Meine Erfahrung und Strategien auf den Weltpoker Tischen Teil III – the big one

Im Gedenken an Macduff, der im Gegensatz zu Macbeth immer sauber geblieben war, entschied ich mich mitzugehen. Eine ziemlich große Konfrontation gleich bei der ersten Hand, und das zwischen einem zweifachen Weltmeister und einem völligen Niemand, sorgte dafür, dass die Zuschauer sich so weit über die Absperrkordel lehnten, dass es über dem Tisch plötzlich dunkler wurde. Von irgendwoher hörte ich ein leises Ist das nicht der Typ aus England? Spielen die da drüben über-haupt Poker?. Der Dealer nahm sich ewig Zeit, die oberste Karte vom Stapel zu verbrennen – sie in einer Art Ritual mit dem Gesicht nach unten zu den weggeworfenen Karten zu legen ehe er endlich die Pik Drei, die Pik Sieben … und ein leuchtend rotes Ass aufdeckte.

Da ich Ungar auf ein höheres Paar, vielleicht Buben oder Damen, eingeschätzt hatte, war ich nicht allzu überrascht, als er schob, und ging ziemlich sicher davon aus, dass er einen weiteren hohen Einsatz von mir nicht mit einer erneuten Erhöhung beantworten würde. Wenn ich ihn falsch gelesen hatte und er die Hand verhalten angegangen war und nun ein Paar Siebener, ein Ass mit einer höheren Beikarte (vielleicht mit einem König als Kicker?) oder sogar die letzten beiden Asse vor ihm lagen, dann war ich verloren – zumindest sofern ich meinen Flush nicht zusammenbekam. Immerhin würde ich mich dann stilvoll aus dem Turnier verabschieden. In so einer Situation keinen Einsatz zu bringen wäre ein Akt unverzeihlicher Feigheit gewesen und hätte mir wahrscheinlich den Rest meines Lebens schlaflose Nächte beschert. Also schob ich so umgehend wie möglich dreitausend Dollar in Chips in die Mitte des Tischs – und stellte bestürzt fest, dass meine Hände dabei unkontrolliert zu zittern begannen.

Diese Aktion schien eine fast körperliche Wirkung auf Ungar auszuüben. Er ließ sich in seinen Sessel zurückfallen, als ob ihm jemand einen unsichtbaren Kinnhaken verpasst hätte, und starrte missmutig den Flop an. Inzwischen war allen klar wie
Mountain-Valley-Wasser, von dem ich jetzt bemüht nonchalant einen Schluck trank, dass ihm das Ass in der Tischmitte ganz und gar nicht gefiel. Möglicherweise hielt er sogar ein Paar Könige – was den Fluch durchaus gerechtfertigt hätte, mit dem er jetzt übellaunig seine Handkarten nahm und sie auf typische Vegas-Art zum Zeichen der Aufgabe in Richtung der anderen weggeworfenen Karten schnippte. Der Dealer schob 6 825 Dollar in meine Richtung; davon stammten 4 850 Dollar von mir, 1 850 Dollar von Ungar, und ein paar Dollar kamen aus den Einsätzen anderer Spieler vor dem Flop.

The Kid hatte einen entmutigenden Start hingelegt, mit seiner ersten Hand gleich knapp ein Fünftel seiner Chips verloren, und ich war drauf und dran mir einzubilden, dass das Turnier ein Spaziergang werden könnte. Während ich verdutzt die Chips vor mir aufstapelte und das immer noch deutlich wahrnehmbare Zittern meiner Hände unter Kontrolle zu bringen versuchte, ermahnte ich mich mehrmals, mir diesen Erfolg nicht zu Kopf steigen zu lassen. Mach dich unsichtbar und sieh eine Weile nur zu. Halt dich eisern zurück. Sieh dir nur Flops an, die du für einen Grundeinsatz zu sehen bekommst, und spiele nur, wenn du das höchst-mögliche Blatt am Tisch findest. Du hättest diese Hand genauso gut auch verlieren können. Ein Gewinn nach einem glücklichen Flop macht dich nicht gleich zum Weltklassespieler.

