Meine Erfahrung und Strategien auf den Weltpoker Tischen Teil II – the big one

Auch heute noch sitzt Bill nie ohne Alkohol am Tisch – meistens Bier, dazu Scotch zum Nachspülen – und ist gleichzeitig in der Lage, Turniere zu gewinnen, eine Leistung, die ihn zu einer absoluten Ausnahme unter den Profispielern macht. Dementsprechend begab sich Großbritanniens einziger Vertreter bei dieser Weltmeisterschaft wohlgenährt, nüchtern, verschlafen, aber von der Puppe massiert und mit einem T-Shirt und einer Jeans bekleidet, auf den Weg über die Fremont Street mitten hinein in die legendäre, hell erleuchtete Turnierarena des Horseshoe. Von Ehrfurcht gegenüber den anderen Teilnehmern erfüllt, denen er gleich begegnen sollte, grübelte er über all das nach, was ihm zu Quoten, Outs und Positionen noch einfiel. Inzwischen war es 12.50 Uhr, nur noch zehn Minuten bis zum offiziellen Start des Turniers, doch im Saal hatten sich mehr Zuschauer als Spieler versammelt. Genau wie Transatlantikflüge und spanische Mahlzeiten starten Pokerturniere in Las Vegas nur selten zur angegebenen Zeit oder innerhalb der darauf folgenden Stunde.

Als einziger britischer Teilnehmer an dieser Weltmeisterschaft begann ich mich gerade über das mangelnde Interesse der Presse aufzuregen, als der Daily Telegraph, in Gestalt des bereits oben erwähnten David Spanier, großmütig seinen Stolz hinunterschluckte und mich um ein Interview bat. David wusste, dass ich überhaupt nur deshalb hier vor Ort war, weil ich meinen englischen Verleger überzeugt hatte, ich müsste zu einer wichtigen Literaturkonferenz an der Westküste, und die Veröffentlichung meines neuen Buches müsse deshalb um mindestens eine Woche verschoben werden. Mein erstes Ziel, so erzählte ich dem Daily Telegraph, bestand darin, nicht als erster Spieler aus dem Turnier zu fliegen. Mein zweites Ziel lautete, wenigstens die erste Stunde zu überstehen. Und ich würde mich mächtig freuen, falls ich es bis zur ersten Pause schaffte, die nach zwei Stunden fällig war. Ob ich bis zum zweiten Tag überleben würde? Es war mir unmöglich, so weit in die Zukunft zu schauen.

Spanier erkundigte sich vorsichtig, ob ich mit der richtigen Einstellung in dieses Turnier ging. Zu Davids Verteidigung muss ich sagen, dass er sich unter diesen merkwürdigen Umständen wie ein echter Gentleman benahm. Wie alle meine englischen Pokerfreunde hätte er sein rechtes Ohrläppchen gegeben, um an dieser Weltmeisterschaft teilnehmen zu dürfen, doch er behandelte mich mit freundlichem Interesse und jenem Quäntchen Respekt, das ich mir verdient zu haben glaubte. Seine Frage war eine sanfte Aufforderung, meine pessimistischen Gefühle beiseitezuschieben und an England zu denken – und natürlich hatte er vollkommen Recht. Aber es war wirklich schwierig, Zuversicht auszustrahlen, wenn sämtliche Pokerhelden völlig entspannt um einen herum versammelt waren, in Erinnerungen an die größten Pots ihrer Laufbahn schwelgten und all die eleganten, teuren Schmuckstücke aufblitzen ließen, die sie gewonnen oder sich am Pokertisch erspielt hatten.

