich gewesen, dass er meine Gedanken erraten hatte und mich in der Hoffnung beleidigte, mich so zum Mitgehen zu verleiten. Deshalb simulieren viele Spieler einen Teil. Schließlich wollen sie einen übers Ohr hauen. Aber eins ist gewiss: Je mehr Aufmerksamkeit Sie der Körpersprache Ihres Gegners widmen, desto weniger Geld lassen Sie beim Nachhausegehen auf dem Spieltisch zurück.

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