Die mantraartige Wiederholung dieser goldenen Regeln wurde jäh von einem Ausruf aus dem Zuschauerraum unterbrochen: Führender im Turnier! ertönte es plötzlich, in einem verräterisch englischen Akzent. Ich schaute hoch und sah den grinsenden Spanier, der auf diese Weise versuchte, mich den Augenblick genießen zu lassen. Das vorsichtige Lächeln, das er von mir als Antwort bekam, verblasste völlig gegen den giftigen Blick, den er sich von Ungar einfing. Dann rief ein Stück entfernt ein Dealer plötzlich Tisch Vierzehn, Platz Acht und gab damit das Ausscheiden eines unglückseligen Spielers nach der allerersten Hand bekannt – was zugleich bedeutete, dass der Gewinner damit seinen Chipstapel verdoppelt haben musste. Mein glanzvoller Moment als Führender des Weltmeisterschaftsturniers war damit viel zu schnell und wohl endgültig vorüber.

Doch Ungars Augen blieben weiterhin auf Spanier gerichtet, so als ob sie ihm diese Tatsache unbedingt eintrichtern wollten. Sichtlich ernüchtert, griff sich der Daily Telegraph kurz an den Schirm seiner Baseballkappe und zog sich dann hastig in Richtung Bar zurück. Außerdem wusste er nur zu gut, dass ich im Grunde froh darüber war, allein gelassen zu werden und in Ruhe meine Fehler machen zu können. Während der nächsten zwei Stunden spielte ich sehr vorsichtig, vielleicht übervorsichtig, und hegte und pflegte meinen frühen Gewinn, anstatt ihn zur Attacke auf die anderen Spieler am Tisch zu verwenden. Allerdings bekam ich auch kaum Karten, mit denen ich hätte spielen können. Das erwies sich als doppelt ärgerlich, weil Ungar, offenbar maßlos wütend wegen der verlorenen ersten Hand, wild entschlossen schien, sich schnell aus dem Turnier zu verabschieden.

Ein listiges Kerlchen mit Pferdeschwanz und dunkler Sonnenbrille, das ich noch nie zuvor gesehen hatte (und danach auch nie mehr sah), nutzte eine bemerkenswerte Serie guter Anfangskarten, um The Kid systematisch fertigzumachen. Nur siebzig Minuten nach dem Start, als gerade mal ein Dutzend Spieler ausgeschieden war, flog Ungar als erster ehemaliger Weltmeister aus dem Turnier. Wie die meisten Wettkampfsportarten erfordert auch das Pokerspiel von den Titelanwärtern einen gewissen Siegeshunger. Vielleicht lag es daran, dass er die World Series schon zweimal gewonnen hatte, vielleicht lag es an seiner Neigung, impulsiv auf Sportereignisse zu wetten, oder an seinem angeblich turbulenten
Privatleben – jedenfalls hatte The Kid sich an diesem Tag nicht mit dem nötigen Hunger an den Tisch gesetzt. Ich bedauerte es aufrichtig, ihn gehen zu sehen.

Nach achtzig Minuten waren achtzehn Spieler – oder zwei ganze Tische – aus dem Rennen. Dies bedeutete, dass Binions bewaffnete Wachleute buchstäblich zwei Tische aus dem Saal entfernten – ein bitterer, symbolischer Akt, vergleichbar einer Art Begräbnisritus, bei dem Hank und seine Kumpels die Sargträger spielten. Da unser Tisch dem Ausgang am nächsten lag und die Menge immer noch wie gebannt über Savalas’ schwerer Schulter hing, wurden die Möbelstücke mühsam direkt über meinen Kopf gehoben – eine ziemliche Ablenkung, während ich den wahren Wert meiner Hände einzuschätzen versuchte. Spielte ich zu verhalten? Sollte ich größere Risiken eingehen? Dies war mein erstes großes Pokerturnier, aber ich wusste, dass es für solche Veranstaltungen gewisse Grundregeln gab.

