Das Leben eines Spielers richtig verstehen und neue Pokerstrategien lernen Teil I

Während unserer Kindheit bekamen mein Bruder und ich in regelmäßigen Abständen eine Moralgeschichte aus der Jugend unseres ansonsten untadeligen Vaters zu hören. Als er aus dem Krieg zurückkehrte, dessen Ende er in Ostafrika erlebt hatte, verlor der siebenundzwanzigjährige Major John Holden aus dem Lancashire Regiment noch auf dem Truppentransporter 50 Pfund beim Pokerspiel – fünfzig Pfund, praktisch sein gesamtes Erspartes, das er während der langen Jahre in der Ferne hatte zurücklegen können. Bei dem Gedanken daran wurde unsere Mutter, die ihn 1 940 geheiratet hatte, noch jedes Mal blass im Gesicht.

Und obwohl bei unserer Familie am Wochenende gerne die Karten auf den Tisch kamen, war Pokern daher strengstens verpönt. Stattdessen spielten wir all die üblichen britischen Kartenspiele für Kinder, teilweise mit moderaten Einsätzen: Hearts, Racing Demon, Newmarket, Canasta und zahlreiche Patience- Varianten. Aber in allererster Linie waren meine Eltern begeisterte Amateur-Bridgespieler, die eifrig die sonntäglichen Bridgekolumnen in der Zeitung studierten und bis an ihr Lebensende einmal wöchentlich in Kleingeldrunden spielten. Doch eines Sonntags Mitte der siebziger Jahre, während eines Besuchs bei meinen Eltern in Lancashire, äußerte sich meine Mutter äußerst unzufrieden über meine miserablen Leistungen als Bridgepartner. Ich bot ständig zu hoch, verstieß gegen die wenigen Regeln, die ich kannte, und ließ meine Partner mit schöner Regelmäßigkeit im Stich. Ich versteh das nicht, rief sie irgendwann. Du hast doch so ein Händchen für Karten.

Und auf diese Weise kam mein Geheimnis ans Licht: Ich war in London einer wöchentlichen Pokerrunde beigetreten, was mich für alle anderen Kartenspiele verdorben hatte. Vor allem für Bridge. Ich bot deswegen dauernd zu hoch, weil ich schlicht und einfach nicht der Dummy sein wollte. Worin bestand der Sinn eines Spiels, wenn man dann doch nicht zum Zug kommt? Außerdem mochte ich keine Spiele, bei denen ich einen Partner hatte, gestand ich. Pokerspieler sind ihr eigener Herr, allein für ihr Schicksal verantwortlich und unabhängig von Partnern, Konventionen und anderen spießbürgerlichen Verfeinerungen guter, ehrlicher Glücksspiele. Das Pokerspiel ist die Verkörperung des Musketiermottos, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen: Keiner für alle und jeder für sich (und wenn man schon mal dabei ist, kann man dem Kerl, der am Boden liegt, ruhig noch einen Tritt verpassen). Alles Gründe, warum Pokerspieler in der Regel lausige Bridgespieler sind und umgekehrt.

Es nutzte mir wenig, meinen Eltern mit einem Zitat von Somerset Maugham zu kommen – selbst wenn es der locus classicus zu diesem Thema ist. In seiner Kurzgeschichte Straight Flush lässt Maugham einen seiner weltverdrossenen alten Knacker hervorstoßen: Da reden sie von Kricket und Baseball, von Golf und Tennis und Fußball. Alles Unsinn; das sind Spielereien für Kinder. Ist es eines erwachsenen Menschen würdig, hinter einem Ball dreinzurennen, frage ich Sie? Ein erwachsener Mann soll Poker spielen. Das einzige Spiel. Da heißt es einer gegen alle und alle gegen einen. Mannschaften? Wer hat je ein Vermögen gemacht, wenn er sich mit anderen zusammentat? Es gibt nur eine Art, ein Vermögen zu machen, nämlich die, denjenigen, der sich einem in den Weg stellt, unterzukriegen.

