Im Osten nichts neues mit dem Lotto – auch in der DDR war Vitamin B wichtig

Als die deutsche Politikmaschinerie in den neuen Bundesländern auch das Ost-Lotto abwickelte und das westliche Glücksspielangebot durchsetzen wollte, reichten die Brüder im Westen den Lottoneulingen im Osten hilfreich die Hände. Erst nach der Einführung westdeutscher Standards durften in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg ostdeutsche Manager(innen) das Ruder übernehmen. Das Ergebnis der Überprüfung der ostdeutschen Neugründungen überrascht deshalb kaum: im Osten nichts Neues.

21 Milliarden € Schulden hatte das Land Sachsen- Anhalt Ende 1997. Das ist fast ein ganzer Jahresetat, macht pro Einwohner fast 7700 €. Klar, dass die Landesregierung aus jeder Finanzquelle schöpft. Die sogenannte Konzessionsabgabe aus Toto und Lotto, jährlich rund 25 Millionen €, fließt in Sachsen-Anhalt ohne Zweckbestimmung in den Haushalt ein. Der Zweckertrag aus anderen Spielen – 25 Prozent der Einsätze bei Spiel 77, Super 6, Rubbellotterie – sollte ursprünglich für soziale, gemeinnützige, kulturelle oder sonstige förderungswürdige Zwecke, sofern sie gemeinnnützig sind, verwendet werden. 2550 Anträge gab es zwischen 1992 und 1996, allein 861 im letzten dieser Jahre, mit einer durchschnittlichen Antragssumme von 50 000 €. Um zu entscheiden, wer in den Genuss der Millionen kommt, wurde ein Beirat gegründet, dem ähnlich wie in Rundfunkräten Vertreter der relevanten gesellschaftlichen Gruppen angehören. Er soll für den Aufsichtsrat Empfehlungen erarbeiten, ob ein Antrag gefördert wird oder nicht. Das klingt vorbildlich.

Eine öffentliche Kontrolle über dieses Gremium hinaus ist nicht gern gesehen. Erst auf mehrfache Nachfrage schickte die Lotto-Toto GmbH Sachsen-Anhalt eine Liste mit der Aufzählung einiger geförderter Projekte. Überschrift: Zur öffentlichkeitswirksamen Übergabe der Zuwendungsbescheide. Darin festgelegt ist des Weiteren, welcher Bezirksleiter den Scheck zur Einrichtung tragen darf. Gelegentlich wird er auch von einem Politiker begleitet. Einer von ihnen ist Ulrich-Karl Engel, Abgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, der sich gerne in seinem Wahlkreis als Lottomäzen zeigt. Engel sitzt zudem im Beirat der Lotto- Toto GmbH.

Natürlich wird im Lottobeirat Klientelpolitik betrieben, gibt er offenherzig zu. Aber wenn einer den Bogen überspannt, dann kriegt er von den anderen die Bremse reingehauen. Auch dafür sei die Bank der Entscheider so groß angelegt worden. Doch die Bremse wird selten reingehauen, denn die meisten Empfehlungen treffen die Beiratsmitglieder einstimmig.

Im Beirat sitzen Vertreter der in den Landtag gewählten Parteien, der Ministerien sowie der Wohlfahrtsverbände, des Heimatbundes, des Landessportbundes und der evangelischen Kirche. Da es um viel Geld geht – rund 10 Millionen € pro Jahr -, das an die richtigen Stellen verteilt werden muss, sitzen als Gäste ständig Vertreter des Innen- und Finanzministers jeweils drei Stunden lang dabei, die zwar nicht stimmberechtigt, aber möglicherweise nicht ohne Stimme sind.

Die Entscheidungen richten sich nach folgender Vorgabe: Gefördert werden Vorhaben mit überregionalem Bezug, Modellcharakter oder besonderer Bedeutung für das Land Sachsen-Anhalt. Eine Regelung wie Gummi! Das Prinzip ist also, dass es keines gibt. Aber das sei ja gerade das Prinzip bei Lotto, meint Engel, dass es keine Kriterien gibt. Wir vergeben das Geld nach Nase.Das ist wahr, wobei damit nicht gesagt ist, dass den Entscheidern die Nase des Antragstellers gefallen muss. Beantragen die Tipper aus Sachsen-Anhalt Zweckerträge von ihren Einsätzen für ihre Vereine, so nehmen sie an einer zweiten Lotterie teil: Der Schützenverein 1825 e.V. in Wulferstedt bekam für den Ausbau einer Schießanlage keine €, die Stolberger Schützengilde dagegen einen Zuschuss, ebenso der Schützenverein Preußisch-Börnecke von 1875 e. V. aus Groß Börnecke für seine 38 Mitglieder. Der TC Gräfenheinichen e. V. durfte immerhin 20 000 € zum Neubau einer 3-Feld-Tennisanlage einstreichen, den Antrag des Tennissportclubs Grün-Weiß aus Gadelegen dagegen lehnte der Beirat mit der Begründung nicht überregional ab.