Wer hier vier Tage überstehen wollte, so schien es mir, musste mit einem All-in – dem Einsatz all seiner Chips auf eine Hand – sehr vorsichtig sein. Und trotzdem sah man überall im Saal Spieler All-in gehen und sich damit im Erfolgsfall ein sehr nützliches frühes Chipspolster sichern. Dennoch: Um bis zur ersten Pause zu überleben, musste ich nichts weiter tun, als mich zu-rückzuhalten. Im Augenblick lagen die Blinds bei 25 und 50 Dollar, und da eine Runde gut zwanzig Minuten dauerte, würde es mich nur 225 Dollar pro Stunde kosten, mir das Ganze anzusehen.

Dank dieser Spielweise galt ich natürlich am Tisch schon bald als Geizkragen, was die anderen Spieler dazu brachte, sofort zu passen, wenn ich bei einem Pot mitging – das klassische Schicksal des übervorsichtigen Spielers, das sich allerdings hin und wieder in einen Vorteil verwandeln lässt. Es gibt Hände, bei denen die wenigen Einsätze vor dem Flop darauf hindeuten, dass niemand am Tisch wirklich viel versprechende Karten hält. In der richtigen Position, vorzugsweise so spät wie möglich, kann eine frühe Erhöhung alle anderen aus der Hand verjagen – auch wenn man selbst nur Rags, also Luschen, vor sich liegen hat. Ich versuchte es ein oder zwei Mal mit Erfolg. Doch dann hörte ich den Pferdeschwanz murmeln: Na, London, stiehlst du schon wieder?

Obwohl freundlich im Ton, handelte es sich mehr um einen Test als um eine Aussage. Er wollte sehen, wie ich reagierte – ob ich errötete wie ein blutiger Anfänger und damit meinen Bluff verriet. Später bescheinigte mir die Puppe, die mich in diesem Augenblick beobachtet hatte, dass meine Augen lobenswert ausdruckslos geblieben wären, während ich ihm ein höfliches und unergründliches europäisches Lächeln schenkte.
Ohne größere Vorfälle erreichten wir die erste Pause. Ich war tatsächlich noch im Rennen und sehr stolz auf mich. Dreiundzwanzig Spieler hatten bis dahin das Handtuch werfen müssen, darunter auch der ehemalige Weltmeister Jack Treetop Straus. Ich schnappte mir die Puppe, und wir eilten zur Bar, wo ich plötzlich einen Anfall unendlicher Erschöpfung verspürte.

Zwei Stunden absoluter Konzentration fühlten sich an wie zehn; der Gedanke an vier weitere Spielstunden an diesem Tag hatte eine unglaublich entmutigende Wirkung auf mich. Entgegen aller Regeln genehmigte ich mir einen Gin Tonic und prostete Bill Smith zu, der ein paar Meter entfernt ein Bier und einen Whisky bestellte. Als Befürworter der Denis-Thatcher-Gin-Kipper- Schule, die die Ansicht vertritt, dass ein Gin manchmal die gleiche Wirkung auf den Organismus ausüben kann wie ein dringend benötigter Adrenalinschub, spürte ich das Getränk wie einen Stromstoß durch meinen Körper jagen. Das war genau das, was mir gefehlt hatte. Doch jeder weitere Gin hätte sich als katastrophal erwiesen. Als guter Kenner meines eigenen Stoffwechsels überlebte ich die Zeit bis zur zweiten Pause wach und aufmerksam.

Die dritte und vierte Stunde verstrichen bedeutend schneller als die ersten beiden. Bei allen Teilnehmern war die anfängliche Nervosität verflogen, die hyperaktiven Spieler hatten fast allesamt Harakiri begangen, und inzwischen spielten wir ein hochgradig aufmerksames, von gegenseitigem Respekt geprägtes, abwartendes Poker. Nach der Einführung der Rolling Antes – jeder Spieler musste von nun an vor jeder Hand 25 Dollar Einsatz bringen – und den Blinds bei immer noch 25 und 50 Dollar kostete jede Runde also mindestens 300 Dollar.