Und natürlich trug etwa ein Dutzend von ihnen das begehrteste Accessoire der Pokerwelt: das massive Goldarmband mit dem in Diamanten eingelegten eigenen Namen, das einen ehemaligen Weltmeister kennzeichnet. Irgendwie schienen sie dauernd einen Grund zu haben, den Ärmel hochzuschieben und dieses Ehrfurcht gebietende Schmuckstück im Licht der Fernsehscheinwerfer glitzern zu lassen. Professionelle Pokerspieler beurteilen einander an dem Schmuck, den sie tragen. Goldene Rolex-Uhren sind praktisch Standard; der wahre Status und der Grad der erreichten Leistungen lässt sich eher an den unübersehbaren diamantenbesetzten Armbändern, Ringen und Ketten ablesen, die sozusagen die Orden dieser Zunft bilden. In England und im normalen Leben würde die Zurschaustellung solcher Klunker als unsäglich vulgär gelten, aber nach ein paar Tagen Vegas bringen mich die hypnotischen Kräfte dieses Ortes jedes Mal dazu, besagten Schmuck als ziemlich stilvoll zu empfinden und die Auslagen der diversen Juweliere in den Kartensälen mit fast schon begehrlichen Augen zu betrachten.

Daher erschien es mir absolut passend, dass die Puppe mir in diesem Moment den herrlichsten und kitschigsten Chronometer schenkte, den wir beide jemals in Händen gehalten hatten: eine goldene Armbanduhr, auf deren Ziffernblatt der Karo König in glitzernden Strasssteinchen abgebildet war. Die Uhr war sensationell vulgär – genau das Richtige, um so zu tun als ob. Für die diesjährige Weltmeisterschaft hatte sich die Rekordzahl von 167 Teilnehmern angemeldet, deren jeweilige Startgelder von 10 000 Dollar sich zu einem Preisgeld von 1,67 Millionen summierten – nicht zu vergessen das Armband. Früher lautete die Regel schlicht und einfach: Der Gewinner kassiert alles – auch wenn zwischen den letzten beiden oder drei von über hundert Spielern im Turnier möglicherweise ein paar private Nachverhandlungen stattgefunden haben mögen. Heute sieht es etwas anders aus.

Da es den Spielern ziemlich hart erschien, vier Tage durchzuhalten, am Finaltisch zu sitzen und dann mit nichts nach Hause zu gehen, wurde die Verteilung des Preisgelds auf ihren eigenen Wunsch hin neu gestaltet. Jeder, der es bis zum vierten Tag schafft, ist im Geld – obwohl die Plätze 19 bis 27 nur ihr Startgeld in Höhe von 10 000 Dollar zurückerhalten und die Plätze 28 bis 36 sogar Geld verlieren, da sie nur 7 500 Dollar erstattet bekommen. Daher gilt nach allgemeiner Auffassung Platz 37 als schlechtester Platz-viel schlimmer noch, als gleich als Erster aus dem Turnier zu fliegen -, da man bis dahin mindestens drei ganze Tage gespielt hat, sich gegen harte Konkurrenz hat durchsetzen müssen und schließlich mit leeren Taschen nach Hause zurückkehrt. Für Spieler wie mich dagegen, die nur eintausend Dollar riskiert hatten, um sich einen Platz bei diesem Zehntausend-Dollar-Turnier zu sichern, bedeuteten Position 19 bis 36 schon einen ganz ordentlichen Profit.

Platz 11 bis 18 erhalten jeweils 12 500 Dollar – immer noch bescheidene 25 Prozent Profit im Vergleich zum Kapitalaufwand, aber sehr weit unterhalb der Erwartungen jedes professionellen Pokerspielers, der sich von vier harten Tagen Arbeit deutlich mehr verspricht. Die besten Zehn erhalten dann richtiges Geld, wobei sich die Summe so aufteilt, dass der Gewinner 50 Prozent des Preisgelds einstreicht und die anderen Plätze mit zunehmendem Rang einen jeweils größeren Anteil der verbleibenden 50 Prozent erhalten. In diesem Jahr belief sich der Preis für den ersten Platz also auf die beträchtliche Summe von 835 000 Dollar. Und da der Zweitplatzierte nur 20 Prozent bekam, betrug die Differenz zwischen dem Ersten und dem Zweiten eine schwindelerregende halbe Million Dollar.

