Fallbeispiel 5 Lotto in Thüringen – Treue stehen zu unserer Fahne

Wenn er Zeit hat, schaut Thüringens Finanzminister Andreas Trautvetter schon einmal vorbei beim Männergesangverein Concordia 1867 Kleinschmalkalden e.V.. Er singt sogar mit, freut sich der Vorstandsvorsitzende des Vereins, der Ledertaschenhersteller Dieter Roßmann. Zweiter Baß sei der Minister. Die Sänger waren schon zu DDR- Zeiten eine bekannte Truppe und traten sogar im Fernsehen auf. Auch nach der Wende wollten die Einladungen kein Ende nehmen: Roßmann erzählt von Partnerchören, etwa einem in Hessen, die man besuche. Auf einen Auftritt im ZDF 1997 ist Roßmann besonders stolz. Wer sich öffentlich präsentiert, muss auch anständige Klamotten haben. Dass man bei Lotto für solche Zwecke Mittel bekommen konnte, so Roßmann, sprach sich bei den Vereinen schnell herum. Und dies, obwohl von seiten der Ministerien über Förderfälle keine Auskunft gegeben wird, wie Finanzpressesprecher Patrik Kraulich behauptet. Das unterliegt dem Datenschutz.

Die Vereine wussten dennoch schnell, wen sie in die Pflicht nehmen mussten: im günstigsten Fall einen hohen Politiker beim Frühschoppen. Wir haben uns an den Minister gewandt, erinnert sich Roßmann. So informiert, habe man die nötigen Anträge ausgefüllt und bei den Sängern selbst den Hut kreisen lassen, weil auch ein Eigenanteil gefordert sei. Am 26. Juni 1995 kam dann der Bescheid: 16 000 € genehmigte Finanzminister Trautvetter seinem Gesangverein für die Ausstattung der Sängertruppe mit Trachtenanzügen.

5,25 Prozent der Wetteinsätze, jährlich rund 8 Millionen €, erhält in Thüringen der Landessportbund, 3 Prozent (4,5 Millionen €) die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege. Weitere rund 20 Millionen € flössen nach den Vorgaben des Thüringer Staatslotterie- und Sportwettengesetzes in diesem Jahr als sogenannter Restbetrag aus der Suhler Fröhlicher-Mann-Straße in die Erfurter Landeskassen. Dieses Geld sollen der Ministerpräsident und die Minister zur Förderung kultureller, sozialer, umweltschützerischer und sportlicher Zwecke verwenden.

Einen bestimmten Prozentsatz dieser Mittel teilen sich die Minister und der Ministerpräsident in einer Kabinettssitzung auf und sichern sich damit eine Kasse, aus der sie Millionen von € wie ein Karnevalsprinz seine Bonbons beliebig unters Volk werfen dürfen. Weil die Verteilung intern geregelt ist, kann hier nicht einmal der Rechnungshof ein Auge darauf werfen. In sorgsam gehüteten Listen wiesen die Ministerien 1994 und 1995 die Verwendung von jeweils knapp acht Millionen € für solche Zwecke nach. Der Rest von zwölf Millionen € ist im Haushalt verschwunden.

Handlungsbedarf sah hier zu Recht die PDS-Opposition im Landtag; sehr fragwürdig erschien ihr darüber hinaus diese Verteilung von Geschenken. Tamara Thierbach und ihrer Fraktion gefiel nicht, dass die Minister ihre Anteile aushandeln wie auf einem asiatischen Basar und dass die Mitglieder des Kabinetts dann selbständig entscheiden, wann wer wo Lottomittel bekommt. Doch ihr Antrag auf eine Änderung des Lottogesetzes und eine verbesserte Verwendung der Überschussmittel wurde 1996 von den Regierungsparteien verworfen.

Umweltminister Hartmut Sieckmann verteilte für Vereinsfahnen des Bergmannsvereins Glück Auf Unterbreizbach 2971,52 und wenige Wochen später noch einmal fast 6000 € für Bergknappen, Verwendungszweck kulturell. Auch andere Ministerien rüsteten ganze Heere von Vereinen mit Fahnen und Trachten aus. Justizminister Otto Kretschmer bewies Vielseitigkeit: Er schenkte dem Tauziehverein Schweina 1990 e. V. 1000 € für die Anschaffung eines wettkampffähigen Zugseils und der Thüringer Philharmonie 5000 € für einen Konzertflügel. Ob in diesem Fall zutrifft, dass Antragsteller in Thüringen nicht zum zuständigen Minister gehen, sondern zu dem, den sie kennen, konnte hier allerdings nicht geklärt werden.