Doch diese literarische Begründung stieß damals nicht auf offene Ohren; stattdessen bekam ich die Jugendsünde meines Vaters ein weiteres Mal aufgetischt. Allerdings entdeckte ich ein wehmütiges Funkeln in seinen Augen, als er mich fragte, um welche Einsätze wir denn spielten. Konnte ich mir das Spiel überhaupt leisten? Wer waren die anderen Spieler? War ich gut genug, um meinen glatten Ruin zu vermeiden? In den verbleibenden zehn Jahren seines Lebens verging nicht ein Elternbesuch, bei dem mein Vater sich nicht nach meinen Fortschritten beim Poker erkundigt hätte. Irgendwie drängte sich mir das unbestimmte Gefühl auf, wenn er nicht den Zorn meiner Mutter gefürchtet hätte, hätte er mich gefragt, ob er nicht in unser Spiel einsteigen könnte.

Die Pokerrunde, von der ich meinem Dad an jenem Abend erzählte und in der ich zwanzig Jahre später noch immer jede Woche spiele, ist bei ihren habitues als das Tuesday Night Game bekannt und hat sich unter dieser Bezeichnung in Londoner Pokerkreisen einen gewissen Ruf erworben. Im Laufe der Jahre scheinen die Einsätze schneller in die Höhe geschossen zu sein als die Inflation. Allerdings lagen sie schon immer so hoch, dass Verlieren richtig wehtut, dass man sich ernsthafte Sorgen über die Hypothek macht, über die Monatsraten für den Wagen, das Schulgeld der Kinder, das Finanzamt – und so soll es schließlich auch sein. Im Jahr 1 970 (ich kam damals frisch von der Universität, war angehender Journalist und frisch verhandelt mit einer jungen Dame namens Amanda, meiner späteren ersten Frau) bekam ich es wirklich knüppeldick zu spüren.

Bei meiner allerersten Teilnahme an der Dienstagabendrunde verlor ich – und das habe ich meinem Vater nicht erzählt – einhundert Pfund. Das Ganze war wie eine Wiederholung seiner tragischen Rückkehr aus dem Krieg. Einhundert Pfund! Für den stellvertretenden Watford-Korrespondenten des Hemel Hempstead Evening Echo war das mehr als ein Monatslohn, und zwar noch vor Steuern – eine solch gewaltige Summe, dass ich einen vordatierten Scheck ausschreiben und sofort gehen musste, wobei ich mich selbst nur unwesentlich mehr blamierte als den Mann, der mich in die Runde eingeführt hatte.

Und wer war dieser Verführer der britischen Jugend, dieser doppelzüngige Demagoge, dieser findige Fagin, ständig auf der Suche nach dem nächsten Artful Dodger? Er war mein literarischer Held, einer von Großbritanniens schärfsten Lyrikkritikern der Nachkriegszeit, ein Dichter und Romancier, ein Mann, den ich stolzerfüllt als meinen Freund bezeichnete. Ich hatte ihn 1 968 kennen gelernt, als selbsternannter Kampagnenleiter für seine Berufung zum Professor für Lyrik an der Universität Oxford, wo ich als Herausgeber der Studentenzeitschrift Isis tätig war. Wir verloren die Wahl haushoch, blieben danach aber in Kontakt. Während unsere Freundschaft wuchs, entdeckten Al Alvarez und ich jedoch schon bald, dass wir uns statt über Poesie lieber übers Pokern unterhielten – und dass wir, statt übers Pokern zu reden, noch viel lieber Poker spielten. Al spielte bereits seit über zehn Jahren im Tuesday Night Game, als er eines Tages vorschlug, ich solle ihn doch mal begleiten.

Ehrlich gesagt, jagte mir die Vorstellung einen Riesenschreck ein. Seit meiner Zeit in Oxford hatte ich nicht mehr gepokert, und auch damals hatte es mir immer am nötigen Kleingeld gefehlt, um mit den großen Jungs mitspielen zu dürfen. Ich war nach wie vor ziemlich mittellos, frisch verheiratet und ein Pokerneuling. Aber wir befanden uns schließlich in einer Männerwelt, und ich war ein zu großer Grünschnabel, um mir einzugestehen, dass ich noch ein Junge war. Die Pokerrunde fand reihum bei den Spielern statt und sollte in dieser Woche in Hampstead Garden Suburb ausgetragen werden, im Haus eines Mannes namens Bernie. Al und ich vereinbarten, dass er mich um 19.30 Uhr abholen würde.