Für mich, der ich nun Moss und Branson, Pearson und Preston, Ungar und Chan unter meinen entspannten, ausgeschlafenen Gegnern entdeckte, waren diese Zahlen nur Trugbilder. Doch im Laufe meines Interviews mit Spanier brachte ich meine neugewonnene Zuversicht zum Ausdruck, indem ich verkündete, dass ein Sieg bei meinem ersten Versuch mein Leben nicht verändern würde … jedenfalls nicht sehr, wenn man einmal davon absah, dass ich mich aus der schreibenden Zunft zurückziehen und in die Vereinigten Staaten emigrieren würde, um dort ein neues Leben als professioneller Fulltime-Pokerspieler zu beginnen.

Als die Lautsprecheranlage schließlich mit einem heftigen Knacken losplärrte, war es endlich Zeit für ein wenig Action. Das Ganze begann wie jedes Jahr mit dem langatmigen, publikumswirksamen Ritual, bei dem die einzelnen Spieler mit Namen begrüßt wurden, während sie an den vorgegebenen Tischen Platz nahmen. Dann ging das Mikrofon an Jack Binion, Benny Binions Sohn und Präsident des Horseshoe, der selbst auch kein schlechter Pokerspieler ist und für den die meisten Teilnehmer alte Freunde und hochgeschätzte Kunden sind. Und obwohl Jack nicht gerne in der Öffentlichkeit spricht, hatte er für fast jeden einen witzigen Spruch auf Lager.

Unter den diesjährigen Teilnehmern befanden sich zwölf der insgesamt vierzehn ehemaligen Weltmeister, darunter auch der amtierende Champion Chan, mit dem Spitznamen The Oriental Express und einer der heißesten Favoriten bei den Buchmachern. Der in der Volksrepublik China geborene Chan kam mit neun Jahren nach Amerika, als seine Eltern vor der Kulturrevolution flohen. Und es dauerte nicht lange, bis dieser Sohn Maos Las Vegas entdeckte. Vom chinesischen Restaurant der Familie in Houston arbeitete er sich bald zum Herrscher über die Pfannen in der Küche des Fremont Hotel in Glitter Gulch hoch. Manche Gäste erinnern sich noch, wie er nach seiner Schicht direkt an die Pokertische eilte, die weiße Schürze noch um die Hüften gebunden. Und jetzt, kaum ein Jahrzehnt später, saß er an einem Nachbartisch im Horseshoe, der gefürchtetste Pokerspieler der Welt.

Als sein Zuhause bezeichnet Chan immer noch Houston. Ich telefoniere fast täglich mit meiner Frau und den Kindern, erzählt er, als ginge es dabei um eine Frage der Ehre. Wie bei den meisten führenden Pokerprofis ist sein Leben eine rastlose
Schatzsuche – ein Leben aus Koffern, wobei der Kartensaal als Büro fungiert und ein Gratis-Hotelzimmer als Zuhause. Aber wenn Chan tatsächlich so etwas wie einen Lebensmittelpunkt hat, dann im Süden von Los Angeles, in der Vorstadt Cerritos, nicht weit von den zahlreichen kalifornischen Kartenclubs entfernt, wo schnell und locker gespielt wird und die Konkurrenz etwas weniger hart ist als in Vegas. Chan hat nur wenige echte Freunde; das einzige Gesicht, das in seinem Wanderzirkus regelmäßig auftaucht, ist das von John Formica, einem kräftig gebauten, grauhaarigen Aufpasser, der als Italian Stallion bekannt ist.