Dank Wirtschaftsminister Jürgen Bohn konnten sich die Ambulanten Herzgruppen 1986 Zella Mehlis e.V. einen Saunaofen kaufen, der Oberhofer Briefmarkenverein Erinnerungsmedaillen. Doch nicht immer sind die Spenden so klein und so uneigennützig. Auch die Minister in Thüringen wissen, wie nützlich solch eine Kasse sein kann. Andreas Trautvetter etwa stattete 1995 nicht nur seinen Männergesangverein aus, sondern unterstützte aus seiner Lottokasse auch neun weitere Vereine und Institutionen in seinem Wahlkreis Schmalkalden/Meiningen II mit 4000 bis 20 000 €.

Peanuts? Freilich. Aber die Vereinsmitglieder sind auch Wähler und werden schon, wenn’s darauf ankommt, daran denken, wer sie alimentiert hat. Annähernd ein Drittel der von Trautvetter selbst positiv beschiedenen Anträge dieses Jahres, 118 000 von 385 000 €, verteilte der Minister und Kreisvorsitzende der CDU Schmalkalden-Meiningen im Jahr nach der Landtagswahl in seinem Beritt und belohnte damit seine Schmalkaldener für genau 50,1 Prozent der Stimmen. Thüringen hat aber nicht nur Trautvetters, sondern 44 Wahlkreise.

Alle Thüringer Ministerinnen und Minister – sofern sie aus den neuen Bundesländern stammen – neigten dazu, ihre Lottomittel in einem überdurchschnittlichen Maß in ihre Wahlkreise zu pumpen. Die damalige Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten, Christine Lieberknecht (CDU), wie Ministerpräsident Bernhard Vogel und Wirtschaftsminister Franz Schuster (bis 1994 Innenminister) früher bei der Konrad-Adenauer-Stiftung tätig, sah von ihrem Sessel in Erfurt aus nicht nur in die weite Welt, sondern vergaß auch nicht ihren Wahlkreis Weimar und Umgebung. Ein Drittel ihrer positiven Bescheide verschickte sie 1994 dorthin.

Am 15. November 1993 konstituierte sich in Erfurt die Europäische Bewegung Thüringen e. V. als Teil der Europäischen Bewegung Deutschland. Ziel des Vereins: die fortschreitende Integration in ganz Europa. Erste Vorsitzende des Vereins wurde Christine Lieberknecht, damals wie erwähnt Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten. Ihrem Verein genehmigte sie aus ihrem Lotto topf sofort 20 000 € Zuschuss zur Erstausstattung des neuen Büros (Computer, Möbel, Schreibunterlagen). Obwohl die Mittel des Vereins laut Satzung weder für unmittelbare noch mittelbare Unterstützung und Förderung politischer Parteien verwendet werden dürfen, schaltete der Verein vor der Europawahl in mehreren Thüringer Zeitungen Anzeigen mit dem Titel Hier ist Europa – Europa ist hier. Das Geld hierzu kam ebenfalls aus dem Lottotopf der Ministerin und ist in den internen Listen als Zuschuss für Wahlaufruf bezeichnet.

Und auch wenn das Kuratorium Schloss Ettersburg 30 000 € für seine Kulturwerkstatt oder 3000 € für vier Adventskonzerte erhält, dann fördert Christine Lieberknecht ihren Verein – sie ist dort 1. Vorsitzende. Wenn sie dem Albert-Schweitzer-Gymnasium in Erfurt 4500 € für eine Fahrt nach Brüssel beziehungsweise in die Picardie zukommen lässt, wie im Oktober 1994 geschehen, hilft sie einem Parteifreund. Vermutlich würden gerne auch andere Schulen sich ihre Fahrten aus diesen schwarzen Kassen bezahlen lassen, aber nicht jede Schule hat einen Direktor, der wie Manfred Wöhlgefahrt der Erfurter Stadtratsfraktion der CDU angehört, also Parteifreund Lieberknechts ist.

Auch die Wahlkreise Eichsfeld I und II um die Städte Heiligenstadt und Worbis hatten ihren Förderer, jedenfalls so lange, wie Dieter Althaus Kultusminister war, also bis 1994. Mit den üblichen bescheidenen Geschenken wurden etwa der 1. SV Kraftverkehr 1963 Heiligenstadt e. V. oder auch die Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg Uder bedacht:

2000 beziehungsweise 3000 €. Richtig groß stieg Althaus dann beim Förderverein der thüringischen Bläserphilharmonie e. V. Heiligenstadt ein. 80 000 € machte der Kultus-minister 1994 für ein Projekt Schul-, Kinder- und Jugendkonzerte in Nordthüringen locker, das ein Förderverein auf die Beine stellen sollte. Eine Summe, die in Thüringen, wo Lottomittel eher mit der Gießkanne – allerdings meist über ausgesuchten Objekten – verteilt werden, eine ausnehmend hohe Summe darstellt. 1995 gab es noch einmal 30 000 €.