Mit wachsender Bestürzung verbrachte ich den ganzen Tag damit, das Protokoll der letzten Sitzung vom Gesundheitsaus-schuss des Watford Council zu studieren. Und als der Nachrichtenredakteur des Echo mich am Telefon fragte, wo meine Story blieb, musste ich gestehen, dass ich keine einzige hatte finden können. Unsinn, meinte er, da wären doch Dutzende von Geschichten, wenn ich nur genau hinsehen würde. Insgeheim musste ich ihm Recht geben: Als Watford-Korrespondent war ich mindestens so mies wie als Pokerspieler. Nach Feierabend fuhr ich langsam nach London zurück und betete um eine göttliche Intervention.

Gegen sieben Uhr abends schien diese auch tatsächlich Gestalt anzunehmen. Das Telefon klingelte, und als ich abnahm, verkündete Al am anderen Ende der Leitung leicht genervt: Bernie ist gerade vor seiner Haustür ausgerutscht und hat sich das Schlüsselbein gebrochen. Oje, sagte ich und stieß innerlich einen riesigen Seufzer der Erleichterung aus. Dann ist das Spiel also abgesagt? Natürlich nicht! Wir suchen im Moment nur nach einem Ausweichquartier. Wie wär’s denn bei dir? Und so geschah es, dass dieser bunt zusammengewürfelte Haufen von Gaunern und Vagabunden etwa eine Stunde später vor meiner Haustür stand. Ein besonders großer Amerikaner versetzte mich dermaßen in Angst und Schrecken, dass ich ihm die dümmste Frage stellte, die ich jemals einem Gast gestellt habe, der gerade an meinem Küchentisch Platz genommen hat: Und, haben Sie gut hierher gefunden?

Klar, erwiderte er herzlich, ich war früher oft bei Reg und Ron zu Besuch. Die haben hier in der Straße gewohnt. Auf diese Weise erfuhr ich, dass die Kray-Zwillinge, Englands meistgefürchtete Verbrecher der Swinging Sixties, meine ehemaligen Nachbarn gewesen waren – genauer gesagt, ihre Puppen hatten hier gewohnt. An den Verlauf des Abends erinnere ich mich nur noch schemenhaft. Nur eine Situation ist mir im Gedächtnis geblieben: Zu fortgeschrittener Stunde steckte Amanda kurz den Kopf durch die Küchentür, zog ihn aber sofort wieder zurück, als der Kumpel der Krays knurrte: Wer ist das Weibsbild? Es reicht wohl, wenn ich sage, dass ich den Abend überlebt habe. Aber fragen Sie mich nicht, wie. Ich vermute, die Jungs hatten Mitleid mit mir – einem ausgemachten Amateur, dessen bescheidenes Heim sie okkupiert hatten und der nun erbärmlich stotternd hervorstieß: Oh ja, bitte, greift ruhig zu und nehmt euch alles, was noch von unseren mageren Frühstücksvorräten übrig ist.

Daher habe ich diesen Abend nie als mein richtiges Debüt im Tuesday Night Game betrachtet. Erst in der darauf folgenden Woche bei Bernie – dessen Kopf inzwischen sicher von einer Halskrause gestützt wurde – verlor ich die hundert Pfund. Das war der Anfang und (für eine Weile) auch das Ende meiner Mitgliedschaft in der Dienstagabendrunde. Allerdings kam es dadurch zu einem denkwürdigen Gedankenaustausch zwischen mir und meinem angeblichen Freund Alvarez. Ich verspürte das Bedürfnis, mich für die Blamage, die ich ihm bereitet hatte, zu entschuldigen und schrieb dem großen Kritiker folgenden Vierzeiler:
Hundert verlor ich, denn ich trieb’s zu bunt; das sag ich dir offen und ehrlich.
Drum erzähl meinem Schatz nur von dreißig Pfund, sonst wird es für mich sehr gefährlich.

Mit der Post kam umgehend folgende Antwort:
Selbst dreißig Pfund sind schon zu bunt. Nennst du ihr die, wird sie gehn. Hör meinen Rat, mach die Summe schön rund und teil die Hundert durch zehn.