Dieser italienische Hengst hat früher gegen Chan Poker gespielt, war dabei aber aus der Bahn geraten; heute massiert er ihm während besonders langer Partien den Nacken. Vermutlich könnte man mich als seinen besten Freund in der Spielerszene bezeichnen, erzählt Formica. Aber Johnny öffnet sich eigentlich gegenüber niemandem richtig. Nicht einmal gegenüber seiner Frau und seinen Kindern. Und ganz bestimmt hatte Chan nicht vor, sich gegenüber jemandem zu öffnen, der potenziell zwischen ihm und seinem zweiten Weltmeistertitel stand. Wie üblich waren seine Augen hinter einer Sonnenbrille von Yves Saint Laurent versteckt, und wie viele der jüngeren Profispieler trug er Jogginganzug und Turnschuhe – der Unterschied zu ihnen bestand nur darin, dass Chan an diesem Vormittag tatsächlich joggen gewesen war. Seine Haare glänzten noch feucht von der anschließenden Dusche.

Chan raucht nicht und trinkt nicht; das einzige Vergnügen, das er sich gönnt, findet am Kartentisch statt. Wenn Aberglaube ein Laster ist, dann ist es sein einziges – und selbst das entpuppt sich als zweischneidiges Schwert, wie dazu geschaffen, andere Spieler zu zermürben: Die Glücksorange, die er nun vor sich auf dem Tisch platziert hatte, um sie manchmal während des Turniers zu streicheln, soll Chans Gegner – nicht ihn selbst – davon überzeugen, dass er ein glückliches Händchen fürs Pokern hat. Das Publikum erinnerte sich noch vom letzten Jahr an diese abergläubische Geste und war begeistert. Die Orange war ein Zeichen dafür, dass Chan möglicherweise sogar menschliche Züge hatte. Doch während Chan als Antwort auf den Jubel des Publikums halbherzig winkte, war er mit seinen Gedanken sichtbar ganz woanders – als würde er stumm strenge Regeln wiederholen, die ihn auf die bevorstehenden, langwierigen Prüfungen vorbereiten sollten.

Mit ähnlichem Jubel wurde der Weltmeister von 1 973 begrüßt, Walter Clyde Pearson, allgemein bekannt als Puggy, ein untersetzter, kleiner Mann mit einem Kneifer auf der Nase und einem Haufen torpedogroßer Zigarren in der Brusttasche. Und dann drängte die Menge nach vorne, als der Name des wahrscheinlich berühmtesten lebenden Pokerspielers fiel, Amarillo Slim Preston. Sein Stetson war mit den Überresten einer missmutig dreinblickenden Klapperschlange verziert, deren Kiefer sich angriffslustig jedem Spieler entgegenreckten, der die Frechheit besaß, bei seinen Einsätzen mitzugehen. Anschließend musste man den Weg noch etwas freier machen als üblich, denn nun betrat ein weiterer Unsterblicher der Pokerszene die Arena – Doyle Texas Dolly Brunson, der mit seinen 160 Kilo Lebendgewicht auf seinen Platz zustampfte wie ein majestätisches Schlachtschiff, völlig unbeeindruckt von der Armada von Gegnern, die sich ihm entgegenstellten.

Und an Tisch Drei, Platz Neun, der Grand Old Man of Poker, der einzige dreimalige Gewinner in der Geschichte der World Series, der unverwüstliche Mr. Johnny Moss. Der Saal explodierte. Sämtliche anderen Teilnehmer erhoben sich von ihren Plätzen und applaudierten dem letzten noch lebenden Gründungsmitglied der Ruhmeshalle des Pokerns, dem Mann, der zwei Tage zuvor seinen einundachtzigsten Geburtstag gefeiert hatte. Der Hauch eines Lächelns umspielte seine Lippen, als Moss mit kaum wahrnehmbarem Nicken in der Runde Platz nahm. Schon jetzt sparte er Energie für die langen und kraftraubenden Stunden, die vor ihm lagen.