Und es lagen immer noch drei weitere Tage vor uns. Es gab keinen Grund mehr, ein unnötiges Theater zu veranstalten, und auch keine Entschuldigungen mehr für verpasste Chancen. In dieser Phase konzentrierte ich mich vor allem darauf, meine Spielweise zu variieren, um nicht zu verhalten oder zu locker zu erscheinen, sondern unberechenbar und schwer durchschaubar. Das ist natürlich das große Ziel jedes Pokerspielers – wobei die wahre Vollendung darin besteht, von den Gegnern gefürchtet zu werden. Aber sooft ich auch in die Runde blickte, ich sah nicht ein Gesicht, aus dem so etwas wie Ehrfurcht mir gegenüber sprach.

Immerhin erwies sich die Tatsache als nützlich, dass niemand so recht wusste, wer ich war – die anderen hatten bestenfalls die vage Information, dass es sich bei mir um irgendeinen englischen Amateur handelte, der weit außerhalb seiner Liga spielte. Und ebenso vorteilhaft war der Abglanz des Turnierdirektors Eric Drache, der auf mich fiel, wenn er gelegentlich an unserem Tisch vorbeischaute und sich danach erkundigte, wie es für mich lief (Eric war bereits seit zehn Jahren ein guter Freund). Nichtsdestotrotz fragte ich mich, wie viele meiner Gegner wohl wussten, dass ich mich über ein Satellitenturnier bis hierher durchgemogelt hatte und dass 10 000 Dollar ein Riesenbatzen Geld für mich waren. Der Umstand, dass ich nach vier Stunden meinen Stapel auf Chips im Wert von 14 500 Dollar erhöht hatte, lenkte meinen Verstand in die völlig falsche Richtung.

Wenn wir die Chips doch nur eintauschen und mit dem Geld verschwinden könnten, sagte ich zur Puppe, als ich wieder mit ihr an der Bar stand. Schließlich war ich am Tag zuvor mit 200 Dollar eingestiegen und hatte rein rechnerisch inzwischen einen Gewinn von über 7 000 Prozent erwirtschaftet. Denk doch nur mal darüber nach, wie viele Monatsmieten das sind. Dafür kriegt man ein gottverdammtes Auto, sagte ich. Aber wenn du am Ball bleibst, könnte es ein ganzes Haus werden, erwiderte die Puppe. Also blieb ich weitere drei Stunden am Ball. In der letzten Stunde des Turniertags kletterten die Antes auf 50 Dollar pro Spieler und Hand und die Blinds auf 100 und 200 Dollar.

Bei 750 Dollar pro Runde brach unter den ärmeren Mitspielern leichte Verzweiflung aus, da ihnen nun ein schnelles Aus drohte, sofern sie nicht ein oder zwei riskante Hände mit Erfolg für sich entschieden. Um seinen eigenen Platz im Turnier einschätzen zu können, musste man die Zahl der noch verbliebenen Spieler durch die Gesamtsumme von 1,67 Millionen Dollar teilen und das Ergebnis mit dem eigenen Chipstapel vergleichen. Aber da Kopfrechnen noch nie meine Stärke war, ging ich einfach davon aus, dass gegen Ende des Tages noch rund hundert Spieler im Turnier verbleiben würden, was bedeutete, dass ich 16 700 Dollar brauchte, um beruhigt in den nächsten Tag gehen zu können. Zwanzig Minuten vor Spielschluss lagen gut 13 000 Dollar vor mir, als sich die geeignete Gelegenheit bot.

Die wahren Profis unter den Pokerspielern erinnern sich an Hände, die sie vor zwanzig Jahren gespielt haben; ich kann mich kaum an Hände erinnern, die zwanzig Minuten zurückliegen. Die wahren Amateure schildern einem in allen Details die Hände, die sie gewonnen haben; mein Problem besteht darin, dass ich mich nur an verlorene Hände erinnere. Und diese fragliche Hand fiel in die zweite Kategorie und war besonders schmerzhaft, weil meine beiden Paare auf dem River von drei Königen geschlagen wurden – und das ausgerechnet von Telly Savalas, der den ganzen Abend unauffällig mitgezockt hatte.