Anfang der siebziger Jahre stattete ich der Dienstagabendrunde in unregelmäßigen Abständen einen Besuch ab. Doch da mir dort jedes Mal das Herz bis zum Halse schlug, absolvierte ich meine Lehrzeit lieber in einer weniger nervenaufreibenden Londoner Pokerrunde. Diese setzte sich – wie es bei jedem wöchentlich stattfindenden Spiel sein sollte – aus einer Gruppe höchst unterschiedlicher Leute zusammen, hauptsächlich aus der Medienbranche, so wie ich selbst, und ein paar Musikkritikern. Leser gehobener britischer Kunstzeitschriften mögen jetzt vielleicht überrascht sein, aber Stephen Walsh und Dominic Gill waren die größten Gauner vor dem Herrn. Und genau von diesen beiden Männern und ihren Freunden bei Presse, Funk und Fernsehen lernte ich alles über Quoten, Bluffs, Frechheit und miese Tricks. Wir spielten alle möglichen und unmöglichen Pokervarianten, viele davon mit Jokern – ein Gräuel für Puristen, ich weiß.

Zwanzig Jahre danach kann Gill sich immer noch an die Einzelheiten einer bestimmten Hand beim Prostitute erinnern – ein Spiel, von dem ich selbst den Namen vergessen hatte. Die unternehmerische Ader, die Dominic zu einem guten Pokerspieler werden ließ, machte sich auch in anderen Bereichen seines Lebens bemerkbar: Der Autor diverser Musikwälzer, darunter das Standardwerk Das große Buch vom Klavier, ist gleichzeitig Herausgeber von Loot, einer enorm erfolgreichen Zeitung, die ausschließlich aus Kleinanzeigen besteht. Dagegen ist der mehr der Wissenschaft zugeneigte Stephen seit vielen Jahren als Dozent am Fachbereich Musik des University College in Cardiff tätig.

Als überarbeiteter und unterbezahlter Vater von vier Kindern musste er irgendwann seinen Pokerzeiten Adieu sagen, doch genau wie früher mein Vater bekommt er jedes Mal ein wehmütiges Funkeln in den Augen, wenn ich von meinen Pokerdienstagen erzähle. Die Runde fiel schließlich auseinander, weil sich die Lebensumstände der Mitglieder veränderten. Als Stephen heiratete, wurde Dominic plötzlich zum alleinigen Eigentümer der Wohnung in Notting Hill, in der die meisten unserer Partien stattgefunden hatten. Nachdem ich ein paar diskrete Nachforschungen angestellt hatte, musste ich zu meiner Enttäuschung feststellen, dass es sich dabei um eine reguläre finanzielle Transaktion gehandelt hatte und nicht um die Begleichung von Spielschulden.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich allerdings bereits meine eigene Freitagspokerrunde ins Leben gerufen, deren Kern die Musiker- Diaspora Londons bildete. Durch Weiterempfehlung und Mundpropaganda versammelte sich von nun an jede Woche eine andere, bunt zusammengewürfelte Melange aus menschlichem Strandgut an meinem Küchentisch im Norden Londons. Einer der Spieler, so hatte man mir berichtet, arbeitete in einem Wettbüro. Dieser eher ungepflegt wirkende Jugendliche mit langen, strähnigen Haaren war der Einzige von uns, der schmuddlige Geldbündel mit aufgerollten Zehn-Pfund-Noten aus der Tasche holte, statt zur Begleichung von Spielschulden sein Scheckbuch zu zücken. Eines Freitags traf er als Erster bei mir ein, und ich musste mich doch tatsächlich mit ihm unterhalten – zum ersten Mal seit zwei Jahren, also praktisch seitdem wir uns kannten. An jenem Abend habe ich ziemlich viel Geld verloren: Ich war wie vor den Kopf gestoßen, als ich erfuhr, dass er noch nie auch nur einen Fuß in ein Wettbüro gesetzt hatte. Er arbeitete als Statistiker im britischen Kabinettsamt.

Damals schrieb ich die Tagebuchkolumne der Sunday Times, ein ziemlich umfangreicher Text, der die gesamte Rückseite des ersten Teils der Zeitung einnahm. Obwohl ich meine wöchentliche Arbeit bis Freitagabend erledigt haben musste, war ich verpflichtet, am nächsten Morgen früh im Büro zu erscheinen, um den Druckvorgang meiner Seite zu überwachen – damals noch mit Druckerschwärze und Druckplatte, heute leider durch neuere Technologien ersetzt. Das erforderte jedoch, dass ich am Samstagmorgen halbwegs wach war, wobei meine kreative Ader noch weiterdösen durfte. Angesichts der Schwierigkeiten, die jeder Gastgeber kennt, der ein Pokerspiel beenden möchte – die Gewinner zählen ihre Chips, und die Verlierer flehen ohne Unterlass nur noch ein Stündchen spielte ich lieber die ganze Nacht durch und ging am nächsten Morgen direkt vom Küchentisch ins Büro.