Und dann war es plötzlich und unerwarteterweise Zeit für London Tony, Golden Holdem, Biograph von Prinzen und Pokerspielern, hier im Horseshoe auf königliche Anordnung, seinen Platz an Tisch Sechs einzunehmen. Ein paar freundlich gesinnte Spieler stießen ein paar ironisch-anerkennende Pfiffe aus, und der Daily Telegraph und die Puppe klatschten dankenswerterweise Beifall, doch die große Zuschauermenge starrte mich sprachlos an, während die anderen Spieler sich achtlos weiter unterhielten. Während die nicht enden wollende Vorstellung aller Teilnehmer weiterging, warf ich einen verstohlenen Blick in die Runde meines nur halb besetzten Tischs und stellte erleichtert fest, dass ich keines der bisher anwesenden Gesichter kannte. Sicherlich handelte es sich bei ihnen um gute Spieler, aber sie waren auch wieder nicht so gut, dass die ganze Stadt wusste, wer sie waren.

Gegen jede Logik wuchs mein Kampfgeist. Was sprach eigentlich dagegen, dass ich das Ding hier gewann? Dann begrüßte Jack Binion unter dem Jubel der Menge einen der letzten verbliebenen Teilnehmer: Ein weiterer der diesjährigen Favoriten, der zweifache Weltmeister Stu the Kid Ungar. Eine winzige Gespenstheuschrecke von vierunddreißig Jahren, aber mit dem Aussehen eines Zwölfjährigen steuerte beunruhigend energiegeladen auf – bitte nicht! – Tisch Sechs zu. Ich musste direkt gegen The Kid antreten. Acht Jahre zuvor, 1 980, feierte ich gerade meinen dreiunddreißigsten Geburtstag mit ein paar ernsthaften Partien $ 3/$ 6- Stud-Poker im Kartensaal des Golden Nugget, als plötzlich die Nachricht von der anderen Straßenseite herüberdrang, dass ein Spieler die Weltmeisterschaft gewonnen hatte, der kaum aus den Windeln war.

Die Neuigkeit hatte auf meine älteren Mitspieler ungefähr die gleiche Wirkung wie die Lava des kurz zuvor ausgebrochenen Mount St. Helens auf die umliegende Landschaft: Gewinner und Verlierer tauschten Blicke aus, die auf einen kurz bevorstehenden Herzstillstand schließen ließen, und ihre herabsackenden Unterkiefer zeugten von einem gemeinschaftlichen Gefühl unsäglicher Schwermut. Obwohl ich damals auch nicht mehr zu den Jüngsten zählte und gerade um ein Jahr gealtert war, rechnete ich mir aus, dass ich immer noch der mit Abstand jüngste Spieler am Tisch sein musste – mich trennten etwa drei Jahrzehnte von allen anderen -, und sahnte die ganze Nacht kräftig ab. Ihr Kids solltet euch lieber einen Job suchen, hatte ein Armeeveteran mit Bürstenschnitt namens Silent Harry mir kurz zuvor noch an den Kopf geworfen.

Ihr solltet arbeiten, statt hier den ganzen Tag herumzuhocken und zu pokern. Das ist kein Leben für einen jungen Menschen. Geh raus und schufte erst mal eine halbe Ewigkeit, ehe du wiederkommst und dich zu uns an den Tisch traust. Ich dagegen beschloss, lieber erst mal für eine halbe Ewigkeit schlafen zu gehen, sammelte meine Chips ein, solange ich noch im Plus war, und dankte The Kid ergebenst, dass seinetwegen sämtliche Oldtimer in der Stadt für mindestens eine Woche psychisch völlig fertig waren. Im Jahr darauf holte Ungar ein weiteres Mal den Titel – und ein weiteres Mal geriet die Welt der alten Knacker bedenklich in Schieflage. Meinen vierunddreißigsten Geburtstag verbrachte ich unter einer Lawine von Chips, als die Vegas-Veteranen einen erbitterten, aber unweigerlich zum Scheitern verurteilten Versuch wagten, die Zeit anzuhalten. Und jetzt saß ich hier, kurz vor Beginn der alles entscheidenden Schlacht, dem absoluten Höhepunkt meines bisherigen Pokerlebens, und befand mich in der letzten Woche meines vierzigsten Lebensjahrs.