Die evangelische Kirchengemeinde in Tangerhütte musste ihr Pfarrhaus ohne Lottomittel rekonstruieren, das Pfarramt in Brücken dagegen erhielt 100 000 € – die Höchstsumme, die der Beirat vergeben darf. Ein Pfarrer, der ungenannt bleiben möchte, meinte zu seinem abgelehnten Antrag auf Lottomittel: Mit Glück oder einem Lottoonkel als Schwager hätte es vielleicht geklappt. Mehr wollte er dazu nicht sagen, nur so viel noch: Ach wissen Sie, auch in der DDR war Vitamin B schon immer wichtig gewesen.

Die Mildtäter vom Lotto sehen das anders: Wir wollen am liebsten ein dauerhaftes Ereignis fördern, erläutert Engel, am liebsten eine Kirchturmuhr: Die bleibt uns lange erhalten, und man sieht sie. Aber auch diese Regel hat ihre Ausnahmen: Das Kinderfest des Ministerpräsidenten am 12. Juni 1997 wurde mit 40000 € aus dem Lottotopf finanziert, die Landesjugendspiele 1996, bei denen der Ministerpräsident Schirmherr war, mit 80 000 €. Das Amt für Tourismus und Sport in Dessau erhielt 70 000 € für das Weltcupfinale im Trampolinturnen am 15. November 1997, und die Chortage des Deutschen Sängerbundes 1997 wurden mit 60 000 € gesponsert. Die Chortage fanden in Wernigerode statt, dem Wahlkreis Engels.

Doch das sind alles Peanuts im Vergleich zu den Summen, die sich zwei Interessengruppen unter den Nagel zu reißen verstehen: der Sport und die Kirchen. Als mehr als erfolgreich muss die Arbeit des Magdeburger Oberkonsistorialrats Hans-Christoph Sens im Beirat bezeichnet werden. In den fünf Sitzungen des Beirats 1996 konnte er mehr als zweieinhalb Millionen € für Baumaßnahmen an den Kirchen des Landes herausschlagen. Das sind fast 27 Prozent der in diesem Jahr von Beirat und Aufsichtsrat vergebenen Mittel. Nur elf Prozent der Bürger von Sachsen-Anhalt sind dagegen Mitglied der Kirche. In allen fünf neuen Bundesländern zusammen gehört ein Viertel der Bevölkerung der Kirche an. Tendenz: sinkend. Von den Jugendlichen zwischen zwölf und 24 Jahren bekennen sich nur 4,3 Prozent zur Kirche. Die Lottomillionen sind so ein schöner Ersatz für die Kirchensteuern, die Sachsen-Anhalts Bürger der (evangelischen) Kirche vorenthalten. Dass aus den Erträgen der Glücksspirale, die an die Stiftung Denkmalschutz gehen, seit 1990 der größte Teil ebenfalls für den Wiederaufbau der Kirchen im Osten fließt, sei nur am Rande vermerkt.

Im Ruderhaus des SC Magdeburg, Am Wasserfall 8, trafen sich am 6. Juli 1991 um 11 Uhr honorige Damen und Herren, um den einheimischen Sport vor der Westflucht seiner Sportler, vor dem Ausverkauf der Leistungsträger, zu bewahren. Pünktlich zur Mittagszeit war der Vorstand des Trägervereins Olympiastützpunkt Magdeburg/Halle e. V. bestimmt. Zu den Vorstandsmitgliedern gehörte ein Herr aus dem Westen, der es in den folgenden Jahren nicht versäumte, seinen Aufgaben gerecht zu werden: Reinhard Schunke, Abteilungsleiter für Jugend, Familie und Sport im Ministerium für Arbeit, Soziales und Gesundheit. Der Zweck des Vereins geht aus der Satzung hervor: Einrichtung, Mittelbeschaffung und der Betrieb des Olympiastützpunktes Magdeburg/Halle mit den angeschlossenen Trainingszentren zur Optimierung des Trainings und der flankierenden Bedingungen für den/die Leistungssportler/in.

Ende 1992, nach Stasi-Aufdeckungen und Stillstand, übernahm Schunke die Funktion des 1. Vorsitzenden, sein Stellvertreter wurde mit Gerd Henke der Landesgeschäftsführer des Landessportbundes. Beide sind stellvertretende Mitglieder im Lottobeirat. Der Beirat schüttete von nun an sein Füllhorn über dem Trägerverein aus: 100 000 € wurden im Juni 1996 gewährt, obwohl das Sozialministerium bei der Begutachtung zu bedenken gab: Eine detaillierte Prüfung der Angemessenheit der Gesamtkosten sei aufgrund der Antragsunterlagen jedoch nicht möglich.