Wenn ich dann mit verquollenen Augen dort auflief, lachten die Drucker mit den schwieligen Händen wissend in sich hinein: Auch wenn Pokern für unterdurchschnittliche Leistungen im Alltag sorgt, stößt dieses Spiel bei Männern immer auf große Zustimmung. Selbst mein Redakteur, Harold Evans, legte eine überraschend nachsichtige Haltung an den Tag, nicht zuletzt deshalb, weil er sich selbst auch gerne als Pokerspieler sah: Ich hab schon mal Art Buchwald Geld abgeknöpft. Dieses stillschweigende Einverständnis galt auch fünf Jahre später noch, auf einem etwas höheren Level, als ich Evans’ Stellvertretender Chefredakteur beim Feuilleton der Times wurde – und inzwischen regelmäßig beim Tuesday Night Game mitmischte. Bei der mittwochmorgendlichen Redaktionssitzung, bei der ich eigentlich vor Ideen nur so hätte sprudeln sollen, führte ich mich schon in der ersten Woche gut ein, als ich nämlich während der Diskussion über den Europäischen Währungsfonds einnickte.

Bald wusste die gesamte (und durchgehend männlich besetzte) Redaktion, dass sie eventuelle Anfragen mittwochmorgens an meine Mitarbeiter richten musste und mich am besten in einer Ecke dösen ließ, wobei sich meine Beiträge auf gelegentliche Ausrufe wie Passe! oder Ich erhöhe! beschränkten – ein Feuilletonredakteur mit der geballten Autorität der Haselmaus von Alice im Wunderland. Nachdem ich den gefürchteten Pokerdienstag jahrelang gemieden hatte, entwickelte ich 1 978, nach einem neunten Platz bei den British Open Poker Championships, endlich genügend Selbstvertrauen, um mich dieser Pokerrunde regelmäßig anzuschließen.

Diese erste offene britische Pokermeisterschaft fand in Birmingham statt, in einem Casino namens Cromwell’s (es sollte übrigens auch die letzte sein, da das Casino im darauf folgenden Jahr geschlossen wurde). Ich fuhr mit dem Zug von London nach Birmingham – und spielte natürlich die ganze Fahrt über Seven-Card Stud, zusammen mit dem harten Kern der Dienstagabendrunde: ein Dichter, ein Maler, ein Philosoph und ein Bühnenautor. Der Juwelier, der Immobilienmakler und der, ähem, Bankier wollten mit dem Wagen nachkommen.

Am Samstagmittag versammelten wir uns (allesamt stocknüchtern) in einem schauderhaften unterirdischen Raum, einer Art Designer-Hades aus Hochflor und grünem Filz. Die Londoner Profispieler drückten sich an den Wänden und in den Ecken herum, um nicht erkannt zu werden. Dagegen ließen sich die Amateure leicht ausmachen: Es waren die schlichten, freundlichen Gemüter, die sich selbst vorstellten, ihr Gegenüber zu einem Drink einluden und sogar viel Glück wünschten – und natürlich waren sie die Einzigen, die die von den Veranstaltern verteilten grünen Sonnenbrillen auch tatsächlich aufsetzten. Dem Ereignis ging eine Auktion voraus, bei dem die Spieler einander oder auch sich selbst kaufen konnten, in der Hoffnung, dicke Prozente einzustreichen, falls sie einen Gewinner erworben hatten. Der Einsatz war bereits auf über zweitausend Pfund geklettert, als der Auktionator einen potenziellen Champion namens Babyface vorstellte; und als sich tatsächlich irgendein Trottel bereitfand,
£ 2 000 für diese faszinierende Figur hinzublättern, stellte sich heraus, dass ich damit gemeint war.