Bei der Gründungsversammlung des Fördervereins vom 20. Februar 1993 steht Althaus’ Name auf der Teilnehmerliste an erster Stelle. Mit der Zuteilung von Lottomitteln kam er als Mitglied des Vereins seiner satzungsgemäßen Pflicht in voll befriedigender Weise nach: Die Mitglieder sind verpflichtet, den Verein und den Vereinszweck […] in ordnungsgemäßer Weise zu unterstützen.
Die Thüringer Bläserphilharmonie, ehemals 28 Köpfe stark, hatte eine große Tradition in der DDR. Insbesondere die Schülerkonzerte waren eine Institution. Der Förderverein sollte versuchen, den Verein aufzufangen, wie Klarinettist Reinhard Lauterberg erläutert. Solch prominente Politiker zu kennen sei da schon nützlich.

Gerne schicken die Ministerinnen und Minister auch ihre Parteifreunde zu den medienwirksamen Übergaben von Schecks aus ihrem Haus. Der Erfurter Zoodirektor Norbert Neuschulz, die Shire-Stute Fashion und das Fohlen Quintus etwa bildeten das Empfangskomitee, als die SPD-Landtagsabgeordnete Birgit Pelke im Auftrag des Innenministers 20 000 € zum Ausbau der Festwiese und des Schaubauernhofs überreichte. Dass die Wahl des Ministers für diese ehrenvolle Aufgabe auf Pelke fiel, hatte seine Gründe: Der Zoo liegt nicht nur in Pelkes Wahlkreis, sondern sie ist auch als Mitglied im Verein der Zoofreunde die Pächfrau der SPD in Tierparkfragen.

Die Westimporte in Thüringens Ministerien pflegen dagegen eine ganz andere Klientel: Treue steh’n zu uns’rer Fahne wir Sigfriden Hand in Hand. Stets sei unser heißes Streben: Freiheit unserm Vaterland! So singen die Mitglieder der katholischen Burschenschaft Sigfridia bei ihren Kommersen, Stammtischen und Gartenfesten im Burschenhaus. Doch die Sigfriden begnügen sich nicht mit Saufen und Singen in vollem Wichs. Die Sigfriden wollen Impulse zur demokratischen Erneuerung Deutschlands aussenden.

Es gibt größere Burschenschaften als die >Sigfridia<, will am Telefon im Burschenhaus eine Frau Bischof schon zugeben, die, wie sie sagt, die Burschen betreut. Aber es komme ja auch darauf an, was man tue. Die katholische deutsche Burschenschaft Sigfridia zu Bonn tut etwas, und zwar seit 1990 jedes Jahr: Sie veranstaltet die Wartburggespräche zu Eisenach. Da werde diskutiert, erklärt Frau Bischof, und natürlich gebe es abends auch einen Kommers. Ja, das alles koste eine Menge Geld, will sie bestätigen, zumal Gäste aus Litauen, Polen und Rußland kämen. Aber von Lottogeldern hat die Dame noch nichts gehört. Nach der nächsten Frage aber ist Schluß mit der Freundlichkeit: Nein, eine Mitgliederliste wolle sie nicht verschicken, das sei ihr zu gefährlich. 58 950 € hat Franz Schuster, Wirtschaftsminister in Thüringen, der Sigfridia 1995 zugeschustert. Als Verwendungszweck ist in den einschlägigen Listen angegeben: . Wartburggespräch. Vielleicht war das der Grund, weshalb die Dame lieber keine Namen nennen wollte. Denn Schuster ist eines von 190 Mitgliedern (40 Studenten und 150 Berufstätige) bei der Sigfridia. Auch der Name des Oberbürgermeisters von Eisenach, Hans-Peter Brodhun, und der des Landrats, Martin Kaspari, werden in der Mitgliederliste der Sigfridia aufgeführt. Man habe sie gerne aufgenommen, als sie dies wünschten, erklärt Philisterconsenior Franz Gelhaus, der Chef der alten Herren des Rings katholischer deutscher Burschenschaften. Wir sind froh, wenn sich Menschen für unsere gemeinsamen Ideale ein- setzen. Und die sind? Die europäischen Fragen, so Gelhaus, müssten aktualisiert werden.

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