Da ich mich schon während der letzten fünf Jahre wie vierzig gefühlt hatte, machte mir dieses Alter an sich nichts aus – ganz im Gegensatz zur Anwesenheit von The Kid, dessen wilde Jahre an der Spitze ihre Spuren auf seiner fahlen Haut hinterlassen hatten. Er war zwar immer noch dünn wie ein Schatten, und seine Handgelenke wirkten so ausgemergelt, dass das Gewicht seiner Weltmeister-Armbänder seine Unterarme förmlich auf den Tisch zu nageln schien. Doch hinter den toten Augen arbeitete sein Verstand messerscharf, und seine grauen Zellen waren wesentlich besser auf die kommenden Herausforderungen vorbereitet als mein Gehirn.

Ich wurde erst aus meinen Träumereien gerissen, als der letzte Teilnehmer an unserem Tisch Platz nahm und überschwänglich begrüßt wurde: Es war kein Geringerer als Telly Savalas, mitsamt Kojak-Glatze, Grabesstimme und einer Nase, die bei Michelangelo auf dem Boden seiner Werkstatt gelandet wäre. Im Kreis anderer Pokerspieler gibt sich dieser bärbeißige Genosse noch am umgänglichsten: Er begrüßte uns alle mit Hallo Pussycats, und die Menge hinter den Absperrkordeln strömte unaufhaltsam in unsere Richtung.

Ich versuchte immer noch, mich an diesen ungewohnten Starrummel zu gewöhnen, als Jack Binion auch schon rief: Allen Teilnehmern viel Glück. Okay – Einsätze auf den Tisch und geben. Die erste Hand erschien, noch bevor ich Zeit hatte, die umwerfende Tatsache zu verdauen, dass vor mir 10 000 Dollar in Plastikchips lagen – und in meinem Fall darauf warteten, verloren zu werden. Ich versuchte, mich nicht allzu sehr von meiner neuen Uhr ablenken zu lassen, und warf einen verstohlenen Blick auf meine Handkarten, in der Hoffnung auf 7 und 2 unsuited (von unterschiedlicher Farbe), die schlechtesten aller möglichen Hold’em-Anfangskarten. Wie gern hätte ich jetzt ohne schlechtes Gewissen gepasst, mir den Schweiß von der Stirn gewischt, meine fünf Sinne beisammengenommen und mir in Ruhe eine Strategie überlegt. Leider lagen vor mir A-10 von Pik, eine Hand, mit der sich durchaus etwas anfangen ließ. Ich saß in einer ungemütlich frühen Position, nur vier Plätze hinter dem Geber, und tat nichts anderes, als Ungars Big-Blind- Einsatz von 50 Dollar zu bringen – was ihn prompt dazu veranlasste, um 300 Dollar zu erhöhen.

Obwohl ich wusste, dass dies eine übliche Taktik unter Profis war – zum einen, um ihre erzwungene Investition zu schützen, zum anderen, um zaghafte Gegner einzuschüchtern -, bezweifelte ich, dass er ein besseres Blatt vor sich liegen hatte als ich. Aus einem Impuls heraus erhöhte ich meinerseits um 500 Dollar. Alle anderen am Tisch passten, bis auf Ungar. The Kid warf mir einen finsteren Blick zu, rollte die Augen in Richtung Savalas und erhöhte erneut, um 1 000 Dollar. Wir spielten die erste Hand des Turniers, und schon war ich auf dem besten Wege, von Kid persönlich vom Tisch verjagt zu werden. Mitten hinein in meine Kalkulationen drängte sich eine Zeile aus Macbeth: Von allen Menschen mied ich dich allein.

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