Für ein Projekt des Landessportbundes Sachsen-Anhalt e. V. durfte Henke am 27. März 1996 gleich selbst abstimmen, indem er im Beirat Platz und Stimme seines Chefs, des Präsidenten des Landessportbundes, Klaus Gottschalk, übernahm. Sport integrativ und sozial heißt das Projekt, dessen Personalkosten Lotto seit 1994 übernimmt. Bei anderen Projekten wird regelmäßig vermerkt, dass keine Dauerförderung erfolgen könne. Mit 140 000 € wird sogar die 100 000-€-Grenze überschritten, die dem Beirat gesetzt ist. Nützlich war dabei sicher auch die zustimmende Stellungnahme des Ministeriums für Arbeit, Soziales und Gesundheit, dem Schunke angehört. Für das Jahr 1996 hatte das Ministeriumsogar eine Förderung in Höhe von 164 800 € befürwortet. Es blieb bei 140 000 €. Allerdings waren die Kosten auch so nahezu gedeckt: Das Bundesinnenministerium gab 232 500 € dazu, das Magdeburger Sozialministerium 5000 € und eine Brauerei 10000 €. Als Eigenmittel hatte der Landessportbund lediglich 10 000 € veranschlagt.

Doch aus den Zweckerträgen bedient sich in Sachsen- Anhalt bis heute auch die Lotto-Toto GmbH selbst: Schon in der dritten ordentlichen Sitzung des Aufsichtsrats vom
19. Dezember 1991 fragte der Vorsitzende, Innenstaatssekretär Peter Mahn, ob die Zweckerträge der Glücksspirale trotz der bestehenden Defizitsituation ausgeschüttet werden müssen. Leider stünden dem Verträge entgegen, wurde ihm beschieden. Der damalige Geschäftsführer Horst-Dieter Finke-Gröne, zuvor in Niedersachsen als Geschäftsführer abberufen, wollte die Zweckerträge sogar gänzlich einfrieren und verzinslich anlegen, bis die Verluste ausgeglichen seien. Der Aufsichtsrat forderte ihn auch tatsächlich auf, einen Antrag auf Begrenzung des Zweckertrags zu stellen. Der heutige Regierungsoberamtsrat a. D. und Mitarbeiter der Lottogesellschaft, Gerhard Bentin, konnte aber schon damals Zusagen, dass das Innenministerium bereit sei, die Erlaubnis zur Kürzung der Zweckerträge zu genehmigen. Die Gesellschaft durfte schließlich fünf Prozent der Zweckerträge einbehalten.

1993 und 1994 erlaubte das Innenministeriumsogar, bis zu zehn Prozentpunkte der Zweckerträge von insgesamt 25 Prozent der Spieleinsätze aus den Lotterien >Spiel 77<, >Super 6< und Rubbellotterie für den Aufbau der Gesellschaft ein [zu] setzen. Ohne diese Erlaubnis, so beteuerte die GmbH, hätte sie kein ausgeglichenes Ergebnis erzielen können. Mit anderen Worten: Die Spielteilnehmer finanzieren den Aufbau der Lotto-Toto-Gesellschaft. Jede andere GmbH hätte dazu Kredite aufnehmen müssen, die sie später verzinst wieder zurückzahlen muss. Nicht so Lotto. Man bedient sich bei den Schwächsten, den Spielteilnehmern, die darüber nicht einmal adäquat informiert, geschweige denn später für ihre unfreiwillige Aufbauhilfe honoriert werden. Für die Spielteilnehmer, von denen im ländlichen Sachsen-Anhalt viele Mitglieder in Vereinen sind, bedeutet dies vor allem: Zur Finanzierung ihrer Vereinsarbeit bleiben weniger Mittel übrig. Da die zur Verfügung stehenden Mittel nicht ausreichen, den Anträgen gerecht zu werden, kommt es zu den willkürlichen Entscheidungen von Beirat und Aufsichtsrat. Die Lottogesellschaft selbst dagegen konnte Anfang 1996 in ein neues Verwaltungsgebäude einziehen. Der Geschäftsbericht vermerkt: Wir weihten das neue Haus am 3. September ein und feierten mit vielen Gästen. Während die Spielteilnehmer um ihren Einsatz für den guten Zweck beraubt wurden, gab die Gesellschaft an anderer Stelle reichlich aus: 1994 wurden zahlreiche Schlüsselpositionen besetzt, darunter sechs Abteilungsleiterstellen. Auch Geschäftsführer Wolfgang Angenendt, aus dem Westen nach Magdeburg gekommen, genoss bereits 1993 die üblichen Bezüge: 256 326,83 €. Eines der wichtigsten Themen der Aufsichtsratssitzungen der Jahre 1994 und 1995 war die Vergütung der Bezirksleiter.

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