Ich hatte meine Anfangskarten 10 und Bube vorsichtig angespielt, weil im Flop neben Bube und Drei auch ein König lag. Aber Kojaks Einsatz war zu gering gewesen – gering genug jedenfalls, dass ich mitging. Vielleicht hatte ich danach aber auch nicht genug erhöht, als auf dem Turn eine weitere Zehn erschien und mir ein zweites Paar brachte. In jedem Fall blieb Savalas mit seinem König im Spiel und vervollständigte mit der letzten Karte seinen Drilling. Sein anschließender hoher Einsatz brachte mich dazu zu passen, in der verzweifelten Annahme, dass ich ihn richtig gelesen hatte. Oder hatte er sogar ein Full House? Doch es war zu spät, sich darüber Gedanken zu machen – zu diesem Zeitpunkt versuchte jeder am Tisch nur noch, bis zum nächsten Morgen zu überleben.

Savalas war anständig genug, mir kurz seinen König zu zeigen, nachdem ich gepasst hatte. Dabei warf er einen verächtlichen Blick auf meine Armbanduhr, die alles andere als eines Edelzockers würdig war. Aber ich ließ mich davon nicht fertigmachen. Immerhin wusste ich jetzt, dass ich mir keinen groben Schnitzer geleistet hatte, auch wenn mich der Gedanke an die 4 500 Dollar deprimierte, um die er dank seines Glücks – und meiner Schwäche – nun reicher war. Als die Veranstaltung für diesen Tag für beendet erklärt wurde, verschwanden solche unbedeutenden Details jedoch wieder in den Hintergrund. Ich erlaubte mir, ziemlich stolz auf mich zu sein. Ich hatte den ersten Tag überlebt und war damit wesentlich weiter gekommen, als ich und meine überschaubare britische Fangemeinde, die sich jetzt mit weiterem billigem Champagner um mich versammelte, jemals erwartet hätten.

Ich besaß noch 8 000 Dollar und belegte bis zum nächsten Morgen den dreiundachtzigsten Platz. Von den ursprünglich 167 Teilnehmern waren nur noch 104 Spieler übrig geblieben. Unter denjenigen, die vor mir das Handtuch geworfen hatten, befanden sich – neben Ungar und Straus – auch solche beliebten ehemaligen Weltmeister wie Doyle Brunson und Tom McEvoy. Und zwei weitere ehemalige Titelgewinner lagen auf der Rangliste hinter mir: Bobby Baldwin, Zweiundneunzigster mit 6 425 Dollar, und mit 4 125 Dollar auf dem neunundneunzigsten Platz der Grand Old Man persönlich, Johnny Moss.

Die Abschlusstabelle des Tages zeigte, dass der Führende im Turnier mit 52 700 Dollar ein kalifornischer Profispieler namens Mike Cox war. Johnny Chan lag auf dem zweiundzwanzigsten Platz, mit 22 325 Dollar, und das ließ nichts Gutes ahnen. Telly Savalas hatte sein Kapital auf 20 000 Dollar verdoppelt, was er größtenteils mir verdankte, und belegte damit Platz 33. Die meisten der großen Namen waren noch immer im Rennen, und die Jungs am unteren Ende der Tabelle würden eine ordentliche Portion Glück benötigen, wenn sie noch eine Weile mitspielen wollten.