Zwei Tage kämpften wir verbissen um den Titel – wobei die Beträge, die während der nächtlichen Pokerpartien am Rande der Veranstaltung im Grand Hotel über den Tisch gingen, das eigentliche Preisgeld lächerlich gering erscheinen ließen. Ganz im Las-Vegas-Stil bot das Grand an jenem Wochenende den Pokerspielern seine Zimmer zu Sonderpreisen an – eine nett gemeinte, aber völlig idiotische Geste angesichts der Tatsache, dass man mit den meisten der Pots, die in meiner palastartigen Buckingham Suite ausgespielt wurden, den ganzen Schuppen hätte kaufen können. An diesem Wochenende gab es in Groß-britannien eine Regierungsumbildung sowie zahlreiche Feierlichkeiten zum dreißigsten Geburtstag des Prince of Wales. Doch keines dieser Ereignisse war Grund für die hitzigen Debatten, die überall im Hotel geführt wurden – in den Bars, im Aufzug, in den rauchgeschwängerten Toiletten. Es gab nur ein Thema, Pokern – und meistens diskutierten die Verlierer.

Damals machte ich auch erstmals Bekanntschaft mit einer anderen unvergänglichen Pokerweisheit: Über denkwürdige Hände spricht man immer in der
Gegenwartsform – egal, wie lange sie schon zurückliegen. Der Flop kommt, und ich hab ’nen Drilling. Da muss ich natürlich erhöhen. Was macht der Idiot? Er geht mit, bleibt auf dem Turn dabei und kriegt prompt seinen Zufalls-Straight zusammen. Gegen so ein Fallglück bist du einfach machtlos. Außerdem lernte ich zwei Amateur-Binsenweisheiten zu durchschauen, die jeder Profi als falsch widerlegen kann: dass eine Niederlage immer die Schuld der Karten, nie die Schuld des Spielers ist, und dass die Person, die einen schlägt, entweder ein Idiot sein muss oder pures Glück hat.

Diese abgebrannten Aufschneider werden dem Pokern fürs Leben abschwören – und sich nur Stunden später bei dir erkundigen, wo hier ein ordentliches Spiel stattfindet. Sie haben alle eine lebenslange Mitgliedschaft im Club der Zwanghaften Pokerspieler und leben nach dem denkwürdigen Motto von Nick dem Griechen: Es gibt nur eins, was fast so gut ist wie Spielen und Gewinnen – Spielen und Verlieren. Es sollte nicht lange dauern, bis auch ich mich ihrem Verein anschloss.

In Birmingham stand einiges an Tuesday-Night-Machismo auf dem Spiel. Indem ich als Turnierbester unserer Dienstagabendrunde unsere interne Nebenwette gewann, sicherte ich mir ein klein wenig von dem Respekt, den ich so dringend benötigte, um daheim in London über die Runden zu kommen. Seit dieser britischen Meisterschaft gehöre ich, abgesehen von einem dreijährigen Aufenthalt in Amerika, zu den Stützen des Tuesday Night Game und habe inzwischen viele Spieler kommen und gehen sehen. Für mich – und fünf oder sechs andere Stammgäste – ist das Wort Dienstag zu einem Synonym für Poker geworden. Nichts, aber auch gar nichts, darf sich dieser Runde in den Weg stellen. Es wurden sogar schon Einladungen in den Buckingham Palace ausgeschlagen, weil sie auf einen Dienstagabend fielen. Und selbst entfernte Bekannte von mir wissen, dass man mich nicht auf einen Dienstagabend einladen und auch nicht zu früh am Mittwochmorgen anrufen darf. Für die Veteranen dieser Runde ist der Dienstagabend der ruhende Pol in unserer sich ständig verändernden Welt.

Mitspieler des Tuesday Night Game, die notgedrungen den-noch einmal dienstags nicht in der Stadt sein konnten, haben sich teilweise Tabellen zur Berechnung des Zeitunterschieds besorgt und dann aus allen Teilen der Welt gegen Mitternacht britischer Zeit angerufen, um herauszufinden, wer gerade gewann oder verlor. Ich habe sogar einmal von den Falklandinseln aus die Gewinne und Verluste abgefragt, aber das war pure Angeberei – genau wie der Kerl, der in Simbabwe hockte und per Telefon blind mitspielen wollte. Doch das vielleicht berühmteste Beispiel für das Dienstagabendsyndrom ist der Tag, an dem Al Alvarez in einer Buchhandlung in Hampstead herumstöberte. Er räumte gerade verstohlen die Exemplare seines neuen Buchs in den Regalen nach vorne (und schob Norman Mailers Werke nach hinten), als ihn plötzlich jemand von hinten ansprach: Sind Sie nicht Al Alvarez? Ich bin ein großer Bewunderer Ihrer Arbeit. AI, dessen Körpergröße nicht zu seinen herausragenden Eigenschaften zählt, wirbelte schuldbewusst herum und sah sich einem spindeldürren Riesen gegenüber, dessen Gesicht er sofort erkannte:

Es war einer seiner größten Helden, der Pianist Alfred Brendel. Im Laufe des darauf folgenden Gesprächs stellte sich heraus, dass sie Nachbarn waren. Als Begeisterung hätte kaum größer sein können, als der großartige Brendel verkündete, es wäre ihm und seiner Frau eine Freude, nein eine Ehre, das Ehepaar Alvarez zum Abendessen begrüßen zu dürfen. Wie wäre es mit… mal sehen, in diesem Monat sind schon so viele Termine … wie wäre es mit übernächstem Dienstag? Es war die härteste aller Prüfungen, doch Al bestand sie mit Bravour und lehnte diese heiß begehrte Einladung unter Aufbietung all seiner Kräfte ab. Die Geschichte hätte sogar noch mehr Charme, wenn die Einladung nicht auf einen Samstag verschoben worden wäre und die beiden Ehepaare danach enge Freunde wurden. Aber für Al – und wahrscheinlich galt das für ihn noch mehr als für jeden anderen von uns – war der Dienstagabend heilig. Er verbrachte den Tag ruhig und besinnlich zu Hause, fügte seinem neuesten CEuvre einige hundert Worte hinzu, schwamm ein paar Runden in einem der Teiche in Hampstead Heath und legte sich mehrere Stunden aufs Ohr, um zu gewährleisten, dass er ausgeruht zum Spiel erschien.

Vierundzwanzig Stunden vor dem großen Moment ging kein Tropfen Alkohol mehr über seine Lippen – und während der Pokerrunde schon gar nicht. Als Mensch mit wesentlich weniger Selbstdisziplin nervte mich seine olympisch anmutende Vorbereitung auf den Pokerdienstag derart, dass ich meist irgendeinen Vorwand fand, ihn zwischen 18.30 und 19.00 Uhr anzurufen – Wo findet das Spiel heute noch mal statt?, Kannst du mir dein Exemplar von Lolita mitbringen? -, nur um sicherzugehen, dass ich ihn bei seinem Nickerchen störte. Ich glaube, das war auch der einzige Grund dafür, dass die Familie Alvarez schließlich dem 20. Jahrhundert beitrat und sich einen Anrufbeantworter zulegte.

Nur einmal kam es zu einer brenzligen Situation: 1 982/83 wurde Al ein Job als Moderator einer wöchentlichen Fernsehsendung angeboten, und mich sprach man an, ob ich bei der BBC eine wöchentliche Radioshow machen wolle – und beide Programme sollten dienstagabends laufen. Das stellte uns vor ein ernsthaftes Dilemma. Dinnerpartys waren eine Sache, aber die Chance auf ein regelmäßiges Einkommen (noch dazu leicht verdient – lediglich ein bisschen Nachdenken und Reden, anstatt der gefürchteten Schinderei am Schreibtisch) konnten wir nicht einfach achtlos vertun. Nach reiflicher, gemeinsamer Überlegung baten wir uns eine Bedenkzeit bis nach der darauf folgenden Dienstagabendrunde aus, um dort die Grundsatzfrage zu stellen.

Unterbrochen von solchen Ausrufen wie Halts Maul und gib! fragten wir, ob es vielleicht möglich wäre, das Spiel für eine Probezeit von sechs Monaten (die natürlich zufällig mit unserer jeweiligen Probezeit beim Fernsehen bzw. Funk zusammenfiel) auf den Mittwochabend zu verschieben. Nach einem Moment entsetzten Schweigens meldete sich eine einzelne Stimme zu Wort und meinte schlicht: Aber Al, das hier ist der Pokerdienstag. Eine Weile schien die Angelegenheit damit geklärt. Doch Al und ich hatten noch ein Ass im Ärmel: Es gelang uns beiden, an diesem Abend eine beträchtliche Summe zu verlieren – ich muss gestehen, nicht die schwierigste aller Aufgaben -, wodurch wir am Ende des Abends darauf hinweisen konnten, dass die Runde ihre beiden fettesten Gänse zu verlieren drohte.

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