Meine achttausend Dollar würden mir nicht viel Zeit verschaffen. Als das Spiel am nächsten Morgen wieder aufgenommen wurde – ich hatte dank eines Schlafmittels zwölf Stunden tief und traumlos geschlummert waren die Antes auf 100 Dollar und die Blinds auf 200 bzw. 400 Dollar gestiegen. Bei 1 500 Dollar pro Runde oder um die 4 500 Dollar pro Stunde würde ich mich bald verabschieden, sofern ich nicht selbst die Initiative ergriff. Doch stattdessen geschah etwas, für das ich nur die wenig überzeugende, unsterbliche Entschuldigung des Poker-spielers Vorbringen kann: Ich bekam einfach keine guten Karten mehr – keine Bilder, nicht mal ein niedriges Paar. Und so brach schon nach der ersten Pause Krisenstimmung aus.

Ein paar zunehmend verzweifelte Risiken brachten nichts ein, und ich war abgebrannt bis auf die letzten 3 000 Dollar. Die Antes lagen inzwischen bei 200 Dollar und die Blinds bei 300 und 600 Dollar, so dass mir kaum genug Chips blieben, die nächste Runde zu überstehen. Aber es hatte keinen Sinn, einfach herumzusitzen und auf das Aus zu warten. Außerdem gab es bei diesem Turnier eine altehrwürdige Ahnenreihe von Spielern, die mit ihren letzten Chips ein paar Mal All-in gegangen waren, ein paar glückliche Flops getroffen hatten und sich so wieder ins Titelrennen zurückkämpften: Auf diese Weise war Jack Straus 1982 Weltmeister geworden. Und als in meinen Handkarten ein Pik König mit passender Sieben auftauchte, entschloss ich mich, alles oder nichts zu spielen. Bei einer solchen Entscheidung erhöht man am besten vor dem Flop, damit ein lohnenswerter Pot zusammenkommt; auf diese Weise kann man mit etwas Glück seinen Einsatz mehr als verdoppeln.

Also beobachtete ich mit gemischten Gefühlen, wie zwei andere Spieler, mit riesigen Chipstapeln ausgestattet, mitgingen – die dafür nötigen 3 000 Dollar kappten gerade einmal die Spitzen ihrer gewaltigen Türme. Und während 9 000 Dollar in der Tischmitte lagen, beobachtete ich ungläubig, wie mit dem Flop der Karo König erschien – die Karte, die ich auf meiner Armbanduhr trug und die mir jetzt ein Paar brachte. Das konnte nur ein gutes Omen sein. Da ich keine Chips mehr hatte, konnte ich keine weiteren Einsätze bringen, aber die Plätze Drei und Vier waren noch im Rennen. Drei setzte 5 000 Dollar, und Vier passte. Damit blieben nur noch wir beide übrig, und da keine weiteren Einsätze mehr möglich waren, erkundigte Drei sich höflich: Hast du ein Paar?, woraufhin ich K-7 umdrehte. Ich hab den besseren Kicker, sagte er und zeigte mir A-K.

Die Etikette für den weiteren Verlauf war mir bekannt: Wenn die Quoten so deutlich gegen einen stehen, erhebt man sich von seinem Platz und bereitet sich auf einen möglichst würdevollen Abgang vor, während die letzten beiden Karten aufgedeckt werden. Die vierte Karte war eine schwarze Acht, die keinem von uns etwas nützte. Ich war gerade dabei, meine Habseligkeiten einzusammeln – Zigaretten, Feuerzeug, eine halbleere Cola -, als der Dealer mit der letzten Karte eine Sieben aufdeckte. Der pure Zufall hatte mir ein zweites Paar beschert, und damit war ich wieder im Spiel. Unter dem freundlichen Beifall der Zuschauer, die einen erfolgreichen Underdog lieben, setzte ich mich wieder hin und stapelte meine überraschend gewonnenen 9 000 Dollar vor mir auf. Platz Drei gab ein verächtliches Schnauben von sich, verzog aber ansonsten keine Miene.

So weit fortgeschritten im Turnier würden mir allerdings auch 9 000 Dollar nicht viel nützen. Ich war darauf angewiesen, meinen Zaubertrick zu wiederholen, ein weiteres Mal ein kleines Wunder zu bewirken, wenn ich bei dieser Veranstaltung weiter mitmischen wollte. Und schon kurze Zeit später bot sich mir erneut die Chance: Zum ersten Mal im gesamten Turnierverlauf schaute ich in meine Handkarten und entdeckte den Traum jedes Hold’em-Spielers: ein Paar Asse. Die Tatsache, dass es sich dabei um die beiden schwarzen Asse handelte, ließ diese Startkarte noch stärker aussehen. Aber meine Position war nicht die beste, nur vier Plätze links vom Dealer, daher entschloss ich mich zu einem taktischen Manöver. Ich wollte meine Karten nicht sofort verraten, indem ich das Maximum setzte, sondern den Pot langsam aufbauen, mit einer moderaten Erhöhung – zumindest nach den Maßstäben der anderen Spieler am Tisch. Und wenn dann einer der anderen annahm, ich würde den Pot stehlen wollen, und seinerseits erhöhte, würde ich All-in gehen.

Also ging ich den Big Blind von 600 Dollar mit, erhöhte um gerade mal 1 000 Dollar und wartete ab, was passieren würde. Wie erwartet passten alle Spieler links von mir. Der Small Blind dagegen, der bereits seinen obligatorischen Einsatz von 300 Dollar im Pot liegen hatte, ging die zusätzlichen 1 300 Dollar mit, warf einen Blick auf meinen Chipstapel und erhöhte um weitere zweitausend Dollar. Daraufhin stiegen der Spieler mit dem Big Blind und der Typ rechts von mir ebenfalls aus. So wie hier am Tisch gepokert wurde, erschien es mir angemessen, ja fast schon eine Pflicht, einen Augenblick zu warten und so zu tun, als ob ich nachdachte. Ich ließ die Chips durch meine Finger gleiten, zählte sie noch einmal nach und seufzte, in der Hoffnung, überzeugend Schwäche vorzutäuschen. Dann schob ich den kompletten Stapel in die Mitte. Ich war den Einsatz des Small Blind mitgegangen und hatte meinerseits um satte 5 400 Dollar erhöht.

Das brachte ihn zum Nachdenken – zumindest tat er so. Während er seine Chips zählte, fragte ich mich, welche Karten er wohl vor sich liegen hatte. Bis dahin, gestand ich mir selbst ein, hatte ich mir keine großen Gedanken darüber gemacht, weil ich schließlich die bestmöglichen Startkarten hielt. Wenn er allerdings mitging, könnte sich mit dem Flop alles ändern. Außerdem sprach für ihn, dass keine weiteren Einsätze mehr kommen würden, weil ich bereits all meine Chips gesetzt hatte. Knapp fünfeinhalb Riesen, so entschied er sich schließlich, war ihm die Sache durchaus
wert – schließlich lagen noch über zwanzigtausend in Chips vor ihm. Er ging mit und zeigte mir A-Q von Karo. Als ich daraufhin meine beiden schwarzen Asse umdrehte, erhob sich am Tisch ein unwilliges Gemurmel; offensichtlich war man allgemein nicht sehr begeistert von der Aussicht, mich noch länger am Hals zu haben. Taktisches Geplänkel mit zwei Assen ist der Gipfel – entweder der Frechheit oder der Dummheit.

Der Flop brachte eine schwarze Dame, womit mein Gegner ein nutzloses Paar hatte, und dazu die letzten beiden Karten, die ich sehen wollte: zwei kleine Karos, womit er vier Karten für einen Flush hatte. Diesmal stand ich nicht auf – schließlich hatte ich immer noch das bessere Blatt -, während die Pik Sieben erschien, die keinem von uns etwas nutzte. Und die fünfte und letzte Karte, die über mein weiteres Schicksal bei diesem Turnier entschied, war… die Karo Zehn. Obwohl die Chancen vier zu eins gegen ihn standen, hatte mein Gegner seinen Flush zusammenbekommen. Mein Kampf um den Weltmeistertitel war verloren.

So würdevoll wie möglich, aber innerlich am Boden zerstört, sammelte ich meine Sachen zusammen und verabschiedete mich. Die Menge bedachte meinen Abgang mit verhaltenem Applaus, doch die anderen Spieler blickten kaum von ihren Karten auf. Die Tatsache, dass der Amateur seine verdiente Strafe erhielt, berührte sie nur unwesentlich. Die Puppe, meine persönliche Cheerleaderin, begrüßte mich mit der Neuigkeit, dass Bobby Baldwin und – jawohl – auch Johnny Moss vor mir ausgeschieden waren. Das war doch mal Balsam auf meine Wunden. Hatte ich mein persönliches Ziel erreicht? War ich unter die letzten Hundert des Turniers gekommen? Am Tisch hatte ich Besseres zu tun gehabt, als die Rangliste im Auge zu behalten. Eine kurze Nachfrage am Infotisch der Turnierverwaltung – in Begleitung des Daily Telegraph – ergab, dass ich auf Platz Neunzig ausgeschieden war.

Neunzigster der Welt, sagte ein freundlicher Fremder aus der Heimat. Das ist höher in der Weltrangliste als jeder britische Tennisspieler. Auf diese Weise hatte ich es noch gar nicht betrachtet. Dieser Fremde hatte mich enorm aufgeheitert und sich dafür einen Drink verdient. David Spanier vermerkte den Vergleich pflichtschuldig in seinen Aufzeichnungen, bezweifelte aber dessen Richtigkeit. Aber da sich diese Aussage auf die Schnelle nicht überprüfen ließ, drängte ich ihn, die Geschichte wider besseres Wissen zu schlucken. Was ich sonst noch gesagt habe, weiß ich nicht mehr, weil ich mich zu einer erschöpften Mahlzeit niederließ, bei der ziemlich viel Alkohol floss. Als man mir dabei reihum versicherte, dass ich mich für einen Neuling ziemlich wacker geschlagen hätte, wich meine Enttäuschung allmählich einer Hochstimmung.

Irgendwann muss ich mich jedenfalls laut gefragt haben: Bin ich damit der beste Pokerspieler Großbritanniens? Denn mit genau diesem Ausspruch zitierte mich am nächsten Tag der Daily Telegraph. Dieses Zitat veranlasste niemand Geringeres als die Times höchstpersönlich, mich – ohne Rücksicht auf internationale Zeitzonen – mitten in der Nacht anzurufen und einen persönlichen Bericht meines Triumphs anzufordern. Ich hätte zwar auf die Unterbrechung meines Schönheitsschlafs durchaus verzichten können, aber das Wort Triumph entschädigte für die nächtliche Ruhestörung. Finanziell war ich allerdings wieder da, wo ich angefangen hatte. Selbst mein ursprünglicher Einsatz in Höhe von 200 Dollar war mit diesem Zufalls-Flush den Bach runtergegangen. Auf der anderen Seite konnte ich mich nur an wenige – private wie berufliche – Ereignisse in meinem Leben erinnern, die sich an Spannung mit jenen Stunden vergleichen ließen, die ich gerade durchlebt hatte.

Scharfsinnig wie immer bemerkte die Puppe, dass es für mich in Zukunft wohl ziemlich hart werden würde, im Mai nach Las Vegas zu kommen, ohne selbst an der World Series teilzunehmen. Dieser Gedanke war mir noch gar nicht gekommen – schließlich ärgerte ich mich noch immer über die verlorenen zehntausend Dollar aber ich wusste sofort, dass sie Recht hatte. Wie sehr sie damit Recht behalten sollte, ahnten wir beide auch etwa einen Monat später noch nicht. Zu dem Zeitpunkt hatten wir miterlebt, wie Johnny Chan seinen Titel verteidigte, waren bei einsetzender Dämmerung auf dem trübseligen Flug-hafen Heathrow gelandet und in die noch düsterere Londoner Literaturlandschaft zurückgekehrt. Bis zur nächsten Poker-Weltmeisterschaft im darauf folgenden Mai, was mir unendlich weit weg erschien, würde ich mich nur mithilfe meiner Dienstagabend-Pokerrunde bei Laune halten können.

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